Freiheit

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:08
Quk hat geschrieben :
Fr 1. Mär 2024, 18:21
"Menschen können nicht wie Vögel fliegen."

Das ist ein Grund. Aus diesem Grund kann ich nicht fliegen wie ein Vogel.

Das, zum Beispiel, verstehe ich unter einem Grund.
Nein, das ist eine Tatsache. Zu den Gründen kommt man, wenn man "warum?" fragt.
"Menschen können nicht wie Vögel fliegen." Stimmt, das ist eine Tatsache, mehr nicht. Jedenfalls kein Grund.

In diesem Punkt stimme ich der Aussage zu. Den zweiten Teil kann ich aber nicht unterschreiben, denn eine Warum-Frage kann sowohl nach Ursachen als auch nach Gründen fragen.




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Jörn Budesheim
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Sa 2. Mär 2024, 11:41

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:31
Darf ich noch einmal nachfragen. Normativ heisst, es hat mit einer Norm zu tun? Das wiederum heisst, es hat mit gesellschaftlichen Konventionen zu tun?
Was bedeutet normativ? Ich würde vereinfachend sagen, dass wir es immer dann, wenn es um Richtig oder Falsch geht, mit Normativität zu tun haben. Man könnte vielleicht auch sagen: Normativität bezeichnet den Bereich des Sollens. Mit Konventionen hat das nur bedingt zu tun. Denn etwas ist nicht generell schon deshalb richtig, weil es den Konventionen entspricht.




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Quk hat geschrieben :
Do 29. Feb 2024, 23:07
Das sind keine rhetorischen Fragen. Wie oben angemerkt sind das Verständnisfragen. Ich habe darüber schon oft mit Jörn diskutiert, aber ich habe bisher keine Antworten erhalten.

Du bist der Ansicht, man kann eine "Person" P gedanklich in Einzelteile zerlegen. Das denke ich auch, und zwar aus guten Gründen:

1. P dehnt sich aus in Raum und Zeit, P ist also kein Punkt, und schon gar nicht ein Ich-Punkt. Nun untersuche ich seine Ausdehnung wie folgt.
2. Mit all meinen Sinnen sehe ich in P eine Vielgestaltigkeit: P besteht aus unzähligen akustischen Tätigkeiten, unzähligen visuellen Teilen, unzähligen Gerüchen und so weiter. All diese Sachen ändern sich in der Zeit und in ihrer Örtlichkeit.
3. Mich selbst als P auffassend, spüre ich unzählige Gefühle und sonstige mentale Qualitäten, egal ob Illusion oder nicht: Da ist ein vielgestaltiger Geist.
4. Was vielgestaltig ist, lässt sich gedanklich auch in viele Gestalten aufteilen. Wir müssen da gar nicht auf die Elementarteilchen-Ebene hinuntergehen; es reicht schon, wenn mir mein Arm einschläft, da kann "ich" mit "ihm" keine Handlungen mehr ausführen. Da haben wir bereits mehr als ein Teil von P. Oder wenn ein Teil meines Hirns ausfällt und "ich" deswegen keine Gesichter mehr erkennen kann. Offensichtlich gibt es also etliche Gründe für die Auffassung, dass P aus vielen interaktiven Teilen besteht.

Eine These, die diese Vielgestaltigkeit bestreitet, muss zwingend annehmen, dass P nur ein Punkt ist oder, wenn P doch ausgedehnt ist, ein durchweg grauer Einheitsbrei ist. Das ist in meinen Augen absurd. Also für die Annahme, dass man P aufteilen kann, gibt es unendlich viele solide Gründe, für das Gegenteil hingegen nicht. Das Gegenteil kann man offenbar nur "glauben". Ich, jedenfalls, kann das nicht glauben.
Liege ich da richtig, wenn ich sage, du beziehst dich, in dem was du sagst, auf Jörn und nicht auf mich?
Ich verstehe nicht, was ein vielgestaltiger Geist ist. Magst du es mir erklären?

Abschließend:

Einmal angenommen, die Aussagen 1. bis 4. sind wahr: Welchen von den Aussagen 5. bis 7. würdest du zustimmen?
1. x existiert.
2. Von x kann eine einzige Eigenschaft/Fähigkeit prädiziert werden.
3. Es gibt viele x-e.
4. Eine gewisse Anzahl von x-en kann als y bezeichnet werden.
5. Vom y kann eine Eigenschaft prädiziert werden.
6. Vom y kann eine Fähigkeit prädiziert werden.
7. Bei der Frage, ob y existiert, liegt es nahe zu sagen, dass y existiert.




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Jörn Budesheim
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AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:31
Ich spüre eine Dualismus.
Wahrscheinlich liegt es nur daran, dass dein Begriffswerkzeugkasten nicht ausreichend gefüllt ist. Deine Statement erinnert mich nämlich an ein Bonmot von Watzlawick: Wer nur einen Hammer in der Werkzeugkiste hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.




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Sa 2. Mär 2024, 11:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:41
AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:31
Darf ich noch einmal nachfragen. Normativ heisst, es hat mit einer Norm zu tun? Das wiederum heisst, es hat mit gesellschaftlichen Konventionen zu tun?
Was bedeutet normativ? Ich würde vereinfachend sagen, dass wir es immer dann, wenn es um Richtig oder Falsch geht, mit Normativität zu tun haben. Man könnte vielleicht auch sagen: Normativität bezeichnet den Bereich des Sollens. Mit Konventionen hat das nur bedingt zu tun. Denn etwas nicht generell dadurch richtig, dass es den Konventionen entspricht.
Aha, das macht deinen Standpunkt klarer. Dann haben Gründe für dich mit richtigem und falschem Handeln zu tun. Also wenn ein Stein zu Boden fällt, wäre nicht die Gravitation der Grund, sondern die Ursache. Aber wenn ich im Schach einen guten Zug mache, dann habe ich einen Grund dazu.



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Sa 2. Mär 2024, 11:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:45
AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:31
Ich spüre eine Dualismus.
Wahrscheinlich liegt es nur daran, dass dein Begriffswerkzeugkasten nicht ausreichend gefüllt ist. Deine Statement erinnert mich nämlich an ein Bonmot von Watzlawick: Wer nur einen Hammer in der Werkzeugkiste hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.
Also ein Schraubenzieher ist schon noch dabei. :D Und ja, ich bin mehr praktisch veranlagt. Das ist eine schlechte Voraussetzung für die Philosophie.



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Jörn Budesheim
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Sa 2. Mär 2024, 11:59

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:50
Handeln
Ich kann auch Gründe haben, dieses oder jenes zu denken. Ein Grund ist eine Relation, das habe ich weiter oben gefühlt schon ein Dutzend Mal geschrieben. Und zwar - vereinfacht - folgender Art: A spricht für B. Weiter oben habe ich es etwas ausführlicher geschrieben, Beispiele gibt es auch.




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Quk
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Sa 2. Mär 2024, 12:15

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:08
Quk hat geschrieben :
Fr 1. Mär 2024, 18:21
"Menschen können nicht wie Vögel fliegen."

Das ist ein Grund. Aus diesem Grund kann ich nicht fliegen wie ein Vogel.

Das, zum Beispiel, verstehe ich unter einem Grund.
Nein, das ist eine Tatsache. Zu den Gründen kommt man, wenn man "warum?" fragt.
Zum Grund bin ich da ja schon gekommen durch meine Antwort auf die implizierte Warum-Frage: "Warum kann ich nicht so fliegen?"

Ob das eine Tatsache ist oder nicht, spielt hier keine Rolle, denke ich, weil es hier nicht um die Thematik des Wahrheits-Begriffs geht.

(Dass Menschen keine Vögel sind, spricht dafür, dass ich jetzt nicht von der Klippe hüpfen werde.)

Wir sind vom Thema der "Willensfreiheit" ein bisschen abgekommen wegen der Erörterung des "Grund"-Begriffs; bei den Gründen interessieren mich momentan nur noch folgende zwei Fragen:

1. Sind Gründe ("platonische Ideen"?) mit dem Menschsein statisch verflochten?
2. Oder werden Gründe dynamisch vom Menschen gemacht?

Wenn die Statik in 1 bejaht wird: Wo bleibt da die Dynamik der Freiheit?
Wenn die Dynamik in 2 bejaht wird: Wie kann man der Dynamik die Kausalität entziehen, ohne sie dadurch statisch zu machen?




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Jörn Budesheim
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Sa 2. Mär 2024, 12:19

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:31
Ich muss mir neue Hausschuhe kaufen. Der Grund ist, dass meine langsam kaputt sind.
Hier zeigt sich auch ein wichtiger Unterschied: Die Tatsache, dass deine alten Hausschuhe langsam kaputt gehen, verursacht die Handlung (neue Hausschuhe kaufen) nicht einfach, sie gibt dir vielleicht einen Grund, neue Hausschuhe zu kaufen, aber der Kauf ist nicht irgendwie "notwendig" verursacht, wie z.B. wenn ein Stein das Fensterglas zerbricht. Der Grund macht die Handlung nur rational, wenn es den Grund wirklich gibt. Damit sind wir meines Erachtens zurück beim Thema Freiheit.




Olivenbaum2024
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Sa 2. Mär 2024, 12:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Mär 2024, 07:49
Gründe sind Relationen. Und zwar die Relationen des "für etwas sprechens". Die Tatsache, dass ich Hunger habe, spricht dafür, etwas zu essen zu kaufen. Dass die Geschäfte am Sonntag geschlossen sind, spricht dafür, vorher einzukaufen. Dass es regnet, spricht dafür, den Regenschirm mitzunehmen. (Das ist natürlich eine vereinfachte Darstellung, in der Regel spielen viel mehr Gründe eine Rolle für uns, oft auch solche, die für unterschiedliches sprechen oder zu sprechen scheinen.)

Unser ganzes Verhältnis zur Wirklichkeit ist durchwoben von Gründen, nach denen ich mich richten kann, an denen ich mich orientieren kann. Solange es Menschen (und andere Lebewesen) gibt, gibt es diese Beziehungen, aber sie sind keine Projektionen von uns, auch wenn sie mit unserer Existenz verbunden sind.
Du sagst, Gründe sind Relationen. Darauf möchte ich eingehen.

[Indessen/Zwischendurch aber noch eine Klärung, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen.
Wenn ich hier von Atomen spreche und Personen und Gründen, dann unterscheide ich grundsätzlich zwischen zwei Dimensionen:
1. Die Welt an sich. Das ist alles das, was unabhängig von irgendeinem Erkenntnissubjekt existiert (ob dieses Erkenntnisssubjekt nun existiert oder nicht) und die vom Erkenntnissubjekt (für den Fall, dass solch ein Subjekt existiert) erschlossen werden möchte, was auf der zweiten Ebene passiert.
2. Die Ebene der Sprache, der Vorstellungen, der Wünsche, der Intentionen und somit der Menschen, der Personen, des Ich, des Du, des Sie, der Verantwortung, der Schuld aber auch der Zahlen, der Formen, der Gesetze etc.
Diese Ebene ist für mich Illusion. Diese Ebene stellt aus ihrer eigenen Perspektive eine mentale (oder anders geartete) Entsprechung der Welt, die unabhängig vom Erkenntnissubjekt existiert.]


Wenn ich mir deine Beispiele anschauen, dann haben 'Gründe' eine Art Verweischarakter mit Handlungsempfehlung, richtig? Hunger verweist auf Essen-Wollen und es empfiehlt sich einkaufen zu gehen. So verstehe ich Gründe auch, zumindest den Fall, wo jemand, der angibt, etwas getan zu haben und es begründet, es genauso tun würde.
Mein Problem in deinen Aussagen ist allerdings weiterhin, dass deine Aussagen eine Annahme enthalten, die ich in Frage stelle; nämlich die Annahme einer Substanz bzw. eines Subjektes.
"Die Tatsache, dass ich Hunger habe, spricht dafür, etwas zu essen zu kaufen", impliziert die Annahme eines 'Ichs'. Hier habe ich das Problem, dass ich nicht verstehe, wem oder was das Subjekt 'ich' in diesem Satz entsprechen soll bzw. auf was in der Wirklichkeit es verweisen soll außer auf einen Atomhaufen. Und weil ich das nicht verstehe, bleibt für mich dementsprechend auch das Prädikat 'Hunger haben' in deinem Satz unverständlich.

Ergänzend noch: Wenn du sagst "Die Tatsache, dass ich Hunger habe, spricht dafür", dann habe ich ein Problem damit, dass 'Tatsachen sprechen können'. Natürlich, könnte man sagen, es ist ja bloß metaphorisch und es ist klar, was gemeint ist. Ich wage mal eine steile These: Metaphern helfen, erklärt aber nicht. Und wenn ein Grund mit 'Für-Etwas-Sprechen' verdeutlicht wird - und die Beispiele ebenfalls -, dann verstehe ich es als Metapher, die ich gern aufgelöst hätte.

Kurz und knapp meine zwei Fragen an dich:
1. Auf was verweist 'ich'?
2. Wenn 'Grund' für 'Für-etwas-Sprechen' steht, Tatsachen aber de facto nicht 'sprechen', was genau verbirgt sich hinter 'Grund' bzw. hinter 'Für-etwas-Sprechen'?




Lucian Wing

Sa 2. Mär 2024, 13:06

Quk hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 12:15

(Dass Menschen keine Vögel sind, spricht dafür, dass ich jetzt nicht von der Klippe hüpfen werde.)
Nein, aus der Tatsache, dass sie es nicht sind, ergibt sich das nicht. Du hüpfst nicht, weil du Gründe hast, nicht zu hüpfen. Du möchtest dich nicht verletzen oder nicht sterben, das ist der Grund.

Das Nichtfliegenkönnen reicht nicht. Wenn die Klippe nur 5 Meter überm Wasser liegt und dieses tief genug, ist völlig gleichgültig, ob du nicht fliegen kannst wie ein Vogel. Der Grund ist: Wenn ich nicht fliegen kann, kann ich mich nicht aus einer Höhe von x Metern von der Klippe stürzen, wenn ich keine Verletzung oder den Tod riskieren möchte.




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Quk
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Sa 2. Mär 2024, 13:12

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:50
Also wenn ein Stein zu Boden fällt, wäre nicht die Gravitation der Grund, sondern die Ursache.
Das hängt von der Art der Problembehandlung ab, würde ich sagen.

"Ursache und Wirkung" ist ein Vorgang entlang einer Zeitlinie. Ohne Zeitablauf könnte nichts verursacht und nichts bewirkt werden; alles bliebe statisch eingefroren. "Ursache und Wirkung" erzeugen Geschichten.

"Grund" hingegen braucht keine Zeitlinie, sondern ein Verhältnis. Verhältnisse können statisch sein; da muss keine Zeit ablaufen. Gründe erzeugen keine Geschichten, bestenfalls Listen, und Listen müssen nicht notwendig nach Zeitpunkten sortiert werden; meistens enthalten Listen eh keine Zeitpunkte. Gesetzbücher, beispielsweise, werden nach Paragraphen sortiert, nicht nach Zeitpunkten. Es gibt viele Arten von Gründen. Jörn spricht wahrscheinlich ausschließlich von Gründen für moralisch richtiges und falsches Handeln. Meiner Ansicht nach gibt es auch noch Arten wie mathematische Gründe, juristische Gründe, biologische Gründe und viele weitere Arten. Im Englischen gibt es "when" und "if". When zielt auf den Zeitpunkt; if zielt auf den Grund. Im deutschen wird beides when und if mit "wenn" übersetzt, das macht die Sprache schwammiger. Wir haben aber noch die Wörter "ob" und "dass"; damit kommen wir der "if"-Ebene wieder etwas näher. -- Gründe muss man zeitlos formulieren. Hier ein Beispiel moralischer Art: Der Soll-Satz "Du sollst nicht töten" kann der Grund sein dafür, dass Du noch nie eine Ameise willentlich zertreten hast. Wenn Du es doch tust, kommst Du in die Hölle, und weil Du nicht in die Hölle kommen willst, spricht alles dafür, dass Du die Norm "Du sollst nicht töten" befolgst. Was Du jetzt über "Du sollst nicht töten" gelesen hast, ist keine Geschichte aus Ursachen und Wirkungen, sondern nur ein moralisches Sollen, egal, zu welchem Zeitpunkt, egal, ob die Wirkung passiert. Es geht nur um einen Zusammenhang.

Zurück zur Eingangsfrage:

Wenn (when) Otto seine Hand öffnet, dann fällt der Stein zu Boden. Das Handöffnen zum Zeitpunkt X ist die Ursache. Der Aufprall zum Zeitpunkt Y ist die Wirkung.

Wenn (if) Gravitation Massenanziehung bedeutet, dann zieht die Erde auch den Stein an. Das Gravitationsgesetz ist einer der Gründe, warum der Stein fällt. Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass die Erde und der Stein beides Massen sind. Wir reden jetzt nicht über Zeitpunkte und Ereignisse, sondern nur von allgemeinen Gründen. Nach diesen Gründen können wir unsere Handlungen abwägen: Ich möchte nicht so sehr von der Erde angezogen werden; auf Grund physikalischer und ernährungsbiologischer Ideen spricht alles dafür, dass ich zukünftig weniger Fett esse.




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Quk
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Sa 2. Mär 2024, 13:24

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 13:06
Quk hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 12:15

(Dass Menschen keine Vögel sind, spricht dafür, dass ich jetzt nicht von der Klippe hüpfen werde.)
Nein, aus der Tatsache, dass sie es nicht sind, ergibt sich das nicht. Du hüpfst nicht, weil du Gründe hast, nicht zu hüpfen. Du möchtest dich nicht verletzen oder nicht sterben, das ist der Grund.
Einverstanden. Es gibt mehrere Gründe:

1. Menschen können nicht fliegen.
2. Ich bin ein Mensch.
3. Der Boden ist hart.
4. Ich will am Boden nicht aufplatzen.

Fazit: Es spricht alles dafür, den Sprung abzusagen.




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AufDerSonne
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Sa 2. Mär 2024, 13:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:59
Ich kann auch Gründe haben, dieses oder jenes zu denken. Ein Grund ist eine Relation, das habe ich weiter oben gefühlt schon ein Dutzend Mal geschrieben. Und zwar - vereinfacht - folgender Art: A spricht für B. Weiter oben habe ich es etwas ausführlicher geschrieben, Beispiele gibt es auch.
Jörn spricht auch davon, dass man einen Grund haben kann, dass eine oder das andere zu denken. Also nicht nur von Handlungen. Aber man kann auch moralische Gedanken haben. :)

Könnte es sein, dass man zwischen Gründen als Folge von Abwägen und Gründen in zeitlicher Folge unterscheiden muss?



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Quk
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Sa 2. Mär 2024, 13:43

Olivenbaum2024 hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:43
Quk hat geschrieben :
Do 29. Feb 2024, 23:07
Das sind keine rhetorischen Fragen. Wie oben angemerkt sind das Verständnisfragen. Ich habe darüber schon oft mit Jörn diskutiert, aber ich habe bisher keine Antworten erhalten. [..]
Liege ich da richtig, wenn ich sage, du beziehst dich, in dem was du sagst, auf Jörn und nicht auf mich?
Ich verstehe nicht, was ein vielgestaltiger Geist ist. Magst du es mir erklären?

Abschließend:

Einmal angenommen, die Aussagen 1. bis 4. sind wahr: Welchen von den Aussagen 5. bis 7. würdest du zustimmen?
1. x existiert.
2. Von x kann eine einzige Eigenschaft/Fähigkeit prädiziert werden.
3. Es gibt viele x-e.
4. Eine gewisse Anzahl von x-en kann als y bezeichnet werden.
5. Vom y kann eine Eigenschaft prädiziert werden.
6. Vom y kann eine Fähigkeit prädiziert werden.
7. Bei der Frage, ob y existiert, liegt es nahe zu sagen, dass y existiert.
Jene Verständnisfragen richteten sich an Jörn und den anderen freundlicherweise zitierten Philosophen.

Meine Gründe, die für die Teilbarkeit des Menschen sprechen, sprechen auch für Dein Beispiel mit der Teilbarkeit auf atomarer Ebene, die anhand des Atombeispiels ja lediglich verständlich machen will, dass der Mensch kein Punkt ist.

Ein vielgestaltiger Geist besteht aus vielerlei Eigenschaften, Tätigkeiten, Fähigkeiten. Er ist mehr als nur ein unendlich kleiner Punkt. Ich weiß nicht, wie ich das weiter erörtern könnte, als wie ich es bereits getan habe im zitierten Beitrag.

5. Ja, logo.
6. Ja, logo.
7. Ja, logo.




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Sa 2. Mär 2024, 13:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Mär 2024, 08:09
Olivenbaum2024 hat geschrieben :
Do 29. Feb 2024, 21:40
Meine Annahmen:
- Es gibt keinen Gott.
- Es gibt keine Entitäten außer den physischen Entitäten.
Wenden wir diese Behauptung auf sie selbst an. Wie kann eine Annahme eine physische Entität sein?

Eine Annahme hat einen Inhalt, in diesem Fall zum Beispiel: "Es gibt nur physische Entitäten". Aus diesem Inhalt folgen logisch verschiedene Dinge. Möglicherweise das folgende: Alles, was existiert, besteht aus Materie und Energie. Moralische Werte und ethische Prinzipien haben keine objektive Grundlage. Paranormale Phänomene oder übernatürliche Kräfte haben keine Grundlage, weil sie mit den Prinzipien der Physik nicht vereinbar sind. Und vieles mehr.

Daraus folgt für mich zwingend, dass Annahmen unter anderem logische Entitäten sind, denn sie existieren in einem (inferentiellen) logischen Netz von "Schlussfolgerungen", die sich aus dem ergeben, was der Fall wäre, wenn die Annahme wahr wäre. Wenn es aber nur physikalische Entitäten gibt und Annahmen u.a. logische Entitäten sind, dann enthält deine Aussage einen klaren Selbstwiderspruch. (Ein Selbstwiderspruch ist im Übrigen ein weiteres Beispiel für eine Entität, die nicht physisch ist.)

Ein anderes Beispiel: Was soll es bedeuten, dass 753te Stelle von PI aus physischen Entitäten besteht?
Ich glaube, nein, ich bin mir sicher, wir missverstehen uns. Ich bin mit allem, das du schreibst, einverstanden (wenn auch nicht im Detail). Annahmen sind keine physische Entitäten, sondern logische Entitäten etc. Allein schon die Tatsache, dass ich hier mit dir schreibe und das Wort 'Ich' verwende und 'erwarte', dass 'du' im Groben 'verstehst', was gemeint ist, ist - um es zuzuspitzen - auf eine gewisse Art und Weise eine Farce vor dem Hintergrund dessen, was ich in dieser Diskussion fordere, richtig? Ich kann es aber trotzdem tun, weil ich alldem, was ich hier schreibe, ein großes wichtiges Vorzeichen gebe. Ich habe keine Ahnung, wie ich dieses Vorzeichen nennen soll: Vllt. Illusion, vllt. esse cogitans (denkendes Sein)? Und logische Entitäten würde ich auch dieser 'Illusion' subsumieren.

Meine Grundannahme hier (in dieser Diskussion) ist, dass physische Entitäten die einzigen Entitäten sind und dass alle anderen Entitäten (die Scholastik z. B. kennt da eine ganze Reihe an Seinsformen) bloß Geschwurbel bzw. nicht Systemrelevant sind (System = physische Entitäten). Dementsprechend sind Entitäten wie 'Annahmen' Produkte ihrer eigenen Entitätssphäre und aus der Perspektive der Welt der physischen Entitäten schlicht nicht existent (wenn es denn eine solche Perspektive geben würde :))




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Sa 2. Mär 2024, 14:05

Damit hast du aber nur bestätigt, dass es nach deiner Ansicht keine Ansichten gibt.

Außerdem hast du dir ein weiteres Problem eingehandelt: Wenn Ansichten Illusionen sind, es aber nur physikalische Entitäten gibt, es also auch keine Illusionen geben kann, wie können Ansichten dann Illusionen sein? Da es auch niemanden gibt, der diese Illusion haben könnte, haben wir die Illusion einer Illusion, obwohl Illusionen gar nicht existieren.

Wenn das nicht ein wunderbares Beispiel für eine völlig inkohärente Position ist.




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Quk hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 13:12
Jörn spricht wahrscheinlich ausschließlich von Gründen für moralisch richtiges und falsches Handeln.
Du meinst also, ich würde es für eine moralische Frage halten, ob man bei Regen den Regenschirm mitnimmt?




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Quk hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 13:43
Olivenbaum2024 hat geschrieben :
Sa 2. Mär 2024, 11:43
Quk hat geschrieben :
Do 29. Feb 2024, 23:07
Das sind keine rhetorischen Fragen. Wie oben angemerkt sind das Verständnisfragen. Ich habe darüber schon oft mit Jörn diskutiert, aber ich habe bisher keine Antworten erhalten. [..]
Liege ich da richtig, wenn ich sage, du beziehst dich, in dem was du sagst, auf Jörn und nicht auf mich?
Ich verstehe nicht, was ein vielgestaltiger Geist ist. Magst du es mir erklären?

Abschließend:

Einmal angenommen, die Aussagen 1. bis 4. sind wahr: Welchen von den Aussagen 5. bis 7. würdest du zustimmen?
1. x existiert.
2. Von x kann eine einzige Eigenschaft/Fähigkeit prädiziert werden.
3. Es gibt viele x-e.
4. Eine gewisse Anzahl von x-en kann als y bezeichnet werden.
5. Vom y kann eine Eigenschaft prädiziert werden.
6. Vom y kann eine Fähigkeit prädiziert werden.
7. Bei der Frage, ob y existiert, liegt es nahe zu sagen, dass y existiert.
Jene Verständnisfragen richteten sich an Jörn und den anderen freundlicherweise zitierten Philosophen.

Meine Gründe, die für die Teilbarkeit des Menschen sprechen, sprechen auch für Dein Beispiel mit der Teilbarkeit auf atomarer Ebene, die anhand des Atombeispiels ja lediglich verständlich machen will, dass der Mensch kein Punkt ist.

Ein vielgestaltiger Geist besteht aus vielerlei Eigenschaften, Tätigkeiten, Fähigkeiten. Er ist mehr als nur ein unendlich kleiner Punkt. Ich weiß nicht, wie ich das weiter erörtern könnte, als wie ich es bereits getan habe im zitierten Beitrag.

5. Ja, logo.
6. Ja, logo.
7. Ja, logo.
Verstehe, dann sehe ich schon ansatzweise, wo wir auseinandergehen könnten.
Denn ich finde schon 6. schwierig. 7. ist für mich ein Fehlschluss aus 4.*
(Mit 'Prädizieren' meine ich nicht, dass die Zuschreibung einer Eigenschaft/Fähigkeit... zu einer Sache auch tatsächlich der Sache zukommt. Mit Prädizieren meine ich erst einmal bloß das Aussagen eines Prädikats von einem Subjekt, wobei Prädikat und Subjekt jeweils auf etwas verweisen.)

* Streng genommen halte ich "Bei der Frage, ob y existiert, liegt es nahe zu sagen, dass y existiert" natürlich nicht für einen Fehlschluss aus 4. Dass etwas nahe liegt, kann ja viele Gründe :| haben etc..
Was würdest du sagen, wenn es statt dessen lauten würde?:
7. y existiert.




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Quk
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Sa 2. Mär 2024, 14:59

Vermutlich liegt ein Missverständnis in dem Wort "kann". "Kann" verwende ich hier im Sinne von "möglicherweise", "nicht zwingend". Nicht im Sinne von "erlaubt" oder "fähig".

Offen gesagt, wollte ich Deine Punkte 5 bis 7 zunächst sprachlich präzisieren, ging dann aber aus Faulheit davon aus, dass Du die Wörter hier so auffasst, wie ich es tue.

Vielleicht kannst Du Deine Textliste etwas klarer strukturieren in Prämisse und Folgerung etc. und mit möglichst eindeutigen Begriffen formulieren.
Zuletzt geändert von Quk am Sa 2. Mär 2024, 15:03, insgesamt 1-mal geändert.




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