Sa 22. Jan 2022, 08:19
Was heißt Absichtslosigkeit in der Kunst?
Am Beispiel einer Zeichnung skizziert. Manchmal habe ich (einfach so) Lust, zu zeichnen, dabei habe ich weder ein bestimmtes Motiv im Sinn, noch einen ausgearbeiteten Plan, was am Ende dabei heraus kommen soll.
In diesem Fall habe ich zwar die Absicht, etwas zu zeichnen, aber es ist offen, wie das Ergebnis aussehen wird. Absichtslosigkeit bedeutet meiner Ansicht nach nicht, dass keinerlei Absichten im Prozess des Zeichens im Spiel. Wenn ich den Spitzer hole, weil der Stift stumpf geworden ist, dann natürlich mit der Absicht, ihn zu spitzen. Das stellt allerdings das Moment der Absichtslosigkeit der Zeichnung nicht in Frage, denn das ist nach meiner Einschätzung gar nicht das, was man mit Absichtslosigkeit meint.
Einer der wesentliche Aspekt ist nach meinem Gefühl, dass wir es mit einem offenen Prozess zu tun haben, bei dem das Ziel nicht von vornherein feststeht. Weder der Prozess des Zeichnens noch das letztliche Ergebnis sind zur Gänze von einer bestimmten Absicht diktiert. Bei einem solchen Prozess haben in der Regel auch Zufälle und ungeplante, unerwartete, glückliche Wendungen ihr Recht. Irgendein Versehen kann der Zeichnung eine ganz andere Richtung geben.
Für die Absichtslosigkeit gibt es keinen festgelegten Plan, keine "heteronome Regel", keine Arbeitsanweisung, der man einfach folgen kann. Wichtig ist (mir) dabei insbesondere das Zusammenspiel zwischen mir und der Zeichnung selbst. In der Zeichnung scheint eine eigene Ordnung auf, der ich zu folgen versuche, eine Ordnung, von der ich eigene Impulse empfange. (Absichtslosigkeit und Autonomie der Kunst können zusammenhängen.)
Das grenzt sich (bewusst oder unbewusst, das will ich offen lassen) von "Produktionsprozessen" ab, die ein eindeutiges Ziel haben, an deren Ende ein bestimmtes, wohldefiniertes (oft: immer gleiches) Produkt steht. Solche Prozesse setzen in der Regel ein bestimmtes Vermögen, also eine (zumeist gelernte und lehrbare) Fähigkeit voraus, wenn man so will: einen Algorithmus. Zur Absichtslosigkeit gehört jedoch, dass sie nicht völlig von einem solchen Algorithmus bestimmt ist, zu ihr gehört, dass sie mit dem unvorhergesehenen zurechtkommen muss. Das nennt der Philosoph Christoph Menke im Anschluss an Nietzsche "das Können des Nichtkönnens".
Die Absichtslosigkeit ist auch verwandt mit der Muße. Die Muße wird manchmal beschrieben als ein "Urlaub" von Zwecken. Man lässt sich einfach frei "treiben". Dabei wird die Muße als einen Wert in sich selbst erlebt. Ihr Wert ist also nicht bestimmt durch das Erreichen eines bestimmten Ziels, einer bestimmten Absicht, denn ihr Wert liegt in ihr selbst.
Dieser Selbstwert ist auch ein wichtiger Bezugspunkt der Absichtslosigkeit. Die Zeichnung, um zu dem Beispiel zurückzukehren, hat ihren Wert nicht, weil sie bestimmte Absichten/Zwecke/Ziele erreicht hat, sondern sie ist für sich selbst genommen der Wert.