Man sollte natürlich genau hinhören-/schauen, ob es sich bei den Darstellungen und Warnungen um Übertreibungen und eine unbegründete "moralische Panik" handelt oder nicht. Wer die AfD mit der NSDAP und Nationalpopulisten mit Nationalsozialisten gleichsetzt, der hat tatsächlich etwas nicht verstanden. Das macht den autoritären Nationalpopulismus jedoch nicht zu einer harmlosen Ideologie.Thomas hat geschrieben : ↑Di 6. Mai 2025, 23:00@Consul: "Ich wage zu behaupten, dass meine Erwiderungen unaufgeregt und sachlich sind. Wer vor realen Gefahren warnt, betreibt keine irrationale Angstmacherei".
Das mit Angst und Aufregung meinte ich nicht in Bezug auf Dich oder andere hier, sondern primär in Bezug auf die Medien, aus denen man seine Eindrücke über die AfD bezieht. Und ich meine auch weniger psychische Angst und Aufregung, sondern eher die strukturelle Dramaturgie, die durch die 'Selbstbeobachtung der Gesellschaft durch die Medien' (im Luhmannschen Sinne) entsteht. Es werden dabei Frames (wie man das heute nennt) vorfabriziert, darunter etwa das Schema Schurken versus Verbündete (Beispiel: Die Bösen: AfD, Trump, Putin - die Guten: die Parteien der demokratischen Mitte, Selensky, Kamala Harris, usw.). Es ist schwer, solchen Framings und deren affektiven und moralisierenden Effekten zu entgehen, wenn man in eine Diskussion wie die unsere hier einsteigt.
Ich selbst erlebe es daher immer als eine Bereicherung, alle möglichen Medien zu nutzen - unsachlich gesagt also die guten wie die bösen. Das in Verbindung mit möglichst allseitiger Skepsis scheint mir ein einigermaßen gutes Mittel zu sein, um Engpässe in der Wahrnehmung zu vermeiden und nicht in Moralisierungsfallen zu tappen. (Ganz geht das natürlich nie: Denn man stelle sich bloß mal vor, was alles nicht gesendet wird! Man muss kein Verschwörungsdenker zu sein um zu wissen, dass auf allen Seiten vieles im Verborgenen stattfindet...und sicherlich auch vieles, das ganz anders ist als das, was man dann in den Medien zu Gesicht bekommt.)
Die AfD ist Teil des zeitgenössischen reaktionären rechten Spektrums, das Ultrakonservative, Ultralibertäre (Paläolibertäre, Anarchokapitalisten), Nationalpopulisten, Neofaschisten, Neonazis, sowie die Alt-Right-Bewegung, die "metapolitisch" ausgerichtete Neue Rechte (Nouvelle Droite), und esoterische "Traditionalisten" (Antimodernisten) umfasst. Der Politologe Richard Shorten verwendet dafür den Oberbegriff Reaktionismus:
"Reaktionismus ist eine Politikform des 21. Jahrhunderts mit langer Tradition. In letzter Zeit weist er tendenziell vier Hauptausprägungen auf: Nationalpopulismus, Alt-Right, Neofaschismus und Antimodernismus. Reaktionismus, der einen rechten Raum jenseits des Konservatismus einnimmt (aber nur unangenehm von ihm abgegrenzt ist), gibt der politischen Analyse, der historischen Erklärung und der moralischen Kritik immer wieder Rätsel auf. Dieser Beitrag beschreibt eine sich überschneidende Gemeinsamkeit im Bekenntnis zur Ungleichheit, kritisiert aber gleichzeitig marxistische Ansätze und solche, die vor allem der Philosophie oder Psychologie verpflichtet sind. Sinnstiftende Übungen in Politik, Geschichte und Ethik könnten besser durch einen Ansatz unterstützt werden, der die Rhetorik in den Vordergrund stellt. Reaktionismus basiert auf drei miteinander verbundenen Säulen („Dekadenz“, „Empörung“ und „Verschwörung“). Zukünftige Studien könnten eine stärkere Berücksichtigung der Details reaktionärer Ausdrucksformen in unkonventionellen Formen und Kontexten voranbringen.
Reaktionismus ist im einfachsten Sinne eine interpretative Kategorie zur Bezeichnung eines breiten Spektrums politischer Akteure und Bewegungen der „harten“ [radikalen/extremen—hinzugefügt] Rechten. Die Kategorie basiert vor allem auf Akteuren und Bewegungen, die die Überzeugung betonen, dass die Geschichte, mit großem „G“, vom Kurs abgekommen ist. Obwohl der Grundbegriff „Reaktion“ in der Alltagssprache häufiger in Adjektiv- oder Substantiverweiterungen vorkommt – zum Beispiel „Das ist eine reaktionäre Politik“ oder „Er ist ein Reaktionär, wenn ich je einen getroffen habe“ –, ist es die Erweiterung „Ismus“, die dem Bedürfnis entspricht, die Natur der extremen Rechten auf der ideologischen Landkarte zu verorten. Dieses Bedürfnis ist besonders dringlich angesichts des weltweiten Erfolgs rechtsgerichteter, aber nicht konventionell konservativer Politikformen in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Tatsächlich ist der Reaktionismus jedoch ein historisches Phänomen mit langer Geschichte. Im modernen Westen reicht diese Geschichte mindestens bis zur Ablehnung der Französischen Revolution zurück. Diese historische Reichweite verstärkt die Vorteile der Kategorie sowohl für politische Erklärungen als auch für Gesellschaftskritik und ermöglicht es, unter Bezugnahme auf zeitgenössische Erfahrungen in bestimmten Aspekten sowohl Parallelen zu ziehen als auch spezifische Einflusslinien zu verfolgen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, politischen Kommentatoren eine alternative Beschreibung des Populismus zu bieten. „Reaktionismus“ vereint eine andere Sammlung vergangener und gegenwärtiger Erfahrungen als diese überstrapazierte Kategorie, die es schwer hat, rechte Politik im Allgemeinen und nicht nur in Teilen zu verstehen." [Google Translate]
(Shorten, Richard. "Reactionism." In Encyclopedia of New Populism and Responses in the 21st Century, ed. by Joseph Chacko Chennattuserry, Madhumati Deshpande, & Paul Hong, 877-880. Singapore: Springer Nature, 2024. p. 877)