Ich hab nur eine vage Erinnerung daran, dass Harry Frankfurt (das ist der mit dem Bullshit) diese Begrifflichkeit auch nutzt. Ein Wunsch erster Ordnung wäre etwa die Lust auf einen Schnaps. Ein Wunsch zweiter Ordnung ist ein Wunsch über Wünsche. Also etwa der Wunsch, nie mehr Schnaps zu wünschen. Ob Taylor das ähnlich aufbaut, weiß ich leider nicht.
Was ist (menschliches) Handeln und warum handeln Menschen?
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Ja, wobei sekundäre Ziele eher Nebeneffekte sind. Mit höherstufigen Wünschen hat das aber mE nichts zu tun, höherstufige Wünsche beziehen sich auf Wünsche, z.B. "ich will das Stück Sahnetorte essen" wäre ein Wunsch erster Ordnung und "ich will nicht, dass ich das Stück Sahnetorte essen will, weil ich schon zu dick bin" ein Wunsch zweiter Ordnung.
Sowohl der Psychologische Egoismus als auch Batson gehen davon aus, dass eine Selbstbefragung bezüglich der eigenen Motive nicht unbedingt hilfreich ist, weil man sich oft selber nicht darüber im Klaren ist, bzw. sich selber darüber täuschen kann.Alethos hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 13:38Das Selbst wird mit Blick auf ein bestimmtes Soseinwollen in die Tiefe gehend befragt. Und die Antwort lautet: 'Ja, ich will Geld spenden, weil es gut ist, Bedürftigen zu helfen.', wenn diese Selbstbefragung z.B. die Einsicht befördert hat, dass jeder Mensch ein Recht auf Wohlergehen habe.
Eine interessante alternative Deutung. So wie ich Taylor verstanden habe, gehört zu Wünschen zweiter Ordnung ein normatives Moment, mehr als nur der Bezug des Wunsches auf Wünsche. Ein Wunsch zweiter Ordnung klassifiziert sich nicht als solcher dadurch allein, dass er ein Meta-Wunsch wäre, sondern durch einen Anspruch an einen selbst ein bestimmter Mensch zu sein. Aber ich kann mich auch täuschen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 13:54Ich hab nur eine vage Erinnerung daran, dass Harry Frankfurt (das ist der mit dem Bullshit) diese Begrifflichkeit auch nutzt. Ein Wunsch erster Ordnung wäre etwa die Lust auf einen Schnaps. Ein Wunsch zweiter Ordnung ist ein Wunsch über Wünsche. Also etwa der Wunsch, nie mehr Schnaps zu wünschen. Ob Taylor das ähnlich aufbaut, weiß ich leider nicht.
http://www.jp.philo.at/texte/TaylorC1.pdf
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Das Schnapsbeispiel passt dazu doch hervorragend. Die Wünsche erster Ordnung nach Alkohol stehen der Selbstbestimmung ja eher im Wege und die Wünsche zweiter Ordnung umfassen auch ein normatives Element, nämlich das es falsch ist zuviel Alkohol zu trinken.
Ja, das hat was. Aber es muss, denke ich, explizit werden, dass sich der Wunsch zweiter Ordnung auf die Auffassung bezieht, dieses oder ein anderes Verhalten sei wünschenswerter, weil q.
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Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass wir bei solchen Wünschen auf Distanz zu uns selbst gehen! Das heißt, dass wir uns ein (Wunsch-)Bild von uns selbst machen können ... und uns auch an diesen Bildern orientieren können. Auf der ersten Stufe wären wir (übertrieben gesagt) bloße Wunscherfüllungsmaschinen. Auf der zweiten Stufe haben wir die Fähigkeit und von uns selbst zu unterscheiden - diese Fähigkeit (der Blick von Außerhalb) ist vermutlich auch eine Quelle der Ethik!
In einem philosophischen Quartett ging es in einem Segment ums Schreiben von Schriftstellern (das Thema der Sendung war aber ein anderes, ich glaube, es hiess: "Wie frei ist unser Hirn" oder so ähnlich). Jedenfalls sagte der Schriftsteller in diesem kurzen Segment, er müsse, um produktiv zu sein, sich selbst zum Gegner machen. Er müsse seiner Seele eine bessere Version ihrer gegenüberstellen. In dieser freigewählten Feindschaft zu sich selbst stelle er zwei Seinsmodi gegenüber: Das naheliegende, das unmittelbare Jetzt-Ich und das wünschbare, das bessere Ideal-Ich. Es sei dieses ideale Gegner-Ich, das ihn zur Besserung antreibe.
Interessant ist dann die Frage, wie diese Idee des Guten entsteht und woher sie sich speist. Ein kategorischer Imperativ?
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Eigeninteressen per se für egoistisch zu halten stellt sich mir unangemessen dar. Müsste geklärt werden, inwiefern diese auf Allgemeines abzielen.Alethos hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 13:51Wir müssen konsequenter Weise sagen, dass Eigennutz nicht per se negativ besetzt ist. Und weil das so ist, halte ich die Aussage, man tadle eine Handlung, wenn man sie als eigennützig beschreibe, für einseitig. Sie ist nicht falsch, aber auch nicht wirklich vollumfänglich wahr.
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Zu sagen, das eine Handlung dem eigenen Nutzen dient und zu sagen, dass eine Handlung eigennützig ist, das ist für mich nicht dasselbe, während du es einfach Synonym setzt.
Die erste Formulierung dürfte im Alltag so gut wie nie vorkommen und die zweite hat meines Erachtens tendenziell einen negativen Touch. Denn wenn der entsprechende Umstand erwähnenswert wird, ist zumeist schon was schief gelaufen. (Bei kleineren Verstößen wird das oft scherzhaft und ironisch kommentiert mit: "das war aber jetzt sehr uneigennützig.")
Deine Aussage war. dass der Psychologismus wieder bei der Erkenntnis stört. Nur handelte es sich dabei m.E. nicht um Psychologismus, sondern Psychologie und die störte auch nicht, sondern erklärte das was zu erklären war und Tomasello als Gegenbeispiel ist in mehrerlei Hinsicht unpassend, zum einen weil das Problem nicht in einem Widerspruch von Tomasello zur Psychologie liegt, denn Tomasellos m.E. richtige Sicht muss ergänzt werden durch andere ebenso richtige Sichtweise und unsere Psyche zu verstehen, kann immer nur heißen Ambivanlenzen zu verstehen (oder zu verstehen, wo das Vermögen Ambivalenzen zu tolerieren scheitert). Liebe, Kooperation und Altruismus hier und Aggression, Egoismus und Zerstörung dort, das sind die fundamentalen Bausteine der Psyche von Anfang an und gerade Tomasello beschreibt in seiner Naturgeschichte der menschlichen Moral, seinem jüngsten Buch, eine fehlende Stelle, die eine psychologische ist. Es geht um das Entstehen eines inneren Wertesystems, innerer Instanzen, wie dem Entstehen erster innerer Instanzen der Idealisierung, auf der Basis der Notwendigkeit gemeinschaftlicher Alltagsverrichtungen wie der Nahrungssuche. Wir brauchen also an der Stelle keinen Gott, der dem Menschen ein Gewissen einhaucht, sondern Tomasello erklärt, wie es aus Alltagshandlungen entsteht und warum Menschen den Sprung vom reinen Nützlichkeitsdenken (ob man den anderen gerbauchen kann) hin zu einem vitalen Interesse am Wohlergehen des anderen, auch über die Phasen, in denen er mir nützlich ist, hinaus funktioniert.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 10:55Stößt du dich an dem Begriff Psychologismus? Psychologismus ist nicht Anti Psychologie oder etwas in der Art. Ein Beispiel für Psychologismus, der eine Spielart des Naturalismus ist, ist meines Erachtens der Versuch, Logik auf psychische Kategorien und Vorgänge zurückzuführen.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Aber hab mich doch auf gar nichts in der Art bezogen! Das war eine ganz allgemeine Notiz, die keinen konkreten Bezug zu irgendeinem einem psychologischen Ansatz in dem Thread hatte, sondern einfach ganz allgemein die Frage in den Raum stellte, ob beim Handeln eine Unterscheidung wie zum Beispiel zwischen Gedanke (als Gehalt) und Denken (als Akt) eine Überlegung wert ist.Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 08:56Deine Aussage war. dass der Psychologismus wieder bei der Erkenntnis stört. Nur handelte es sich dabei m.E. nicht um Psychologismus, sondern Psychologie ...Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 10:55Stößt du dich an dem Begriff Psychologismus? Psychologismus ist nicht Anti Psychologie oder etwas in der Art. Ein Beispiel für Psychologismus, der eine Spielart des Naturalismus ist, ist meines Erachtens der Versuch, Logik auf psychische Kategorien und Vorgänge zurückzuführen.
Ja, aber das zeigt ja gerade die Spannbreite des vermeintlich oder tatsächlich altruistischen Verhaltens, die vom Hardcore-Egoismus bis zur märtyrerhaften Selbstzerstörung reichen kann und die Egoismus-Verterter haben kein Instrumentatium um hier zu differenzieren, weil sie immer sagen können, dass der vermeintliche Altruist ja nur aus Egoismus handelte. Kriegt er einne fette Belohnung ist der Fall klar, opfert man sich selbst heißt es, dass das dann eben die größte Lust bereiten würde, "Beweis": sonst hätte man es schließlich nicht getan. M.a.W., die These ist unwiderlegbar.Alethos hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 12:04Unter Altruismus verstehe ich eine Handlung, deren beabsichtigte Wirkung der Nutzen für einen anderen ist. Die Motivation zu helfen, entspringt hier einer nicht eigennützigen Absicht. Bei einer extremen Form wird vom eigenen Selbst ganz abgesehen, so dass unter Umständen sogar der Untergang des eigenen Selbst in Kauf genommen wird, damit ein anderer vorankommen könne. Somit könnte man in gewissen Situationen Selbstaufopferung synonym zu Altruismus verwenden. Ich denke, das ist eine vielleicht einschränkende Begriffsverwendung, aber auch eine gängige Interpretation von Altruismus.
Ansonsten finde ich richtg was Du schreibst, nur passt die Beschreibung die Du hier angeboten hast,
, eigentlich nicht zu jener, der Du hier zugestimmt hast:
Denn die Absicht sich selbst in einem besseren Zustand zu versetzen ist ein Paradebeispiel für ein egoistisches Motiv, wenn auch in einem nichtwertenden Sinne. Soll heißen, es ist nicht böse oder schlecht sich auch um das eigene Wohlergehen zu kümmern (tatsächlich ist das gut, richtig und gesund, nur die Dosis macht das Gift, d.h. wenn es nur noch darum geht, dass meine Komfortzone nicht angekratzt wird, wird es problematisch), nur eben egoistisch im technischen Sinne, d.h. es geht um mich. (Ob ich mein Wohlergehen durch einen Amoklauf steigere oder ob ich Oma die Tüten trage, ist ja auch noch mal ein Unterschied in der Wirkung, aber nicht im Motiv der Handlung.)Alethos hat geschrieben : ↑Sa 23. Sep 2017, 11:18Ja, so sehe ich das auch.Friederike hat geschrieben : ↑Fr 22. Sep 2017, 14:51Auch eine "echte altruistische Handlung" kann die Absicht verfolgen, sich selbst in einen besseren Zustand zu versetzen.
Geht es mir um das Wohlergehen des anderen, ist das die Definition für Altruismus, die Du hier auch verwendet hast und die das leidige "Mutter Theresa hat doch auch nur geholfen, weil es ihr selbst was bringt"-Argument umgehen kann.
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Taylor wandelt Frankfurts Konzept der Wünsche 1. und 2. Ordnung dahingehend ab, daß er die Wünsche der 2. Ordnung in "schwache" und "starke" Wertungen differenziert. Daran wird deutlich, daß es bei den Wünschen der 2. Ordnung um normative Kriterien geht. Falls eine Person X die Entscheidung, ob sie im Urlaub in die Berge oder an die See fährt, alleine aufgrund von Kostenerwägungen trifft, würde es sich um eine schwache Wertung handeln; wenn Person X sich hauptsächlich daran orientiert, mit welcher Entscheidung sie sich in eine alte Familientradition stellt, dann wäre dies eine "starke" Wertung.Alethos hat geschrieben :Eine interessante alternative Deutung. So wie ich Taylor verstanden habe, gehört zu Wünschen zweiter Ordnung ein normatives Moment, mehr als nur der Bezug des Wunsches auf Wünsche. Ein Wunsch zweiter Ordnung klassifiziert sich nicht als solcher dadurch allein, dass er ein Meta-Wunsch wäre, sondern durch einen Anspruch an einen selbst ein bestimmter Mensch zu sein. Aber ich kann mich auch täuschen.Jörn Budesheim hat geschrieben : Ich hab nur eine vage Erinnerung daran, dass Harry Frankfurt (das ist der mit dem Bullshit) diese Begrifflichkeit auch nutzt. Ein Wunsch erster Ordnung wäre etwa die Lust auf einen Schnaps. Ein Wunsch zweiter Ordnung ist ein Wunsch über Wünsche. Also etwa der Wunsch, nie mehr Schnaps zu wünschen. Ob Taylor das ähnlich aufbaut, weiß ich leider nicht.
Taylors Ansatz finde ich insofern gut, als er das handelnde Subjekt ins Zentrum seiner Überlegungen stellt. Auf diese Weise gelingt es ihm, das gesamte "Set" (Jörn) von Handlungsaspekten, das einer Person zur Verfügung steht bzw. das für sie von Bedeutung ist, in den Blick zu nehmen. Das obige Beispiel könnte man also weiter explizieren, in dem man eine Abfolge von Wertungsstufen einführt, mit denen eine Person ihre vielfältigen Motive untereinander abwägt und gewichtet. Die Bedeutung der Familientradition zeigt auch die Verknüpftheit von Handlungsentscheidungen mit der Identität der handelnden Person. Für eine andere Person mag der Gedanke an die Ahnenreihe nicht einmal im Horizont der Möglichkeiten auftauchen, wenn sie den Wunsch ihrer 1. Ordnung bewertet. Sich als Mitglied einer Familie zu verstehen, würde für ihre Identität keine Rolle spielen.
Ich dachte nur, weil es in diesem Kontext standJörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 09:06Aber hab mich doch auf gar nichts in der Art bezogen! Das war eine ganz allgemeine Notiz, die keinen konkreten Bezug zu irgendeinem einem psychologischen Ansatz in dem Thread hatte, sondern einfach ganz allgemein die Frage in den Raum stellte, ob beim Handeln eine Unterscheidung wie zum Beispiel zwischen Gedanke (als Gehalt) und Denken (als Akt) eine Überlegung wert ist.Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 08:56Deine Aussage war. dass der Psychologismus wieder bei der Erkenntnis stört. Nur handelte es sich dabei m.E. nicht um Psychologismus, sondern Psychologie ...Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 10:55Stößt du dich an dem Begriff Psychologismus? Psychologismus ist nicht Anti Psychologie oder etwas in der Art. Ein Beispiel für Psychologismus, der eine Spielart des Naturalismus ist, ist meines Erachtens der Versuch, Logik auf psychische Kategorien und Vorgänge zurückzuführen.
hättest Du etwas Spezielles gemeint.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 24. Sep 2017, 05:35...SEP hat geschrieben : Wenn das Eigeninteresse mit der Befriedigung aller Präferenzen identifiziert wird, dann ist jede bewusste Handlung eigennützig
(Nachtrag 2: Da Denken eine Form von Handeln ist und der Psychologismus dem richtigen Verständnis von Denken offenbar im Wege steht, bietet es sich an, zu überlegen, inwiefern der Psychologismus auch dem Verständnis vom Handeln im Wege steht.)
Darüber hinaus sehe ich mich in gewisser Weise durchaus als Psychist oder Psychologist oder so etwas an. Gewöhnlich meint man mit der Nachsilbe -logismus, dass etwas aus der Rolle einer Wissenschaft (unter vielen, gleichberechtigten anderen) herausfällt und zur Ideologie oder Weltanschauung wird.
Mein Psychologismus oder Psychismus meint, dass wir immer und primär Psyche sind und auch nie die Perspektive einer Psyche verlassen können. Damit stehe ich dem Konstruktivismus nahe, mit dem Unterschied, dass ich nicht glaube, dass es a) keine Realität gibt (was aber auch nicht alle Konstruktivisten, nicht mal alle radikalen Konstruktivisten denken) oder b) wir zu dieser keinen Zugang hätten.
Ich glaube, dass es eine Realität gibt, zu der wir auch Zugang haben, dass diese aber stets überlagert und durchdrungen von allerlei psychischen Mechanismem, wie Projektionen, Verdrängungen usw. ist. Diese motivieren oder bremsen natürlich auch unsere Handlungen. Die Reduzierung der Psyche auf Hirnzustände mag naheliegend klingen, ich halte sie aber für unsinnig, weil die Übersetzung der Sprachen einfach nicht, oder nur in groben Ansätzen gelingt:
„Gedanken, die wir im mentalistischen Vokabular ausdrücken können, lassen sich nicht ohne semantischen Rest in ein empiristisches, auf Dinge und Ereignisse zugeschnittenes Vokabular übersetzen. Darin besteht die Crux jener Forschungstraditionen, die genau das leisten müssen, wenn sie ihr Ziel einer nach üblichen wissenschaftliche Standards verfahrenden Naturalisierung des Geistes sollen erreichen können. Gleichviel, ob es such um einen Materialismus handelt, der intentionale Zustände oder propositionale Gehalte und Einstellungen auf physischen Zustände reduzieren möchte, oder um einen Funktionalismus, wonach elektrische Schaltkreise im Computer oder natürliche physiologische Zustände in der Hirnrinde die kausalen Rollen „realisieren“ sollen, die mentalen Vorgängen oder semantischen Gehalten zugeordnet werden – auf der grundbegriffliche Ebene scheitern diese Versuche einer Naturalisierung des Geistes an der erforderlichen Übersetzung.“
(Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Suhrkamp 2005, S. 172)
Oder eben auch:
Soweit ich das sehe, hat der Psychismus oder Psychologismus diese Probleme, die der Neurologismus und der Biologismus gnaz entschieden haben, nicht, weil er die Alltagssprache (+ Fachvokabular) nutzen und übernehmen kann, denn, da wir Psyche sind, erleben wir natürlich im Alltag den Alltag und seine Sprache, was aber nicht ausschließt, dass wir auch Formeln lösen, logisch denken, intensiv fühlen und genießen oder Künstler, Forscher und Mystiker sein können.„Leider verlegt eine solche Theorie den Reiz immer an die Körperoberfläche oder ins Nervensystem. Möchte man die Frage, auf welche Gegenstände empirische Begriffe angewendet werden, anhand verlässlicher unterscheidender responsiver Dispositionen (VURDs) beantworten, dann ist eine solche Definition der Reize verheerend. Denn es sind keine Glocken und Tische und Kaninchen mehr, die durch Protobegriffe klassifiziert werden, denen sich wiederholbare Reaktionen annähern, sondern nur mehr Zustände des reagierenden Organismus. Nichts, was auch nur annähernd wie einer unserer gewöhnlichen Begriffe aussieht, wird durch eine solche Theorie eingefangen.“
(Robert Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.599)
Es ist ja darüber hinaus auch eine durchaus ernstzunehmende philosophische Frage, ob wir in der Natur und in einem weiteren Sinne, außerhalb oder jenseits von uns nicht oft genau deshalb das entdecken, was zu gut zu unseren geistigen Erfindungen passt (Zahlen und Logik), weil wir es (unbewusst) hineingelegt haben, was ziemlich genau Kants Rede von den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis entspricht. Insofern wäre auch die Logik innerhalb des Psychischen zu verorten. Es ist zwar wahr, dass logische Richtigkeiten (d.h. korrekte Schlüsse, aus Systemen mit endlichen Schlussregeln) zwar auch dann richtig sind, wenn nieman mehr da ist, der sie formuliert und streng genommen auch dann, wenn sie noch niemand formuliert hat, aber das führt zu einer Inflation unendlicher logischer Sichtweisen, was so herzlich folgenlos ist, wie die vermeintliche oder tatsächliche Existenz paralleler Welten/Universen.
Relevant, gerade für unsere Handlungen ist allein, welche Weltbilder plus Prämissen, Regeln und Welten wir tatsächlich gelten lassen und welche welche darauf fußenden Behauptungen wir aufstellen, um diese ggf. durch Handlungen (oder Erklärungen) wahr zu machen oder einzulösen.
Zuletzt geändert von Tosa Inu am Mo 25. Sep 2017, 10:27, insgesamt 1-mal geändert.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
Genau so sehe ich das auch, dass man das tun könnte und muss.Friederike hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 09:48Das obige Beispiel könnte man also weiter explizieren, in dem man eine Abfolge von Wertungsstufen einführt, mit denen eine Person ihre vielfältigen Motive untereinander abwägt und gewichtet.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 09:17Ansonsten finde ich richtg was Du schreibst, nur passt die Beschreibung die Du hier angeboten hast,, eigentlich nicht zu jener, der Du hier zugestimmt hast:Alethos hat geschrieben : ↑Sa 23. Sep 2017, 11:18Ja, so sehe ich das auch.Friederike hat geschrieben : ↑Fr 22. Sep 2017, 14:51Auch eine "echte altruistische Handlung" kann die Absicht verfolgen, sich selbst in einen besseren Zustand zu versetzen.
Du weist hier zurecht auf einen Widerspruch hin und mir war auch bewusst, dass dies einer wäre. Ich versuche dir gute Gründe zu geben, weshalb ich diesen Widerspruch in Kauf nehme.
Mir scheint, dass es tatsächlich eine begriffliche Ebene gibt, durch die wir gedrängt werden Eigennutz und Altruismus als Gegensatzpaare zu denken. Das ist sozusagen die begriffslogische Ebene, die wir auch im Alltäglichen so verwenden. Wenn eine Handlung eigennützig ist, so ist sie eben nicht altruistisch. Das ist gleichzeitig unsere alltagssprachliche Ebene, wo wir mit festen Begriffen operieren. Jörn vertritt diesen Standpunkt und er ist plausibel. Wenn wir sagen, eine Tat sei eigennützig, dann ist das mehrheitlich negativ konnotiert, d.h. wir verbinden damit etwas eher negativ Besetztes. Das sind sozusagen stehende Begriffe, wenn man so will. Dieser Bedeutungsebene habe ich versucht, gerecht zu werden durch den ersten Satz oben im Zitat: "Unter Altruismus verstehe ich eine Handlung, deren beabsichtigte Wirkung der Nutzen für einen anderen ist. Die Motivation zu helfen, entspringt hier einer nicht eigennützigen Absicht."
Ich versuchte in den Beiträgen zuvor jedoch eine andere Ebene zu reflektieren und zu sagen, dass eine Handlung, die sich per se auf eine eigene Setzung beziehe, den Erfolg dieser Setzung zum Inhalt habe. Und in dieser "Mechanik" des eigene Absichten Verfolgens stellt sich jede Handlung als eigennützig dar. Nun kann man sich hier über den Begriff Eigennutz unterhalten und sich fragen, ob er in seiner alltäglichen Bedeutung hier richtig verwendet ist. Denn mir ging es gerade nicht um eine negativ besetzte Wertung, wie wir sie üblicherweise verstehen, sondern um eine neutrale. Jede Handlung hat zum Ziel den Erfolg der Absichten, die sie "anstossen". Hier könnte man auch von der Selbstbezogenheit sprechen, die jeder Handlung innewohnt, da sie von einem Selbst vollzogen wird und sich auf die Absichten dieses Selbst bezieht. Aber auch hier wäre Selbstbezogenheit nicht ein negativ befrachteter Begriff, wie wir ihn gewöhnlich verwenden.
Gleichzeitig habe ich aber auch darauf hingewiesen, dass dies nur der rudimentärste Modus des Handelns darstelle, sozusagen das psychomechanische Moment (ich finde keinen besseren Ausdruck), eben dasjenige, was die Handlung direkt an die Absicht bindet. Darüber hinaus und gleichzeitig verfolgen Handlungen aber viele andere Absichten, d.h. sie lassen sich gleichzeitig vielfältig begründen. Eine Handlung ist selten eindimensional, sondern sie verfolgt in der Regel mehrere Ziele, darin sie Begründung findet.
Wenn ich also von der rudimentären Rückbezüglichkeit zwischen Absicht und ihrem Erfolg spreche und diese als eigennützig bezeichne, so klassifiziert sich diese Handlung dadurch nicht über alle Ebenen hinweg als eigennützig (oder als sonst etwas). Die Mehrschichtigkeit von Handlungsbegründungen scheint mir eine Tatsache zu sein und nicht in jedem Fall berühren sich diese Ebenen. Es muss keine Bezüglichkeit geben zwischen dem einen und dem anderen Grund, so dass der eine Grund den anderen auch nicht ausschliesst. Und diese Mehrschichtigkeit können wir nur wahren, wenn wir einer Handlung zugestehen, mehr als nur diesem oder einem anderen Zweck zu dienen, sondern mehreren zugleich. Es spielt daher für die Klassifizierung einer Handlung als altruistisch deshalb keine qualifizierende Rolle, ob man sich dabei als Handelnder gut fühlt oder nicht. Das die Handlung als altruistisch qualifizierende Moment ist die helfende Absicht, jemandem um seines Wohles Willen zu helfen. Auch, wenn sie nicht seines Wohles Willen allein vollzogen wird, so bleibt es eine altruistische Handlung.
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Ja. im Alltag ist da oft eine Wertung drin. Egoismus ist schlecht und Altruismus gut.Alethos hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 20:39Mir scheint, dass es tatsächlich eine begriffliche Ebene gibt, durch die wir gedrängt werden Eigennutz und Altruismus als Gegensatzpaare zu denken. Das ist sozusagen die begriffslogische Ebene, die wir auch im Alltäglichen so verwenden. Wenn eine Handlung eigennützig ist, so ist sie eben nicht altruistisch.
An den Begriffen des Versuchs das jeweilige Wohl zu vergößern gefällt mir, dass sie nahezu neutral sind. Man Motiv kann egoistisch sein und ich kann damit dennoch vieeln helfen oder sie glücklich machen, es kann sein, dass der Egoismus andere völlig unberührt lässt, aber auch, dass sie sehr darunter leiden.
Mit dem Altruismus verhält es sich analog, ich kann als Altruist leiden, es kann sein, dass ich kaum etwas dabei empfinde oder ich kann mich selbst spitze fühlen.
Ja, kann man so sagen.Alethos hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 20:39Jede Handlung hat zum Ziel den Erfolg der Absichten, die sie "anstossen". Hier könnte man auch von der Selbstbezogenheit sprechen, die jeder Handlung innewohnt, da sie von einem Selbst vollzogen wird und sich auf die Absichten dieses Selbst bezieht. Aber auch hier wäre Selbstbezogenheit nicht ein negativ befrachteter Begriff, wie wir ihn gewöhnlich verwenden.
Zumindest löst sie manchmal mehr aus, als beabsichtigt war, ja, dem stimme ich auch zu.
Ja, aber es ist schwer so zu argumentieren, weil man nie alles berücksichtigen kann.Alethos hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 20:39Wenn ich also von der rudimentären Rückbezüglichkeit zwischen Absicht und ihrem Erfolg spreche und diese als eigennützig bezeichne, so klassifiziert sich diese Handlung dadurch nicht über alle Ebenen hinweg als eigennützig (oder als sonst etwas). Die Mehrschichtigkeit von Handlungsbegründungen scheint mir eine Tatsache zu sein und nicht in jedem Fall berühren sich diese Ebenen.
Ich denke auch, dass es selten ganz reine Motive gibt und man auch als Idealist oft pragmatisch abwägt. Es ist immer die Frage, ab wann man dann zum Verräter der eigenen Ideen wird oder wo der Idealismus in Wahnsinn umschlägt. Ich weiß, dass Idealisten, gerade in jüngeren Jahren, Lösungen mit Augenmaß mitunter als lauwarmes Wischiwaschi ansehen und es ist und bleibt ein Gleichgewichtsspiel, ob und wo Konzessionen, Milde oder gesunder Menschenverstand zu sehr in Bequemlichkeit und mangelnden Biss oder gar Zynismus umschlagen.Alethos hat geschrieben : ↑Mo 25. Sep 2017, 20:39Es muss keine Bezüglichkeit geben zwischen dem einen und dem anderen Grund, so dass der eine Grund den anderen auch nicht ausschliesst. Und diese Mehrschichtigkeit können wir nur wahren, wenn wir einer Handlung zugestehen, mehr als nur diesem oder einem anderen Zweck zu dienen, sondern mehreren zugleich. Es spielt daher für die Klassifizierung einer Handlung als altruistisch deshalb keine qualifizierende Rolle, ob man sich dabei als Handelnder gut fühlt oder nicht. Das die Handlung als altruistisch qualifizierende Moment ist die helfende Absicht, jemandem um seines Wohles Willen zu helfen. Auch, wenn sie nicht seines Wohles Willen allein vollzogen wird, so bleibt es eine altruistische Handlung.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Ich stelle gerade eine Liste frei zugänglicher Quellen zusammen: https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 4125#p4125 dort können wir auch englisch sprachige Quellen auflisten, irgendwelche Tipps?
/offtopic
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Ich hatte, wie gesagt, eine andere Version des Begriffs in Sinn. Auch wenn die beiden Bedeutungen zusammenhängen mögen. Ich bezog mich auf die Idee, die man am besten am Beispiel der Logik erläutern kann, daß logische Schlüsse sich auf mentale Prozesse zurückführen lassen. Den gleichen, wie ich finde falschen Gedanken, kann man meines Erachtens für Gedanken, Werte etc. hegen. Ich möchte aber noch einmal deutlich machen, dass man sich nicht automatisch gegen Psychologie wendet, wenn man sich gegen Psychologismus wendet.
Ich hatte dazu ja auch an verschiedenen Stellen das folgende Frege Zitate gepostet:
„Ich verstehe unter Gedanken nicht das subjektive Tun des Denkens, sondern dessen objektiven Inhalt, der fähig ist, gemeinsames Eigentum von vielen zu sein. (Frege)
Interessant finde ich die Formulierung, dass man nie die Perspektive einer Psyche verlassen kann. Denn eine Perspektive ist ja bereits eine Form des Verlassens. Und wer darüber nachdenkt, dass er eine Perspektive auf die Dinge hat, der hat sich bereits in exemplarischer Weise selbst überstiegen und die Psyche verlassen.
Handeln ist eine erstaunliche Form des sich selbst verlassens. Im Handeln bezieht man sich, wie bei jeder Form von Intentionalität, auf etwas, was man nicht selbst ist, und beim Handeln in aller Regel sogar auf etwas, was nicht mal der Fall ist, aber der Fall werden soll
Dann wäre es beim Handeln ja wie beim Denken. Und irgendwie sind unsere Gefühle ja auch nicht unsere, sondern meinetwegen Neurotransmitteraktivität + Denken. Aber wer sind wir dann noch, wenn uns nichts gehört? Oder, wenn wir uns in allem verlassen haben?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 26. Sep 2017, 18:24„Ich verstehe unter Gedanken nicht das subjektive Tun des Denkens, sondern dessen objektiven Inhalt, der fähig ist, gemeinsames Eigentum von vielen zu sein." (Frege)
...
Handeln ist eine erstaunliche Form des sich selbst verlassens. Im Handeln bezieht man sich, wie bei jeder Form von Intentionalität, auf etwas, was man nicht selbst ist, und beim Handeln in aller Regel sogar auf etwas, was nicht mal der Fall ist, aber der Fall werden soll
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)