Was ist der Mensch?

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
Pragmatix
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Do 26. Sep 2024, 19:17

RoloTomasi hat geschrieben :
Do 26. Sep 2024, 14:33
Ich denke, Rortys Überlegung ist eine zugespitzte Variation der klassischen anthropologischen Idee von Arnold Gehlen, derzufolge der Mensch von Natur aus ein Kulturwesen ist. Es ist das Wesen des Menschen, dass bei ihm anstelle der Natur erster Hand die Kultur als eine "zweite Natur" tritt. Das passt auch gut zu Nietzsche Diktum vom Menschen als einem nicht festgestellten Tier.
Aber Gehlen hat es doch dezidiert als Mängelwesen festgestellt? Und Rorty würde sich für jeden Kulturalismus im Sinne Gehlens bedanken. Er ist doch der Gegner aller identitären Merkmale und Eigenschaften par excellence. Seine romantische Selbsterschaffung soll den Essenzialismus doch überwinden?




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Thomas
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Do 26. Sep 2024, 20:14

Pragmatix hat geschrieben :
Do 26. Sep 2024, 19:17

[...] Rorty würde sich für jeden Kulturalismus im Sinne Gehlens bedanken. Er ist doch der Gegner aller identitären Merkmale und Eigenschaften par excellence. Seine romantische Selbsterschaffung soll den Essenzialismus doch überwinden?
Ich denke, dass Gehlen und Rorty durch den Gedanken der 'Menschwerdung' mittels Kultur miteinander verbunden sind. Aber Du hast völlig recht: Rorty war als Liberaler eher an der individuellen Selbsterschaffung des Menschen durch Bildung u.a. interessiert, während Gehlen als Konservativer auf die soziale Integration des einzelnen Menschen durch überpersönliche Institutionen hinauswollte. Gehlen war zwar kein Essenzialist; aber er hat, ganz wie Du sagst, die Idee einer subjektiven Selbstbestimmung und Selbstkultivierung vehement abgelehnt.

@Jörn: Ich sehe Gehlens Idee der menschlichen Kultur als zweiter Natur, oder auch die ganz ähnliche Idee der "natürlichen Künstlichkeit" (Plessner) des Menschen nicht als Selbstwiderspruch. Es ist eher ein Versuch, die spezifische Ambivalenz des Lebewesens 'Mensch' irgendwie sprachlich auf den Begriff zu bringen. Sprachlich ganz sauber fassen kann man das Menschliche in seiner Ambivalenz ja wirklich nur schwer; da muss man sich einfach solcher zweideutigen Hilfsformulierungen bedienen.




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Jörn Budesheim
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Do 26. Sep 2024, 20:19

Ich habe doch über den Selbstwiderspruch von Rorty gesprochen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 26. Sep 2024, 14:06
Consul hat geschrieben :
Mi 25. Sep 2024, 22:48
"On this view, there is no such thing as human nature, for human beings make themselves up as they go along. They create themselves, as poets create poems."
———
"Nach dieser Auffassung gibt es so etwas wie die menschliche Natur nicht, denn Menschen erfinden sich nach und nach selbst. Sie erschaffen sich selbst, so wie Dichter Gedichte erschaffen.“
[© meine Übers.]

(Rorty, Richard. "Democracy and Philosophy." 2007. Reprinted in What Can We Hope For? Essays on Politics, edited by W. P. Malecki & Chris Voparil, 34-48. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2022. p. 44)
Meines Erachtens widerspricht Rorty sich hier selbst. Erst sagt er, es gäbe keine menschliche Natur ... und dann gibt er an, worin sie besteht.
Dass der Mensch sich selbst entwerfen kann, darin gebe ich Rorty recht, und das macht eben das Wesen des Menschen aus.




Pragmatix
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Do 26. Sep 2024, 20:28

Rorty war dezidiert Antiessenzialist. Mit ihm ist kein „Wesen des Menschen“ zu begründen. Daher sehe ich den Widerspruch, der bemängelt wurde, ebenfalls.




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