Philipp Hübl: Wahrheit (3) / Wissen (4)

Timberlake
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Di 15. Apr 2025, 21:19

Quk hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 21:05
Timberlake hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 20:06
Und eben in diesem Sinne mache ich den Unterschied zwischen Psychisch-subjektive Gewissheit bei Empfindungen, wie beispielsweise Hunger, Schmerz, grün, rot, süß etc. und Psychisch-subjektive Gewissheit bei Theorien, wie beispielsweise dem heliozentrischen Weltbild, dem ohmschen Gesetz, der Quantum Superposition etc. fest.
Was meinst Du mit "psychisch-subjektive Gewissheit bei Theorien"?

Verständnisfrage: Bezeichnest Du "Gewissheit" als eine Empfindung an sich? Eine Gewissheits-Empfindung? Ich denke, ja, Gewissheit ist eine mentale Qualität, eine Empfindungsqualität. Sie ist kein maschinelles Ding und kein mathematisches Axiom oder dergleichen.

Nun gibt es unterschiedliche Menschen, die angesichts bestimmter Theorien unterschiedliche Gewissheits-Empfindung haben. Das liegt vermutlich daran, dass Empfindungen nicht objektiv sind, sondern subjektiv. Deshalb löst diese Vielfalt auch lebhafte Diskussionen aus.
Genau das würde ich mit "psychisch-subjektive Gewissheit bei Theorien" meinen. Also das Menschen bezüglich bestimmter Theorien unterschiedliche Gewissheits-Empfindung haben.Wenngleich ich bezweifeln würde, dass Consul bzw. Popper, von denen diese lebhafte Diskussionen darüber ausgelöst wurde, damit das gleiche meinen ..
Consul hat geschrieben :
Mo 14. Apr 2025, 06:41

Ich muss meine obige Aussage angesichts dieses Zitats berichtigen: Laut Popper ist die (absolute/objektive) Wahrheit im Gegensatz zur epistemischen Sicherheit "erreichbar". Wahrheit ist genau dann "erreicht", wenn mein subjektiver Glaube, dass p, objektiv wahr ist. Epistemische Sicherheit ist genau dann "erreicht", wenn ich die objektive Gewissheit habe, dass mein Glaube, dass p, objektiv wahr ist.

Im Gegensatz zur epistemisch-objektiven Gewissheit/Sicherheit ist psychisch-subjektive Gewissheit/Sicherheit als zweifelsfreie Überzeugung jederzeit leicht erreichbar.
Schließlich gäbe es da angeblich auch noch eine "epistemisch-objektive Gewissheit bei Theorien"




Timberlake
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Di 15. Apr 2025, 22:04

Quk hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 21:07
Timberlake hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 20:53
Nach dieser Darstellung resultiert die Süße aus einer Sinneswahrnehmung.
Das ist eine Hypothese. Was ist eine Sinneswahrnehmung?
Wenn Hypothesen Vermutungen und Thesen Behauptungen sind, so würde ich , wenn die Zunge als Sinnesorgan Süße wahrnimmt, wenn schon denn schon von einer These sprechen. Womit übrigens zugleich die Frage beantwortet sein dürfte,was eine Sinneswahrnehmung ist.

Im Hinblick auf das Thema diese Threads, Wahrheit und Wissen nach Philipp Hübl, gebe es allerdings meiner Meinung weit wichtigeres zu diskutieren, als die Befindlichkeiten zur Süße. Zumal sich dazu in dieser Vorlesung eh nichts findet.

Beispiel
  • " .. also wann kann ich mich auf Informationen verlassen , die da draußen sind .. können ja auch Fake News sein. Oder gefälschte Studien ... "
    Philipp Hübl ...Vorlesung "Bullshit-Resistenz" (2023, UDK Berlin) 4. "Wissen und Wissenschaft" .. 38:01




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Jörn Budesheim
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 19:51
„Der Fall sein“, also eine Tatsache, hat grundlegend betrachtet folgende Struktur: Fx, z. B. der Stein [x] ist grau [F]. [...] Wenn ich eine Süßempfindung habe, dann haben wir wiederum die Struktur Fx, z. B. „Das Bonbon [x] ist süß [F]“. Darin kann ich mich sehr wohl irren – etwa wenn das Bonbon gar nicht süß, sondern salzig oder bitter ist.
Quk hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 20:02
Ich denke nicht, dass eine Empfindung an sich mit einem Stein vergleichbar ist.
Ich vergleiche nicht Empfindungen und Steine. Es geht um die allgemeine Struktur von einfachen Tatsachen Fx. Alles kann in Tatsachen eingebettet sein, so verschieden es auch sein mag. Beispiele:

7 ist ungerade
Der Himmel ist blau
Das Gedicht ist berühmt
Der Stein ist grau
Das Gefühl ist stark
Der Minister ist fleißig
Das Geld ist knapp

Das sind alles ganz verschiedene Dinge, dennoch gibt es über sie Tatsachen.




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Quk
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Mi 16. Apr 2025, 07:56

Das ist mir klar.

Mein Satz bezog sich auf einen Traum; ich träumte, Du hättest geschrieben: "... ich vergleiche eine Empfindung mit einem Stein". Als ich aufwachte, war der Satz weg. Daher erübrigt sich nun mein Kommentar, den Du zitiertest.




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 21:05
(Ich wage sogar zu behaupten, dass Empfindungen weder objektiv noch subjektiv sind. Sie sind an sich. Sie brauchen nicht einmal ein Ich, weil das Ich ebenfalls "nur" eine Empfindung ist, eine Ich-Empfindung, auch bekannt unter dem Namen "Bewusstsein". Wenn sich eine Ich-Empfindung paart mit einer Süß-Empfindung, ensteht der rationale Eindruck, das Süß würde vom Ich aufgenommen. Das ist aber nur ein Konstrukt. Man könnte dieses Konstrukt auch umkehren: Das Ich wird vom Süß aufgenommen. Oder so: Süß und Ich liegen nebeneinander. Ich sehe keinen Grund zur Annahme, dass hier irgendein "Richtungspfeil" eingebaut werden müsste. Die Ich-Empfindung kann auch allein geschehen. Ebenso kann die Süß-Empfindung ohne zusätzliche Ich-Empfindung geschehen.)
Kannst du das einem süßen Pfirsich, den du isst, erläutern?




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Quk
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Mi 16. Apr 2025, 13:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 16. Apr 2025, 13:12
Kannst du das einem süßen Pfirsich, den du isst, erläutern?
Wenn er Deutsch versteht und über ein hohes Abstraktionsvermögen verfügt, vielleicht.




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Apr 2025, 13:52

Mein Schreibfehler: Kannst du das an einem süßen Pfirsich, den du isst, erläutern?




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Quk
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Do 17. Apr 2025, 00:40

In der Bewusstlosigkeit kann die Ich-Empfindung und jegliche "Subjektivität" abwesend sein und zugleich eine Süß-Empfindung da sein. Phänomene brauchen für ihr Dasein keine körperlichen Gegenstände. Materialisten werden steif und fest das Gegenteil behaupten; ich halte den Materialismus für unbewiesen.

Aber jetzt schnell zurück zum Faden-Thema.




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Jörn Budesheim
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Es geht in diesem Faden um Wissen und Wahrheit, meines Erachtens erwirbt jemand Wissen, der in eine Frucht beißt und feststellt, dass sie süß ist. Wir verlassen also nicht das Thema des Fadens.




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Quk
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Do 17. Apr 2025, 08:56

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Apr 2025, 19:51
Kurz: Eine Süßempfindung hat immer eine prädikative Struktur – sie sagt immer: „Das da ist süß.“ Und genau deshalb kann man sich darin auch irren.
Ich denke nicht, dass eine Süßempfindung, im Sinne der Qualia, notwendig eine prädikative Struktur haben muss. Süßigkeit kann ich nicht beschreiben. Sie ist eine ganz eigene Qualität für sich, ein Quale. Zwar kann ich dieses Quale einem Ding gedanklich zuordnen. Aber das ändert nichts an dem Quale. Ich kann das Ding auch wieder wegdenken, und das Quale bleibt, zum Beispiel in der Bewusstlosigkeit.

Ich vermute, Deine These will auf der Sprach- und Knüpf-Ebene bleiben, während ich ganz woanders in den sprachlosen Phänomena tiefbohre.

Natürlich stimme ich Dir darin zu, dass Sätze falsch sein können, und dass ein Ding, ein Wort oder ein Quale an sich keinen Satz darstellt.




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Jörn Budesheim
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Do 17. Apr 2025, 09:03

Sprache kommt in der Beschreibung, die ich weiter oben geliefert habe, gar nicht vor.




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Quk
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Do 17. Apr 2025, 09:11

Ich dachte, eine "prädikative Struktur" sei etwas sprachliches, verknüpfendes.

Ich denke, ein Quale allein ist kein Satz und keine Verknüpfung. Das denkst Du auch, oder?




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Jörn Budesheim
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Do 17. Apr 2025, 10:06

Quk hat geschrieben : Psychisch-subjektive Gewissheit gibt es bei Empfindungen an sich wie beispielsweise Hunger, Schmerz, grün, rot, süß etc. Die sind immer gewiss. Selbst wenn man die Hungerempfindung als "Einbildung" bezeichnet, ist da eine Hungerempfindung. Das heliozentrische Weltbild hingegen ist keine Empfindung an sich, sondern eine Theorie. Theorien bestehen nicht aus Empfindungen an sich, sondern aus Satzkonstruktionen.
Hier noch mal meinen Text mit entsprechenden Ergänzungen.

Was heißt irren? Grob gesat: Ich glaube, dass etwas der Fall ist – aber es ist nicht der Fall. „Der Fall sein“, also eine Tatsache, hat grundlegend betrachtet folgende Struktur: Fx, z. B. der Stein [x] ist grau [F].

(„Stein“ für sich allein genommen ist keine Tatsache, ebenso wenig „grau“.)

Wenn ich eine Süßempfindung (ich spreche hier von Süßempfindungen, nicht etwa von Sätzen) habe, dann haben wir wiederum die Struktur Fx, z. B. „Das Bonbon [x] ist süß [F]“. (Damit ist die Struktur der Düßempfindung gemeint und nicht etwa ein Satz.) Darin kann ich mich sehr wohl irren – etwa wenn das Bonbon gar nicht süß, sondern salzig oder bitter ist.

Ich mag zwar eine Süßempfindung haben, aber eine reine Süßempfindung, die sich auf nichts bezieht, gibt es gar nicht. Es schmeckt mir immer *etwas* süß. Wenn ich also die Süßempfindung habe, dann habe ich immer auch die fragliche prädikative Struktur Fx – (diese Struktur ist in der Empfindung selbst realisiert) dann ist es ja das Bonbon, das mir süß schmeckt, obwohl es womöglich ein salziges Bonbon ist.

Ich weiß nicht, ob es phänomenales Erleben ohne jegliche Intentionalität gibt, aber solche Fälle sind sicherlich nicht die Regel.

Kurz: Eine Süßempfindung (selbst und nicht etwa ein Satz über die Süßempfindung) hat immer eine prädikative Struktur – sie (die Süßempfindung selbst) sagt immer: „Das da ist süß.“ Und genau deshalb kann man sich darin auch irren.




Timberlake
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Do 17. Apr 2025, 13:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Apr 2025, 10:06


Kurz: Eine Süßempfindung (selbst und nicht etwa ein Satz über die Süßempfindung) hat immer eine prädikative Struktur – sie (die Süßempfindung selbst) sagt immer: „Das da ist süß.“ Und genau deshalb kann man sich darin auch irren.
Um dazu einmal auf die Vorlesung Wahrheit (3) / Wissen (4) von Philipp Hübl und somit zum Faden dieses Threads zurückzukommen …

  • "Schon Kinder sind Naturwissenschaftler : ("Löffel fallen lassen , verursacht Geräuscht") "
    Philipp Hübler .. Vorlesung "Bullshit-Resistenz" (2023, UDK Berlin) 4. "Wissen und Wissenschaft" ...42:25
Schon Kinder sind Naturwissenschaftler: ("Süßes zu essen, verursacht Wohlbefinden")

Wenngleich ich bezweifeln würde, dass sie dieses Experiment nur deshalb wiederholen, weil man sich darin auch irren kann bzw. um diesbezüglich also Wahrheit und Wissen auf Popper zurückzukommen …

Consul hat geschrieben :
Sa 12. Apr 2025, 23:26
Popper über den "Weg der Wissenschaft":
"Das alte Wissenschaftsideal, das absolut gesicherte Wissen, hat sich als ein Idol erwiesen. Die Forderung der wissenschaftlichen Objektivität führt dazu, daß jeder wissenschaftliche Satz vorläufig ist. Er kann sich wohl bewähren – aber jede Bewährung ist relativ, eine Beziehung, eine Relation zu anderen, gleichfalls vorläufig festgesetzten Sätzen. Nur in unseren subjektiven Überzeugungserlebnissen, in unserem Glauben können wir "absolut sicher" sein.

(Popper, Karl. Logik der Forschung: Zur Erkenntnistheorie der modernen Naturwissenschaft. Wien: Springer, 1935. S. 207-9)
… weil sich das alte Wissenschaftsideal, dass es absolut gesicherte Wissen gäbe, als ein Idol erwiesen. Möglicherweise ist der Naturwissenschaftler Satz "das ist süß" ebenfalls nur vorläufig. Er kann sich wohl bewähren – aber jede Bewährung ist relativ, eine Beziehung, eine Relation zu anderen, gleichfalls vorläufig festgesetzten Sätzen. Wenngleich mich allerdings schon interessieren würde, zu welchen anderen, gleichfalls vorläufig festgesetzten Sätzen, er Beziehungen er hat, so die Kinder nicht davon lassen können, wohlgemerkt im übertragenem Sinn, stets aufs neue Löffel fallen zu lassen, um sich darüber zu vergewissern, dass dergleichen tatsächlich ein Geräusch verursacht.

Timberlake hat geschrieben :
Mo 14. Apr 2025, 03:49

"Die Wahrheit ist objektiv und absolut: Das ist die Idee, die Alfred Tarski gegen den Relativismus verteidigt hat. Aber wir können niemals ganz sicher sein, dass wir die Wahrheit, die wir suchen, gefunden haben. Wir dürfen die Wahrheit nicht mit der Sicherheit, mit ihrem sicheren Besitz verwechseln. Die absolute Wahrheit wird manchmal erreicht; die Sicherheit nie: Die Suche nach Sicherheit ist verfehlt; aber wir können unsere Theorien immer strenger überprüfen."

(Popper, Karl R. Objektive Erkenntnis: Ein evolutionärer Entwurf. Hamburg: Hoffmann & Campe, 1993. S. VII)

Beispiel

Es ist absolut wahr , dass die Erde um die Sonne kreist, wie dessen Gegenteil zugleich absolut unwahr ist. Gleichwohl würde angeblich dessen Sicherheit nie erreichen werden. Weil die Suche nach Sicherheit verfehlt ist. Wenn es weiter heißt, dass wir unsere Theorien immer strenger überprüfen können, keine Frage im Hinblick der Theorie eines helio bzw, geozentrischen Weltbildes können wir das tatsächlich. In dem [N]icht der Besitz von Wissen, von unumstößlichen (Un-) wahrheiten den Wissenschaftler macht , sondern das rücksichtslose, unablässige Suchen nach (Un-) wahrheit, könnten die Wisssenschaftler das nicht nur bloß tun, sie müssten es, wenn sie denn als solches bezeichnet werden wollen.

Wo liegt mein Denkfehler, dass ich zu solch absurden Schlüssen komme?
…oder, um auf dieses Beispiel zurückzukommen, Wissenschaftler dazu aufgefordert sind, stets aufs neue die Erde und den Mond zu beobachten, um sich darüber zu vergewissern, ob die Erde tatsächlich den Mond umkreist.




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Jörn Budesheim
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Do 17. Apr 2025, 15:47

Timberlake hat geschrieben :
Do 17. Apr 2025, 13:44
Um dazu einmal auf die Vorlesung Wahrheit (3) / Wissen (4) von Philipp Hübl und somit zum Faden dieses Threads zurückzukommen …
Quk hat geschrieben :
Do 17. Apr 2025, 00:40
Aber jetzt schnell zurück zum Faden-Thema.
Bild

Erkenntnistheorie

Die Struktur des Wissens
Grundidee: Unsere wahren Überzeugungen müssen auf die richtige Weise entstanden sein, um als Wissen zu zählen: Sie benötigen einen Grund bzw. eine Rechtfertigung.

(1) Fundamentalismus ("foundationalism"): Unser Wissen hat ein Fundament
(a) unbezweifelbare Einsichten (Descartes: "Ich denke")
(b) die Sinneswahrnehmung (Empirismus)
(c) etc.

(2) Kohärentismus ("coherence theory of knowledge"): Wissen haben wir nur in einem holistischen Netz von Überzeugungen, die sich gegenseitig stützen (Quine 1970, Davidson 2001).
- Nur Überzeugungen (Propositionen) können wahr oder falsch sein und andere Überzeugungen stützen oder rechtfertigen (Davidson 2001).
- Wahrnehmungseindrücke sind nur der kausale Weg, über den wir Wissen erlangen; sie können aber selbst nicht wahr oder falsch sein.

--------------

Wenn man die Folie der PowerPoint anschaut, dann sieht man sehr leicht, dass die Frage nach der Wahrnehmung sogar ein Kern der entsprechenden Sequenz ist.




Timberlake
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Fr 18. Apr 2025, 01:48

Wenn man nach der Folie geht ...
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Apr 2025, 07:48
Es geht in diesem Faden um Wissen und Wahrheit, meines Erachtens erwirbt jemand Wissen, der in eine Frucht beißt und feststellt, dass sie süß ist.
.. so bestände der "Kern" darin, dass die Wahrnehmungseindrücke, mit der wir dieses Wissen erlangt haben, selbst weder wahr noch falsch sind. Werden da nicht auch Äpfel mit Birnen verglichen?

Da halte ich mich doch lieber an Kant ..
  • "Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, so fern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum, uns Menschen wenigstens, nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziere. Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe. Alles Denken aber muß sich, es sei geradezu (directe), oder im Umschweife (indirecte), vermittelst gewisser Merkmale, zuletzt auf Anschauungen, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann."
    Kant ... Kritik der reinen Vernunft

Wenn es dort heißt es , durch den Verstand werden die Anschauungen gedacht und von ihm entspringen Begriffe , so würden die Begriffe wahr oder falsch auch erst durch den Verstand gedacht werden können. Wie demzufolge übrigens auch das Wissen der Süße, das jemand erwirbt wenn er in eine Frucht beißt, auch erst durch den Verstand gedacht werden kann. Wird uns die Frucht auf diese Weise nicht gegebegen, so wird auch nicht der Verstand dessen Süße denken können. Gleichwohl der Verstand dergleichen denken könnte, wenn denn zuvor eine andere Frucht gebissen wurde. Doch nur als reines denken, nicht in der Anschauung bzw. einem Wahrnehmungseindruck.
Zuletzt geändert von Timberlake am Fr 18. Apr 2025, 02:48, insgesamt 8-mal geändert.




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Fr 18. Apr 2025, 02:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Apr 2025, 10:06
Kurz: Eine Süßempfindung (selbst und nicht etwa ein Satz über die Süßempfindung) hat immer eine prädikative Struktur – sie (die Süßempfindung selbst) sagt immer: „Das da ist süß.“ Und genau deshalb kann man sich darin auch irren.
Das hatte ich alles bereits verstanden. Dass ein Satz falsch sein kann, dem stimme ich soweit zu.

Nur in diesem folgenden Teil, diesem Wort "immer", dem stimme ich nicht zu:
sie (die Süßempfindung selbst) sagt immer: „Das da ist süß.“
Angenommen, ein Bezug sei tatsächlich immer vonnöten, so behaupte ich, eine Süßempfindung kann sich auch auf sich selbst beziehen. Selbstbezüge erübrigen sich allerdings, daher kürze ich die Angelegenheit und komme zur Sache selbst: zum Süße-Quale. Auch das Röte-Quale kann sich auf sich beziehen; da ist nur Röte und nicht notwendig auch noch eine Tomate oder Netzhaut. Du siehst das anders, ich weiß.

Wenn keine Tomate erscheint, kann ich Röte oder Süße bestenfalls einem unendlichen Raum zuordnen. Aber Raum ist kein Quale, keine Empfindung; nach Kant steht der Raum a priori vor diesen Phänomena. Selbiges gilt für die Kausalität. Qualia sind keine physikalischen Vorgänge in der Raumzeit.

Du siehst das anders, ich weiß, ich habs mehrmals gelesen.


Oder kommst Du hier doch einen Schritt auf meine These zu?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Apr 2025, 10:06
Ich weiß nicht, ob es phänomenales Erleben ohne jegliche Intentionalität gibt, aber solche Fälle sind sicherlich nicht die Regel.




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Fr 18. Apr 2025, 06:56

Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 02:06
da ist nur Röte
Aber so etwas gibt es einfach nicht. Es lässt sich meines Erachtens nicht mal vorstellen. Egal wie man es anstellt, es muss immer etwas geben, was rot ist, sei es eine Fläche, eine Wolke, ein Raum - ob vorgestellt oder real, es ist egal, immer gibt es etwas, was rot ist. "Da ist nur Röte" ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 02:06
Wenn keine Tomate erscheint, kann ich Röte oder Süße bestenfalls einem unendlichen Raum zuordnen. Aber Raum ist kein Quale, keine Empfindung; nach Kant steht der Raum a priori vor diesen Phänomena. Selbiges gilt für die Kausalität. Qualia sind keine physikalischen Vorgänge in der Raumzeit.
Was "Qualia" ontologisch sind, ist für meine Argumentation im Grunde irrelevant. Was immer sie sind, es gibt sie nicht "einfach so" oder "nur".




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Fr 18. Apr 2025, 08:02

Ich spreche von Röte, nicht von Rotsein.

Ich spreche von Süße, nicht von Süßsein.

Ich abstrahiere die Qualität an sich weg vom vermeintlichen Gegenstand, der die jeweilige Eigenschaft haben kann.

Wie gesagt, diese Abstraktion, die ich da vollziehe, hat nichts mit dem Fadenthema zu tun, in welchem es um Sätze geht und nicht um satzlose Eigenschaften an sich.




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Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 08:02
Wie gesagt, diese Abstraktion, die ich da vollziehe, hat nichts mit dem Fadenthema zu tun, in welchem es um Sätze geht und nicht um satzlose Eigenschaften an sich.
In dem Faden geht es um Wahrheit und Wissen so wie sie Hübl in der Vorlesung vorstellt, aber auch diskutiert. Es geht in der Vorlesung immer auch um die Einwände, welche die Student:innen machen.

Es geht nicht nur um Sätze. Wahr sein können gemäß Hübl nicht nur Sätze, sondern auch Überzeugungen, Gedanken, Urteile etc. Gemeinsam ist ihnen, dass sie einen Gehalt haben. Allgemein gesprochen, können - gemäß Hübl - nur Propositionen wahr sein, falls ich mich korrekt erinnere.

Soweit ich die Vorlesung verstanden habe, zählt Hübl Wahrnehmungen aber nicht dazu. Aber das kaufe ich nicht. Die Diskussion, die wir gerade führen, ist für das Thema also zentral. Das ist also keineswegs off topic.

Auf der Folie weiter oben bezieht Hübl sich zwar auf Davidson, aber sein Gegenspieler in dieser Frage John McDowell fehlt. Mit anderen Worten, diese Sicht, die Hübl vorstellt, ist keineswegs unwidersprochen geblieben. So etwas in diesem Zusammenhang zu diskutieren, halte ich für selbstverständlich.
Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 08:02
Ich spreche von Röte, nicht von Rotsein.

Ich spreche von Süße, nicht von Süßsein.

Ich abstrahiere die Qualität an sich weg vom vermeintlichen Gegenstand, der die jeweilige Eigenschaft haben kann.
Für Röte und Süße als Qualia (gegenüber rot und süß als Eigenschaft von Dingen) gilt meines Erachtens einfach das Gleiche, was ich oben gesagt habe. Man könnte vielleicht sagen, dass Röte und Süße, verstanden als Qualia, "phänomenologisch ungesättigt" sind (vage in dem Sinne wie Frege den Ausdruck ungesättigt versteht). Wir können zwar vom je konkreten Erscheinen von Röte und Süße begrifflich absehen/abstrahieren, aber phänomenologisch tauchen sie immer nur in einer prädikativen Struktur, also gesättigt auf, nämlich so: (x) F.




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