Es könnte sein, daß ich da ein Mißverständnis ausgelöst habe.
Um also meinen Vorkommentar zu ergänzen (ich bitte, die falsche Zitierweise darin zu entschuldigen): wenn ich von lebensfunktional gesprochen habe, so ist das keine notwendige Bedingung des Denkens, sondern nur eine der Entstehung des Denkens. Das Denken beginnt in der Not, eine rationale Lösung für existentielle Probleme zu finden, das erste Denken ist zweckrational. Sehr früh aber kommt es zur Selbstreflexion, und damit zur Frage "was/wer bin ich", sie stürzt den Menschen in den Zweifel, das erzählt die biblische Geschichte mit dem Sündenfall, dem Ende der Selbstverständlichkeit, Naivität, des "Paradieses", mit dem Apfelbaum der Erkenntnis, der Lust und Last des Wissens/Nichtwissens. Das Denken ist nicht zu haben ohne die Möglichkeit, falsch zu denken, aber weil richtiges Denken belohnt wird, kommt es zum unstillbaren Willen zum Denken/Wissen (und das mußte die Religion als Erbsünde, weil sie gefährdend, brandmarken). Das ist mehr als das immer schon bei Tieren vorhandene Neugierverhalten, das für bewegliche Organismen fundamental ist (es müssen zB Nahrungsquellen erschlossen werden).
Ich sagte, Denken steuert das Verhalten zum Nutzen des Organismus. Dazu muß das Denken nicht richtig sein. Es kommt primär nur darauf an, daß die Verbindung von Denkstrukturen mit den Realstrukturen funktioniert, nützt. Freilich, optimaler Nutzen ist nur mit Abbildungstreue in der Repräsentation der Realstrukturen möglich, also mit Isomorphie der Denkstrukturen.
Damit kommen wir zur Frage des Relativismus. Der Pragmatismus hat diesen Punkt der "Lebensfunktionalität". Aber er irrt, weil er dabei stehen bleibt. Angepaßte Strukturen benötigen kein Subjekt, sie lassen sich (naturwissenschaftlich) mit der Evolutionstheorie erklären. Es ist die Selbstreflexion des Denkens, die Ding und Gedanken trennt und so die Angemessenheit beider problematisiert. Es ist die Relativierung des Denkens, die dem Denken ermöglicht, sich zu verbessern, und das ist der evolutionäre Grund für die Ausbildung eines selbstreflexiven Denkens. Welches zwar ein absolut richtiges, also isomorphes Denken als unerreichbar ausschließt, aber durch diese Relativierung einen absoluten Standpunkt, den der Annäherung an das Absolute, gewinnt. Das Denken bleibt zweifelhaft, aber die Verbesserung durch Reflexion ist unbestreitbar.
Es gibt den kontinuierlich verbessernden Fortschritt im Denken, und es gibt den sprunghaften, revolutionären Fortschritt durch einen Paradigmenwechsel. Letzterer entwertet zwar, wenn er berechtigt ist, das vormalige Wissen total, aber die relativen Denkfortschritte im vormaligen bleiben relativ erhalten. So hat etwa die Hinzufügung von Epizyklen die Voraussagen in dem Plolemäischen Weltbild verbessert, auch wenn dieses Weltbild einer neuen richtigeren Sicht weichen mußte, und die Newtonsche Physik war nicht der Endpunkt, sie wurde durch die relativistische ersetzt, aber die Newtonsche hat ihre relative Gültigkeit in einer bestimmten Größenordnung erhalten können.
Es kann also keine Rede davon sein, daß die Anerkennung der Unerreichbarkeit der (vollkommenen) Wahrheit aüf einen Relativismus führt, im Gegenteil führt sie zu einem unabschließbaren Erkenntnisprozeß, Denken ist ein work in progress der Menschheit.
Ich möchte noch auf ein zweites häufig auftretendes Mißverständnis eingehen, das auf eine unklare Definition zurückzuführen ist. Die Begriffe "rational", "Rationalität" werden uneinheitlich gebraucht. Ich schließe mich der Sprechweise von Rationalität an, in der sämtliche Bewußtseinstatbestände als Kognition gefaßt sind, und damit einem umfassenden Sinn von Rationalität entsprechen. Das bedeutet, daß auch Gefühle, die ins Bewußtsein gelangen, als Kognition rational sind. Diejenigen Gefühle, die unbewußt bleiben, haben zwar durchaus auch Einfluß auf die Kognition, sind aber nicht rational, sondern arational. Irrational sind kognitive Akte, die nicht den ausgebildeten Regeln der Kognition folgen, die also antirational sind. Und dann gibt es den engeren Begriff der Rationalität, der Zweck(-Mittel)-Rationalität meint. Es ist, wie oben gesagt, die ursprüngliche Form der Kognition, Problemlösungsdenken, das aber zum Selbstzweck wird, wo es sich auf sich selbst bezieht. Dieser Unterschied wird begrifflich markiert durch den Unterschied von (zweckrationalem) Verstand und (reflexiver) Vernunft, die im engeren Sinne nicht rational (= einfach, in A folgt B, A├ B, A→B) auflösbar ist. Das bedeutt aber nicht, daß die Vernunft irrational ist, sondern daß sie der Logik des Komplexen, Imprädikativen folgt, einer höherwertigen Logik (was man gelegentlich mit einer mehrwertigen Logik zu simulieren versucht). In diesem Sinn sollte man die engere Logik/Rationalität des Verstands und die weitere der Vernunft gleichermaßen als Kognition, Denken ansprechen.