STEFFEN MENSCHING Das gewisse Etwas
- Jörn Budesheim
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STEFFEN MENSCHING
Das gewisse Etwas
Das gewisse Etwas
Etwas, neben einem Hund, eine Art
Schäferhund, schwarz, etwas zottelig,
Etwas, neben einem Hut, schlägt
Kopfüber auf den Bürgersteig, etwa
Acht Meter vor dem Café, bleibt etwas
Liegen, wider Erwarten ...
Weiterlesen: https://www.lyrikline.org/de/gedichte/d ... twas-15592
Das gewisse Etwas
Das gewisse Etwas
Etwas, neben einem Hund, eine Art
Schäferhund, schwarz, etwas zottelig,
Etwas, neben einem Hut, schlägt
Kopfüber auf den Bürgersteig, etwa
Acht Meter vor dem Café, bleibt etwas
Liegen, wider Erwarten ...
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Mit das längste Gedicht, das ich kenne. Eine Kurzgeschichte in Gedichtform.
Eine poetische Vorstellungskraft bedarf es nicht, eine ziemlich klare Angelegenheit.
Die Setzung bricht den Text, beim lesen stolpert man dadurch an der einen und anderen Stelle. Was zum Inhalt passt.
Eine poetische Vorstellungskraft bedarf es nicht, eine ziemlich klare Angelegenheit.
Die Setzung bricht den Text, beim lesen stolpert man dadurch an der einen und anderen Stelle. Was zum Inhalt passt.
Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)
- Friederike
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etwas, das als Kind etwas
Werden wollte, Lokomotivführer,
***
Die Stelle hat mein Herz erweicht; so für sich genommen wirkt der Vers "natürlich" nicht. Ich glaube, die Wirksamkeit kommt vom teilnahmslosen Zusehen zuvor und dann kippt die Geschichte mit diesem Vers und berührt.
Werden wollte, Lokomotivführer,
***
Die Stelle hat mein Herz erweicht; so für sich genommen wirkt der Vers "natürlich" nicht. Ich glaube, die Wirksamkeit kommt vom teilnahmslosen Zusehen zuvor und dann kippt die Geschichte mit diesem Vers und berührt.
Teilnahmslos kann man das Gedicht von Anfang an nicht lesen. Die Benennung eines Menschen als Etwas direkt am Anfang, was eine Verdinglichung ist, ist zwar zunächst nicht herzerweichend, dafür macht es aber wütend, weil man weiß, dass viele Menschen so über die Person denken, um die es hier geht.
Erst im weiteren Verlauf werden mehr Details genannt, die eigentlich unerheblich sind, denn wer dieser Mensch war, was er werden wollte usw. ist nicht entscheidend. Denn egal wer jemand war oder ist, ein Etwas ist der Mensch nie.
Erst im weiteren Verlauf werden mehr Details genannt, die eigentlich unerheblich sind, denn wer dieser Mensch war, was er werden wollte usw. ist nicht entscheidend. Denn egal wer jemand war oder ist, ein Etwas ist der Mensch nie.
Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
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(Sesamstraße)
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
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- Friederike
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Ja, interessant. Ich bin dem "etwas"- Blick widerstandslos gefolgt; obwohl ich die Verdinglichung dieses/eines Menschen auch sofort registriert habe, bin ich im Unterschied zu Dir zuerst emotionslos geblieben. Das heißt, ich habe den gesellschaftlichen Blick, oder wie Du sagst, den Blick "vieler Menschen" übernommen (um Mißverständnisse zu vermeiden, selbstverständlich nicht reflexionslos. Aber eben wie eine Beobachterin, die kühl zusieht ).Stefanie hat geschrieben : ↑Di 29. Dez 2020, 22:15Teilnahmslos kann man das Gedicht von Anfang an nicht lesen. Die Benennung eines Menschen als Etwas direkt am Anfang, was eine Verdinglichung ist, ist zwar zunächst nicht herzerweichend, dafür macht es aber wütend, weil man weiß, dass viele Menschen so über die Person denken, um die es hier geht. Erst im weiteren Verlauf werden mehr Details genannt, die eigentlich unerheblich sind, denn wer dieser Mensch war, was er werden wollte usw. ist nicht entscheidend. Denn egal wer jemand war oder ist, ein Etwas ist der Mensch nie.
Die "Setzung, die den Text bricht", wie Du zuerst geschrieben hattest, die gefällt mir sehr. Sie erzwingt, daß man den Text aufmerksam lesen muß, um die einzelnen Aussagen zu verstehen.
- Jörn Budesheim
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Ja, das Gedicht ist sehr berührend. Wie hier im Schnelldurchlauf das Leben und der Tod einer Person, die nicht mal einen bestimmten Namen hat (Harry, Kalle, Keule oder so etwa) gezeigt wird.
Zwei/drei Sachen sind mir besonders aufgefallen:
die Überschrift - "das gewisse Etwas". Das ist ja ein Ausdruck, der in der Kunst sehr geläufig ist, verknüpft mit der Erwartung, dass das Kunstwerk eben dieses "gewisse Etwas" hat, von dem man nicht genau sagen kann, was es ist, was aber das Werk zu etwas ganz besonderem macht, fast schon zu etwas "Heiligem", was im starken Kontrast zum profanen "Thema" des Gedichts steht. (Das könnte man auch als Kritik an bestimmten Formen der Kunst um der Kunst willen verstehen.)
Und besonders auffällig: der kurze, ganz beiläufige Verweis auf die Eucharistie - von der Verwandlung des Brotes und des Weines.
Und auch sehr auffällig, dass das Gedicht am Ende den armen Hund vom Anfang wieder aufnimmt, was es zu einem Rondo gemacht, eine kunstvolle Form, die irgendwie nicht richtig passen will, aber vielleicht gerade deshalb genau richtig ist?
Zwei/drei Sachen sind mir besonders aufgefallen:
die Überschrift - "das gewisse Etwas". Das ist ja ein Ausdruck, der in der Kunst sehr geläufig ist, verknüpft mit der Erwartung, dass das Kunstwerk eben dieses "gewisse Etwas" hat, von dem man nicht genau sagen kann, was es ist, was aber das Werk zu etwas ganz besonderem macht, fast schon zu etwas "Heiligem", was im starken Kontrast zum profanen "Thema" des Gedichts steht. (Das könnte man auch als Kritik an bestimmten Formen der Kunst um der Kunst willen verstehen.)
Und besonders auffällig: der kurze, ganz beiläufige Verweis auf die Eucharistie - von der Verwandlung des Brotes und des Weines.
Und auch sehr auffällig, dass das Gedicht am Ende den armen Hund vom Anfang wieder aufnimmt, was es zu einem Rondo gemacht, eine kunstvolle Form, die irgendwie nicht richtig passen will, aber vielleicht gerade deshalb genau richtig ist?
- Jörn Budesheim
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Sicher, ein "Etwas" ist der Mensch nie. Aber warum ist das so? In existenzialistische Sicht, weil wir uns selbst "entwerfen" können. Und sei es der Traum eines Kindes, Lokomotivführer zu werden. Ich finde es hier vom Autor - wie soll ich sagen? - unglaublich mutig, dass er sich entschieden hat, das Klischee vom Lokomotivführer zu nutzen. Und wer weiß schon, vielleicht erfahren wir ja gleich in der nächsten Zeile, warum sich diese Träume zerschlagen haben: Rechtschreibschwäche! Träume, Entwürfe und am Ende schlägt er mit dem Kopf auf... Das ist schon ziemlich ernüchternd, wenn es einem und das gewisse Etwas, den Existenzialismus und Lyrik geht...Steffen Mensching, das gewisse Etwas hat geschrieben : etwas, das als Kind etwas
Werden wollte, Lokomotivführer,
Etwas mit Rechtschreibschwäche
- Jörn Budesheim
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Das gewisse Etwas ist ja normalerweise etwas, was wohldosiert angewendet werden will, vielleicht gar "versteckt" und nicht augenscheinlich. Hier ist es mit dem "etwas" begleitet von einem "etwa" genau andersherum: es taucht penetrant wieder und wieder auf, wenn es in einer Zeile fehlt, dann folgt es in den nächsten Zeilen doppelt. Dadurch bekommt das Gedicht etwas atemloses, finde ich. Dass es nicht durch einzelne Strophen gegliedert ist, verstärkt dieses Gefühl noch.
- Friederike
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Der Hund hat mich auch irritiert, auf eine andere Art. Am Ende ist der Hund das einzige lebendige Wesen, das den toten Menschen erinnert? vermißt. Und dazu habe ich 2 Gedanken, wie armselig, erbärmlich, wie traurig, daß das einzige lebendige Wesen ein Hund ist, das den Toten vermißt und ist es nicht eine Herabwürdigung dieses Hundes -zu einem fast "etwas"- wenn ich es traurig finde, daß es nur ein Hund ist, der den Menschen vermißt. Und da ich mich nicht entscheiden kann, welcher Gedanke "stimmt", bleibt die Irritation.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Do 31. Dez 2020, 12:32[...] Und auch sehr auffällig, dass das Gedicht am Ende den armen Hund vom Anfang wieder aufnimmt, was es zu einem Rondo gemacht, eine kunstvolle Form, die irgendwie nicht richtig passen will, aber vielleicht gerade deshalb genau richtig ist?
- Friederike
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Die Stelle mußte ich mehrfach lesen, bis ich "sieben Mark in Wein verwandeln" überhaupt profan habe verstehen können. Wie würden wir sagen? In Wein umsetzen? oder zu Wein machen? Und die "sieben" gehört, wie mir nun noch klar wird, ebenfalls in den religiösen/biblischen Deutungsbereich ( Göttliche Vollkommenheit, unter dem Link die entsprechenden Textstellen ).Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Do 31. Dez 2020, 12:32[...] Und besonders auffällig: der kurze, ganz beiläufige Verweis auf die Eucharistie - von der Verwandlung des Brotes und des Weines.
Bin erst jetzt auf euren gedanklichen Austausch aufmerksam geworden. Sehr interessantes Gedicht und danke für den Beitrag zum Jahresende.
Mir ist aufgefallen, das der Mensch – das Etwas, um den es geht – trotz des "Mensch Seins" und seiner Beziehung (zu dem Hund) keine Bedeutung zu haben scheint.
Lokomotivführer, Notarzt, Diensthabender auf der Station, Tagesschausprecher alle diese Menschen sind etwas durch Ihre Funktion, ihre Berufe die sie inne haben und ausüben.
Was mich zu der Überlegung führte, ob ein Mensch ohne Beruf oder sinnvolle, gesellschaftlich anerkannte Beschäftigung zwangsläufig zum Etwas wird, weil er nicht mehr eingeordnet werden kann.
Ein Mensch der keine Identität mehr besitzt, weil er keine Arbeit hat?
Mir ist aufgefallen, das der Mensch – das Etwas, um den es geht – trotz des "Mensch Seins" und seiner Beziehung (zu dem Hund) keine Bedeutung zu haben scheint.
Lokomotivführer, Notarzt, Diensthabender auf der Station, Tagesschausprecher alle diese Menschen sind etwas durch Ihre Funktion, ihre Berufe die sie inne haben und ausüben.
Was mich zu der Überlegung führte, ob ein Mensch ohne Beruf oder sinnvolle, gesellschaftlich anerkannte Beschäftigung zwangsläufig zum Etwas wird, weil er nicht mehr eingeordnet werden kann.
Ein Mensch der keine Identität mehr besitzt, weil er keine Arbeit hat?
- Friederike
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Tolle Beobachtung @Soloturn, ich bin baff ...
- Friederike
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Mit einem vernichtenden, nein, nichtenden Blick habe ich das Gedicht umgeschrieben:Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Do 31. Dez 2020, 13:03Sicher, ein "Etwas" ist der Mensch nie. Aber warum ist das so? In existenzialistische Sicht, weil wir uns selbst "entwerfen" können. Und sei es der Traum eines Kindes, Lokomotivführer zu werden. Ich finde es hier vom Autor - wie soll ich sagen? - unglaublich mutig, dass er sich entschieden hat, das Klischee vom Lokomotivführer zu nutzen. Und wer weiß schon, vielleicht erfahren wir ja gleich in der nächsten Zeile, warum sich diese Träume zerschlagen haben: Rechtschreibschwäche! Träume, Entwürfe und am Ende schlägt er mit dem Kopf auf ... Das ist schon ziemlich ernüchternd, wenn es einem und das gewisse Etwas, den Existenzialismus und Lyrik geht ...
etwas, das einmal ein erfülltes Leben hat leben wollen
etwas ohne Begabung dafür
und davor und danach ist es die Geschichte eines alten verfallenen Körpers, der von verschiedenen Funktionsträgern verwaltet und schließlich unter die Erde gelegt wird. Von niemandem, nicht einmal einem Hund vermißt. Das "gewisse Etwas" (des Titels) meint nur, daß es sich um ein "etwas", das einen Namen hatte, handelt. Das ist eine Möglichkeit, den Menschen zu sehen.
Mich irritiert das Gedicht von Anfang bis Ende. Dieses Gleichsetzen von Mensch und Etwas empfinde ich als konsequente Entpersonalisierung. Mir geht es da, wie Stefanie, es baut sich bei mir mit jedem Satz Frust auf, weil man hinter dieses Etwas sehen will: ein Gesicht erkennen will, ein konkretes Wesen, einen klaren Namen, eine sauber kontuirierte Person, stattdessen erscheint die Person im Schatten seines Etwas-Seins ins Unkenntliche abgedunkelt.
Sie erscheint nur als Negativ, als das, was sein wollte ein Lokomotivführer, das, was einen Zettel am Zeh hängen hat, das, was neben dem Hund lag oder stand. Die Person selbst hat keine positive Form als eben nur in der Form als Etwas. Dem Gedicht fehlt in dieser Hinsicht das erkennbare Subjekt, obwohl es von ihm handelt, von dieser Person handelt, wird das Subjekt verschleiert durch den exzessiven Gebrauch des Begriffs ‚Etwas‘. Gleichzeitig wird „Etwas“ nicht nur subjektivisch gebraucht, zum Kennzeichnen der Person, sondern auch adjektivisch: „etwas Blut“, „etwa sieben Mark“, „etwas vernarbt“ etc.
Das hat alles etwas Maßloses: ‚Etwas‘ ist ja der Inbegriff des Unklaren, des Vagen, des nicht näher Bestimmten, also dessen, das ohne (einseutiges) Maß ist, aber durch diese auschweifende Verwendung von „etwas“ wird das ganze Gedicht zusätzlich in seiner Maßlosigkeit gedoppelt: Wir verlieren jedes Maß für diese Person, weil sie nur anonymisiert erscheint, degradiert schon fast zum Objekt, aber es ist zusächlich ohne Maß, wie wir diese Anonymisierung vorfinden: in fast jedem Satz, bei fast jeder Beschreibung - alles bleibt ohne klares Maß.
Wir bekommen sozusagen keinen „Griff“ auf die Erzählung, weil sie so konsequent im Ungefähren gehalten wird und uns die Personen und Handlungen so zum allgemeinsten Etwas übersteigert unbegreiflich werden. Man kommt nirgends an einen Punkt, wo es Klarheit und Verlässlichkeit gibt, man kommt vor lauter Suchen nach Klarheit kaum zur Ruhe. „Dadurch bekommt das Gedicht etwas Atemloses“ (Zitat Jörn - Hervorhebung von mir)
Sie erscheint nur als Negativ, als das, was sein wollte ein Lokomotivführer, das, was einen Zettel am Zeh hängen hat, das, was neben dem Hund lag oder stand. Die Person selbst hat keine positive Form als eben nur in der Form als Etwas. Dem Gedicht fehlt in dieser Hinsicht das erkennbare Subjekt, obwohl es von ihm handelt, von dieser Person handelt, wird das Subjekt verschleiert durch den exzessiven Gebrauch des Begriffs ‚Etwas‘. Gleichzeitig wird „Etwas“ nicht nur subjektivisch gebraucht, zum Kennzeichnen der Person, sondern auch adjektivisch: „etwas Blut“, „etwa sieben Mark“, „etwas vernarbt“ etc.
Das hat alles etwas Maßloses: ‚Etwas‘ ist ja der Inbegriff des Unklaren, des Vagen, des nicht näher Bestimmten, also dessen, das ohne (einseutiges) Maß ist, aber durch diese auschweifende Verwendung von „etwas“ wird das ganze Gedicht zusätzlich in seiner Maßlosigkeit gedoppelt: Wir verlieren jedes Maß für diese Person, weil sie nur anonymisiert erscheint, degradiert schon fast zum Objekt, aber es ist zusächlich ohne Maß, wie wir diese Anonymisierung vorfinden: in fast jedem Satz, bei fast jeder Beschreibung - alles bleibt ohne klares Maß.
Wir bekommen sozusagen keinen „Griff“ auf die Erzählung, weil sie so konsequent im Ungefähren gehalten wird und uns die Personen und Handlungen so zum allgemeinsten Etwas übersteigert unbegreiflich werden. Man kommt nirgends an einen Punkt, wo es Klarheit und Verlässlichkeit gibt, man kommt vor lauter Suchen nach Klarheit kaum zur Ruhe. „Dadurch bekommt das Gedicht etwas Atemloses“ (Zitat Jörn - Hervorhebung von mir)
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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- Friederike
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Du übst Kritik am Autor @Alethos? Dein "Frust" bezieht sich auf ihn, der -entgegen seiner Intention- uns oder Dich den, diesen Menschen beim Lesen nicht erkennen läßt? Habe ich Dich richtig verstanden?Alethos hat geschrieben : ↑So 3. Jan 2021, 11:33Das hat alles etwas Maßloses: ‚Etwas‘ ist ja der Inbegriff des Unklaren, des Vagen, des nicht näher Bestimmten, also dessen, das ohne (einseutiges) Maß ist, aber durch diese auschweifende Verwendung von „etwas“ wird das ganze Gedicht zusätzlich in seiner Maßlosigkeit gedoppelt: Wir verlieren jedes Maß für diese Person, weil sie nur anonymisiert erscheint, degradiert schon fast zum Objekt, aber es ist zusächlich ohne Maß, wie wir diese Anonymisierung vorfinden: in fast jedem Satz, bei fast jeder Beschreibung - alles bleibt ohne klares Maß.
Nachdem ich Deinen Kommentar gelesen hatte, habe ich das Gedicht auch nochmal vollständig gelesen - und ja, wenn ich es mit Deiner Beobachtung im Hintergrund lese, dann kann ich Deinen Eindruck nachvollziehen. Der maßlose "etwas"-Gebrauch macht einen nebelig.
Nein, der Autor hat dieses Instrument des übermässigen Gebrauchs von „Etwas“ ja ganz bewusst gewählt. Wir können es wohl nicht ganz sicher sagen, aber vielleicht war eine der beabsichtigten Wirkungen ja gerade die, dass wir den Menschen durch die Linse des unbedeutenden Etwas als etwas Bedeutendes erkennen. Dass wir durch das Befremdende der Rede über einen Menschen als Etwas erkennen, dass er uns nicht „fremd“ ist und darüber hinaus auch nicht fremd sein will.Friederike hat geschrieben : ↑So 3. Jan 2021, 13:47Du übst Kritik am Autor @Alethos? Dein "Frust" bezieht sich auf ihn, der -entgegen seiner Intention- uns oder Dich den, diesen Menschen beim Lesen nicht erkennen läßt? Habe ich Dich richtig verstanden?Alethos hat geschrieben : ↑So 3. Jan 2021, 11:33Das hat alles etwas Maßloses: ‚Etwas‘ ist ja der Inbegriff des Unklaren, des Vagen, des nicht näher Bestimmten, also dessen, das ohne (einseutiges) Maß ist, aber durch diese auschweifende Verwendung von „etwas“ wird das ganze Gedicht zusätzlich in seiner Maßlosigkeit gedoppelt: Wir verlieren jedes Maß für diese Person, weil sie nur anonymisiert erscheint, degradiert schon fast zum Objekt, aber es ist zusächlich ohne Maß, wie wir diese Anonymisierung vorfinden: in fast jedem Satz, bei fast jeder Beschreibung - alles bleibt ohne klares Maß.
Nachdem ich Deinen Kommentar gelesen hatte, habe ich das Gedicht auch nochmal vollständig gelesen - und ja, wenn ich es mit Deiner Beobachtung im Hintergrund lese, dann kann ich Deinen Eindruck nachvollziehen. Der maßlose "etwas"-Gebrauch macht einen nebelig.
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- Friederike
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Ich weiß zwar noch nicht, inwiefern, aber vielleicht bürstet der Titel "Das gewisse Etwas" alles, was nachfolgt, gegen den Strich. Man kann das Gedicht und die Geschichte so oder so oder noch anders lesen, und immer ist es nicht "richtig" gelesen.
- Friederike
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Das schillerndste Wort im Gedicht ist, wie ich finde, "Identität". "Etwas ohne Identität". Es ist nicht der fehlende Wohnsitz, auch nicht der fehlende Beruf (@Soloturn), nicht der fehlende Eigenname, es sind nicht die fehlenden Angehörigen, auch der Personalausweis als Identitätsnachweis scheint es aus meiner Sicht nicht zu sein. Über Deine Beschreibung @Alethos bin ich darauf gekommen, daß es der Entwurf (@Jörn, Du hattest es erwähnt) eines Menschen sein muß, wie ein Mensch sich selber als ein zu diesem oder jenem Bestimmten versteht. Im Unterschied zu Dir @Alethos finde ich nämlich, daß es eine Stelle in dem Gedicht gibt, die nicht nur vor oder durch die Negativfolie den Menschen erkennen läßt. Es ist das etwas, das als "Kind einmal Lokomotivführer hat werden" wollen. Da wird die Person greifbar. Das muß mit Identität gemeint, denke ich. Ja, der Lokomotivführer - ich lese das Wort hier als Chiffre für das "Werden" wollen. Irgendetwas, egal was, eine Idee von sich, woraufhin man sich zukünftig entwickeln möchte.Alethos hat geschrieben : ↑So 3. Jan 2021, 11:33Mich irritiert das Gedicht von Anfang bis Ende. Dieses Gleichsetzen von Mensch und Etwas empfinde ich als konsequente Entpersonalisierung. Mir geht es da, wie Stefanie, es baut sich bei mir mit jedem Satz Frust auf, weil man hinter dieses Etwas sehen will: ein Gesicht erkennen will, ein konkretes Wesen, einen klaren Namen, eine sauber kontuirierte Person, stattdessen erscheint die Person im Schatten seines Etwas-Seins ins Unkenntliche abgedunkelt.
Sie erscheint nur als Negativ, als das, was sein wollte ein Lokomotivführer, das, was einen Zettel am Zeh hängen hat, das, was neben dem Hund lag oder stand. Die Person selbst hat keine positive Form als eben nur in der Form als Etwas. Dem Gedicht fehlt in dieser Hinsicht das erkennbare Subjekt, obwohl es von ihm handelt, von dieser Person handelt, wird das Subjekt verschleiert durch den exzessiven Gebrauch des Begriffs ‚Etwas‘. [...]
- Jörn Budesheim
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Ja, so kann man es lesen: Jemand, der sich selbst auf die Gleise setzt. Und eben nicht jemand, der ganz aus der Bahn geworfen ist.Friederike hat geschrieben : ↑Mo 4. Jan 2021, 11:46Ja, der Lokomotivführer :lol: - ich lese das Wort hier als Chiffre für das "Werden" wollen. Irgendetwas, egal was, eine Idee von sich, woraufhin man sich zukünftig entwickeln möchte.
Ja, man kann es tatsächlich so lesen und verstehen. Das Etwas zeigt sich uns so gesehen nicht ganz unterbestimmtFriederike hat geschrieben : ↑Mo 4. Jan 2021, 11:46Das schillerndste Wort im Gedicht ist, wie ich finde, "Identität". "Etwas ohne Identität". Es ist nicht der fehlende Wohnsitz, auch nicht der fehlende Beruf (@Soloturn), nicht der fehlende Eigenname, es sind nicht die fehlenden Angehörigen, auch der Personalausweis als Identitätsnachweis scheint es aus meiner Sicht nicht zu sein. Über Deine Beschreibung @Alethos bin ich darauf gekommen, daß es der Entwurf (@Jörn, Du hattest es erwähnt) eines Menschen sein muß, wie ein Mensch sich selber als ein zu diesem oder jenem Bestimmten versteht. Im Unterschied zu Dir @Alethos finde ich nämlich, daß es eine Stelle in dem Gedicht gibt, die nicht nur vor oder durch die Negativfolie den Menschen erkennen läßt. Es ist das etwas, das als "Kind einmal Lokomotivführer hat werden" wollen. Da wird die Person greifbar. Das muß mit Identität gemeint, denke ich. Ja, der Lokomotivführer - ich lese das Wort hier als Chiffre für das "Werden" wollen. Irgendetwas, egal was, eine Idee von sich, woraufhin man sich zukünftig entwickeln möchte.Alethos hat geschrieben : ↑So 3. Jan 2021, 11:33Mich irritiert das Gedicht von Anfang bis Ende. Dieses Gleichsetzen von Mensch und Etwas empfinde ich als konsequente Entpersonalisierung. Mir geht es da, wie Stefanie, es baut sich bei mir mit jedem Satz Frust auf, weil man hinter dieses Etwas sehen will: ein Gesicht erkennen will, ein konkretes Wesen, einen klaren Namen, eine sauber kontuirierte Person, stattdessen erscheint die Person im Schatten seines Etwas-Seins ins Unkenntliche abgedunkelt.
Sie erscheint nur als Negativ, als das, was sein wollte ein Lokomotivführer, das, was einen Zettel am Zeh hängen hat, das, was neben dem Hund lag oder stand. Die Person selbst hat keine positive Form als eben nur in der Form als Etwas. Dem Gedicht fehlt in dieser Hinsicht das erkennbare Subjekt, obwohl es von ihm handelt, von dieser Person handelt, wird das Subjekt verschleiert durch den exzessiven Gebrauch des Begriffs ‚Etwas‘. [...]
An diversen Stellen im Gedicht erhält das Etwas tatsächlich mehrere Zuschreibungen, Attribute etc. (z.B. "etwas, das blutet").
Und doch irritiert mich die Art und Weise, Eigenschaften so an ein "Etwas" angeheftet zu sehen. Ja gerade durch die Attribuierung von Eigenschaften, Verben usw. wird ja in der Regel aus einem Etwas ein ganz bestimmtes Etwas, das dann auch einen gesonderten Begriff erhält (der Mensch, der Bettler, der Verunfallte etc...) und verliert dadurch sein unbestimmtes Etwas-Sein. Vielleicht bin ich hier aber zu sehr an ein "Substand-Akzidenz-Schema" gebunden, wenn mir scheint, dass es da einen "Träger von Eigenschaften" geben muss, das durch diese Eigenschaften eben kein Etwas ist, sondern ein Spezielles, insbesondere ein Individuelles ist, wenn es sich um einen Menschen handelt.
Kurz gesagt: Das Subjekt ist zwar da, es fungiert als Träger von Eigenschaften, aber es bleibt nebulös und ungreifbar hinter seiner vollen begrifflichen Blüte zurück
Aber, uns das ist mir bei deinen Gedanken durch den Kopf gegangen: Vielleicht ist der Mensch in seiner "Ganzheit" (extra: mit Gänsefüsschen) ja so vielfältig resp. indefinit Vieles, das er als "Etwas" ganz gut (weil am vollständigsten - am allgemeinsten) abgebildet wird. Ein Mensch ist ja vom Zweifüssigen über ein rechtliches Objekt sozusagen alles Mögliche, weshalb man sein Sein auf einen plausiblen (wenn auch unbestimmten) Punkt bringt, wenn man ihn als "etwas" begreift.
Etwas zudem, das wenn es nur via seine Eigenschaften angesprochen wird (etwas, das als Kind... / etwas, das blutet, etwas, das da liegt etc...) besonders zum Ausdruck kommt als dasjenige, das alles das ist und tut und leidet. Ich weiss nicht so recht, ob ich meinen Gedanken klar genug habe formulieren können...
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