Timberlake hat geschrieben : ↑ Mo 19. Dez 2022, 22:49
- Was sagt dein Gewissen? – »Du sollst der werden, der du bist.«
Nietzsche reduziert diese "So-Sein" wenn schon denn schon auf das Gewissen.
Ein Gewissen hin - und her gerissen zwischen dem , was zum Einem das Gedächtnis und zum Anderem der Stolz sagt. In dem Schlußendlich das Gedächnis nach gibt , weil der Stolz unerbittlich bleibt , so wird man der, wer man ist. Das sagt einem das Gewissen bzw. das sollte einem das Gewissen sagen.
Was sagt denn der Umstand, dass das Gewissen dies sagt, darüber aus, was dies »der du bist« bedeutet? Gar nichts. Oder das nachträgliche Spielchen von Schuld und Stolz? Noch viel weniger. Nichts als ein triviales Spiel mit der Personifikation der Konkurrenz von Motiven, die jeder kennt. Das kritische Denken sagt: Es ist dürftig; die Eitelkeit des psychologischen Durchblickers sagt: Es ist groß; und schließlich gibt, wie bei allen bloß kritischen Geistern, die Kritik nach ... Man sollte gerade bei N. immer vor der glänzenden Rhetorik auf der Hut sein und nach jedem Satz fragen: Ist das denn auch wirklich so? - Man kann ja viel über Nietzsche hin und her reden, aber er war nun eben mal Nominalist und Universalienfeind von Anfang bis Ende; und das Leben existiert halt eben nur als des Lebens goldner Baum, als dieses bestimmte Lebendige, das sich vom anderen unterscheidet, das seinen eigenen Willen zur Macht hat, diesen steigern will, gegen den des anderen, im Sinne dieses bestimmten Lebendigen seine Werte setzt, dieses steigert, stolz ist usw. Anders hätte der Kampf gegen den Universalismus der Metaphysik und der Moral ja gar keinen Sinn.
Timberlake hat geschrieben : ↑ Di 13. Dez 2022, 16:43
Mit der Umwertung aller Werte und darunter die Vernunft so hat Nietzsche ..
wie von mir hier beschrieben .. m.E. sehr wohl eine Antwort auf den Nihilismus, gefunden. Um diese Antwort auch zu finden muss man allerdings .. so Nietzsche . ich zitiere .. "ein neuer Philosoph , des gefährlichen Vielleicht in jedem Verstande" sein. Es reicht also völlig aus , wenn einer dieser Flöhe deines Hundes , dir die
Umwertung aller Werte in dein Ohr setzt.
Na, dann will ich - nur für dich - doch mal ausführlich erzählen, was dieser Floh mir nächtens ins Ohr geflüstert hat.
Der große Nietzsche ist der hier:
Wahrheit als Circe. - Der Irrtum hat aus Tieren Menschen gemacht; sollte die Wahrheit im Stande sein, aus dem Menschen wieder ein Tier zu machen? (Oder gleich darauf: Gefahr unserer Kultur. - Wir gehören einer Zeit an, deren Kultur in Gefahr ist, an den Mitteln der Kultur zugrunde zu gehen. MA II 519f., ausführlicher FW 344)
Denn da spielt N. die erste Reflexion, der Weg vom bloßen Sein/Leben zur Geistigkeit, Metaphysik, Humanität mit der zweiten, von da aus zum bloßen Leben/Sein zurück, ineinander, als ein wechselseitiges Setzen und Voraussetzen, Affirmieren und Negieren, Wahrheit und Irrtum, in ein und derselben Hinsicht. Er bezieht den Schein auf den Schein des Scheins, beides zusammen als das wahrhaft Wirkliche, und zwar ohne eine Priorität zu setzen, ohne etwas in Anführungszeichen zu setzen, weder Irrtum noch Wahrheit, ohne von Pseudokultur, Pseudohumanität zu reden, ohne gegen die Fabel die Wahrheit, also die zweite Reflexion, zu verklären. Das ist der Anfang einer wirklichen Dialektik der Aufklärung, die man bei Adorno und Horkheimer vergebens sucht, wo alles immer nur Pseudo bleibt, nur gelegentlich durch etwas Kultur und Aufklärung übertüncht, aber im Kern doch dasselbe.
Freilich weicht auch N. der Entfaltung dieser absoluten, sich auf sich beziehenden Negativität letztlich aus, wie das Fragezeichen oben schon andeutet. Er umschleicht sie nur unermüdlich, aber mit unzureichenden Mitteln. Damit fallen die beiden Halbsätze schließlich beziehungslos auseinander. Dann aber steht auf der einen Seite der schenkelklatschend dekonstruierte Irrtum, die bloße Hypostase, woran der »letzte Mensch« sich hochzieht; und auf der andern Seite die nackte Wahrheit, was dann aber hier genauer heißt: der Nihilismus, nämlich die Tödlichkeit (oder Bestialität) der Wahrheit. Dieser bzw. dem Zerfall der beiden Seiten sucht N. auszuweichen, indem er eine Vermittlung von Reflexion und Gegenreflexion in den verschiedensten Sphären versucht. In den frühen Schriften geschieht dies überwiegend dadurch, dass er ein maßvolles Gleichgewicht zwischen beiden Seiten sucht (die Wendung in die stoisch-skeptische Ataraxie; dann gut reformerisch einen kleinen Schritt zurück, vor dem nächsten vorwärts; das Verhindern der nihilistischen Konsequenz durch Einsicht; Dualismus von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft, oder von Frei-Arbeit und Zwangs-Arbeit; zeitweilige, kontrollierte Rückfälle in die Barbarei, Krieg zur Abkühlung der Reflexion; die Beschränkung der historischen Reflexion). Später sind es dann eher synthetische Prinzipien, die den Knoten mehr verstecken als auflösen (der Übermensch, der wohl irgendwie eine Einheit von Romantik und Reflexion poetisch vorstellen soll; die Kunst, die sich (gar als bewusste Illusion) reflektiert ihrer Reflexion entzieht (l’art pour l’art); die Ewige Wiederkehr; Amor fati etc. pp.). Da aber eben die Reflexion sich eben doch nicht reflektiert-kontrolliert unterdrücken oder zum Werkzeug machen lässt, der Irrtum sich nicht auf irrtümliche Weise beseitigen lässt, da N. selbst spürt (Ecce Homo), dass dies alles noch haltloser Romantizismus gewesen ist, bleibt ihm am Ende nur das Durchhauen des Knotens, der Versuch einer entschlossenen Positionierung jenseits aller Reflexion, jenseits von Gut und Böse, was dann auf deren Versenkung im »Tier Mensch«, im animal irrationale, im reflexionslosen (und reflexionsfeindlichen), auf die unbefangenen Instinkte zurückgeführten Leben hinausläuft. Hegelisch ist es der Versuch, aus der gegensätzlichen Logik des Wesens oder der Reflexion in die des Seins, der Unschuld des Werdens, zu gelangen, - durch einen Ukas der Reflexion. Das ist dann der Weg, auf dem ihm so viele gefolgt sind; auch Husserl (gewissermaßen als der N. für Akademiker, die es bleiben wollen) flieht ja vor der Konsequenz seines Subjektivismus immer wieder die unbedingte Selbstverständlichkeit der von aller Reflexion unankränkelbaren Lebenswelt zurück, während der kultivierte Adorno sich an die esoterische Kunst, die Neue Musik, gehalten hat (was man immerhin noch als Platzhalter.der philosophischen Idee verstehen kann).
Das ist dann der schlechte, der späte Nietzsche, der zwar der Form nach das Ressentiment der Schlechtweggekommenen und Aufgeklärten gegen die Oberen, Siegreichen, Etablierten und den hohlen Egalitarismus der Unteren immer noch bedient, aber dem Inhalt nach dann genau das Gegenteil lehrt: das unbeschränkte Recht des Vornehmen, Starken, des Willens zur Macht und dessen Maß- und Grenzenlosigkeit, das dann, befreit von aller Tschandala-Moral, allenfalls zu einem feudalen Großmut der Freien und Mächten unter sich, ohne jedes allgemeine Gesetz, findet. Weshalb die Indigenialischen ausgerechnet in dieser Weisheit, die heute wieder im SUV durch die Straßen paradiert, das Heil der Welt suchen, mag verstehen, wer will.
Das Späte hört sich dann allerdings teilweise immer noch wie der große N. an; nur ist eben jetzt alles ganz auf das Leben bzw. den Willen hin relativiert und damit vergiftet. Z. B.: »Alle großen Dinge gehen durch sich selbst zugrunde, durch einen Akt der Selbstaufhebung: so will es das Gesetz des Lebens, das Gesetz der notwendigen ›Selbstüberwindung‹ im Wesen des Lebens – immer ergeht zuletzt an den Gesetzgeber selbst der Ruf: ›patere legem, quam ipse tulisti.‹« (GdM III 27) Alles geht durch seine Selbstanwendung zugrunde, Christentum, Moral, Wahrheit, Gesetze, - nur eben DAS Wesen, DAS Gesetz des Lebens, DER Wille zur Macht, das neue fundamentum absolutum inconcussum, ganz ausdrücklich NICHT: »Lieber will noch der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen.« Denn wollte N. hier mit der Selbstüberwindung ernst machen, müsste er ja damit rechnen, dass das Verabschiedete auch wieder in irgendeiner Weise auferstehen könnte. Der schlechte N. ist mithin schlechte Metaphysik, Essenzialismus, Dogmatismus, übelste Hinterweltlerei, denn die »notwendige Selbstüberwindung« wird zum bloßen Oberflächenphänomen, Vorder- und Hintergrund sind einander völlig gleichgültig. Das Wesen des Lebens, der neue summum ens Nietzsches, überwindet sich nicht, wird nicht Mensch, stirbt auch nicht und zeigt sich nur in wesenlosen, bloß verschwindenden Nichtigkeiten. Auch rein stilistisch kann man dies erkennen, indem nämlich der späte N. den Aphorismus verlässt und nunmehr dogmatische Abhandlungen wider die obigen »Irrtümer« ohne alle Pointe, also ohne alle Selbstüberwindung, schreibt. N. scheitert letztlich deshalb, weil er die logische Begrifflichkeit von Wesen, Notwendigkeit, Gesetz, Grund, Zugrundegehen, Aufhebung, in einem ganz unreflektiert-traditionellen Sinne gebraucht und sich damit seine großen Intuitionen verdirbt. Er sieht nicht, dass ein Grund immer nur begründet, indem er zugrunde geht, dass ein anderer Begriff des Grundes (der des Fundamentes), streng betrachtet, gar keinen Sinn hat, sondern eben dies die Weise ist, wie das Wesen in Erscheinung tritt, sich zeigt und existiert, und nur so nicht die tote Hinterwelt ist. Auf diese tiefste, die logisch-metaphysische Dimension der Philosophie, jenseits von Historie, Naturwiss., Psychologie und Ästhetik hat N. sich nie wirklich eingelassen, sondern sie einfach nach Gutsherrenart gehandhabt.
Dieser schlechte, scheiternde N. ist es dann auch, der sich von Heidegger zurecht sagen lassen muss, dass seine Umwertung aller Werte nicht die Überwindung, sondern bloß Vollendung und Höhepunkt des Nihilismus ist, eben weil man sich mit dem Wertdenken schon als solchem im Reich der Reflexion einschließt, sich mit bloßen Setzungen, Subjektivitäten, Überbauten, selbstgemachten Hirngespinsten, Techniken der Selbstoptimierung (die es heute im Dutzend billiger gibt), grauer Theorie eben, herumtreibt; so wie eben jene Wertungen des maßlosen Willens zur Macht gar nichts anderes sind als jene sogenannte Vernunft, die tierischer ist als jedes Tier (weil dieses sehr wohl ein Maß hat), eben nur das pragmatisch-selbstgefällige Ich in die Instinkte und DNA des Lebens projiziert, weshalb dann ja auch das Leben noch im Willen aufgeht. Heidegger hat völlig recht damit, dass eben dies Seinsvergessenheit ist, dass man in der Konsequenz der zweiten Reflexion eben auch solches Seiendes wie das Lebendige, selbst noch die Macht i. S. des mechanischen Kraftbegriffes (was bei N. anklingt), noch im Sein versenken muss. Nietzsches Metaphysik des Willens zur Macht ist denn so gesehen in der Tat nichts anderes als die Endstation dieses uralten Seinsgeschicks, das den abendländischen Menschen in die Subjektität (die Subjektivität als Substanz, Hypokeimenon gedacht), in die Selbstauslegung als Willen, in das Fest-Stellen der Welt, letztlich in die Technik, geschickt hat; welchen »Irrtum« man ja im heideggerschen Grunde durchaus positiv sehen muss, weil es ja das andenkende Fragen nach dem Hervortreten des Seins in die Unverborgenheit, also die Wahrheit, vorbereitet. Auf diese Weise ist dann eben wirklich jeder Anklang an Reflexion (oder Kritik) vermieden, selbst der noch im Lebendigen, ja im Seienden als solchen liegende Anklang. Damit ist auch der Nihilismus mitsamt aller Kritik und Distanzierung im Ursprünglichen, allein Echten und Gründenden, im Sein versenkt, oder die Irrfahrt der Subjektität, der Reflexion, kann so zurückkehren in ihr ursprüngliches Fragen. Der Jargon der Eigentlichkeit verbunden mit einem Overkill an vorsintflutlicher Etymologie unterdrückt so alle Entzweiung, alle Reflexion dieses Seins, jeden Anklang des Seinsgeschicks an ein zu sich Kommen des Geistes, beschränkt sich dabei auf immer nur ein und dieselbe Leier vom unvordenklichen Geschick - abgesehen von den umso ausführlicher gelichteten Holzwege der Willens-Subjektität. Und dieses »unerträglich weise Larifari« (N.) unterbietet dann auch den großen Nietzsche wieder um Längen ...