Die eine Frage betrifft Gott, die andere den Menschen.
Menschen, die nicht an Gott glauben bzw. sagen, es gibt keinen Gott, müssen sich doch als Menschen fragen, warum lässt der Mensch so viel Leid in der Welt zu. Wie können wir uns rechtfertigen? Da es keinen Gott gibt, kann ein Gott auch nicht der Adressat dieser Frage sein.
Gemeinsam ist bei den Texten, die man so findet, dann doch wieder die Verknüpfung von Religion, Gott und Anthropodizee. Das finde ich schon erstaunlich, dass selbst bei der Frage der Rechtfertigung menschliches Handelns es doch wieder auf Gott heraus laufen zu scheint.
Zur Anthropodizee ist frei verfügbar nicht viel zu finden. Einen Autor findet man immer wieder: Michael Blume, ein Religionswissenschaftler.
Wesentlich mehr frei verfügbare Texte findet man zu dem Thema, welches sich aus der Anthropodizee ergibt: Antinatalismus. Die Frage, wie können wir noch Leben in die Welt bringen, wenn dieses Leben nur Leid und schließlich den Tod erleidet.
Ein Zitat von Michael Blume:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-g ... -religion/
Und logisch ist m.E. Antinatalisten wie Théophile de Giraud Recht zu geben: Wenn es keine Gottheit und keinen ewigen Sinn gibt, wenn alles Leben und Sterben nur im zeitlichen Rahmen stattfindet, dann gibt es keine absoluten Begründungen mehr für das Hervorbringen weiteren, bewussten Lebens. Denn jedes Kind wird leiden, Leid verursachen und schließlich sterben, wie schließlich auch der Planet und das gesamte Universum. Dies gilt sogar besonders bei “Überbevölkerung”, durch die Menschen ihre pflanzliche und tierische Umwelt beeinträchtigen oder gar zerstören. In dieser Perspektive wäre es sogar “egoistisch”, wenn sich Eltern für ihre emotionalen Bedürfnisse für (weitere) Kinder entscheiden oder wenn Gemeinschaften und Staaten Elternschaft etwa durch wirtschaftliche oder institutionelle Förderung unterstützen: Sie brächten nur weiteres Leid hervor, das keinem höheren Sinn diente.
Und ein längerer Artikel von Deutschlandfunk:
https://www.deutschlandfunk.de/kinder-k ... u-100.html
Aus dem Artikel:
Antinatalismus gab es schon lange vor der Klimadebatte. Ausgangspunkt der Ablehnung menschlicher Geburt war und ist oft das menschengemachte Leid. Denn Leben bedeutet auch Leiden. Der Lebende selbst leidet im Laufe seines Daseins, und er fügt mit großer Wahrscheinlichkeit auch anderen Leid zu – Menschen und Tieren. So eine Grundannahme des Antinatalismus.
Dem zugrunde liegt die sogenannte Anthropodizee-Frage. Anders als die Theodizee-Frage, die nach einer Rechtfertigung Gottes angesichts des Leides in der Welt sucht, fragt die Anthropodizee-Frage: Wie ist das menschliche Leben zu rechtfertigen, wenn es doch immer auch zu Leid führt? Eine Frage, die jetzt neu diskutiert wird – anhand der Klimakrise.
Wenn es doch Leid auf der Welt gibt, mit welchem Recht soll es dann weitere Menschen geben? Also: Hast Du das Recht, überhaupt noch Menschen auf die Welt zu bringen?“
Blume: „Im Grundsatz kann man sogar sagen, haben Religionen ganz stark die Funktion gehabt, die Anthropodizee-Frage positiv zu beantworten. Also in der Bibel ist das allererste Gotteswort an die Menschen: ‚Seid fruchtbar und mehret Euch!‘ Also die Aufforderung, das Leben weiterzugeben. Und es gibt schon im Talmud eine ganz spannende Debatte darüber, wo Rabbiner darüber streiten, ob es eigentlich gut ist, geboren zu werden. Und interessanterweise kommen sie zu dem Ergebnis: Nein, es ist nicht gut, weil es gibt Leid auf der Welt. Aber Gott hat es uns eben geboten. Also wir sollen das. Es ist Teil unserer Aufgabe, das Leben eben zu durchleben und dabei zu bleiben. Gott möchte Leben, sagt ja zum Leben.“
Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)