PS. zu Elke Heidenreich, Rassismus usw.

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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Di 2. Nov 2021, 06:25

Mai Thi Nguyen-Kim hat geschrieben : #2 Die Absicht ist wichtig.

Aus Unwissenheit können wir andere verletzen, z.B. weil wir nicht wissen wie sich andere fühlen.

Trotzdem ist es wichtig, ob ich die Absicht habe, Jemanden zu verletzen oder nicht.

...

Das ist doch nicht egal.

(Zitiert nach nwdm)
Aikins hat geschrieben : »Problematisch ist in Deutschland das verengte Verständnis von Rassismus. Sehr viel gewonnen wäre bereits, wenn die Menschenrechte und insbesondere die UN-Antirassismus-Konvention zugrunde gelegt würden, wann wir es mit Rassismus zu tun haben – immerhin hat Deutschland sich schon vor 40 Jahren verpflichtet, dieses Menschenrecht umzusetzen. Das geschieht leider nicht. Hierzulande wird zu oft die persönliche Meinung, genauer die herabsetzende Absicht, als maßgeblich für die Frage angesehen, ob Rassismus vorliegt. Dabei fallen all jene Fälle hinten runter, in denen der Täter zwar keine rassistische Absicht verfolgte, aber dennoch eine solche Wirkung auslöste. Ebenso unberücksichtigt bleibt die institutionelle rassistische Diskriminierung. Beides ist menschenrechtlich ganz klar als rassistische Diskriminierung definiert.«
Das ist nur ein Beispiel, andere Autor:innen argumentieren ähnlich. Aikins sagt hier hier ja nicht, dass die Absicht in jeder Hinsicht egal ist. Sondern er moniert, dass die Absicht oftmals als die Maßeinheit schlechthin genommen wird. Als würde sich daran alles entscheiden. Bei den anderen Autor:innen habe ich es nach meiner Erinnerung genauso gelesen. Nicht wird behauptet, dass die Absicht völlig egal ist, sondern dass die verletzende Wirkung auch bei bester Absicht eintreten kann. Und das sagt Mai Thi Nguyen-Kim genau so auch: "Aus Unwissenheit können wir andere verletzen."

Alice Hasters beschreibt in ihrem Buch sehr anschaulich über die inneren Kämpfe die sie ausficht, wenn ihr so etwas begegnet. Die Frage nach der Absicht spielt dabei natürlich auch eine große Rolle. Aber auch mit bester Absicht und aus Unwissenheit können wir andere verletzen.

Wie die angesprochene Person zu der Frage steht, das wissen wir nämlich nicht. Das ist der erste Punkt, den Mai Thi Nguyen-Kim geltend macht, von dem sie hofft, dass man sich ganz allgemein darauf einigen kann:
#1 Wir können nicht wissen, wie andere sich fühlen.
Natürlich wissen wir oft recht gut, wie andere sich fühlen. Ich schätze mal, gemeint sind eher Fälle, wie sie Elke Heidenreich beschreibt im Gespräch mit dem fremden Taxifahrer. Und auch hier ist es natürlich gut denkbar, dass man aus dem Kontext heraus ziemlich gut abschätzen kann, dass der Gesprächspartner die Frage nach der Herkunft okay findet. Aber es gibt eben auch sehr viele Fälle, wo wir bei Wildfremden einfach nicht wissen können wie sie sich fühlen, wenn sie diese Frage gestellt bekommen. Mai Thi Nguyen-Kim beschreibt schließlich auch sehr anschaulich, warum genau diese Frage problematisch ist! Es geht dabei schließlich nicht um irgendwelche idiosynkratischen Empfindlichkeiten. Im Gegenteil, was sie sagt ist sehr gut begründet und auch sehr gut nachvollziehbar.

Und jetzt muss man nur noch eins und eins zusammenzählen, um zu erkennen, was an dem, was Elke Heidenreich gesagt hat, daneben ist. Sie sagt: "wenn einer aussieht wie sie [Sarah-Lee Heinrich], dann frage ich natürlich, wo kommen sie her." Mai Thi Nguyen-Kim: "Aus Unwissenheit können wir andere verletzen, z.B. weil wir nicht wissen, wie sich andere fühlen."




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 06:25
aus Unwissenheit können wir andere verletzen.
Aber das ist immer so.
Wenn wir unter allen Umständen vermeiden wollen andere zu verletzen, dann können wir das Kommunizieren einstellen.
Natürlich soll man mit Gespür kommunizieren. Natürlich ist Empathie wichtig.
Deshalb sage ich ja, wenn man merkt, dass dem anderen die Fragerei unangenehm ist, dann sollte man auch nicht weiter nachbohren.
Aber wir können ja nicht alle Fragen auf der Welt als unzulässige Fragen betrachten, nur weil sie irgendwen verletzen könnten.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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Jörn Budesheim
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 07:48
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 06:25
aus Unwissenheit können wir andere verletzen.
Aber das ist immer so.
Deswegen ist es auch so wichtig aus Unwissenheit Wissen zu machen, denn ...
Mai Thi Nguyen-Kim hat geschrieben : #4 Aufklärung ist die einzige Lösung gegen Unwissenheit
Das ist das, was die verschiedenen Autor:innen eint. Sie versuchen aufzuklären, indem sie gut nachvollziehbar machen und gut begründen, warum die Frage nach der Herkunft (zum Beispiel) als "Ausgrenzung im eigenen Heimatland" erlebt werden kann.
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 07:48
Natürlich ist Empathie wichtig.
Aber dazu gehört meines Erachtens auch, diese Begründungen und Erläuterungen zu beachten.

Ich will mich noch mal wiederholen: Wichtig ist, dass Mai Thi Nguyen-Kim und die anderen Autor:innen ihre Sicht nach meiner Einschätzung jeweils sehr gut begründen. Denn oft (hier auch schon) wird stattdessen behauptet, es ginge um Reglementierung, Verbot und Diskurspolizei.




Nauplios

Di 2. Nov 2021, 09:32

Nauplios hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 19:08

Was das Zutrauen betrifft - das Zeitalter der Aufklärung war eines der Erziehungstraktate. Pädagogik folgt der Aufklärung.
Im Nachgang zur Frage nach der Herkunft gibt es ja vielleicht auch noch andere Fragen, Verhaltens- und Haltungsfragen, die nerven, verletzen ... Mein Body-Mass-Index entspricht nicht dem, was die Ernährungswissenschaft für angemessen hält. Der Wunsch "Guten Appetit" mag ja nett gemeint sein, aber ...




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Di 2. Nov 2021, 10:15

Eine gut eingeführte Methode ein Thema zu ridikülisieren und damit scheinbar abgehandelt zu haben. Damit hat man z.B. schon x-mal "die EU zerlegt" - lol - ("Krümmungsnorm von Bananen" u.ä. "Argumente" gegen die EU).




Nauplios

Di 2. Nov 2021, 10:20

Um Reglementierung, Verbot und Diskurspolizei geht es nicht, wenn man aus Rücksichtnahme und aus dem Wissen um eine mögliche Verletztheit die Herkunftsfrage nicht stellt. Ich würde sie nach der öffentlichen Debatte, die es gegeben hat, nach den Zitaten aus den diversen Quellen und Videos nicht stellen - es sei denn, die Vertrautheit mit der Person wäre gewachsen genug und der Kontext angemessen für die Frage. -

Eigentlich ist das alles längst abgeräumt.

Regglementierung, Verbot und Diskurspolizei sind am Werk, weil es noch um etwas anderes geht: Andere (NaWennDuMeinst, Burkart ...) sollen sich genauso verhalten. Das müssen sie aber nicht. Aber sie sollen es. Sie werden aufgefordert, ihr Verhalten zu ändern. Meinetwegen können NaWennDuMeinst und Burkart und Frau Heidenreich anders verfahren und die Herkunftsfrage stellen - auch wenn ich sie nicht stelle. Ich muß sie nicht nach meinem Bild formen. Sie sind nicht auf der Welt, um so zu sein, wie andere sie haben wollen. Sie können selbst entscheiden, welche Fragen sie wem wann stellen. Sie können zuhören und (wie ich) dazu übergehen, auf die Herkunftsfrage zu verzichten. Sie können auch ihr Verhalten nicht ändern und die Herkunftsfrage weiterhin stellen. Beides ist möglich. Lassen wir sie selbst entscheiden. Sie haben Erfahrungen mit dieser Frage gemacht und womöglich werden sie künftig weitere Fragen damit machen, vielleicht andere als bisher. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt sich dafür entscheiden, so weiter zu machen wie bisher, dann geht mich das gar nichts an.

Die von Burkart gestellte Frage "Wer entscheidet das?" läßt sich so beantworten: Menschen sind frei. Sie entscheiden selbst, wen sie wann wonach fragen.

Svenja Flaßpöhler monierte am Sonntag in ttt, daß es nicht mal mehr erlaubt sei, das N-Wort zu zitieren! - Ein prominentes Beispiel war im Wahlkampf Annalena Baerbock, die das N-Wort nicht gebrauchte, sondern zitierte. Prompt gab's den Shitstorm: Rassismus.

Ich gebrauche das N-Wort nicht. Aber wenn die Kanzlerkandidatin der Grünen sich gegen den Vorwurf des Rassismus verteidigen muß, weil sie das N-Wort ZITIERT hat, dann sind drei Dinge am Werk: Reglementierung, Verbot und Diskurspolizei. Ebenso, wenn Sarah-Lee Heinrich mit diesem Vorwurf überzogen wird. Es wird herausgekramt, was ein Tennie mit 13 geschrieben hat, um den Menschen mit 20 dann fertigmachen zu können. Shitstorms sind der Versuch, einen Menschen in seinem Beruf, in seiner öffentlichen Reputation, in seinem Ruf ein für allemal zu erledigen.

"Twitter gehört eindeutig verboten", sagt Markus Gabriel. Twitter gehört nicht verboten. Twitter gehört zum Gegenstand einer medientheoretischen Diskussion gemacht, in der deutlich wird, daß es sich dabei um ein Medium handelt, welches Hass in die Gesellschaft trägt.




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Jörn Budesheim
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Di 2. Nov 2021, 10:38

Nauplios hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 10:20
Sie werden aufgefordert, ihr Verhalten zu ändern.
Das würde zu nichts führen, außer, dass es irgendwann unter der Oberfläche brodelt, weil man Dinge tut, die man nicht einsieht und versteht. Es geht stattdessen eben um Einsicht und Verständnis. Das ist nach meinem Gefühl der Grund, warum zum Beispiel Mai Thi Nguyen-Kim das Video gemacht hat. Es geht darum, zu verstehen und zu fühlen, worum es bei dem Thema überhaupt geht, um dann aus Einsicht das eigene Verhalten ändern. Das nennt man Freiheit. Zur Freiheit gehört meines Erachtens auch, anzuerkennen, dass andere ebenso frei sind wie man selbst und ein Recht auf ein gutes Leben haben.




Nauplios

Di 2. Nov 2021, 10:41

1+1=3 hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 10:15
Eine gut eingeführte Methode ein Thema zu ridikülisieren und damit scheinbar abgehandelt zu haben. Damit hat man z.B. schon x-mal "die EU zerlegt" - lol - ("Krümmungsnorm von Bananen" u.ä. "Argumente" gegen die EU).
Heute morgen bekomme ich per WhatsApp von einem unserer Mieter (ein junger Mann aus Nigeria) die Nachricht, daß "ein Kollege" von ihm gerne in die frei werdende Nachbarwohnung einziehen würde. Meine Schwester und ich vermieten das Haus unserer verstorbenen Eltern. - Was darf ich den Herrn Uthmann fragen über seinen Kollegen? Was darf ich den Kollegen selbst fragen bei einem Ortstermin? -




Nauplios

Di 2. Nov 2021, 11:01

Zur Freiheit gehört meines Erachtens auch, anzuerkennen, daß andere ebenso frei sind wie man selbst und ein Recht auf eigene Erfahrungen im Umgang mit anderen Menschen haben. Zur Freiheit gehört, daß andere sich anders verhalten als man selbst. Von "Belehrungen" spricht NaWennDuMeinst, von "Verboten" spricht Burkart, von "Sprachgängelung" spreche ich.




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Di 2. Nov 2021, 11:07

Zur Freiheit gehört aber auch das, was für dich automatisch in den Totalitarismus führt, nämlich die Orientierung am Guten. Und bei der Frage, was zu tun richtig ist, kann man sich irren. Und um auszuloten, was richtig und was falsch ist, führt man (neben anderem) solche Diskussionen und versucht Argumente auszutauschen. Deswegen schreiben Autorinnen wie Alice Hasters Bücher und drehen Podcasterinnen wie Mai Thi Nguyen-Kim Videos darüber. Das führt nicht in den Totalitarismus, das ist das Gegenteil davon.




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Di 2. Nov 2021, 11:37

Nauplios hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 11:01
Zur Freiheit gehört, daß andere sich anders verhalten als man selbst.
Das gehört nicht nur zu unserer Freiheit, es ist sogar ein wichtiger Teil unserer Lebensqualität. Und der Umstand, dass Andere anders sind, ist nicht nur schön, sondern ein entscheidender Aspekt unserer sozialen Realität. Dass Andere anders sind, verlangt aber auch manches von uns. Schließlich sollten wir sie nicht wegen ihres Andersseins benachteiligen. Mai Thi Nguyen-Kim sieht zum Beispiel "anders" aus, nicht kaukasisch, wie sie selbst es ausdrückt. Ist das ein Grund, sie nach ihren Wurzeln zu fragen, wenn ich doch wissen kann, dass sie womöglich davon genervt ist?

Zu versuchen, sich am Guten zu orientieren und die Debatten um das Gute eliminieren nicht das Andersseinkönnen, sondern schaffen den Raum, in dem es allen möglich ist, anders und frei zu sein, solange sie damit die Freiheit der anderen nicht beeinträchtigen.

Pluralität ist nach meiner Ansicht ein Wert in sich selbst. Das steht aber nicht in Konflikt mit der Frage nach dem Richtigen. Allein schon deswegen: Neben dem, was wir tun sollten und dem, was wir lassen sollten, gibt es noch den unendlich großen Raum dessen, was gar nicht moralisch von Belang ist, der Bereich dessen, was moralisch neutral ist.




Nauplios

Di 2. Nov 2021, 12:28

Orientierung am Guten. - Das Gute ist eine Kategorie des Moralischen. "Niccolò Machiavelli hat das politische Denken von der Moral befreit. Für den Politikwissenschaftler Herfried Münkler (..) ist das ein großer Fortschritt."

"Machiavelli sensibilisiert uns dafür, einer Reihe moralischer Nervensägen, die es in der Politik gibt, zu misstrauen." (Herfried Münkler)

"Bei Machiavelli kann man lernen, dass das Verkünden von Moralpostulaten kein unschuldiger Vorgang ist." (Herfried Münkler)

"In der säkularen Welt ist die Behauptung, besonders moralisch zu agieren, das Substitut der alten Behauptung, mit Gott zu sprechen. Und weil es nur ein Substitut, also schwächer als das Original ist, muss diese Behauptung besonders laut, aufdringlich sowie permanent kommuniziert werden. Das ist das etwas Unangenehme an der Bundesrepublik seit geraumer Zeit. Diese aufdringliche Moralkommunikation nervt. In dieser Hinsicht ist Machiavelli ein Aufklärer, von dem man lernen kann, genau hinzusehen." (Herfried Münkler)

Die Zitate sind einem Interview mit Münkler entnommen, an dessen Ende er sagt:

"Die Vorstellung, gesellschaftliche Probleme zu lösen, indem ein paar Moralvirtuosen den Rest der Gesellschaft beaufsichtigen und immer wieder ermahnen, ist nicht nur vorpolitisch und kindisch. Sie ist gefährlich, weil diese Moralvirtuosen natürlich irgendwann Macht beanspruchen. So eine moralische Asymmetrie tut einer freien Gesellschaft nicht gut."

Dieses "Beaufsichtigen" und "Ermahnen" - NaWennDuMeinst spricht von Belehren, ich von Gängeln - hat sich in den letzten Jahren zur beherrschenden Tonlage in der Politik aufgeschwungen. Der vergangene Bundestagswahlkampf gibt dafür Beispiele. Dem einen ist zum Verhängnis geworden, daß er gelacht hat, der anderen, daß sie abgeschrieben hat. Gewonnen hat, der sich (vermeintlich) am wenigsten hat zuschulden kommen lassen, der dem Guten (vermeintlich) am nächsten gekommen ist. - Ein neuer Klerus ist entstanden, eine Priesterkaste, die ihre Legitimität daraus ableitet, daß sie am Guten orientiert ist. An die Stelle der Marienerscheinung tritt die Epiphanie des Guten. Politik als Pontifikalamt. - "Beaufsichtigen" und "Ermahnen". Man wacht über uns.




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Di 2. Nov 2021, 12:50

Ist die Frage, ob wir beim Smalltalk, das, was uns Mai Thi Nguyen-Kim zu erzählen weiß, berücksichtigen, wirklich eine politische Frage? Das kann ich nicht erkenne. Und wenn? Ich sehe darin keinen Grund, mir solche Videos nicht anzuschauen und mir dazu eine Meinung zu bilden. Das liefert auch keine Gründe, sich Bücher über die Geschichte des Rassismus zu verkneifen.




Nauplios

Di 2. Nov 2021, 12:51

In der säkularisierten Gesellschaft hat die Moral keinen Verankerung im religiösen Fundament. Sie kann ihre Fragen nicht mehr an die Religion zurückreichen. Sie kommen immer wieder zu ihr zurück. Wege in platonische und christliche Himmel sind verstellt. Das Gute ist nurmehr das Gute. Sein Nimbus liegt in der Beharrlichkeit seiner Iteration, sein Gegenstand ist sein Name. Die Nennung des Namens ist Erhöhung.




Nauplios

Di 2. Nov 2021, 13:01

Ich habe ja Mai Thi Nguyen-Kim seinerzeit gegen die moralische damnatio von Erzengel Gabriel ("ein unvorstellbarer Skandal") verteidigt. Auch dieser Podcast gefällt mir durchaus.




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Di 2. Nov 2021, 18:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 09:08
Sie versuchen aufzuklären, indem sie gut nachvollziehbar machen und gut begründen, warum die Frage nach der Herkunft (zum Beispiel) als "Ausgrenzung im eigenen Heimatland" erlebt werden kann.
Ich bezweifle das nicht und habe das auch nie bezweifelt.
Ich bezweifle aber dass man das so empfinden MUSS.
Viele Menschen mit Migrationshintergrund empfinden das halt ganz anders und sehen das überhaupt nicht als ein Problem an, sofern nicht tatsächlich eine rassistische Absicht dahinter steckt.
Ich will mich noch mal wiederholen: Wichtig ist, dass Mai Thi Nguyen-Kim und die anderen Autor:innen ihre Sicht nach meiner Einschätzung jeweils sehr gut begründen. Denn oft (hier auch schon) wird stattdessen behauptet, es ginge um Reglementierung, Verbot und Diskurspolizei.
Es geht darum, dass man aufgrund der pers. Empfindungen einiger eine Regel für alle etablieren will.
Das eine ist die Forderung sich empathisch zu zeigen. Das andere ist eine generelle Ächtung bestimmter Fragen für alle indem man behauptet eine solche Frage habe ab nun an als rassistische Äußerung zu gelten (womit man dann sagt, dass wer sie trotzdem stellt ein Rassist ist.... und das geht mir deutlich zu weit.).



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Di 2. Nov 2021, 18:28

Nauplios hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 09:32
Nauplios hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 19:08

Was das Zutrauen betrifft - das Zeitalter der Aufklärung war eines der Erziehungstraktate. Pädagogik folgt der Aufklärung.
Im Nachgang zur Frage nach der Herkunft gibt es ja vielleicht auch noch andere Fragen, Verhaltens- und Haltungsfragen, die nerven, verletzen ... Mein Body-Mass-Index entspricht nicht dem, was die Ernährungswissenschaft für angemessen hält. Der Wunsch "Guten Appetit" mag ja nett gemeint sein, aber ...
Ja, oder frag doch mal einem Depressiven "Wie geht's?".
Das wird er wahrscheinlich als schlechten Witz oder sogar als Versuch sich über ihn lustig zu machen verstehen.
Um das zu verhindern müssen wir natürlich Fragen nach dem Befinden ächten, oder?
Wir schaffen einfach alles ab was irgendwem aus guten Gründen unangenehm ist oder sein könnte.
Da bleibt am Ende nicht mehr viel übrig worüber wir noch reden können.

Ich habe nicht aufgehört das N-Wort zu benutzen.... ich habe es nie benutzt. Und zwar deshalb weil ich dieses Wort immer im Kontext rassistischer Beleidigungen gehört habe. Für mich ist dieses Wort auch genau dazu geschaffen worden: Um andere Menschen abzuwerten. Und dabei helfe ich nicht.
Aber die Frage wo einer herkommt hat diesen Hintergrund nicht.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 2. Nov 2021, 19:06, insgesamt 1-mal geändert.



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Di 2. Nov 2021, 18:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 11:37
Mai Thi Nguyen-Kim sieht zum Beispiel "anders" aus, nicht kaukasisch, wie sie selbst es ausdrückt. Ist das ein Grund, sie nach ihren Wurzeln zu fragen, wenn ich doch wissen kann, dass sie womöglich davon genervt ist?
Natürlich ist das ein Grund. Es ist genau der Grund warum ich sie frage und nicht dich. Weil sie eben asiatisch aussieht und Du nicht.
Und ich habe auch nicht den Eindruck dass sie in dem Video dafür plädiert, dass man solche Fragen nicht mehr stellen dürfen soll.
Im Gegenteil: Sie gibt sogar Tipps wie man sie stellt ohne als Elefant im Porzellanladen rüberzukommen.
Natürlich belästigt man andere Menschen nicht. Das ist doch wohl klar und gilt generell, nicht nur in dieser Sache.
Wenn man merkt dem anderen ist die Frage unangenehm, dann stellt man die Fragerei einfach ein.
Aber es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass Jeder Mensch mit Migrationshintergrund beleidigt ist oder sich ausgegrenzt fühlt wenn man ihn fragt wo er herkommt.
Das ist nämlich nicht so, auch wenn hier der Eindruck erweckt werden soll.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 2. Nov 2021, 19:09, insgesamt 1-mal geändert.



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Di 2. Nov 2021, 19:00

Nauplios hat geschrieben :
Di 2. Nov 2021, 12:28
Dieses "Beaufsichtigen" und "Ermahnen" - NaWennDuMeinst spricht von Belehren, ich von Gängeln - hat sich in den letzten Jahren zur beherrschenden Tonlage in der Politik aufgeschwungen.
Die Frage die ich mir stelle ist... warum?
Also was ist der Grund dafür, dass die Zügel immer härter angezogen werden?
Fürchtet man einen Verfall der Moral, sodass man sie mit immer mehr Belehrungen und Gängelleien zu beschützen versucht?

Ob wir Immoralisten der Tugend Schaden tun? – Ebensowenig, als die Anarchisten den Fürsten. Erst seitdem diese angeschossen werden, sitzen sie wieder fest auf ihrem Throne. Moral: man muß die Moral anschießen.

Nietzsche, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile 31-40

Wird die Moral angeschossen?



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Stefanie
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Di 2. Nov 2021, 22:33

Wo zieht Ihr denn die Grenze? Bei welchen Fragen an einen gerade erst kennengeernten Menschen, nach dem Motto ich falle mal mit der Tür in Haus, zieht Ihr die Grenze?
Bei der Frage nach der sexuellen Orientierung, nach der Religion, schon mal was geklaut, nach einem Drogenkonsum, nach dem Alkoholkonsum, sind sie Analphabet, an eine Frau: auch schon mal belästigt worden.



Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)

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