Was sind Fähigkeiten, und wie lassen sie sich erkennen?
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Ein Punkt, der sich in der Diskussion um die Menschenwürde als bedeutsam herausgestellt hat, ist der Unterschied zwischen Eigenschaften und Fähigkeiten. Dort wurde etwa auf die Vernunftfähigkeit der Menschen als Grund für ihre besondere, ja absolute Würde verwiesen. Da nicht alle konkreten Menschen gleich vernünftig sind und da sie erst recht nicht immerzu vernünftig reden und handeln, liegt es nahe, sich nicht auf die faktischen Handlungsvollzüge der Menschen zu berufen, um ihre allgemeine und gleiche Rationalität zu begründen, sondern eben auf ihr vernünftiges Vermögen, ihr Vernünftig-sein-Können, auf ihr Vernunft-Potential.
Aber was macht eine Fähigkeit - also ein praktisches Können, ein Knowing-how - aus? Und wie lässt sich bestimmen, ob jemand eine gewisse Fähigkeit "hat" oder "besitzt"? Nehmen wir als Beispiele die musische Fähigkeit des Flötespielens (ein klassisches Beispiel, das schon Aristoteles verwendet hat) und die kognitive Fähigkeit des Addierens. Worin bestehen diese Fähigkeiten? Und wie lässt sich zuverlässig beurteilen, ob eine Person X tatsächlich Flöte spielen oder addieren kann?
Diese Fragen hängen eng mit den Themen und Problemen zusammen, die im Strang "Zuschreiben statt Beschreiben" zur Diskussion stehen. (Siehe ---> hier und ---> dort.) Ich verrate auch schon so viel, dass Fähigkeiten nach meinem Verständnis nicht vollständig einer Beschreibung zugänglich sind, sondern wesentlich zugeschrieben werden...
Aber was macht eine Fähigkeit - also ein praktisches Können, ein Knowing-how - aus? Und wie lässt sich bestimmen, ob jemand eine gewisse Fähigkeit "hat" oder "besitzt"? Nehmen wir als Beispiele die musische Fähigkeit des Flötespielens (ein klassisches Beispiel, das schon Aristoteles verwendet hat) und die kognitive Fähigkeit des Addierens. Worin bestehen diese Fähigkeiten? Und wie lässt sich zuverlässig beurteilen, ob eine Person X tatsächlich Flöte spielen oder addieren kann?
Diese Fragen hängen eng mit den Themen und Problemen zusammen, die im Strang "Zuschreiben statt Beschreiben" zur Diskussion stehen. (Siehe ---> hier und ---> dort.) Ich verrate auch schon so viel, dass Fähigkeiten nach meinem Verständnis nicht vollständig einer Beschreibung zugänglich sind, sondern wesentlich zugeschrieben werden...
- Friederike
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Ist die Antwort trivial? Man bittet eine Person X, zwei Zahlen zu addieren oder man bittet Person X, einige Töne auf der Flöte zu spielen.Hermeneuticus hat geschrieben : Aber was macht eine Fähigkeit - also ein praktisches Können, ein Knowing-how - aus? Und wie lässt sich bestimmen, ob jemand eine gewisse Fähigkeit "hat" oder "besitzt"? Nehmen wir als Beispiele die musische Fähigkeit des Flötespielens (ein klassisches Beispiel, das schon Aristoteles verwendet hat) und die kognitive Fähigkeit des Addierens. Worin bestehen diese Fähigkeiten? Und wie lässt sich zuverlässig beurteilen, ob eine Person X tatsächlich Flöte spielen oder addieren kann?
Es gibt in dieser Frage Abgrenzungsprobleme.Friederike hat geschrieben : ↑Do 19. Okt 2017, 19:54
Ist die Antwort trivial? Man bittet eine Person X, zwei Zahlen zu addieren oder man bittet Person X, einige Töne auf der Flöte zu spielen.
Kann jemand, der weiß, dass 1 + 1 = 2, addieren?
Kann jemand addieren, der die Addition einstelliger Zahlen beherrscht?
Kann jemand addieren, der die Addition von Polynomen beliebiger Ordnung beherrscht?
Kann Flöte spielen, wer einige Töne hervorbringen kann?
Kann Flöte spielen, wer einige bestimmte Töne auf Anforderung hervorbringen kann?
Kann Flöte spielen, wer komplexe Stücke auf höchstem Niveau spielen kann?
Gute Fragen.
Nein, denn die meisten Alltagsrechnungen lernen wir auswendig, ohne dass wir sie nachrechen. 4x3 oder 8x7 rechnet niemand.
Wenn man den Kripke im Körbchen lässt, ja.
Jein. Man könnte ja auch gar nichts rausbringen.
Das geht zumindest in eine gute Richtung.
Ja.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Halten wir schon mal fest: Um beurteilen zu können, ob X addieren kann, muss man ihm beim wirklichen Addieren zuschauen. Oder allgemein gesagt: Es ist die vollzogene Handlung, die beweist, dass der Akteur dazu fähig ist, die Handlung zu vollziehen.Friederike hat geschrieben : ↑Do 19. Okt 2017, 19:54Ist die Antwort trivial? Man bittet eine Person X, zwei Zahlen zu addieren oder man bittet Person X, einige Töne auf der Flöte zu spielen.
Aber genügt für den Schluss von der Handlung auf das Können eine einzelne Handlung? Und ist es gleichgültig, wie diese Handlung ausfällt? Offenbar nicht. Der Akteur muss schon mehrere Handlungen eines bestimmten Typs vollziehen. Und das sollten dann auch möglichst gelungene Handlungen sein - in diesem Fall also: richtige Additionen. Dabei sollte das Verhältnis der richtigen zu den falschen Lösungen die Zufallsverteilung von 50/50 deutlich überschreiten.
Damit kann man die Fähigkeit nur dann erkennen, wenn sie aktualisiert wird. Erkennbar ist nur das Aktuale, zum Beispiel die erfolgreiche Rechenoperation. Fähigkeit sind ebenso wie alle anderen Potentiale nicht erkennbar.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 19. Okt 2017, 22:38
Halten wir schon mal fest: Um beurteilen zu können, ob X addieren kann, muss man ihm beim wirklichen Addieren zuschauen.
- Jörn Budesheim
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Rechnen Taschenrechner? Es soll jetzt auch Maschinen geben, die den Turing-Test einigermaßen leidlich bestehen, können diese Maschinen sprechen?
- Jörn Budesheim
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Nehmen wir eine Katze. Gibt es so eine Art Kern-Katze, die Eigenschaften hat? Vielleicht ein Katzenzentrum, welches der Träger der Katzen Eigenschaften ist? Oder ist es so, das es neben den Eigenschaften gar nichts weiter gibt? Ist die Katze nicht einfach die Summe ihrer Eigenschaften? Falls das so ist, dann ist die Frage nach dem Unterschied zwischen Eigenschaften und Fähigkeiten mit dieser vergleichbar: Was ist der Unterschied zwischen einem Gegenstand und einem Stein?
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Richtig, die Fähigkeiten liegen jedoch auch vor, wenn sie nicht beobachtet wurden. Schwieriger ist es noch mit Dispositionen und Anlagen. Wir kommen mit sehr vielen Anlagen zur Welt, aber nicht alle davon werden entwickelt, was selbstverständlich impliziert, dass sie auch nicht kalt beobachtet werden, protokolliert werden können. Wir kommen z.b. mit der Anlage zur Welt, jede Sprache dieser Welt lernen zu können. Ist dürfte schwierig sein, dies an einer einzelnen Person durch empirische, wissenschaftliche Beobachtung zu überprüfen.
Das ist aber eine etwas sonderbare Aussage. Lernen heisst ja oftmals auswendig lernen: Die Zahlenreihe von 1-10 zu kennen, bedeutet, dass ich mir diese einpräge. Wenn ich dann von 1-10 zähle, darf ich also nach deiner Definition nicht sagen, mein Kind könne von 1-10 zählen, es habe diese Fähigkeit nicht.
Wenn es dann lernt, dass 1+1=2 ist und dass eine weitere Zahl dazuzuzählen bedeutet, jeweils eine nächst höhere Zahl als Resultat zu erhalten, dann wird ja auch eine Regel auswendig gelernt, d.h. eine Technik. Diese anzuwenden erlaubt dem Kind dann ein Verstehen der Rechensystematik, es kann dann dank des Verstehens der Regel plötzlich selbständig 1+2 rechnen. Darf man deshalb, weil die Addition eine sehr einfache ist, einfach sagen, dass es diese Fähigkeit nicht habe?
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- Jörn Budesheim
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Aber stell dir vor, jemand hätte einfach alle Rechenergebnisse blind auswendig gelernt und nie verstanden, worum es sich dabei handelt, er hätte also nie gerechnet, nie eine Rechnung vollzogen. Nun hat man zumindest zwei Möglichkeiten. Ein Behaviourist müsste sagen, die fragliche Person kann rechnen, auch wenn man ihm dem Umstand, dass alles nur auswendig gelernt war, eröffnet. Ich würde hingegen meinen, ich dachte bisher, sie könne rechnen, aber ich habe mich getäuscht.
Eine Technik zu lernen, heisst ja nicht, alles zu lernen, sondern nur eben diese Systematik. Ich will nicht sagen, dass alles auswendig Lernen lernen bedeutet. Aber das Einüben von Techniken, das halte ich in gewissem Sinne für ein Auswendiglernen, oder vielleicht besser: für ein Verinnerlichen.
Oder was heisst lernen, erlernen?
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Kommt wieder auf den Begriff von "Rechnen" an.
Wenn das meint, dass sie wissen, was sie tun, dann nein.
Wenn es heißt Operationen zuverlässig auszuführen, dann ja.
Interessant wird das in der Tat bei Tieren.
Ist eine Katze nun eine etwas komplexere Reiz-Reaktions-Maschine?
Sie kann zwar willkürliich ihre Richtung ändern, etwa, wenn sie ziellos daherstreift und dann ein Rascheln hört, aber weiß die Katze, was sie tut oder führt sie nur ein Programm aus?
Manche meinen, dass auch der Mensch so zu beschreiben sei.
Impulskontrolle, die es auc bei Tieren gibt, ist ja die Fähigkeit primäre Reize aufzuschieben, zu unterdrücken. Inwiefern ist das eine bewusste Fähigkeit oder ist das auch nur ein Programm, was automatisch abläuft?
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
- Jörn Budesheim
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Meines Erachtens rechnen die Rechner nicht. Sie wissen nicht was sie tun, sie haben keinen Begriff von richtig und falsch, das heißt keine Vorstellung von Objektivität. Wenn aber "Nachschauen" das Kriterium ist, dann muss man ihnen die "Fähigkeit" zu rechnen dennoch zugestehen.
Auswendig lernen ist eine Form des Lernens, die Imitation.Alethos hat geschrieben : ↑Fr 20. Okt 2017, 06:57Das ist aber eine etwas sonderbare Aussage. Lernen heisst ja oftmals auswendig lernen: Die Zahlenreihe von 1-10 zu kennen, bedeutet, dass ich mir diese einpräge. Wenn ich dann von 1-10 zähle, darf ich also nach deiner Definition nicht sagen, mein Kind könne von 1-10 zählen, es habe diese Fähigkeit nicht.
Man kann im Unterschied dazu aber auch das Prinzipielle des Vorgangs erkenne und begreifen. (Sehe gerade, dass Du das unten selbst ansprichst.) Dann muss man nicht 1000e Einzelsituationen lernen, sondern nur ein Prinzip, was man auf alle Einzelfälle anwenden kann. Das Prinzip zählen heißt, Addition mit 1.
Ein Tonband könnte, besprochen mit einer unendlichen Zahlenreihe, auch die nächste Zahl nach 19.344 präsentieren, der Mensch muss nicht lange suchen, sondern kann das sofort, obwohl er bis 19.000 garantiert nicht gelernt hat.
Lernen heißt ja fast immer Prinzipien zu erkennen, ob sprachliche oder mathematische Regeln oder was Gesichtsausdrücke und die Tönung von Stimmen bedeuten.
Ich glaube, dass das beides gemischt vorkommt und wir machen, was ökonomischer ist. Rechnungen, die im Alltag immer wieder vorkommen, etwa wenn man in der Bäckerei die Brötchen zu 28 Cent/Stück verkauft, hat man nach ein paar Tagen automatisch drauf. Ansonsten kennt man als Erwachsener jede Menge Prinzipien.Alethos hat geschrieben : ↑Fr 20. Okt 2017, 06:57Wenn es dann lernt, dass 1+1=2 ist und dass eine weitere Zahl dazuzuzählen bedeutet, jeweils eine nächst höhere Zahl als Resultat zu erhalten, dann wird ja auch eine Regel auswendig gelernt, d.h. eine Technik. Diese anzuwenden erlaubt dem Kind dann ein Verstehen der Rechensystematik, es kann dann dank des Verstehens der Regel plötzlich selbständig 1+2 rechnen. Darf man deshalb, weil die Addition eine sehr einfache ist, einfach sagen, dass es diese Fähigkeit nicht habe?
Ob jemand ein Prinzip beherrscht sieht man daran, dass man ihm eine unbekannte Situation präsentiert, auf die er es anwenden müsste.
Selbst wenn wir die Zahl 346.654.345.890.007.468.678.934.564.245.075.234.654.678.987.377.478.995.345.899.884 vermutlich nicht benennen könnten, ohne nachzuschauen, können wir problemlos 1 oder 100 zu ihr addieren.
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Müssen sie als Rechner, Thermostate oder Lichtschranken ja auch nicht haben.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 20. Okt 2017, 11:11Meines Erachtens rechnen die Rechner nicht. Sie wissen nicht was sie tun, sie haben keinen Begriff von richtig und falsch, das heißt keine Vorstellung von Objektivität.
Wir haben die Zusatzfunktion zu wissen, was wir tun.
Erschwerenderweise manchmal auch dann, wenn wir nicht die Urheber sind.
Das könnte heißen, dass 'die Evolution' die gefühlte Urheberschaft als die wichtigere Eigenschaft ansieht, verglichen mit der Fähigkeit wahr/falsch zu unterscheiden.
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Hmm, da finde ich Dein Verständnis von "erkennen" etwas zu eng gefasst. Denn auch das, auf das sich sicher schließen lässt, gehört doch zum Erkannten. Ich denke gerade an Kants Beispiel mit den Eisenspänen und dem Magnetismus. Die magnetische Ladung lässt sich nicht direkt wahrnehmen, aber die Anordnung der Eisenspäne auf dem Blatt Papier, unter das man den Magneten hält, erlaubt es uns, auf die magnetische Kraft bzw. Ladung zu schließen - und sie somit (wenn auch nur teilweise) zu beschreiben.Segler hat geschrieben : ↑Do 19. Okt 2017, 22:58Damit kann man die Fähigkeit nur dann erkennen, wenn sie aktualisiert wird. Erkennbar ist nur das Aktuale, zum Beispiel die erfolgreiche Rechenoperation. Fähigkeit sind ebenso wie alle anderen Potentiale nicht erkennbar.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 19. Okt 2017, 22:38
Halten wir schon mal fest: Um beurteilen zu können, ob X addieren kann, muss man ihm beim wirklichen Addieren zuschauen.
Es ist aber klar: Wenn man einem Flötisten auf der Straße oder in der Kneipe begegnet, kann man unmöglich erkennen, dass es sich um einen Flötisten handelt - er also die Fähigkeit hat, Flöte zu spielen. Um diese Fähigkeit zu erkennen, muss man ihm schon in musikalischen Kontexten begegnen - idealer Weise in solchen, wo er wirklich Flöte spielt. Aber der Flötist hört ja nicht auf, Flötist zu sein, wenn er sein Instrument weglegt. Auch unter der Dusche, auf der Straße, in der Kneipe bleibt er doch Flötist. Und man könnte jederzeit die Probe darauf machen, indem man ihm eine Flöte gibt und ihn zum Spielen auffordert.
Dass man zu ihnen sinnvoll auffordern kann, ist nebenbei ein elementares Merkmal von Handlungen. Zum Stolpern, Niesen, Verdauen kann man niemanden sinnvoll auffordern. Zu Handlungen oder genauer: zu Aktualisierungen von Handlungsschemata sehr wohl. Indem der Akteur einer solchen Aufforderung nachkommt, "beweist" er performativ, also durch die Tat, dass er das entsprechende Handlungsschema "beherrscht", dass er darüber willkürlich verfügt. - Und genau dies: dass der Flötist in diversen passenden, aber eben auch unpassenden Situationen der Aufforderung zum Flötespielen nachkommen kann, ist ein sicheres Indiz dafür, dass seine Fähigkeit kontinuierlich präsent bleibt auch dann, wenn er nicht Flöte spielt.
Man könnte also sagen: Eine Fähigkeit lässt sich willkürlich aktualisieren. Damit ist ja ausgedrückt, dass die Fähigkeit auch im nicht-aktualisierten Zustand existiert.
Ich glaube, alles was Du hier schreibst, ist richtig.Alethos hat geschrieben : ↑Fr 20. Okt 2017, 07:15Eine Technik zu lernen, heisst ja nicht, alles zu lernen, sondern nur eben diese Systematik. Ich will nicht sagen, dass alles auswendig Lernen lernen bedeutet. Aber das Einüben von Techniken, das halte ich in gewissem Sinne für ein Auswendiglernen, oder vielleicht besser: für ein Verinnerlichen.
Oder was heisst lernen, erlernen?
Es gibt ja nicht umsonst diverse Lerntheorien.
Imitationen, Arten der Konditionierung, aber auch Prinzipien/Systematiken selbst zu sehen oder gar neue zu kreieren.
Die Systematiken werden immer komplexer und werden irgendwann zu Regeln und Rollen und wir schaffen es normalerweise in diese Rollen zu schlüpfen.
Genies sehen gerne weitere Abkürzungen, oft so geniale, dass andere ihren Lösungsweg nicht nachvollziehen können. Sie fallen oft im wahrsten Sinne aus der Rolle.
Das Rollenspiel wird aber psychlogisch auch als eher eng gesehen und die nächste Stufe der Rakete wäre, in einigen Situationen, die das sozial erlauben, die Rolle abzustreifen oder zu transzendieren und den Mainstream als etwas zu nutzen, auf dem man surfen kann. Das ist ein sehr interessanter Umschlagpunkt, weil es in unserer Gesellschaft einige Menschen gibt, denen es gelingt, ihre Rollen bei Bedarf zu spielen, dann aber auch, wenn übergeordenete Gründe vorliegen, die man selbst vor seinem Gewissen zu verantworten hat und dies auch annimmt, die Rolle hinter sich zu lassen und andere Prioritäten zu setzen, während eine ebenfalls große (vermutlich größere) Zahl von Menschen im Status das Rollenspielers agiert (freilich oft ohne das zu wissen).
Erschwerend kommt in den letzten Jahren hinzu, dass es eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die mehr oder weniger so wirken, als hätten sie die sozialen Rollen transzendiert, während sie in Wirklichkeit nicht willens oder in der Lage sind, sich irgendwelchen allgemeingültigen Regeln zu unterwerfen (besonders, wenn sie für "alle" gelten). Nicht selten haben diese Menschen eine 'Allergie' gegen jeden Durchschnitt, Mainstream, die Masse und das Mittelmaß, man meint oft Heideggers Ausführungen über "das Man" zu lauschen.
All diese Verhaltensweisen muss man lernen und das ist insofern spannend, weil sich hier kognitive Aspekte des reinen Regelverstehens mit emotionalen Aspekten des Gelten lassens von dem, was man durchaus verstehen könnten überschneiden und durchdringen. Seit einiger Zeit hat man begriffen, dass soziale Kompetenz eine sehr wichtige Eigenschaft ist und der berühmte IQ längst nicht alles ist.
Bei beidem gibt es ganz verschiedene Güteklassen und spezifische Ausfallerscheinungen, blinde Flecke oder Inkompetenzen. Manchmal wird alles erspürt, aber nichts verstanden, andere verstehen alles, fühlen aber nichts. Lernen muss man beides.
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Dann aber ab welcher Komplexitätsstufe, z.B. von mathematischen Formeln, sagst du, dass jemand eine Fähigkeit beherrsche?Tosa Inu hat geschrieben : ↑Fr 20. Okt 2017, 11:20Ich glaube, dass das beides gemischt vorkommt und wir machen, was ökonomischer ist. Rechnungen, die im Alltag immer wieder vorkommen, etwa wenn man in der Bäckerei die Brötchen zu 28 Cent/Stück verkauft, hat man nach ein paar Tagen automatisch drauf. Ansonsten kennt man als Erwachsener jede Menge Prinzipien.
Ob jemand ein Prinzip beherrscht sieht man daran, dass man ihm eine unbekannte Situation präsentiert, auf die er es anwenden müsste.
Selbst wenn wir die Zahl 346.654.345.890.007.468.678.934.564.245.075.234.654.678.987.377.478.995.345.899.884 vermutlich nicht benennen könnten, ohne nachzuschauen, können wir problemlos 1 oder 100 zu ihr addieren.
Dass wie von jemandem sagen, er/sie beherrsche dieses Instrument, hat ja ganz verschiedene Abstufungen: Jemand kann sehr gut Klavier spielen, jemand nur ein paar einfache Stücke. Am potenziellen Handlungsvollzug, sagt Hermeneuticus, erkenne man die Fähigkeit. Nun ja, das sehe ich auch so, aber nach welchem Massstab nehmen wir diese Bewertung vor?
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Wenn er vor einer neuen Aufgabe steht und sozusagen die Transferleistung erfolgreich ist, man das abstrakte Prinzip auf die neue Situation erfolgreich anwendet.
Da gibt es glaube ich nur Pi mal Daumen.Alethos hat geschrieben : ↑Fr 20. Okt 2017, 12:08Dass wie von jemandem sagen, er/sie beherrsche dieses Instrument, hat ja ganz verschiedene Abstufungen: Jemand kann sehr gut Klavier spielen, jemand nur ein paar einfache Stücke. Am potenziellen Handlungsvollzug, sagt Hermeneuticus, erkenne man die Fähigkeit. Nun ja, das sehe ich auch so, aber nach welchem Massstab nehmen wir diese Bewertung vor?
Das ist übrigens der Punkt, den ich in der etwas schwierigen Diskussion mit Tarvoc meinte, man hat in der Regel selbst ein Gespür dafür, wann und ob man etwas kann, beherrscht. Das Lob von außen mag schmeicheln und warm sein, doch oft ist man selbst sein größter Kritiker. Die Kritik der anderen mal beißend sein, doch wenn man weiß, dass man auf der richtigen Spur ist, wird einem das nicht viel ausmachen. Mangelndes Selbstwertgefühl und Narzissmus sind hier schon eingepreist.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)