Psychologismus?!
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Das bestätigt Tarvoc, denn Praxen sind raum-zeitliche Dinge.
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Ich würde Praxen zwar nicht als "Dinge" bezeichnen, aber sie finden in Raum und Zeit statt, ja.
Nun gehört es allerdings zu begrifflich strukturierten Praxen, dass sie, obwohl sie in Raum und Zeit stattfinden, ein Moment der Un-Endlichkeit mit einschließen. So lassen sich z.B. mit einer endlichen Anzahl von Wörtern im Prinzip unendlich viele verschiedene Sätze bilden, die alle grammatisch korrekt sind. Oder noch einfacher: Ein bestimmter Satz (wie "Ja, ich will") kann im Prinzip von unendlich vielen Sprechern wiederholt werden. Oder noch einfacher: Ein bestimmtes Wort wie "ist" kann im Prinzip von unendlich vielen Sprechern wiederholt werden. Wohlgemerkt: im Prinzip. Faktisch ist es ausgeschlossen. Aber es charakterisiert unsere begrifflich strukturierten Praxen, dass sie so etwas wie "Prinzipien" einschließen.
Ein anderes Beispiel "prinzipieller" Un-Endlichkeit ist das Warum-Fragen. Kinder eines bestimmten Alters fasziniert die Möglichkeit, jede Antwort auf eine Warum-Frage mit einer weiteren Warum-Frage zu beantworten. Diese Art Sprachspiel gelangt natürlich irgendwann an ein Ende, aber es ließe sich - im Prinzip - endlos fortsetzen. Das gilt übrigens auch im Großen. Wenn z.B. auch die Physiker den Beginn von allem im sog. Urknall terminieren, so ist es doch möglich - und auch eigentlich nicht unsinnig -, danach zu fragen, was denn vor dem Urknall war. Es kann ja wohl nicht einfach Nichts gewesen sein, denn von Nichts kommt schließlich (d.h. logischer Weise) nichts....
Das zeigt: Unser begriffliches Denken ist entlang gewisser un-endlicher Prinzipien ausgerichtet, die das, was wir manchmal einfachheitshalber "Sinn" nennen, erst ermöglichen.
Nun gehört es allerdings zu begrifflich strukturierten Praxen, dass sie, obwohl sie in Raum und Zeit stattfinden, ein Moment der Un-Endlichkeit mit einschließen. So lassen sich z.B. mit einer endlichen Anzahl von Wörtern im Prinzip unendlich viele verschiedene Sätze bilden, die alle grammatisch korrekt sind. Oder noch einfacher: Ein bestimmter Satz (wie "Ja, ich will") kann im Prinzip von unendlich vielen Sprechern wiederholt werden. Oder noch einfacher: Ein bestimmtes Wort wie "ist" kann im Prinzip von unendlich vielen Sprechern wiederholt werden. Wohlgemerkt: im Prinzip. Faktisch ist es ausgeschlossen. Aber es charakterisiert unsere begrifflich strukturierten Praxen, dass sie so etwas wie "Prinzipien" einschließen.
Ein anderes Beispiel "prinzipieller" Un-Endlichkeit ist das Warum-Fragen. Kinder eines bestimmten Alters fasziniert die Möglichkeit, jede Antwort auf eine Warum-Frage mit einer weiteren Warum-Frage zu beantworten. Diese Art Sprachspiel gelangt natürlich irgendwann an ein Ende, aber es ließe sich - im Prinzip - endlos fortsetzen. Das gilt übrigens auch im Großen. Wenn z.B. auch die Physiker den Beginn von allem im sog. Urknall terminieren, so ist es doch möglich - und auch eigentlich nicht unsinnig -, danach zu fragen, was denn vor dem Urknall war. Es kann ja wohl nicht einfach Nichts gewesen sein, denn von Nichts kommt schließlich (d.h. logischer Weise) nichts....

- Jörn Budesheim
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Ich behaupte nicht, dass wir Zugriff auf nicht raumzeitliche Dinge haben... Ich weiß nicht mal genau was dieser Satz bedeuten soll bzw was du damit meinen könntest.
Nehmen wir einen Gedanken, z.b. den Gedanken, dass die Tasse auf dem Tisch steht. Der Gedanke handelt von einer Tatsache. In dieser Tatsache kommen Dinge vor, nämlich die Tasse und der Tisch, aber die Tatsache selbst ist weder etwas räumliches noch etwas zeitliches. Auf die Tasse habe ich Zugriff, ich kann sie anfassen. Auf die Tatsache habe ich keinen Zugriff, zumindestens wenn man damit meint, dass ich sie anfassen könnte. Tatsachen kann ich allerdings erfassen oder erkennen, aber ich kann nicht auf sie zugreifen in dem Sinne, dass ich sie anfassen könnte oder etwas in der Art... Deine Formulierung scheint nahezulegen, dass nur existieren kann, was man in einem weiten Sinn anfassen kann :)
Die Vorstellung, dass Gedanken wie "die Tasse steht auf dem Tisch" eine Ausdehnung Raum und Zeit haben, ist gelinde gesagt seltsam... Die Korrelate der Denkakte im Gehirn (und nicht etwa die Gedanken) mögen eine Ausdehnung in Raum und Zeit haben. Die Gedanken sind jedoch nicht mit diesen raum-zeitlichen Vorkommnissen im Gehirn identisch. Um identisch zu sein, müssten sie in allen Aspekten identisch sein. Jedoch können erstens raumzeitliche Vorkommnisse nicht richtig oder falsch sein, das wäre ein Kategorienfehler und zweitens können andere denselben Gedanken erfassen und ganz offensichtlich haben wir es dann nicht mehr mit dem selben raum-zeitlichen Korrelat des Denkaktes zu tun, jedoch mit dem selben Gedanken, in der anderen ihn richtig erfasst hat.
Hätten Gedanken eine Ausdehnung in der Zeit, dann könnten wir nicht mal 5 Minuten später über dasselbe noch mal nachdenken ... Mit anderen Worten wir könnten überhaupt nicht mehr nachdenken.
Hätten Gedanken eine Ausdehnung in der Zeit müsste man doch ihre zeitliche Dauer messen können? Meines Erachtens kann man nicht mal verständlich machen, was damit gemeint sein könnte. Nehmen wir an, wir würden stattdessen den Denkakt vermessen. Wir nehmen die Zeit, die ein bestimmtes Individuum braucht, um einen bestimmten Gedanken zu denken. Nun könnten andere Individuen diesen Gedanken nur dann richtig erfassen, wenn sie für den Denkakt dieselbe Zeit bräuchten ... :) Was offensichtlich eine absolute Konsequenz ist.
Gedanken stehen untereinander in logischen Folgerungsbeziehung. Es ist schlechterdings sinnlos, zu behaupten dass solche Beziehungen einer Ausdehnung Raum oder Zeit hätten.
Meines Erachtens ist die Behauptung, dass unser Denken, Fühlen und Handeln sich ausschließlich in Raum und Zeit abspielt ihrerseits extrem erklärungsbedürftig ... Und jede Erklärung wird der Behauptung zugleich widersprechen, weil sie immer in Anspruch nehmen muss was sie doch leugnen soll.
Wir haben im Erinnerungen-Thread über die Vergänglichkeit von Tatsachen gesprochen, und ich war schon damals der Meinung, dass gewisse raumzeitliche Manifestationen (Praxen gehören wohl dazu) auch untergehen können. Die Ewigkeit eines Gedankens als begriffliches Konstrukt, das aktualisiert werden kann, scheint mir eine gedachte zu sein, keine faktische.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 03:49
Ein bestimmtes Wort wie "ist" kann im Prinzip von unendlich vielen Sprechern wiederholt werden.
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Ein anderes Beispiel "prinzipieller" Un-Endlichkeit ist das Warum-Fragen.
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Das zeigt: Unser begriffliches Denken ist entlang gewisser un-endlicher Prinzipien ausgerichtet
Die Frage ist, ob ein Gedanke nur ein begriffliches Konstrukt ist oder an etwas teilhat, das selbst zeitlos und unausgedehnt ist.
@'Jörn Budesheim' Aber die Nichtmessbarkeit eines Gedankens bedeutet nicht zwangsläufig seine Unausgedehntheit und das immer wieder Erinnernkönnen seiner auch nicht seine Ewigkeit.
Das Leib-Seele-Problem ist nicht einfach so in der Welt, weil es einfach zu lösen wäre, da müssen wir mehr investieren, meine ich

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- Jörn Budesheim
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Weil es induktiv geschlossen ist, das Atom war ja auch nicht messbar trotz seiner Ausgedehnheit. Ich behaupte hier keinen Materialismus, bei weitem nicht. Ich denke aber, dass alle Argumente gewürdigt werden müssen.
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@'Jörn Budesheim'
Ich finde schon, dass man eine Vorstellung davon haben kann, dass Gedanken in Raum (nämlich im Gehirn) und der Zeit (von ... bis ...) stattfinden, aber die Frage ist eigentlich, ob und wie uns das weiter hilft. Ich kann im Experiment jemanden bitten intensiv, ab jetzt (mit Hupton eingeleitet) an eine Tomate zu denken und einen Knopf zu drücken, wenn er von dem Gedanken abweicht. Und dann mit dem fMRT Bilder machen.
Die Frage ist, was bringt uns das, auch bezogen auf weitere Gedanken, die ja merkwürdige Kapriolen drehen und Sprachspiele, die ja viel komplexer sind als dass sie einfache Wort-Welt-Relationen ausdrücken. Siehe dazu unten.
@'Hermenuticus'
Mit Deiner Antwort an @'Herr K', dass die Logik und ihre Gesetze in alltäglichen Sprachspielen verortet sei, hast Du Deiner eigenen Psychologismus-Kritik in der Nachfolge Freges den Wind aus den Segeln genommen, denn damit behauptest Du, was ich auch sage, dass nämlich die Logik in den Alltag eingewoben ist, in dem sich theoretische und praktische Festlegungen abwechseln und da ist nicht erkennbar, dass Logik aus dem Irgendwo kommt und vorgeschaltet ist.
@ alle:
Der andere Punkt ist jedoch, dass unsere Sprachspiele so komplex sind, dass dieselben Begriffe, wie "Ich bin jetzt hier" stets eine relative Person-Zeit-Ort abhängige und damit andere Bedeutung haben. Siehe auch hier. Die Bedeutung ist aber auch nicht willkürlich, es ist klar, was damit gemeint ist. Das sind deiktische oder indexikalische (deutende, verweisende) Ausdrücke, die es philosophisch in sich haben und von denen einige Philosophen, unter ihnen Robert Brandom, meinen, dass sich auch die Deixis nicht in letzter Konsequenz in einem naturlaistischen Wort-Welt-Bezug auflösen lässt, sondern dass - jetzt wird es leider etwas kompliziert - der Gebrauch deiktischer Praktiken, die Anapher vorraussetzt.
Die Anapher ist eine wiederholende textliche Bezugnahme auf etwas/jemand davor Aufgetretenes:
Tina hat ein neues Handy. Sie freut sich sehr.
"Sie" wäre die Anapher und bezieht sich in diesem Falll auf Tina.
Man sagt auch die Deixis verweist auf etwas in der Welt, eben auf "das da", worauf ich deuten kann, die Anapher auf etwas, einen Vorläufer im Text.
Wenn die These stimmt, dass Deixis die Anapher voraussetzt, dann ist die Vorstellung, dass das sprachliche Erschließen von Welt ein Akt ist, bei dem man innerlich auf etwas deutet und dann an das Objekt (wenn auch gedanklich) einen kleinen Klebezettel heftet, falsch.
Das mag bei nahen Objekten noch funktionieren, setzt aber, eigentlich auch da - bei nahen Objekten - und bei fernen noch viel mehr, voraus dass man über sprachliche Möglichkeiten verfügt, die man noch nicht haben kann, wenn man dabei ist Sprache auf der Basis einer Wort-Welt oder Wort-Ding-Relation zu entwickeln.
Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sagen muss: "Nein, das meine ich nicht, sondern das andere Ding, das kleine, etwas weiter unten." Mit einer entwickelten Sprache wie unserer kein Problem, aber die Entstehung der Sprache lässt sich so nicht rekonstruieren. Eine Stelle an der man sich immer wieder den Kopf stößt.
Mögen Begriffe auch etwas in Zeit und Raum sein, auf dem Blatt Papier, ausgesprochen als Schallwellen oder auch als Gedanken irgwendwo im Kopf dekodierbar sein, das eigentliche Problem ist mit dem Hinweis, dies sei ja auch in Zeit und Raum nicht gelöst, sondern verdeckt. Und das Problem ist Sprache als reine Repräsentation von Welt zu behandeln, wenn der Verweis auf etwas außerhalb eines Sprachspiels (deiktischen Praktiken) die Beherrschung von Sprachspielen voraussetzt. Quine hat das Problem dabei philosophisch populär gemacht, indem er zeigte, dass, wenn wir auf etwas deuten und es benennen ("gavagai", wenn ein Kaninchen erscheint) und nun zu wissen glauben, dass "gavagai" = "Kaninchen" meint, wir uns böse schneiden können.
Vielleicht heißt "gavagai" ja auch Kaninchenauge oder Ahnengeist, Abendessen oder böses Omen, heiliges Tier oder meint einen Schwarm von Fliegen, die das Tier immer begleiten.
Die Pointe ist, dass selbst wenn man im scheinbar angemessenen Moment die scheinbar richtigen Begriffe benutzt, nicht gesichert ist, dass das von dem man meint, dass es das bedeutet, tatsächlich die Bedeutung ist, die der Sprecher im Auge hatte. Da Sprache holistisch (oder zumindest aus Clustern gebildet) ist, fällt dieser Fehler lange Zeit nicht auf. Da man erst nachfragen kann, wenn man die Sprache schon sehr gut beherrscht, fällt eine Korrekturmöglichheit weg.
Es nähern sich also zwei Systeme einander an unsere Wahrnehmung von Welt und unsere Sprachpraxis. Sprachentstehung aus Weltwahrnehmung abzuleiten geht, wie beschrieben, an einigen Stellen schief. Doch kommunikationstechnisch starten wir nicht bei Null, sondern haben bereits das Affektsystem als Kommunikationsmittel. Doch auch hier: Wie aus einem angeborenen Automatismus ein echtes Verstehen wird, muss geklärt werden und im Grunde müssen nun drei Systeme zusammenwachsen: Welt, Affekte und Sprache.
Diese Bälle sind schon im Spiel, wenn wir beginnen verstehend zu sprechen. Dass daraus Welten entstehen, die mit der realen Welt nicht mehr unbedingt etwas zu tun haben, wie spätere Formen der Logik, Mathematik und Sprache, in der Sprache sich selbst ausprobiert und sich nicht nach etwas in der Welt richtet und so weiter, in den ästhetischen oder spiritueller Bereich hineingeht, ist erwiesen.
Der Verweis darauf, dass man dies oder das ja aussprechen oder hinschreiben kann, oder da was im Kopf passieren muss, erklärt aber in dem Moment nichts mehr, wo die reichhaltigere sprachliche Praxis in die Form einer Sprache neurologischer Zustände gebracht werden soll. Reiz-Reaktions-Muster versagen dabei prinzipiell, ob die neuronalen Netze es reißen, wird man sehen, bleibt immer noch der Sprung von der Deskription zur Bedeutung für mich.
Brandom löst das in der Weise, dass er naturalistische Bausteine primär als Orientierung und Rechtfertigung in normative Spiele der Behauptung und Begründung (das Geben und Nehmen von Gründen) eingebunden sieht. Den Rahmen kann man vielleicht sogar noch größer ziehen.
Psyche ist das, was in alle diesen Welten zuhause ist, sich entspricht nicht dem Gehirn.
Ich finde schon, dass man eine Vorstellung davon haben kann, dass Gedanken in Raum (nämlich im Gehirn) und der Zeit (von ... bis ...) stattfinden, aber die Frage ist eigentlich, ob und wie uns das weiter hilft. Ich kann im Experiment jemanden bitten intensiv, ab jetzt (mit Hupton eingeleitet) an eine Tomate zu denken und einen Knopf zu drücken, wenn er von dem Gedanken abweicht. Und dann mit dem fMRT Bilder machen.
Die Frage ist, was bringt uns das, auch bezogen auf weitere Gedanken, die ja merkwürdige Kapriolen drehen und Sprachspiele, die ja viel komplexer sind als dass sie einfache Wort-Welt-Relationen ausdrücken. Siehe dazu unten.
@'Hermenuticus'
Mit Deiner Antwort an @'Herr K', dass die Logik und ihre Gesetze in alltäglichen Sprachspielen verortet sei, hast Du Deiner eigenen Psychologismus-Kritik in der Nachfolge Freges den Wind aus den Segeln genommen, denn damit behauptest Du, was ich auch sage, dass nämlich die Logik in den Alltag eingewoben ist, in dem sich theoretische und praktische Festlegungen abwechseln und da ist nicht erkennbar, dass Logik aus dem Irgendwo kommt und vorgeschaltet ist.
@ alle:
Der andere Punkt ist jedoch, dass unsere Sprachspiele so komplex sind, dass dieselben Begriffe, wie "Ich bin jetzt hier" stets eine relative Person-Zeit-Ort abhängige und damit andere Bedeutung haben. Siehe auch hier. Die Bedeutung ist aber auch nicht willkürlich, es ist klar, was damit gemeint ist. Das sind deiktische oder indexikalische (deutende, verweisende) Ausdrücke, die es philosophisch in sich haben und von denen einige Philosophen, unter ihnen Robert Brandom, meinen, dass sich auch die Deixis nicht in letzter Konsequenz in einem naturlaistischen Wort-Welt-Bezug auflösen lässt, sondern dass - jetzt wird es leider etwas kompliziert - der Gebrauch deiktischer Praktiken, die Anapher vorraussetzt.
Die Anapher ist eine wiederholende textliche Bezugnahme auf etwas/jemand davor Aufgetretenes:
Tina hat ein neues Handy. Sie freut sich sehr.
"Sie" wäre die Anapher und bezieht sich in diesem Falll auf Tina.
Man sagt auch die Deixis verweist auf etwas in der Welt, eben auf "das da", worauf ich deuten kann, die Anapher auf etwas, einen Vorläufer im Text.
Wenn die These stimmt, dass Deixis die Anapher voraussetzt, dann ist die Vorstellung, dass das sprachliche Erschließen von Welt ein Akt ist, bei dem man innerlich auf etwas deutet und dann an das Objekt (wenn auch gedanklich) einen kleinen Klebezettel heftet, falsch.
Das mag bei nahen Objekten noch funktionieren, setzt aber, eigentlich auch da - bei nahen Objekten - und bei fernen noch viel mehr, voraus dass man über sprachliche Möglichkeiten verfügt, die man noch nicht haben kann, wenn man dabei ist Sprache auf der Basis einer Wort-Welt oder Wort-Ding-Relation zu entwickeln.
Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sagen muss: "Nein, das meine ich nicht, sondern das andere Ding, das kleine, etwas weiter unten." Mit einer entwickelten Sprache wie unserer kein Problem, aber die Entstehung der Sprache lässt sich so nicht rekonstruieren. Eine Stelle an der man sich immer wieder den Kopf stößt.
Mögen Begriffe auch etwas in Zeit und Raum sein, auf dem Blatt Papier, ausgesprochen als Schallwellen oder auch als Gedanken irgwendwo im Kopf dekodierbar sein, das eigentliche Problem ist mit dem Hinweis, dies sei ja auch in Zeit und Raum nicht gelöst, sondern verdeckt. Und das Problem ist Sprache als reine Repräsentation von Welt zu behandeln, wenn der Verweis auf etwas außerhalb eines Sprachspiels (deiktischen Praktiken) die Beherrschung von Sprachspielen voraussetzt. Quine hat das Problem dabei philosophisch populär gemacht, indem er zeigte, dass, wenn wir auf etwas deuten und es benennen ("gavagai", wenn ein Kaninchen erscheint) und nun zu wissen glauben, dass "gavagai" = "Kaninchen" meint, wir uns böse schneiden können.
Vielleicht heißt "gavagai" ja auch Kaninchenauge oder Ahnengeist, Abendessen oder böses Omen, heiliges Tier oder meint einen Schwarm von Fliegen, die das Tier immer begleiten.
Die Pointe ist, dass selbst wenn man im scheinbar angemessenen Moment die scheinbar richtigen Begriffe benutzt, nicht gesichert ist, dass das von dem man meint, dass es das bedeutet, tatsächlich die Bedeutung ist, die der Sprecher im Auge hatte. Da Sprache holistisch (oder zumindest aus Clustern gebildet) ist, fällt dieser Fehler lange Zeit nicht auf. Da man erst nachfragen kann, wenn man die Sprache schon sehr gut beherrscht, fällt eine Korrekturmöglichheit weg.
Es nähern sich also zwei Systeme einander an unsere Wahrnehmung von Welt und unsere Sprachpraxis. Sprachentstehung aus Weltwahrnehmung abzuleiten geht, wie beschrieben, an einigen Stellen schief. Doch kommunikationstechnisch starten wir nicht bei Null, sondern haben bereits das Affektsystem als Kommunikationsmittel. Doch auch hier: Wie aus einem angeborenen Automatismus ein echtes Verstehen wird, muss geklärt werden und im Grunde müssen nun drei Systeme zusammenwachsen: Welt, Affekte und Sprache.
Diese Bälle sind schon im Spiel, wenn wir beginnen verstehend zu sprechen. Dass daraus Welten entstehen, die mit der realen Welt nicht mehr unbedingt etwas zu tun haben, wie spätere Formen der Logik, Mathematik und Sprache, in der Sprache sich selbst ausprobiert und sich nicht nach etwas in der Welt richtet und so weiter, in den ästhetischen oder spiritueller Bereich hineingeht, ist erwiesen.
Der Verweis darauf, dass man dies oder das ja aussprechen oder hinschreiben kann, oder da was im Kopf passieren muss, erklärt aber in dem Moment nichts mehr, wo die reichhaltigere sprachliche Praxis in die Form einer Sprache neurologischer Zustände gebracht werden soll. Reiz-Reaktions-Muster versagen dabei prinzipiell, ob die neuronalen Netze es reißen, wird man sehen, bleibt immer noch der Sprung von der Deskription zur Bedeutung für mich.
Brandom löst das in der Weise, dass er naturalistische Bausteine primär als Orientierung und Rechtfertigung in normative Spiele der Behauptung und Begründung (das Geben und Nehmen von Gründen) eingebunden sieht. Den Rahmen kann man vielleicht sogar noch größer ziehen.
Psyche ist das, was in alle diesen Welten zuhause ist, sich entspricht nicht dem Gehirn.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Ich unterscheide weiter oben zwischen dem Gedanken und dem Akt des Denkens. Der Akt des Denkens hat (bei Wesen wie uns) zur notwendigen Voraussetzung ein funktionierendes Gehirn. Der Denkakt und sein Korrelat sind aber nicht der Gedanke. Den Gedanken können auch andere erfassen, dazu müssen sie mir (oder wem auch immer) zum Glück nicht ein Stück Hirn herausschneiden :-)Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 08:53@'Jörn Budesheim'
Ich finde schon, dass man eine Vorstellung davon haben kann, dass Gedanken in Raum (nämlich im Gehirn) und der Zeit (von ... bis ...) stattfinden, aber die Frage ist eigentlich, ob und wie uns das weiter hilft. Ich kann im Experiment jemanden bitten intensiv, ab jetzt (mit Hupton eingeleitet) an eine Tomate zu denken und einen Knopf zu drücken, wenn er von dem Gedanken abweicht. Und dann mit dem fMRT Bilder machen.
Wilber hat vor 20 Jahren den ewigen Reigen so beschrieben:Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 09:34Ich unterscheide weiter oben zwischen dem Gedanken und dem Akt des Denkens. Der Akt des Denkens hat (bei Wesen wie uns) zur notwendigen Voraussetzung ein funktionierendes Gehirn. Der Denkakt und sein Korrelat sind aber nicht der Gedanke. Den Gedanken können auch andere erfassen, dazu müssen sie mir (oder wem auch immer) zum Glück nicht ein Stück Hirn herausschneiden![]()
Kommen wir da irgendwie raus?„Nehmen wir an, in mir taucht der Gedanke auf, im Lebensmittelgeschäft einkaufen zu gehen. Wenn ich diesen Gedanken habe, dann erfahre ich damit den Gedanken selbst, den inneren Gedanken und seine Bedeutung – die Symbole, die Bilder, die Idee ins Lebensmittelgeschäft zu gehen. Dies ist der obere linke Quadrant.
Während ich diesen Gedanken habe, laufen natürliche entsprechende Veränderungen in meinem Gehirn ab – vermehrte Dopaminausschüttung, Acetycholin überbrückt die Synapsen, die Beta-Gehirnwellen nehmen zu und so weiter. Dies sind beobachtbare Abläufe in meinem Gehirn. Sie sind empirisch beobachtbar, wissenschaftlich nachweisbar. Dies ist der rechte obere Quadrant.
Der innere Gedanke selbst ist aber nur vor meinem kulturellen Hintergrund sinnvoll. Wenn ich eine andere Sprache sprechen würde, würde sich der Gedanke aus anderen Symbolen zusammensetzen und hätte andere Bedeutungen. Wenn ich einer primitiven Stammesgesellschaft vor einer Million Jahren angehören würde, könnte ich niemals auf den Gedanken kommen, in ein Lebensmittelgeschäft gehen zu wollen. Ich würde vielleicht eher denken: „Es ist an der Zeit wieder einmal einen Bären zu erlegen.“ Worauf es ankommt, ist, dass meine Gedanken in einem kulturellen Hintergrund auftauchen, der meinen individuellen Gedanken Form, Struktur, Bedeutung und Kontext gibt, und ich könnte nicht einmal zu mir selbst sprechen, wenn ich nicht in einer Gesellschaft von Individuen leben würde, die ebenfalls mit mir sprechen.
Die kulturelle Gemeinschaft bildet also den wesentlichen Hintergrund für alle individuellen Gedanken, die ich haben kann. Meine Gedanken tauchen nicht einfach aus dem Nirgendwo in meinem Kopf auf; sie erscheinen vor einem kulturellen Hintergrund in meinem Kopf, und wie sehr ich mich auf von diesem Hintergrund entferne, kann ich ihm doch niemals ganz entrinnen, und ich hätte ohne ihn nicht einmal Gedanken entwickeln können. Die Fälle von „Wolfskindern“ zeigen, dass das menschliche Gehirn ohne Kultur von selbst keine sprachlichen Gedanken hervorbringt. Das Selbst ist bei weitem nicht die autonome und sich selbst hervorbringende Monade, als die es sich die Aufklärung vorstellte.
Kurz gesagt, meine individuellen Gedanken existieren nur vor einem weitläufigen Hintergrund kultureller Praktiken, Sprachen und Bedeutungen, ohne die ich praktisch keine individuellen Gedanken bilden könnte. Dieser weitläufige Hintergrund ist meine Kultur, meine kulturelle Weltsicht, mein Welt-Raum, und dieses ist der untere linke Quadrant.
Meine Kultur ist nicht einfach körperlos, schwebt nicht in einem idealistischem leeren Raum. Sie hat materielle Komponenten, wie auch meine eigenen individuellen Gedanken materielle Korrelate im Gehirn haben. Alle kulturellen Ereignisse haben soziale Entsprechungen. Zu diesen konkreten sozialen Komponenten zählen Technikformen, Evolutionskräfte (gartenbauliche, ackerbauliche, industrielle usw.) konkrete Institutionen, schriftlich festgelegte Codes und Muster, geopolitische Orte (Städte, Dörfer, Staaten usw.) und vieles andere mehr. Diese materiellen, gesellschaftlichen, empirisch beobachtbaren Komponenten, das bestehende Gesellschaftssystem, sind entscheidend für die Art einer kulturellen Weltsicht.
Mein angeblich „individueller Gedanke“ hat also mindestens diese vier Facetten, diese vier Aspekte: den intentionalen, den verhaltensmäßigen, den kulturellen und den sozialen. Und weiter geht es im Kreis: Das soziale System hat eine starken Einfluss auf die kulturelle Weltsicht, die den individuellen Gedanken, die ich haben kann, Grenzen setzt, die wiederum physiologischen Reaktionen im Gehirn auslösen. Diesen Kreis kann man in jeder Richtung durchlaufen. Die Quadranten sind alle miteinander verwoben und determinieren einander. Sie sind die Ursache aller anderen Quadranten und werden durch diese verursacht.
(Ken Wilber, Eine kurze Geschichte des Kosmos,1996, dt.1997 Fischer TB, S.113ff.)
Psyche ist für mich das Vehikel, das sich in all diesen realen und virtuellen Welten bewegen kann. Man kann Psyche auch Ich oder Selbst nennen.
Dass das Gehirn eine Psyche in Form einer Psyche „macht“ ist in dieser oft als Einbahnstraße oder epiphänomenal gedachten Form unüberzeugend.
Auch das Gehirn wird umgearbeitet, die Idee dass das Gehirn das alles selbst macht und sich im Modus des gepflegten Monologs befindet ist mit zu solipsistisch.
Die Psyche kann als großer Klammer fungieren, weil sie einen Körper und ein Gehirn haben kann, aber auch rechnen, diskutieren oder träumen kann.
Sie kann logisch operieren und vor Gefühl zerfließen, vor allem können ihre „Entscheidungen“ in mindestens dreifacher Weise die Welt verändern.
1. können sie das eigene Hirn verändern, 2. Einfluss auf andere Menschen und Tiere nehmen, die unsere Stimmung bemerken und 3. hat die Psyche einen sonderbaren Einfluss auf das eigene Körpergeschehen, bspw. im Placebo-/Nocebo-Effekt. Vemutlich (aber eher hoch wahrscheinlich bis sicher) darüber hinaus auch auf das Körpergeschehen anderer.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Aber auch ein Gedanke ist doch ein Faktum. Und zwar ist er kein privates Faktum (wie z.B. das Kribbeln in meinem linken Bein kurz nach dem Aufstehen oder der vergessene Traum, den ich kurz vorm Aufwachen hatte, private Fakten sind).
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Mir ging es - wie Frege im zitierten Text - um die erkenntniskritischen Probleme der Behauptung, dass Gedanken private mentale Vorkommnisse seien. Frege zeigt, dass diese - den Psychologismus charakterisierende - These zu absurden Konsequenzen führt. Und diese Kritik teile ich, ihr ist in keiner Weise der Wind aus den Segeln genommen.Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 08:53@'Hermenuticus'
Mit Deiner Antwort an @'Herr K', dass die Logik und ihre Gesetze in alltäglichen Sprachspielen verortet sei, hast Du Deiner eigenen Psychologismus-Kritik in der Nachfolge Freges den Wind aus den Segeln genommen, denn damit behauptest Du, was ich auch sage, dass nämlich die Logik in den Alltag eingewoben ist, in dem sich theoretische und praktische Festlegungen abwechseln und da ist nicht erkennbar, dass Logik aus dem Irgendwo kommt und vorgeschaltet ist.
Ich hatte Dich bisher so verstanden, dass Du die psychologistische Auffassung teilst; dass Du inter-individuelle Gedanken und inter-individuelle Maßstäbe der Richtigkeit und Falschheit für unmöglich hältst. (Jeder hat immer nur sein eigenes Denken und sein eigenes Gefühl für Richtigkeit und Falschheit, und was der Lehrer gegenüber Klein-Fritzchen vertritt, ist nur eine autoritäre Mainstream-Meinung, keine allgemein richtige.) Und diese Behauptungen sind genau das Gegenteil meiner Überzeugungen. Ich sage in diesem Punkt ganz und gar nicht, was Du auch sagst.
Eigentlich habe ich das nie behauptet.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 10:35Ich hatte Dich bisher so verstanden, dass Du die psychologistische Auffassung teilst; dass Du inter-individuelle Gedanken und inter-individuelle Maßstäbe der Richtigkeit und Falschheit für unmöglich hältst.
Warum ich meinen Psychologismus oder Psychismus dennoch für einen halte, habe ich glaube ich hinreichend dargestellt, bei Interesse könntest Du es sogar nachlesen.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Ach so. Na, dann ist es ja gut.Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 10:43Eigentlich habe ich das nie behauptet.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 10:35Ich hatte Dich bisher so verstanden, dass Du die psychologistische Auffassung teilst; dass Du inter-individuelle Gedanken und inter-individuelle Maßstäbe der Richtigkeit und Falschheit für unmöglich hältst.
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Wir sollten gar nicht erst rein kommen :-) Allerdings ist der Text auch sehr kurz. Mir gefällt dabei nicht, dass das Geschäft und das Einkaufen darin, also das, wovon der Gedanke schließlich handelt, entweder gar nicht oder nur marginal vorkommt. Das ist mir nicht ausreichend ausbuchstabiert.
Die Grenzen des Ich, Selbst, der Psyche kann man auf verschiedene Arten vermutlich dennoch mehr oder weniger überwinden.
In Regressionen kann die Grenze unterlaufen werden, das ist bei Massenregressionen der Fall, worunter nicht nur Massenpaniken zu verstehen sind, sondern auch Effekte, bei denen man seine Verantwortung abgibt, in der einer wie der andere ist, das was Heidegger so treffend mit dem „Man“ und der Versklavung des Daseins durch das Man ausgedrückt hat.
Erstaunlichweise muss man sich, um zu regredieren, aber gar nicht in einer Masse befinden, es reicht mitunter alleine vor Fernseher zu sitzen, siehe auch hier.
Man kann die Grenzen aber auch überwinden, transzendieren in Flow- oder Einheitserfahrungen spiritueller Art und in der Liebe.
Hier beschreibt Kernberg die Ambivalenz zwischen Öffnung und Eingesperrtbleiben sehr schön:
In Regressionen kann die Grenze unterlaufen werden, das ist bei Massenregressionen der Fall, worunter nicht nur Massenpaniken zu verstehen sind, sondern auch Effekte, bei denen man seine Verantwortung abgibt, in der einer wie der andere ist, das was Heidegger so treffend mit dem „Man“ und der Versklavung des Daseins durch das Man ausgedrückt hat.
Erstaunlichweise muss man sich, um zu regredieren, aber gar nicht in einer Masse befinden, es reicht mitunter alleine vor Fernseher zu sitzen, siehe auch hier.
Man kann die Grenzen aber auch überwinden, transzendieren in Flow- oder Einheitserfahrungen spiritueller Art und in der Liebe.
Hier beschreibt Kernberg die Ambivalenz zwischen Öffnung und Eingesperrtbleiben sehr schön:
„Dass man innerhalb der Grenzen des Selbst bleibt, während man sie doch in der Identifizierung mit dem geliebten Objekt transzendiert, ist eine erregende, bewegende und doch schmerzliche Bedingung der Liebe. Der mexikanische Dichter Octavio Paz (1974) schildert diesen Aspekt der Liebe mit einer beinahe überwältigenden Prägnanz: Die Liebe ist der Schnittpunkt von Begehren und Realität. Liebe, so sagt er, enthüllt dem Begehren die Realität und stellt den Übergang von erotischen Objekt zum geliebten Menschen her. Diese Enthüllung ist fast immer schmerzlich, weil der geliebte Mensch sich zugleich als ein Körper zeigt, der penetriert werden kann, und als ein undurchdringliches Bewusstsein. Liebe ist die Enthüllung der Freiheit des anderen. Das widersprüchliche Wesen der Liebe besteht darin, dass das Begehren nach Erfüllung durch die Zerstörung des begehrten Objekts strebt, während die Liebe entdeckt, dass dieses Objekt unzerstörbar und nicht austauschbar ist.“
(Otto F. Kernberg, Liebesbeziehungen, Klett-Cotta 1999, S. 73)
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
Sicher, ja, der Gedanke ist ein Faktum und kein privates. Aber wo kommt er vor als das nicht Private? Ich muss nicht einen Teil meines Hirns abschneiden, wie Jörn sagt, um den Gedanken zu teilen, aber er ist uns ja als das nicht Private gemeinsam gegeben.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 10:22Aber auch ein Gedanke ist doch ein Faktum. Und zwar ist er kein privates Faktum (wie z.B. das Kribbeln in meinem linken Bein kurz nach dem Aufstehen oder der vergessene Traum, den ich kurz vorm Aufwachen hatte, private Fakten sind).
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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Das hängt vermutlich von Deinen höchstpersönlichen Assoziationen zum Thema ab, die zwar den beschriebenen soziokulturllen Hintergrund haben (und noch enigie weitere), aber letztlich bleibt ein Rest der nicht nachvollziehbar ist, Deine höchstpersönliche Mixtur von Assoziationen rund ums Tema Einkaufen, in diesem Kontext, vor dem Hintergrund Deiner Geschichte, die privaten Assoziationswolken von anderen Begriffen und Praktiken, die jeden Begriff begleiten.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 11:05Wir sollten gar nicht erst rein kommenAllerdings ist der Text auch sehr kurz. Mir gefällt dabei nicht, dass das Geschäft und das Einkaufen darin, also das, wovon der Gedanke schließlich handelt, entweder gar nicht oder nur marginal vorkommt. Das ist mir nicht ausreichend ausbuchstabiert.
Vielleicht könnte man sie prinzipiell veröffenltichen (praktisch können wir aber vermutlich nicht alles in Worte fassen, was wir Denken und Fühlen) und die nochmalige Crux liegt darin, dass die Sprache (bislang) erst recht nicht auf die Sprache der Neurobiologie zu reduzieren ist und wenn nach Brandom, Sellars, Wilber, Gebriel und anderen geht, ist das aus prinzipiellen Gründen auch nicht drin.
Brandom legt dabei die philosophisch besten Gründe vor und gewöhnlich ist mein Standard-Zitat an der Stelle jenes:
„Im seinem Meisterwerk "Empiricism and the Philosophy of Mind" beutet Sellars diese Konsequenzen seiner Einsicht, in die Signifikanz inferentieller Verknüpfungen für den Begriffsgebrauch aus, und zwar auch für Fälle reponsiver Klassifikation: Nichtinferentielle Berichte, durch die Wahrnehmungszustände explizit gemacht werden, können keinen selbstständigen, unabhängig von anderen Bereichen verständlichen Bereich der Sprache bilden. Beobachtungsberichte haben zwar einen gewissen Vorrang bei der Rechtfertigung empirischer Behauptungen, nicht aber beim Verstehen. Da zum Wissen nicht nur Rechtfertigung, sondern auch Begreifen oder Verstehen des gerechtfertigten Inhalts gehört, kann es kein Beobachtungswissen ohne Inferenz geben. Man kann keine reine Beobachtungssprache oder Beobachtungsbegriffe haben und dann fragen, ob die Entscheidung ihnen einen inferentiellen Überbau zu verpassen, rational zu rechtfertigen ist. Der Fels, auf den der erkenntnistheoretische Fundamentalismus baut, ist dementsprechend seine Unfähigkeit zu erklären, was es heißt, die Signifikanz von Elementen der beobachtungsgestützten Rechtfertigungsbasis zu verstehen. Denn um einen Begriff nichtinferentiell anwenden zu können, um unterscheidend auf nichtsprachliche Reize zu reagieren, muss man andere Begriffe inferentiell anwenden können. Nur wenn die Reaktion eine solche inferentielle Signifikanz hat, ist sie begrifflich gehaltvoll. Der Gedanke eines autonomen Sprachspiels (oder Menge von Praktiken der Begriffsanwendung), in dem nur nichtinferentielle Berichte vorkommen (und sei es auch über rein mentale Ereignisse), geht komplett in die Irre.“
(Robert Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2001, Suhrkamp, S. 153f)
Ein analoger Verweis auf die Schwierigkeit, die bei dem Verhältnis von Deixis und Anapher noch einmal auftritt.
Auch das keine leichte Kost, aber lohnend.
Der Punkt ist der, dass der Wort-Welt-Bezug einfach nicht funktioniert, selbst dann nicht, wenn man darauf verweist, dass auch Gedanken und Worte physikalische Entitäten sind. Wenn das prizipielle Argument an dieser Stelle, dass nämlich etwas zu benennen und zuvor isolieren zu können, schon eine Form der Sprachbeherrschung voraussetzt, ist die naturalistische Idee der Entstehung der Sprache aus der Benennung von Dingen nicht aufrecht zu erhalten.
Wenn das richtig ist, sind dabei dann innere Welten der obere linke Quadrant (Wilber) oder Sinnfelder wieder im Spiel.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
Im verstehenden Gebrauch/Spiel öffentlicher Sprachspiele.
Siehe dazu den Wilber Text (7652) oder einfach Wittgenstein.
Der Punkt ist nur der, dass auf der veröffentlichte Aspekt nicht alles ist. Ich weiß zwar nun wessen Kopf schmerzt oder Bein kribbelt, empfinde des aber doch nicht. Das bleibt in der Tat privates Erleben, bei dem man sich darüber streiten kann, ob dieses Erleben,Kennen oder Können nun selbst ein Wissen ist, oder nicht.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Meine Antwort habe ich schon gegeben: in unseren begrifflich strukturierten Praxen, zu deren Erfolgsbedingungen gewisse geteilte "logische" Prinzipien gehören. Auch das stumme Denken gehört, wenn es denn begrifflich strukturiert ist, zu diesen Praxen, die grundsätzlich gemeinsame und öffentliche Praxen sind. Mein stummer Gedanke "Warum ist wohl die Banane krumm?" kommt sicherlich irgendwo "in" mir vor (ob nun "im" Geist oder "im" Körper, ist mir zunächst einerlei). Aber als begrifflich strukturiertes Vorkommnis ist er immer zugleich mehr als nur ein privates Vorkommnis in mir; denn er ist Teil einer öffentlichen begrifflich strukturierten Praxis, an der ich seit meinen ersten Lebensmonaten mit beteiligt bin. Und wäre ich kein Teilnehmer an dieser Praxis, könnte in mir ganz gewiss nichts vorkommen, das sich mit dem Satz "Warum ist wohl die Banane krumm?" adäquat ausbuchstabieren lässt.
Ich gehe mit dir einig. Mir ging es mit meiner Frage nicht einmal so sehr darum zu fragen, ob das Denken etwas Geistiges oder Körperliches sei. Ich halte diese Dichotomie für wenig produktiv. Mir geht es vielmehr um eine Verortung (sofern wir diesen Ausdruck überhaupt verwenden können/dürfen) von Denken als objektiven Akt. Denn wenn das Denken einen Ort und eine Zeit hat in diesen öffentlichen und gemeinsamen Praxen, was ich glaube, dann können wir nicht gleichzeitig eine Ewigkeit dieses Denkens unterstellen. Denn es ist denkbar, dass wir einmal nicht mehr sind und mit uns die Praxen untergehen, die wir aktualisieren - mit uns aber auch die ganze begriffliche Struktur untergeht, die dieses Denken ausgemacht hat.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 15. Nov 2017, 11:43Meine Antwort habe ich schon gegeben: in unseren begrifflich strukturierten Praxen, zu deren Erfolgsbedingungen gewisse geteilte "logische" Prinzipien gehören. Auch das stumme Denken gehört, wenn es denn begrifflich strukturiert ist, zu diesen Praxen, die grundsätzlich gemeinsame und öffentliche Praxen sind. Mein stummer Gedanke "Warum ist wohl die Banane krumm?" kommt sicherlich irgendwo "in" mir vor (ob nun "im" Geist oder "im" Körper, ist mir zunächst einerlei). Aber als begrifflich strukturiertes Vorkommnis ist er immer zugleich mehr als nur ein privates Vorkommnis in mir; denn er ist Teil einer öffentlichen begrifflich strukturierten Praxis, an der ich seit meinen ersten Lebensmonaten mit beteiligt bin. Und wäre ich kein Teilnehmer an dieser Praxis, könnte in mir ganz gewiss nichts vorkommen, das sich mit dem Satz "Warum ist wohl die Banane krumm?" adäquat ausbuchstabieren lässt.
Aber wir müssen uns vielleicht noch tiefer damit auseinandersetzen, was es bedeutet zu sagen, dass das Denken als Praxis vorkommt in Bezug auf die (Inter-)Subjektivität resp. Objektivität des Denkens (als Gedanke und als Denkakt). Denn es ist doch so, dass wir die psychische Leistung am Denken als Beitrag des Subjekts ans Denken nicht einfach deshalb, weil es ein Subjekt ist, das denkt, zum reinen Subjektiven zählen können. Ich wüsste nicht, was an der Tatsache: "Steine fallen, wenn man sie loslässt" subjektiv sein sollte. Ich wüsste auch nicht, was überhaupt eine Aussage, die sich auf Tatsachen bezieht, als Denken über diese Tatsache, zu etwas Subjektivem machen würde. Ich leugne nicht, dass wir Affekte habe, Gefühle haben und dass wir einmal so und einmal anders gestimmt sind und dass diese Stimmungen und Gefühle einen Einfluss darauf haben, was wir und wie wir darüber denken. Nun würde ich aber nicht diese Gefühle, die unsere Denkakte beeinflussen können, zum Bestand der Gedanken zählen wollen, die sich ja gerade auch durch eine gewisse Konstanz und Dauerhaftigkeit, auch durch eine Verlässlichkeit auszeichnen.
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