PS. zu Elke Heidenreich, Rassismus usw.

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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NaWennDuMeinst
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Do 4. Nov 2021, 21:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 4. Nov 2021, 21:14
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 4. Nov 2021, 21:05
Was ist mit dieser Stimme:

Warum soll ich Weißen automatisch unterstellen, dass sie mich abseits der Norm verorten, wenn sie fragen: „Woher kommen deine Eltern?“ Ich kenne viele Weiße, für die migrantische Eltern völlig normal sind. So eine Einstellung am Äußeren des Gegenübers festzumachen ist für mich irrsinnig.
Das hat Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem Video sehr gut erklärt. Wenn man diese Aufklärung (wie sieht das nennt) ernst nimmt, dann kann man in so einem Gespräch zum Beispiel einfach hinzufügen, dass man selbst migrantische Eltern hat.
Du zitierst einen Menschen bei dem das gar nicht nötig ist , weil der nicht automatisch davon ausgeht (warum sollte er auch?), dass die Frage ihn automatisch abseits der Norm stellt. Das geht also. Man muss das keineswegs automatisch annehmen. Das ist aber eines der Hauptargumente: Nämlich dass die Frage Menschen automatisch abseits der Norm stellt. Wie wir hier aber lesen können ist das keineswegs automatisch der Fall. Vielleicht kann man ja auch mal die Frage stellen ob das eigentlich normal ist sich durch so eine Frage "automatisch abseits der Norm" zu sehen.
Aus "Wo kommst Du her" folgt nämlich nicht zwingend "Du bist abseits der Norm".
Vor allem dann nicht wenn man annimmt, dass wir letztlich alle einen Migrationshintergrund haben.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Do 4. Nov 2021, 21:31, insgesamt 1-mal geändert.



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NaWennDuMeinst
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Do 4. Nov 2021, 21:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 4. Nov 2021, 21:17
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 4. Nov 2021, 21:12
Das ignorierst Du.
Das ignoriere ich überhaupt nicht. Der Autor schreibt jedoch eindeutig, es gibt Kontexte, in denen die Frage ok ist, aber wenn die Hautfarbe das allein Ausschlaggebende ist, dann ist es nicht okay. Das ist der Punkt.
Nein Jörn. Das ist der Punkt auf den Du Dich jetzt stürzt. Aber in der Debatte geht es um viel mehr. Nämlich um die Frage ob man solche Fragen stellen darf. Und diejenigen die diese Frage ablehnen begründen das u.a. damit, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich dadurch ausgegrenzt fühlen. Es gibt aber auch viele Menschen mit Migrationshintergrund auf die das gar nicht zutrifft, die das gar nicht so sehen. Die im Gegenteil die Frage gerne beantworten oder sogar für wichtig halten. Und diese Meinungen sind natürlich genauso wichtig.
Es kann hier nicht nur darum gehen was ein bestimmter Teil der Menschen mit Migrationshintergrund empfindet.

Und indem der Autor eben sagt, dass es Kontexte gibt in denen die Frage ok ist sagt er eben gerade nicht, die Frage sei allein deshalb unangemessen, weil manche Menschen mit Migrationshintergrund sie als "ausgrenzend" empfinden.
Übrigens hat Frau Heidenreich ja auch gar nicht gesagt: "Hören sie mal, sie sind doch farbig. Wo kommen sie denn her?"
Sie hat einfach von der Hauptfarbe darauf geschlossen, dass ein Mensch einen Migrationshintergrund hat. Weil das das Offensichtlichste ist. Ihr deshalb Rassismus vorzuwerfen ist doch albern.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Do 4. Nov 2021, 22:04, insgesamt 3-mal geändert.



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Do 4. Nov 2021, 21:38

Wenn Deutschland ein Einwandererland ist und Europa ein Einwandererkontinent, also genau das was die Anti-Rassismus-Beauftragten immer wieder betonen - wieso geht man dann davon aus, dass die Frage nach der Einwanderungsgeschichte Jemanden "automatisch abseits der Norm stellt"?



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Do 4. Nov 2021, 23:41

Wenn ich in den Spiegel blicke, dann ist es mir nicht (mehr) möglich zu erkennen wo ich ursprünglich herkomme.
Ich weiß meine Mutter wurde in Berlin geboren. Mein Vater kam aus Braunschweig. Wo meine Großeltern herkamen weiß ich nicht.
Meine mir bekannte Einwanderungsgeschichte hört da auf. Dabei würde ich das schon gerne wissen.
Ich habe oft überlegt, ob ich nicht ein wenig Ahnenforschung betreiben sollte. Oder einen Gen-Test machen.
Wer weiß was dabei herauskommen würde. Vielleicht habe ich Vorfahren aus Amerika. Ein Teil meiner Gene kommt vielleicht aus Skandinavien (das würde meinen hellen Hauttyp erklären), ein Teil kommt vielleicht aus dem Osten und die Römer waren zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht auch "involviert". Wahrscheinlich bin ich aus allen vier Himmelsrichtungen gekommen.
Aber ich weiß es nicht. Es macht also auch keinen Sinn mich zu fragen wo ich "ursprünglich" herkomme. Ich kann diese Frage einfach nicht beantworten. Meine Antwort wäre für Jeden der diese Frage an mich richtet eine einzige Enttäuschung.

Umso spannender ist es doch so eine Frage Jemanden zu stellen, der das weiß. Ich kam aus Thailand hierher. Oder aus Marokko. Oder zum Teil aus Spanien und zum Teil aus Brasilien. Ein solcher Mensch hat was zu erzählen, im Gegensatz zu mir.
Das Gebiet in dem wir leben hat alle möglichen Völker gesehen. In all den Jahrtausenden europäischer Geschichte sind Völker aus allen Richtungen hiergekommen und haben hier gesiedelt, haben sich vermischt, haben neue Staaten geründet und sie wieder aufgelöst.

In einem Land, in einer Region in der Einwanderung so normal ist, ist die Frage nach der Einwanderungsgeschichte eines Menschen keine Frage der Ausgrenzung. Es ist die normalste Frage der Welt.
Warum stellen wir sie trotzdem nur bestimmten Menschen? Weil sie etwas dazu sagen können, weil sie sich noch erinnern. Weil ihre Einwanderungsgeschichte jung und präsent ist. Und weil man ihnen das auch ansieht, im Gegensatz zu uns Restlichen, die wir alles vergessen haben. Es gibt uns Einwanderer die vor langer Zeit hierher kamen. Und es gibt uns Einwanderer die wir erst seit Kurzem hier sind. Und wir sind alle die Norm. Denn wir alle waren irgendwann einmal erst seit Kurzem hier. Wir alle sind die Einwanderungsnorm.

Es gibt keinen Grund die Frage nach der Herkunft als "Ausgrenzung" zu begreifen. Sie bedeutet ja genau das Gegenteil.
Sie erkennt an, dass die Geschichte dieser Region eine Einwanderungsgeschichte ist. Eine Geschichte die sich fortschreibt.



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AndreaH
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Fr 5. Nov 2021, 00:56

Vor Jahren hatte ich einen Arbeitskollegen mit dunkler Hautfarbe. Jeder wußte, dass er aus Haiti kam, weil die Menschen fragten woher er kam.
Keiner machte sich irgendwelche Gedanken, ob es ihn verletzen könnte und man redete sehr offen über alles. Da jeder der ihn fragte, ein ehrliches Interesse hatte, ihn als Mensch zu begegnen. Zum Glück, hatte niemand Hemmschwellen ihn zu fragen.
Durch die Frage nach seiner Herkunft entstand etwas Wunderbares. Der Verein "Hand in Hand" wurde gegründet, der im Land Haiti tolle Projekte aufbaute. Beispielsweise einen Kindergarten. Es war nicht so das dieser Verein einfach finanzielle Leistungen erbrachte. Ich kann mich erinnern, dass viele nach Haiti selbst geflogen sind und beim Bau mit angepackt haben.




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Stefanie
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Fr 5. Nov 2021, 06:06

Es wäre schön, wenn Deutschland sich wirklich als Einwanderungsland begreifen würde.
Das ist aber nicht der Fall.
Deutschland war ein Auswanderungsland. In den USA z.B. leben viele viele Nachfahren deutscher Einwanderer. Etliche Produkte, die wir als typisch amerikanisch ansehen, wurden von deutschen Einwanderern entwickelt, Levi's und Heinz z.B.
Erst nach dem 2. Weltkrieg ging das mit den einwandern nach Deutschland los. Die Anwerbeabkommen mit der Türkei und Italien sind aus dem Jahr 1955. Gastarbeiter nannte und nennt man sie, also Menschen, die nicht gekommen sind, um zu bleiben. Das wirkt sich bis heute aus.
Vorher war da nichts mit einwandern nach Deutschland und schon garnicht durch Menschen mit anderer Religion und anderer Hautfarbe.

Väterlicherseits hat mein Vater es bis zu meinen Ur Ur Urgrosseltern zurückverfolgt. Norddeutscher Raum. Einige sind ausgewandert in die USA, von denen wir nicht mehr wissen. Mütterlichseits wissen wir es bis zu meinen Urgrosseltern, aus dem Gebiet Pommern bis 1945, heute Polen.



Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
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(Sesamstraße)

Nauplios

Fr 5. Nov 2021, 10:35

20211104_133822.jpg
20211104_133822.jpg (2.03 MiB) 6040 mal betrachtet
Bevor ich ein wenig auf das Buch eingehe, hier zunächst ein Interview, das "ZEIT CAMPUS" vor zwei Jahren mit der Autorin führte:

Für Weisse fühlt sich Gleichberechtigung nach Unterdrückung an

Darin sagt Alice Hasters u.a.:

"Mir war es wichtig, dass die Menschen durch mein Buch verstehen, dass Rassismus überall in unserer Gesellschaft und in jeder Person vorhanden ist."

"Natürlich gibt es hinsichtlich des Gewaltausmaßes oder der Intention Unterschiede, also zwischen nicht böse gemeinten Handlungen und rechtsextremen gewaltvollen Übergriffen. Doch es gibt eben auch viel Spielraum dazwischen. Und alles entspringt dem gleichen Denken, dass weiße Menschen mehr wert sind als schwarze."

Rassismus ist "überall in unserer Gesellschaft" vorhanden und "in jeder Person". - Wenn die Autorin von ihren Alltagserfahrungen spricht, dann hat das natürlich eine Authentizität, die ich nicht in Zweifel ziehen will. Es schreibt eine Journalistin, keine Philosophin, keine Soziologin. Das Buch ist ein persönlicher Erfahrungsbericht. Wenn man etwas beobachtet, muß man Unterscheidungen treffen. In der Sprache der Systemtheorie heißt das:

"Beobachtung ist die Einheit der Differenz von Unterscheidung und Bezeichnung. Sie ist eine unterscheidende und das Unterschiedene zugleich bezeichnende Operation des Beobachters. Ein System, welches beobachtet, kann nur etwas bezeichnen, wenn es zuvor das Bezeichnete von etwas anderem unterschieden hat. Dies setzt die Fähigkeit von Wahrnehmung voraus." (Quelle)

Eine solche Unterscheidung könnte sein rassistische Person/nicht-rassistische Person. Ein System (etwa ein Bewußtsein) kann nur etwas bezeichnen (rassistische Person), wenn es zuvor das Bezeichnete von etwas anderem (nicht-rassistische Person) unterschieden hat. Dieses "Andere" - wie immer man es benennen will, ob nun "nicht-rassistische Person" oder "aufgeklärte Person" oder wie auch immer - kann auch beobachtet werden; dann muß die zweite Seite der Unterscheidung bezeichnet werden. Ohne Unterscheidung und Bezeichnung keine Beobachtung.

Mit welcher Unterscheidung beobachtet man, daß "Rassismus (...) in jeder Person vorhanden ist"? - Die Beobachtung, daß Rassismus in jeder Person vorhanden ist, "beobachtet" mit einer Unterscheidung, die nichts unterscheidet. Es gibt gar keine "unterscheidende und das Unterschiedene zugleich bezeichnende Operation des Beobachters". Was wird unterschieden, wenn nichts unterschieden wird? - Ein Phänomen wie Rassismus kann nicht beobachtet werden, wenn es "überall in unserer Gesellschaft" und "in jeder Person" vorkommt. Um das beobachten zu können, bräuchte es eine Unterscheidung von "Gesellschaft" und "etwas anderem als Gesellschaft" bzw. eine Unterscheidung von "jede Person" und "etwas anderem als jede Person".

Zugespitzt: Wenn es "überall" Rassismus gibt, gibt es nirgendwo Rassismus, denn "überall" ist nur beobachtbar außerhalb und von anderswo eines "überall", mithin von nirgendwo.

"Überall" und "in jeder Person" können nur "Geschmacksverstärker" sein, welche die Dramatik des Befundes vor Augen führen sollen. Diese Dramatik, die auf authentische Erfahrungen basiert, will ich gar nicht in Zweifel ziehen. Ich kann sie durchaus annehmen, auch beherzigen. Mein Einwand ist auch nur ein milder, aber das ist mir beim Lesen des Interviews und der ersten Seiten im Buch aufgefallen.




Nauplios

Fr 5. Nov 2021, 10:53

"Natürlich gibt es hinsichtlich des Gewaltausmaßes oder der Intention Unterschiede, also zwischen nicht böse gemeinten Handlungen und rechtsextremen gewaltvollen Übergriffen. Doch es gibt eben auch viel Spielraum dazwischen. Und alles entspringt dem gleichen Denken, dass weiße Menschen mehr wert sind als schwarze." (Alice Hasters im oben verlinkten Interview)

Ich hab' das vorhin nicht kommentiert, es bekommt aber durch die gestrigen Erinnerungen an die NSU-Morde eine gewisse Aktualität: "alles entspringt dem gleichen Denken ..." -

Das heißt zwischen den "nicht böse gemeinten Handlungen" und den aus rassistischen Motiven heraus verübten NSU-Morden ("rechtsextreme gewaltvolle Übergriffe") besteht ein Denkkontinuum ("viel Spielraum"), nämlich daß in beiden Fällen "weiße Menschen mehr wert sind als schwarze"?

Hinsichtlich "des Gewaltausmaßes oder der Intention" macht die Autorin "Unterschiede" (hier beobachtet sie mit der Unterscheidung Gewalt/gewaltlos) - hinsichtlich des "Denkens" nicht ("alles entspringt dem gleichen Denken").




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Friederike
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Fr 5. Nov 2021, 14:10

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 4. Nov 2021, 21:38
[...] - wieso geht man dann davon aus, dass die Frage nach der Einwanderungsgeschichte Jemanden "automatisch abseits der Norm stellt"?
NWDM hat geschrieben : Sie [E. Heidenreich] hat einfach von der Hauptfarbe darauf geschlossen, dass ein Mensch einen Migrationshintergrund hat. Weil das das Offensichtlichste ist. [...]
Wenn man aufgrund der Hautfarbe einer Person nach ihrer Herkunft fragt, dann bedeutet dies, daß sie, die Hautfarbe nicht der Norm entspricht. Den Kollegen X, der eine weiße Hautfarbe hat, fragt man aufgrund seiner Hautfarbe nicht nach dessen Herkunft. Man kommt nicht einmal auf die Idee, weil die weiße Hautfarbe selbstverständlich ist.

Die offizielle Sprachregelung bezeichnet bestimmte Gruppen von Personen als "Menschen mit Migrationshintergrund". Die Entsprechung "Menschen ohne Migrationshintergrund" gibt es nicht. Die Norm sind aus diesem Grunde die Menschen ohne Migrationshintergrund. Das Besondere, das, was als das "Andere" markiert wird, sind die Menschen mit Migrationshintergrund.




Nauplios

Fr 5. Nov 2021, 14:40

Man kann mit der Unterscheidung "Menschen mit Migrationshintergrund"/Menschen ohne Migrationshintergrund" beobachten oder "Geimpfte/Ungeimpfte" oder "Gesunde/Kranke" oder "Gläubige/Ungläubige", "asylberechtigt/nicht-asylberechtigt" ...

Wenn man beobachten will, muß man Unterscheidungen machen ... Alte/Junge ... Schüler/Lehrer ... Große/Kleine .... Kriminell/Nicht-Kriminell ... Mord/Totschlag ... Dicke/Dünne ... Behinderte/Nicht-Behinderte (bereits bei der Parkplatzsuche) ... - Werden gar keine Unterscheidungen mehr gemacht, kann man Zeichen von Flecken, Zahlen von Buchstaben, heiß von kalt, gerecht von ungerecht, Spaziergang von Flucht, Wasser von Erde ... nicht mehr unterscheiden. Die Welt bestünde dann günstigstenfalls aus Rauschen.

Was ist mit "Schwarze/Weiße"? -




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Friederike
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Fr 5. Nov 2021, 15:02

Nauplios hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 14:40
[...] Werden gar keine Unterscheidungen mehr gemacht, kann man Zeichen von Flecken, Zahlen von Buchstaben, heiß von kalt, gerecht von ungerecht, Spaziergang von Flucht, Wasser von Erde ... nicht mehr unterscheiden. Die Welt bestünde dann günstigstenfalls aus Rauschen. Was ist mit "Schwarze/Weiße"? -
Wenn weißhäutige Menschen in D andere weißhäutige Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe nicht nach ihrer Herkunft befragen, kann man diesem Umstand entnehmen, daß "weiß" in D die Norm ist. "Schwarz" ist das Besondere. Weiter reicht meine Feststellung nicht, denn der meiner Meinung nach entscheidende Punkt ist die Koppelung der beiden Hautfarben an Höher- und Minderwertigkeit. Und an dieser Stelle weiß ich -noch- nicht weiter. Denn "Norm" und "Normabweichung" besagen nichts über die Bewertung des Unterschiedenen und auch nichts über die Bewertung der Unterscheidung an sich - glaube ich.




Nauplios

Fr 5. Nov 2021, 15:15

Man kann auch Unterscheidungen ihrerseits beobachten, etwa so:

Die Unterscheidung "asylberechtigt/nicht-asylberechtigt" ist unzweckmäßig; die Wirtschaft braucht Arbeitskräfte. Dann beobachtet man nicht mit der Unterscheidung "asylberechtigt/nicht-asylberechtigt", aber man beobachtet mit einer anderen Unterscheidung: vorteilhaft/unvorteilhaft.

Selbstverständlich kann man auch Unterscheidungen mit der moralischen Unterscheidung "gut/böse" beobachten: "Arier/Nicht-Arier" ... "lebensunwertes Leben/lebenswertes Leben" ... Aber auch das setzt Beobachten durch Unterscheiden und Bezeichnen einer Seite des Unterschiedenen voraus, in diesem Fall "gut/böse".




Nauplios

Fr 5. Nov 2021, 15:40

Worauf es mir im Moment eigentlich nur ankommt, ist, daß Beobachtung Unterscheidung vorausgesetzt und daß Beobachtungen mit Hilfe anderer Unterscheidungen beobachtet werden können. - Wenn nun Rassismus "überall" ist und "in jeder Person" und "alles dem gleichen Denken entspringt", dann gebe ich gleichsam die Errungenschaft der Unterscheidung, mit der ich beobachten will, noch vor ihrer ersten Anwendung wieder auf. Ich verhalte mich dann wie ein Mann, der vor einer Tür steht und sie nicht aufbekommt, weil er mit der einen Hand zieht und mit der anderen drückt.

Das ist meine Beobachtung, die des "kalten Herzens". ;)




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Fr 5. Nov 2021, 17:06

Nauplios hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 15:40
[...] Das ist meine Beobachtung, die des "kalten Herzens". ;)
Ja. Du setzt Dich mit dem Buch von Hasters auseinander.

Und ich bin gerade soweit gekommen festzustellen, daß die Frage nach der Herkunft -hierzulande einem Menschen mit sehr dunkler Hautfarbe gestellt- die Aussage "Sie sind anders" impliziert. Das kann nun von den Befragten als Stigma oder als Auszeichnung empfunden werden (oder auch nur als nervig oder angenehm). Aufgrund der Geschichte liegt die Stigmatisierung näher.




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Fr 5. Nov 2021, 17:59

Friederike hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 17:06
Nauplios hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 15:40
[...] Das ist meine Beobachtung, die des "kalten Herzens". ;)
Ja. Du setzt Dich mit dem Buch von Hasters auseinander.

Und ich bin gerade soweit gekommen festzustellen, daß die Frage nach der Herkunft -hierzulande einem Menschen mit sehr dunkler Hautfarbe gestellt- die Aussage "Sie sind anders" impliziert.
Er ist ja auch anders. Und? Ich bin ja auch anders als Du. Das festzustellen macht weder Dich noch mich zu Rassisten.
Im Prinzip kannst Du jeden hier nach seinen Wurzeln fragen. Mach es doch einfach. Du wirst dann aber etwas feststellen. Bei bestimmten Menschen bekommst Du einfach keine sinnvolle Antwort.
Viele werden dir sagen : "Ich kenne meine Wurzeln nicht". Wohingegen Du bei Menschen mit bestimmten Körpermerkmalen (Hautfarbe, Augenform usw) viel eher eine Einwanderungsgeschichte hören wirst.
Die Einteilung oder Unterteilung wird also nicht aus rassistischen Motiven heraus vorgenommen, sondern weil sie zweckmäßig ist. Ich frage einfach den, von dem ich am ehesten eine sinnvolle Antwort erwarte.
So wie man Menschen die noch alle Gliedmaßen besitzen nicht nach Amputationserfahrungen fragt, weil nicht zu erwarten ist, dass die was dazu sagen können.
Niemand würde z.B. eine Umfrage zu Amputationserfahrungen starten und dann wahllos Menschen befragen. Man fragt natürlich die, die etwas dazu sagen können.
In der U-Bahn hängen Plakate, auf denen übergewichtige Menschen gesucht werden um an einer Studie teilzunehmen. Werden hier Dicke oder Dünne diskriminiert, weil man hier nach körperlichen Merkmalen unterscheidet und nur solche Menschen befragt (oder nicht befragt), die bestimmte körperliche Merkmale aufweisen?

Das ist das Eine.
Das Andere ist, dass mit einer Einteilung nicht zwingend eine Wertung einhergeht. Wenn ich feststelle dass Du eine Frau bist und ich ein Mann und wir uns darin unterscheiden, dann beinhaltet diese Feststellung noch lange kein Urteil der Art "Männlich gut" und "weiblich schlecht". Solche Wertungen können mitschwingen, das ist aber nicht zwingend so.

Und was jetzt die Norm angeht: Norm ist es, dass es in diesem Land Menschen gibt, die eine junge Einwanderungsgeschichte haben (viele von ihnen erkennt man an bestimmten Körpermerkmalen) und dass es Menschen gibt deren Einwanderungsgeschichte lange zurück liegt. Einwanderung ist hier die Norm, ist das Normale, auch wenn die meisten ihre Einwanderungsgeschichte nicht (mehr) kennen.



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Fr 5. Nov 2021, 18:37

Nauplios hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 15:40
Worauf es mir im Moment eigentlich nur ankommt, ist, daß Beobachtung Unterscheidung vorausgesetzt und daß Beobachtungen mit Hilfe anderer Unterscheidungen beobachtet werden können. - Wenn nun Rassismus "überall" ist und "in jeder Person" und "alles dem gleichen Denken entspringt", dann gebe ich gleichsam die Errungenschaft der Unterscheidung, mit der ich beobachten will, noch vor ihrer ersten Anwendung wieder auf. Ich verhalte mich dann wie ein Mann, der vor einer Tür steht und sie nicht aufbekommt, weil er mit der einen Hand zieht und mit der anderen drückt.
Das hast Du schön formuliert, und was ich jetzt sage lege ich Dir nicht in den Mund, das ist nur meine Meinung.
Ich finde diejenigen die hier in Deutschland überall rassistische Strukturen und Denkmuster erkennen hängen selber in diesen Strukturen und Mustern fest.
Das ist vielleicht so eine Art "Betriebsblindheit" oder auch selektives Sehen.
Damit will ich nicht sagen, dass es diese strukturellen Probleme nicht gibt. Doch. Die gibt es. Das sehe ich auch.
Aber bisweilen sieht man hier auch Gespenster, weil der Geist aufs Gespenstersehen trainiert wurde.
Wer mit der Theorie im Kopf, dass überall versteckte Strukturen lauern, die Welt betrachtet, der sieht irgendwann auch nur noch versteckte Strukturen.
Der sieht dann hinter jeder noch so belanglosen Geste und Interaktion das vermeintliche "Dahinter".
Bei der "Aufdeckung" dieser Strukturen schiesst der Eine oder die Andere übers Ziel hinaus, sieht dann vielleicht auch Dinge die gar nicht da sind, oder zumindest auch anders interpretiert werden können.

Das ist auch nicht verwunderlich. Wer wie Frau Hasters ein ganzes Leben lang Rassismus erlebt hat, der sieht dann irgendwann auch nichts mehr anderes.
Verübeln kann man das diesen Menschen nicht. Und die Frau liegt ja nun auch nicht vollends daneben. Das kommt ja noch hinzu.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Fr 5. Nov 2021, 18:45, insgesamt 1-mal geändert.



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Stefanie
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Fr 5. Nov 2021, 18:43

Sind wir jetzt an dem Punkt, an dem Menschen, die benachteiligt und diskriminiert werden, selber daran schuld sind?



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NaWennDuMeinst
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Fr 5. Nov 2021, 18:49

Stefanie hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 18:43
Sind wir jetzt an dem Punkt, an dem Menschen, die benachteiligt und diskriminiert werden, selber daran schuld sind?
Die die wirklich benachteiligt und diskriminiert werden sind natürlich nicht selber dran schuld.
Aber nicht jede behauptete Diskriminierung ist auch eine. Und nicht jeder Rassismusvorwurf ist berechtigt.

Das ist ähnlich wie die Debatte mit der Gewalt gegen Frauen. Natürlich hätten die Opfer von Vergewaltigungen es gerne, dass allein ihr Wort zählt.
Aber so geht das nicht. Eine Vergewaltigung lag dann vor, wenn eine Vergewaltigung vorlag. Und sie liegt nicht einfach und schon allein deshalb vor, weil das Opfer das behauptet oder das so empfindet.



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Fr 5. Nov 2021, 19:00

Stefanie hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 06:06
Es wäre schön, wenn Deutschland sich wirklich als Einwanderungsland begreifen würde.
Das liegt doch nur an den Menschen selber. Ich finde historische Indizien dafür gibt es genug.
Schau Dir doch die Geschichte dieser Region an. Von allen Seiten sind die Menschen nach Zentraleuropa eingewandert.
Und das machen sie heute noch genauso. Daran hat sich gar nichts geändert.
Stefanie hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 06:06
Erst nach dem 2. Weltkrieg ging das mit den einwandern nach Deutschland los.
Nein. Das was Du beschreibst ist nur eine Welle in einer großen Anzahl von Wellen, sozusagen eine Welle in der jüngeren Geschichte.
Die Deutschen sind aus allen Richtungen in die Region gekommen in der heute Deutschland liegt.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Fr 5. Nov 2021, 19:04, insgesamt 1-mal geändert.



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Fr 5. Nov 2021, 19:04

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Fr 5. Nov 2021, 18:37
[...] Damit will ich nicht sagen, dass es diese strukturellen Probleme nicht gibt. Doch. Die gibt es. Das sehe ich auch. [...]
Dann erbringt es mehr an Erkenntnis, diesen Punkt zu thematisieren und sich nicht mit Übertreibungen und aufgeblasenen Luftballons zu befassen.




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