Timberlake hat geschrieben : ↑ Sa 2. Jul 2022, 17:13
- Die sinnliche Gewißheit oder das Diese und das Meinen
An dem reinen Sein aber, welches das Wesen dieser Gewißheit ausmacht und welches sie als ihre Wahrheit aussagt, spielt, wenn wir zusehen, noch vieles andere beiher. Eine wirkliche sinnliche Gewißheit ist nicht nur diese reine Unmittelbarkeit, sondern ein Beispiel derselben. Unter den unzähligen dabei vorkommenden Unterschieden finden wir allenthalben die Hauptverschiedenheit, daß nämlich in ihr sogleich aus dem reinen Sein die beiden schon genannten Diesen, ein Dieser als Ich und ein Dieses als Gegenstand, herausfallen. Reflektieren wir über diesen Unterschied, so ergibt sich, daß weder das eine noch das andere nur unmittelbar, in der sinnlichen Gewißheit ist, sondern zugleich als vermittelt; Ich habe die Gewißheit durch ein Anderes, nämlich die Sache; und diese ist ebenso in der Gewißheit durch ein Anderes, nämlich durch Ich.
Hegel .. Phänomenologie des Geistes
,.. das ist unverständlich ! Ich denke mal daran wird sich selbst Nauplios die Zähne ausbeißen
Der von Timberlake zitierte Abschnitt befindet sich gleich auf der zweiten Seite des Kapitels "Die sinnliche Gewißheit oder das Diese und das Meinen" in der
Phänomenologie des Geistes, in der Hegel-Werkausgabe in Band III, Seite 83.
Um den Text in einem ersten Schritt theoriearchitektonisch einordnen zu können, sind ein paar Vorbemerkungen nötig. Die denkbar kürzeste Formel für Hegels
Phänomenologie des Geistes ist in etwa: Wie kommt es zur Entsprechung von Begriff und Gegenstand? - In unserem Alltagsverständnis sprechen wir auch von einer Übereinstimmung und damit ist man irgendwann bei der bekannten Wahrheitsdefinition angekommen. Sätze sind dann wahr, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Zwischen Sache und dem Wissen von dieser Sache gibt es eine wahre Entsprechung. Gibt es eine solche Entsprechung nicht, sprechen wir von Irrtum, Täuschung usw.
In einem Grundbezug von Sache und Wissen befinden wir uns dabei immer schon, auch ohne daß wir philosophieren.
Innerhalb dieses Grundbezuges gibt es dann die gerade angesprochenen Übereinstimmungen beziehungsweise Irrtümer oder vermeintliche Übereinstimmungen, die sich dann späterhin doch als Irrtümer erweisen. Der Grundbezug trägt gewissermaßen die Übereinstimmungen (auch die Irrtümer).
Die einzelnen Wahrheiten gründen in einer Art Wesensverfassung von Wahrheit; diese Wesensverfassung meint Hegel, wenn er von der Entsprechung von Begriff und Gegenstand spricht, nicht etwa die Wahrheit einzelner Erkenntnisse. Es geht Hegel also nicht darum, ob diese oder jene Einzelerkenntnis wahr ist oder nicht, sondern es geht ihm um die diesen Erkenntnissen vorausliegende Dimension der Wahrheit, die überhaupt erst Einzelerlebnisse (und einzelne Irrtümer) ermöglicht. Er spricht dann auch von der "ontologischen Wahrheit".
Diese Dimension will die
Phänomenologie des Geistes "prüfen". Hegel bleibt allerdings nicht bei dem Verhältnis von Wesen und Sein - weil es letztlich nicht nur um Sachen geht, sondern um die Ontologie der Sachen, spricht Hegel vom "Sein" - stehen, sondern ihn interessiert auch noch eine andere Entsprechung, nämlich die von Erscheinung und Wesen. "Geprüft" wird also genauer das seinbegriffliche Denken. Und diese Prüfung beginnt bei der sinnlichen Gewißheit.
Hier lauert ein erstes Mißverständnis. Husserl, der Begründer der Phänomenologie wird sein Augenmerk auf die "Bewußtseinsphänomene" richten. Hegel dagegen geht es um etwas ganz anderes: um das Seiende im ganzen. Die traditionelle Ontologie wird dabei nicht von außen kritisiert, sondern in Form eines Ganges durch die Seinsgedanken und Seinsvorstellungen, durch eine dialektische Verfahrensweise, durch ein Durchdenken und Offenlegen innerer Widersprüche.
Wenn Hegel also von "sinnlicher Gewißheit" spricht, dann beschäftigt er sich nicht mit sinnlichen Daten, Düften, Klängen, visuellen Eindrücken usw. , sondern sein Interesse zielt ausschließlich auf die Seinsvorstellung ab, die mit der Gewißheit der Sinne verbunden ist. Die sinnliche Gewißheit ist unmittelbares Wissen. Diese Unmittelbarkeit jedoch liegt nicht im sinnlichen Bezug zu den Sachen, im Sehen, Hören usw., sondern in der Seinsvorstellung, die das Sein als einfach und unvermittelt, als nicht Unterschiedenes, als einfach da, denkt.
Es ist eine bestimmte Seinsvorstellung, von der die sinnliche Gewißheit regiert wird. Es ist nicht das, was Husserl später die Evidenz sinnlicher Erfahrung nennt, keine Gewißheit der Sinne als die zuverlässigsten Indikatoren der Gewißheit. Hegel kommt es vielmehr auf das Seinswissen an auf der Ebene dieser sinnlichen Gewißheit. Die Sinnesorgane bleiben außen vor. Die Dialektik des Kapitels über die sinnliche Gewißheit vollzieht sich in mehreren Schritten. Insgesamt werden drei Seinsthesen und ihre drei "Prüfungen" unterschieden.
(Fortsetzung folgt)