Dichterische Vernunft

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Timberlake
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Mo 5. Sep 2022, 03:53

AndreaH hat geschrieben :
So 4. Sep 2022, 00:54
María Zambrano begreift die menschliche Vernunft dualistisch – als dichterische und philosophische. Das verächtliche Herabblicken der analytischen razón filosófica auf die erlebende razón poética lehnt sie ab. Denn im bloßen Rationalismus, insbesondere jenem Kants und Hegels, erkennt Zambrano den Verlust „intellektueller Demut“, die einem die Begrenztheit der razón filosófica vor Augen führe. Deshalb brauche es auch stets die razón poética. Denken ist für Zambrano immer dialogisch, weshalb es im Wechselspiel zwischen beiden Vernunftarten die „Gesamtheit des Menschlichen“ umfassen müsse.
-Quelle: Philosophie Magazin-
Wenn Denken immer immer dialogisch ist und zwar im Dilalog zwischen der dichterischen und der philosophischen Vernunftart, was ist dann aber mit denen , die weder zu der einen , noch zu der anderen Vernunftart einen Draht haben? Die können dann doch wohl nur dann denken, wenn man die dichterische, wie auch die philosophischen Vernunftart , so weit abwertet , dass es für diese eher schlichten Gemüter passt. Dann würde man Dichtung und und Philosophie bereits im Alltäglichen verorten müssen. Sei es nun auf der Arbeit , im Gespräch mit Kollegen, beim Einkauf im Supermarkt oder daheim in der Familie , bei der Erziehung der Kinder. ...Das man während all dieser alltäglichen Vorgänge denkt , sollte doch wohl außer Frage stehen. Wie auch außer Frage stehen sollte, dass man dabei zumindest versucht, der Vernunft zu entsprechen.




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Jörn Budesheim
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Mo 5. Sep 2022, 06:57

Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 00:11
Sehe nur ich zwei Grabsteine?
Nein, diese Assoziation hatte ich selbst auch. Ursprünglich wollte ich sogar etwas auf die Steine schreiben, dann wäre das noch stärker gewesen, aber das war mir dann eben zuu stark.




Timberlake
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Mo 5. Sep 2022, 12:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 06:57
Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 00:11
Sehe nur ich zwei Grabsteine?
Nein, diese Assoziation hatte ich selbst auch. Ursprünglich wollte ich sogar etwas auf die Steine schreiben, dann wäre das noch stärker gewesen, aber das war mir dann eben zuu stark.
  • Kurze Randnotiz:

    Der Stein ist von eigenartiger Dignität. Das Alte ist steinalt, der Reiche steinreich, das Solide steinhart, das Beständige in Stein gemeißelt. Die philosophische Mineralogie kennt den lapsis philosophorum, den Stein der Weisen. Der Stein hat eine Konzession fürs Ewige, für den Brückenschlag in saecula saeculorum. Einzig das Fluidum von Ovids gutta cavat lapidem vermag dem Stein etwas anzuhaben und das auch nur unter Beihilfe der Stetigkeit: non vi, sed saepe cadendo, nicht durch Kraft, sondern durch oftmaliges Fallen - was beim steten Tropfen der Fall ist. So bestätigt sich, was in den Attischen Nächten steht: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit - vielleicht das Einzige, "was der Stein vom Augenblick weiß".

    Sehe nur ich zwei Grabsteine?

    Nauplios


Um auf die "Dichterische Vernunft" zurück zu kommen , wie wäre es denn , wenn man dieses Dichterische , als Randnotiz , zu dem Bild mit den beiden Grabsteinen , durch die Vernunft oder besser gesagt Unvernunft ergänzt? Das man als solches , auf einem Grabsteine "Menschheit" und als Erklärung zu dessen Ableben , auf den anderen "Anthropozän" schreibt?

@ Jörn

Wäre das für dich auch .. zuu stark.?

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Sep 2022, 19:46
Ich habe mich heute den ganzen Tag der poetischen Vernunft gewidmet. Im Moment ist für mich Poesie eigentlich die Überschrift für Kunst schlechthin.
Vielleicht sollte man sich mal auch einen ganzen Tag der poetischen Umvernunft widmen? Womit sich "im Moment" , zumindest für mich, die Frage stellt , ob denn auch eine Poesie über Unvernunft , als Überschrift für Kunst "schlechthin" taugt .
  • ...Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit - vielleicht das Einzige, "was der Stein vom Augenblick weiß". bis dann schlussendlich auch die Wahrheit , auf geschrieben auf den Grabstein, diesen Augenblick, mit den letzten Menschen vergisst.




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Jörn Budesheim
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Mo 5. Sep 2022, 14:29

Timberlake hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 12:53
Wäre das für dich auch .. zuu stark.?
Ja, viel zu stark. Das wäre für mich eine wirkliche Verengung.




Nauplios
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Mo 5. Sep 2022, 21:02

"Dieses Lied ist ein Aufruf an die Menschheit, endlich aus ihren Fehlern zu lernen ... " (s. Video oben)

Das Weltgericht tagt wieder. Die Menschheit muß aufgerufen, die Welt gerettet, der Planet saniert, die Schöpfung bewahrt werden.

Ja gut, machen wir derweil mit der Poesie, Literatur und Philosophie Pause bis dieses Ziel erreicht ist.




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Jörn Budesheim
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Mo 5. Sep 2022, 21:06

Ohne Poesie, Literatur und Philosophie und Wissenschaft werden keine Ziele erreichen, denke ich.




Nauplios
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Mo 5. Sep 2022, 21:31

Ich hatte die vermessene Vorstellung, dieser Thread könnte ein klitzekleines Winkelchen werden, in dem ästhetische und sprachkritische Überlegungen zur Philosophie und Dichtung erörtert werden, ohne daß gleich wieder apokalyptische Bilder und Visionen von "zehn Milliarden Augen" und Menetekel in Flammenschrift das Ende der Welt beschwören.

Aber gut. Schnüren wir zunächst ein weiteres Rettungspaket, damit der Planet über den Winter kommt.




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Lucian Wing
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Mo 5. Sep 2022, 22:05

Das Suhlende des Suhlens liegt
Im Schlammgeschenk, das einer gibt.
Die Welt geht unter, das steht fest
Wenn man solch Schenken unterlässt.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Timberlake
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Mo 5. Sep 2022, 22:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 21:06
Ohne Poesie, Literatur und Philosophie und Wissenschaft werden keine Ziele erreichen, denke ich.
Ich denke mal mit der Poesie, Literatur und Philosophie und Wissenschaft verhält es sich , wie mit der Religion ...

  • Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
    Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.
    Karl Marx .. Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie
.. nur mit dem Unterschied , dass dergleichen Opium vornehmlich für das gebildete Volk ist. Gleichsam einer, durch das wirkliche Elend, bedrängten Kreatur , möglicherweise bedarf ja auch das gebildete Volk , der Illusionen und was wäre dazu nicht geeigneter , sich dazu der Poesie, Literatur Philosophie und Wissenschaft zu ergeben. So wäre eine Kritik daran somit gleichfalls .. "im Keim die Kritik des Jammertales" , dessen Heiligenschein möglicherweise eben jene "Dichterische Vernunft" ist , über die wir hier , in diesem Thread diskutieren.
Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 22:05
Das Suhlende des Suhlens liegt
Im Schlammgeschenk, das einer gibt.
Die Welt geht unter, das steht fest
Wenn man solch Schenken unterlässt.
.. die Frage ist doch , ob denn auch geneigt ist , ein solches "Schlammgeschenk" an zu nehmen. Ins besondere , wenn die anderen Geschenke , mit ihrem Heiligenschein , so gänzlich anderer Natur sind.
Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 21:31
Ich hatte die vermessene Vorstellung, dieser Thread könnte ein klitzekleines Winkelchen werden, in dem ästhetische und sprachkritische Überlegungen zur Philosophie und Dichtung erörtert werden, ohne daß gleich wieder apokalyptische Bilder und Visionen von "zehn Milliarden Augen" und Menetekel in Flammenschrift das Ende der Welt beschwören.
.. einer Natur , jenseits apokalyptische Bilder und Visionen von "zehn Milliarden Augen" und Menetekel , die in Flammenschrift das Ende der Welt beschwören.


In Hinblick auf diese "vermessene Vorstellung" sei mir mal als "Suhlender" , ein Zitat von auf Kant erlaubt ...

  • Ein Mensch kann zwar für seine Person, und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten.
    Immanuel Kant .. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?
Zuletzt geändert von Timberlake am Mo 5. Sep 2022, 23:18, insgesamt 1-mal geändert.




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Lucian Wing
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Mo 5. Sep 2022, 23:12

Timberlake hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 22:25

In Hinblick auf diese "vermessene Vorstellung" sei mir mal ein Zitat von auf Kant erlaubt ...

  • Ein Mensch kann zwar für seine Person, und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten.
    Immanuel Kant .. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Da steht: für SEINE Person. Da steht nicht: für die ANDERE Person.
Mal ganz davon abgesehen, dass eine "Pflicht zu wissen" schon wieder impliziert, es wisse einer, was zu wissen Pflicht sei.
Und es steht ebenfalls nichts übers Missionieren hin.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Timberlake
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Mo 5. Sep 2022, 23:36

Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 23:12
Timberlake hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 22:25

In Hinblick auf diese "vermessene Vorstellung" sei mir mal ein Zitat von auf Kant erlaubt ...

  • Ein Mensch kann zwar für seine Person, und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten.
    Immanuel Kant .. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Da steht: für SEINE Person. Da steht nicht: für die ANDERE Person.
Mal ganz davon abgesehen, dass eine "Pflicht zu wissen" schon wieder impliziert, es wisse einer, was zu wissen Pflicht sei.
Und es steht ebenfalls nichts übers Missionieren hin.
Apropos Missionieren... nur mal zur Erinnerung ..
Timberlake hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 12:53
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 06:57
Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 00:11
Sehe nur ich zwei Grabsteine?
Nein, diese Assoziation hatte ich selbst auch. Ursprünglich wollte ich sogar etwas auf die Steine schreiben, dann wäre das noch stärker gewesen, aber das war mir dann eben zuu stark.
  • Kurze Randnotiz:

    Der Stein ist von eigenartiger Dignität. Das Alte ist steinalt, der Reiche steinreich, das Solide steinhart, das Beständige in Stein gemeißelt. Die philosophische Mineralogie kennt den lapsis philosophorum, den Stein der Weisen. Der Stein hat eine Konzession fürs Ewige, für den Brückenschlag in saecula saeculorum. Einzig das Fluidum von Ovids gutta cavat lapidem vermag dem Stein etwas anzuhaben und das auch nur unter Beihilfe der Stetigkeit: non vi, sed saepe cadendo, nicht durch Kraft, sondern durch oftmaliges Fallen - was beim steten Tropfen der Fall ist. So bestätigt sich, was in den Attischen Nächten steht: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit - vielleicht das Einzige, "was der Stein vom Augenblick weiß".

    Sehe nur ich zwei Grabsteine?

    Nauplios


Um auf die "Dichterische Vernunft" zurück zu kommen , wie wäre es denn , wenn man dieses Dichterische , als Randnotiz , zu dem Bild mit den beiden Grabsteinen , durch die Vernunft oder besser gesagt Unvernunft ergänzt? Das man als solches , auf einem Grabsteine "Menschheit" und als Erklärung zu dessen Ableben , auf den anderen "Anthropozän" schreibt?



Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Sep 2022, 19:46
Ich habe mich heute den ganzen Tag der poetischen Vernunft gewidmet. Im Moment ist für mich Poesie eigentlich die Überschrift für Kunst schlechthin.
Vielleicht sollte man sich mal auch einen ganzen Tag der poetischen Unvernunft widmen? Womit sich "im Moment" , zumindest für mich, die Frage stellt , ob denn auch eine Poesie über Unvernunft , als Überschrift für Kunst "schlechthin" taugt .
.. ich habe nicht missioniert , sondern , wie hier unschwer zu erkennen ist , mit der "poetischen Unvernunft" das Thema "poetische Vernunft" mit dessen Gegensatz konfrontiert .
  • Hegels Dialektik
    Für Hegel ist bereits der antike Philosoph Heraklit ein früher Dialektiker. Der Logos als das Prinzip der Welt besteht für Heraklit im Streit (polemos) als „Vater aller Dinge“. Die sich ständig wandelnde Welt ist geprägt von einem Kampf der Gegensätze, vom ewigen Widerspruch der Polaritäten. Im Gegensatz zeigt sich eine „tieferliegende, verborgene Einheit, ein Zusammengehören des Verschiedenen“
Zeigt sich doch lt . Hegel im Gegensatz eine „tieferliegende, verborgene Einheit, ein Zusammengehören des Verschiedenen“




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AndreaH
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Di 6. Sep 2022, 01:32

Timberlake hat geschrieben :
Mo 5. Sep 2022, 03:53
AndreaH hat geschrieben :
So 4. Sep 2022, 00:54
María Zambrano begreift die menschliche Vernunft dualistisch – als dichterische und philosophische. Das verächtliche Herabblicken der analytischen razón filosófica auf die erlebende razón poética lehnt sie ab. Denn im bloßen Rationalismus, insbesondere jenem Kants und Hegels, erkennt Zambrano den Verlust „intellektueller Demut“, die einem die Begrenztheit der razón filosófica vor Augen führe. Deshalb brauche es auch stets die razón poética. Denken ist für Zambrano immer dialogisch, weshalb es im Wechselspiel zwischen beiden Vernunftarten die „Gesamtheit des Menschlichen“ umfassen müsse.
-Quelle: Philosophie Magazin-
Wenn Denken immer immer dialogisch ist und zwar im Dilalog zwischen der dichterischen und der philosophischen Vernunftart, was ist dann aber mit denen , die weder zu der einen , noch zu der anderen Vernunftart einen Draht haben? Die können dann doch wohl nur dann denken, wenn man die dichterische, wie auch die philosophischen Vernunftart , so weit abwertet , dass es für diese eher schlichten Gemüter passt. Dann würde man Dichtung und und Philosophie bereits im Alltäglichen verorten müssen. Sei es nun auf der Arbeit , im Gespräch mit Kollegen, beim Einkauf im Supermarkt oder daheim in der Familie , bei der Erziehung der Kinder. ...Das man während all dieser alltäglichen Vorgänge denkt , sollte doch wohl außer Frage stehen. Wie auch außer Frage stehen sollte, dass man dabei zumindest versucht, der Vernunft zu entsprechen.
Es ist einfach nur der unterschiedliche Weg der genommen wird, der zu einem Ergebnis führen möchte.
Jeder Weg hat seine Konzentration anderes ausgerichtet dies führt zu verschiedenen Ergebnissen. Ist es doch gerade die Vielfalt die bereichert?
Sollte man daher irgendeine Vernunftart abwerten?




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AndreaH
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Di 6. Sep 2022, 02:13

Nauplios hat geschrieben :
So 4. Sep 2022, 23:17
Gleich zu Beginn von Philosophie als strenge Wissenschaft schreibt Husserl: "Eine endgültige Fixierung der wissenschaftlichen Sprache setzte die vollendete Analyse der Phänomene voraus", um alsbald zu dem ernüchternden Befund zu kommen, dieses Ziel liege "in grauer Ferne". (Edmund Husserl; Philosophie als strenge Wissenschaft; S. 24)

Ein alter cartesianischer Idealzustand: Hier die vollendete, auch im Sinne einer an ihr Ende gekommenen, philosophischen Terminologie - dort das dieser Terminologie korrespondierende Ideal der Gewißheit. In einem Eins-zu-Eins-Verhältnis decken sich Sprache und "die Sachen selbst" (Husserl).

Hier ließe sich schon eher von einem "Rationalismus" sprechen, sofern die Vernunft irgendwann sich derart entfaltet hat, daß ihre Begriffe namensgleich jedes Phänomen mit dem höchst möglichen Maß an Genauigkeit erfaßt und durchdringt und der ratio in strenger Methodik zur Gewißheit bringt - irgendwann, "in grauer Ferne".

Und bis dahin?

Das heißt, die strenge Wissenschaft hat eher die Konzentration auf die Genauigkeit und lehnt daher alles was der Genauigkeit Ablenkung verschafft ab?




Nauplios
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Di 6. Sep 2022, 14:19

AndreaH hat geschrieben :
Di 6. Sep 2022, 02:13
Nauplios hat geschrieben :
So 4. Sep 2022, 23:17
Gleich zu Beginn von Philosophie als strenge Wissenschaft schreibt Husserl: "Eine endgültige Fixierung der wissenschaftlichen Sprache setzte die vollendete Analyse der Phänomene voraus", um alsbald zu dem ernüchternden Befund zu kommen, dieses Ziel liege "in grauer Ferne". (Edmund Husserl; Philosophie als strenge Wissenschaft; S. 24)

Ein alter cartesianischer Idealzustand: Hier die vollendete, auch im Sinne einer an ihr Ende gekommenen, philosophischen Terminologie - dort das dieser Terminologie korrespondierende Ideal der Gewißheit. In einem Eins-zu-Eins-Verhältnis decken sich Sprache und "die Sachen selbst" (Husserl).

Hier ließe sich schon eher von einem "Rationalismus" sprechen, sofern die Vernunft irgendwann sich derart entfaltet hat, daß ihre Begriffe namensgleich jedes Phänomen mit dem höchst möglichen Maß an Genauigkeit erfaßt und durchdringt und der ratio in strenger Methodik zur Gewißheit bringt - irgendwann, "in grauer Ferne".

Und bis dahin?

Das heißt, die strenge Wissenschaft hat eher die Konzentration auf die Genauigkeit und lehnt daher alles was der Genauigkeit Ablenkung verschafft ab?
Andrea, ich bin an dieser Stelle mal auf Deine Frage nach der Strenge der Philosophie bei Husserl eingegangen:

"Philosophie als strenge Wissenschaft"




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Di 6. Sep 2022, 14:40

Nauplios hat geschrieben :
Di 6. Sep 2022, 14:19
AndreaH hat geschrieben :
Di 6. Sep 2022, 02:13
Nauplios hat geschrieben :
So 4. Sep 2022, 23:17
Gleich zu Beginn von Philosophie als strenge Wissenschaft schreibt Husserl: "Eine endgültige Fixierung der wissenschaftlichen Sprache setzte die vollendete Analyse der Phänomene voraus", um alsbald zu dem ernüchternden Befund zu kommen, dieses Ziel liege "in grauer Ferne". (Edmund Husserl; Philosophie als strenge Wissenschaft; S. 24)

Ein alter cartesianischer Idealzustand: Hier die vollendete, auch im Sinne einer an ihr Ende gekommenen, philosophischen Terminologie - dort das dieser Terminologie korrespondierende Ideal der Gewißheit. In einem Eins-zu-Eins-Verhältnis decken sich Sprache und "die Sachen selbst" (Husserl).

Hier ließe sich schon eher von einem "Rationalismus" sprechen, sofern die Vernunft irgendwann sich derart entfaltet hat, daß ihre Begriffe namensgleich jedes Phänomen mit dem höchst möglichen Maß an Genauigkeit erfaßt und durchdringt und der ratio in strenger Methodik zur Gewißheit bringt - irgendwann, "in grauer Ferne".

Und bis dahin?

Das heißt, die strenge Wissenschaft hat eher die Konzentration auf die Genauigkeit und lehnt daher alles was der Genauigkeit Ablenkung verschafft ab?
Andrea, ich bin an dieser Stelle mal auf Deine Frage nach der Strenge der Philosophie bei Husserl eingegangen:

"Philosophie als strenge Wissenschaft"
  • "Philosophie als strenge Wissenschaft"

    Die Strenge, die Husserl in seiner kleinen Programmschrift Philosophie als strenge Wissenschaft anspricht, ist nicht zwangsläufig Genauigkeit oder Exaktheit. Strenge meint vor allem, daß der Anspruch der Philosophie, authentisches Wissen zu sein, nicht aufgegeben werden darf. Wahrheits-, Geltungs- und Erkenntnisansprüche lassen sich jedoch nur einlösen, wenn die Philosophie mehr und anderes ist als Weltanschauung, wenn ihr Vorgehen ein methodisches ist und nicht bloß eine Sichtweise, die so oder anders ausfallen kann.
Sollte denn auch , um eine Bzug zum Thema dieses Threads her zu stellen , Dichtung nicht aufgeben , authentisches Wissen zu sein? Zumal wenn man ihr eine Vernunft zuspricht.
  • "Philosophie als strenge Wissenschaft"
    Husserl hat gesehen, daß die großen Fragen des Menschen, die das philosophische Denken ins Spekulative hinüberziehen, die Vernunft zum Überschreiten ihrer Grenzen verlocken (schon Kant hatte diesbezüglich der Vernunft Grenzen aufgewiesen) und mahnt die Strenge der Philosophie an, sofern diese eine Wissenschaft sein will. Gegen Nietzsche, Schopenhauer und Kierkegaard, aber auch gegen die spekulativen Systeme des Deutschen Idealismus fordert Husserl eine sokratische Erneuerung der europäischen Philosophie.

Wenn ja, dann stände vermutlich auch für die Dichtung eine solche sokratische Erneuerung an. Eine sokratische Erneuerung , die womöglich sogar zum Überschreiten der Grenzen der Vernunft verlockt. Stichwort: Zauberlehrling-Szenario



..
O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

...
Herr und Meister, hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
Werd ich nun nicht los.

„In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
Ruft euch nur zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister

Johann Wolfgang Goethe: Der Zauberlehrling

  • "Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister
    Werd ich nun nicht los" .
... was, wenn nicht diese dichterischen Zeilen würden als "authentisches Wissen" , die derzeit "großen Fragen des Menschen" auf den Punkt bringen ? Als Herr und Meister , in dieser Not , würde sich übrigens Kant anbieten. Kant , der mit seinem kategorischen Imperativ für ... „In die Ecke,
Besen! Besen! Denn als Geister Ruft euch nur zu seinem Zwecke, Erst hervor der alte Meister"
... für diesen alten Meister steht. Oder besser noch Nietzsche, dessen Konzept vom Übermenschen solche alten Meister de facto "überflüssig" macht.

So stelle ich mir übrigens eine Synthese aus" dichterische Vernunft" , Philosophie und Wissenschaft vor .




Nauplios
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Di 6. Sep 2022, 15:27

Das Outsourcing meines Beitrags, Timberlake, ist ein Entgegenkommen, genauer gesagt, ein Ausweichen. Damit soll Dir die Möglichkeit gegeben werden, auch in diesem Thread - sofern Andrea als Threadstarterin keine Einwände erhebt - Deine Themen und Fragestellungen zu lancieren: Klimawandel, Abrüstung, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Rettung der Menschheit ...




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AndreaH
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Nauplios hat geschrieben :
Di 6. Sep 2022, 14:19

Andrea, ich bin an dieser Stelle mal auf Deine Frage nach der Strenge der Philosophie bei Husserl eingegangen:

"Philosophie als strenge Wissenschaft"
Danke, Nauplios für deine gute Erklärung. Jetzt ist mir das mit Husserl noch etwas klarer geworden. :)
Könnte man dann auch allgemein sagen, dass diese verschiedenen Strömungen der Philosophie sich in ihren klaren Strukturen bewegen,
während die dichterische Vernunft ein sehr ungebundener freien Weg einschlägt etwas darzustellen, und in vielen Bereichen der Philosophie fließt dieses dichterische ein?




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AndreaH
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Mi 7. Sep 2022, 00:38

Nauplios hat geschrieben :
Di 6. Sep 2022, 15:27
Das Outsourcing meines Beitrags, Timberlake, ist ein Entgegenkommen, genauer gesagt, ein Ausweichen. Damit soll Dir die Möglichkeit gegeben werden, auch in diesem Thread - sofern Andrea als Threadstarterin keine Einwände erhebt - Deine Themen und Fragestellungen zu lancieren: Klimawandel, Abrüstung, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Rettung der Menschheit ...
Alles gut, ;)
bisher war sehr viel anschauliche dichterische Vernunft in den Beiträgen zu finden. :)
Ich würde es aber interessant finden, wenn ein eigener Thread zum Klimawandel entsteht.
@ Timberlake möchtest du einen Thread starten zu dem Thema Klimawandel?
Könnte man sicher wichtige Bereiche beleuchten, vom Bienensterben angefangen über,....




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AndreaH
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Mi 7. Sep 2022, 01:03

In einem Museum las ich einmal den Text:
Unser ganzes Universum hat eine Dimension, die es dem durchschnittlichen menschlichen Verständnis unmöglich macht, Entstehung und Ausbreitung noch zu erfassen. Nur Spezialisten sind noch in der Lage, den heutigen Stand der Forschung und ihre Erkenntnisse "geistig nachzuvollziehen".
Je weiter von uns entfernt umso undurchsichtiger wird (im wahrsten Sinn des Wortes) die Thematik. Deshalb wird an dieser Stelle versucht, mit relativ wenigen Sätzen vereinfacht dargestellte Informationen weiterzugeben. Das hat aber zur Folge, dass die un-endliche Vereinfachung es sehr schwer hat, den Boden der Realität nicht ganz zu verlassen.
Wie das Beispiel mit dem Universum zeigt,
ist manches sehr viel leichter verständlicher, wenn es auf anderem Weg oder in einfacher Weise dargestellt wird.
Doch dazu muss es den Boden verlassen.
Gehören Metaphern zu dem sprachlichen Ausdruck der den Boden verlässt?




Nauplios
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Mi 7. Sep 2022, 15:44

AndreaH hat geschrieben :
Mi 7. Sep 2022, 01:03

Wie das Beispiel mit dem Universum zeigt,
ist manches sehr viel leichter verständlicher, wenn es auf anderem Weg oder in einfacher Weise dargestellt wird.
Doch dazu muss es den Boden verlassen.
Gehören Metaphern zu dem sprachlichen Ausdruck der den Boden verlässt?
Aristoteles behandelt die Metapher in der Poetik und in der Rhetorik. Daraus lassen sich zwei Einsichten gewinnen:

- Die Diskussion über die Metapher gibt es in der Philosophie schon sehr lange.

- Und die Diskussion über die Metapher ist beheimatet im Rahmen einer Diskussion über Kunst (Poesie) und Rhetorik.

Vor Aristoteles hatte sich schon Platon mit den Dichtern und mit den sophistischen Rednern beschäftigt und beiden ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. Die Dichter lügen und den rhetorisch geschulten Rednern geht es nicht um die gerechte Sache ihrer Rede, sondern bloß um Effekte und um Überzeugung. Die Wahrheit spielt weder bei den Dichtern noch bei den Rednern eine Rolle. Die einen erzählen irgendwelche Mythen, den anderen geht es nur ums Geld. - Dem entgegen setzt Platon die Philosophen. Ihnen geht es einzig um die Wahrheit. Und da sie ohnehin am besten Bescheid wissen über die Gerechtigkeit und die Staatskunst, sollten die Philosophen auch an oberster Stelle im Staat sitzen.

Man sieht, daß hier schon sehr früh wie weiland im Paradies zwischen der Schlange und Eva eine Feindschaft zwischen Philosophie und Rhetorik gesetzt wurde. Als Bestandteil der sogenannten Lehre von den Tropen ist die Metapher ein rhetorisches Element und als solches hochgradig verdächtig, nur Vages und Ungefähres zum Ausdruck zu bringen. Auf vage und ungefähre Ausdrücke kann sich eine Philosophie, deren Anspruch auf wahrheitsfähige Aussagen geht, natürlich nicht einlassen. Klar und deutlich soll die Sprache des Philosophen sein, schreibt Descartes, prägnant und eindeutig, nicht schwammig und mehrdeutig.

Heute wird diese Diskussion natürlich anders geführt und auch mehrstimmiger. Sie ist auch nicht auf Philosophie beschränkt. Insbesondere die Literaturwissenschaft, die Sprachwissenschaft, aber auch die Logik (s. oben Gottfried Gabriel) hat sich längst in die Debatte um die Metapher eingeschaltet. Die Metapher ist auch nicht allein beschränkt auf eine bestimmte philosophische Richtung (Christian Strub; Kalkulierte Absurditäten: Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie).

Längst gibt es eine breite Diskussion um "literarische Formen" der Philosophie, um das "Nicht-propositionale", das "Figurative", um "Unbegrifflichkeit" usw.

Die Metapher gilt nicht mehr als ornamentaler Redeschmuck, den man beiläufig verwendet, damit das, was man zu sagen hat, nur schöner klingt und den man auch beiseitelassen könnte, sofern es um die Wahrheit geht. Die Metapher ist unverzichtbar zur Erfassung von Zusammenhängen. Interessant ist an der Stelle u.a. auch die Arbeit von Bernhard Debatin: Die Rationalität der Metapher. Und da wären wir dann bei der Vernunft angekommen.




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