Ja, darum würde ich auch nicht von "Ewigkeit" sprechen - also von einem endlosen Bestand in der Zeit -, sondern nur von einem Moment der Unendlichkeit.Alethos hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 15:57Denn wenn das Denken einen Ort und eine Zeit hat in diesen öffentlichen und gemeinsamen Praxen, was ich glaube, dann können wir nicht gleichzeitig eine Ewigkeit dieses Denkens unterstellen. Denn es ist denkbar, dass wir einmal nicht mehr sind und mit uns die Praxen untergehen, die wir aktualisieren - mit uns aber auch die ganze begriffliche Struktur untergeht, die dieses Denken ausgemacht hat.
Alles, was Beispiel einer Regel ist, enthält ein solches Moment. Denn mit einer Regel eröffnet sich die Möglichkeit, unendlich viele weitere Beispiele folgen zu lassen. So lässt sich etwa die geordnete Reihe 1, 5, 3, 7, 5, 9, 7, 11, 9... unendlich fortsetzen, was durch die drei Punkte ausgedrückt wird. Die Reihe ergibt sich dadurch, dass immer dieselben beiden Operationen (Addition von 4, Subtraktion von 2) abwechselnd ausgeführt werden. Offenbar ist es möglich, immer wieder "dasselbe" zu tun - solange halt jemand da ist, der begreift, was "dasselbe tun" bedeutet. - Nun mag man darüber streiten, ob es wirklich möglich sei, dass eine Person oder eine Vielzahl verschiedener Personen immer wieder dasselbe tun. Es ließe sich ja einwenden, dass keine neue Instanz der Regel eine exakte Wiederholung eines Identischen sei, sondern in Wirklichkeit eine fortlaufende Variation. Dieser Einwand wäre auch triftig, denn zumindest unterscheiden sich die verschiedenen Instanzen des Selben allein schon durch ihren "Ort" in Raum und Zeit. Aber es charakterisiert eben begriffliche Praxen, dass diejenigen, die sich darauf verstehen, damit zugleich auch die Fähigkeit haben, von den empirischen Verschiedenheiten zischen den Instanzen des Selben zu abstrahieren. D.h. sie begreifen, dass es nicht um faktische Identität der einzelnen Instanzen zu tun ist, sondern um Äquivalenz, also um ihre Gleichwertigkeit. Und Gleichwertigkeit enthält ein kontra-faktisches Moment, weil sie gegen die bzw. trotz der faktischen Differenzen zwischen den gleichwertigen Instanzen erreicht wird. Die Fähigkeit, faktisch Verschiedenes als gleichwertig zu betrachten, ist eine Fähigkeit zur Observanz und gleichzeitig zur Toleranz. Mit der Strenge der Regelbefolgung ist nämlich unweigerlich Nachsicht gegenüber den unterlaufenden Abweichungen verknüpft, auf die es - im Blick auf das Wesentliche - nicht ankommt...
Was Du hier mit "Konstanz", "Dauerhaftigkeit" und "Verlässlichkeit" beschreibst, habe ich oben auf meine Weise zu erläutern versucht, nämlich als einen trans-individuellen Fortbestand des Begrifflichen/Gedanklichen durch die Macht der Äquivalenz. - Wenn wir das Begriffliche in allen seinen Konsequenzen ernst nehmen, kommen wir m.E. nicht umhin, die Grenze zwischen den "subjektiven"/privaten und den "objektiven"/intersubjektiv zugänglichen Anteilen der individuellen Psyche dort zu ziehen, wo die Teilnahme an den begrifflich strukturierten Praxen endet. Die Grenzlinie mag bei jedem Individuum anders verlaufen; ja sie mag bei einer und derselben Person zu verschiedenen Zeiten verschieden verlaufen. Aber das ist m.E. nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, dass unsere Psychen (wie auch unsere Gehirne und Eingeweide) niemals reine Privatquartiere oder gar ausbruchssichere Gefängniszellen sind.Aber wir müssen uns vielleicht noch tiefer damit auseinandersetzen, was es bedeutet zu sagen, dass das Denken als Praxis vorkommt in Bezug auf die (Inter-)Subjektivität resp. Objektivität des Denkens (als Gedanke und als Denkakt). Denn es ist doch so, dass wir die psychische Leistung am Denken als Beitrag des Subjekts ans Denken nicht einfach deshalb, weil es ein Subjekt ist, das denkt, zum reinen Subjektiven zählen können. Ich wüsste nicht, was an der Tatsache: "Steine fallen, wenn man sie loslässt" subjektiv sein sollte. Ich wüsste auch nicht, was überhaupt eine Aussage, die sich auf Tatsachen bezieht, als Denken über diese Tatsache, zu etwas Subjektivem machen würde. Ich leugne nicht, dass wir Affekte habe, Gefühle haben und dass wir einmal so und einmal anders gestimmt sind und dass diese Stimmungen und Gefühle einen Einfluss darauf haben, was wir und wie wir darüber denken. Nun würde ich aber nicht diese Gefühle, die unsere Denkakte beeinflussen können, zum Bestand der Gedanken zählen wollen, die sich ja gerade auch durch eine gewisse Konstanz und Dauerhaftigkeit, auch durch eine Verlässlichkeit auszeichnen.