Was ist (menschliches) Handeln und warum handeln Menschen?

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Alethos
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Sa 23. Sep 2017, 11:05

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 10:47
Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 10:01

Eine Handlung wird sich immer entlang einer Entscheidungslinie bewegen, die einen Nutzen zu steigern versucht. Das Warum der Handlung hat, wie beschrieben, immer zur Antwort ein Weil des Wohlergehens der eigenen Absicht. Dieses Erfolgsstreben der Handlung gilt für einen Masochistens nicht weniger als für eine Person, die sich bewusst für eine schädigende Handlung entscheidet, denn sie verfolgen mit ihren Handlungen auch nichts anderes als der Erfolg ihrer Absicht.
Das ist ja eigentlich zurückgewiesen worden, mit Blick auf den Altruismus, der eben der Wohlergehen des anderen zu steigern versucht.
Ob man sich selbst dabei freut, Geld bekommt, bejubelt oder verspottet oder bedroht wird, ist dabei sekundär.
Wenn aber der Altruist das Wohlergehen anderer zur Handlungsmaxime erhebt, sein Handeln an diese Maxime ausrichtet, so handelt er eben mit einer bestimmten Absicht, die sich selbst aussen vor nicht lassen kann. Die Selbstlosigkeit der eigenen Handlung zugunsten anderer beinhaltet im Mindesten jenes Selbst, das sich aufopfert. Und in diesem Willen zur Aufopferung scheint doch der Wunsch durch, die eigene Absicht erfolgreich zu verwirklichen. Es handelt sich dann eben um die eigene Absicht, die verwirklicht werden soll, und nicht jener der anderen.

Auch die Wünsche anderer sind absehbar und unabsehbar. Der Altruist kann mit seiner Selbstaufopferung zugunsten anderer auch zu deren Ungunsten handeln, insofern er die Angemessenheit seiner Handlungen zugunsten des Wohles anderer nicht einschätzen kann. Sagt man aber, der Altruist habe es wenigstens gut gemeint und sich gutmeinend selbst geopfert, mithin zähle seine Absicht, nicht seine Wirkung, so landen wir wieder beim Anfangspunkt: der Absicht. Wenn jemand aber getreu seiner Absicht handelt, dann eben nicht getreu der Absicht anderer. Der Altruist kommt um die Egozentrik seines Wollens nicht herum. Deshalb ist das mit dem Altruismus nicht einfach und eindeutig.

Aber dieses unhintergehbare egoistische Moment bei altruistischen Handlungen kann sich vielleicht einem ethischen Ideal entlang entwickeln, so dass man sagen müsste, der Altruismus verfolgt Wünsche zweiter Ordnung, insofern er sich eben auf ein bestimmtes Soseinwollen richtet und den Reflex des unmittelbaren Nutzens zugunsten einer zweiten Ordnung unterdrückt?



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Alethos
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Sa 23. Sep 2017, 11:18

Friederike hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 14:51
Tosa Inu hat geschrieben : Klar, irgendwo, tieif im Inneren meinen diese Menschen, das sei schon die bessere Alternative, aber die simple Formel, dass man nur tut, was den größten persönlichen Gewinn bringt, ist glaube ich in der Form problematisch, weil sie nicht falsifizierbar ist und auch echte altruistische Handlungen nachgewiesen werden konnten. Aber da Du ja sagstest, einen Zustand zu verbessern und das nicht unbedingt nur heißen muss, einen eigenen, könnte das mit drin sein.
Auch eine "echte altruistische Handlung" kann die Absicht verfolgen, sich selbst in einen besseren Zustand zu versetzen.
Ja, so sehe ich das auch.



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Tosa Inu
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Sa 23. Sep 2017, 13:40

Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 11:18
Friederike hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 14:51
Tosa Inu hat geschrieben : Klar, irgendwo, tieif im Inneren meinen diese Menschen, das sei schon die bessere Alternative, aber die simple Formel, dass man nur tut, was den größten persönlichen Gewinn bringt, ist glaube ich in der Form problematisch, weil sie nicht falsifizierbar ist und auch echte altruistische Handlungen nachgewiesen werden konnten. Aber da Du ja sagstest, einen Zustand zu verbessern und das nicht unbedingt nur heißen muss, einen eigenen, könnte das mit drin sein.
Auch eine "echte altruistische Handlung" kann die Absicht verfolgen, sich selbst in einen besseren Zustand zu versetzen.
Ja, so sehe ich das auch.
Nur wäre das dann, gemäß der Definition, dass Altruismus der Wunsch ist, das Wohlergehen eines anderen zu vergrößern (und Egoismus, das eigene) keine altruistische Handlung.
Wenn ich sage, dass ich jemandem 1000 € schenke um mich so richtig gut zu fühlen, ist das Motiv auch dann egoistisch (da es mir ja um mich geht), wenn der die 1000 € gut gebrauchen kann.
Helfe ich jemanden hingegen, weil ich meine, dass er Hilfe gut gebrauchen kann und bemerke nachher, dass es mir gut geht, weil ich stolz auf mich bin, gelobt oder belohnt werde, war das Motiv dennoch altrusitisch.

Man muss diese Definition von Altruismus natürlich nicht anerkennen, aber dann wäre es gut, wenn man die eigene Definition offen legt. Ich fand diese sehr passend.

Der Nachteil an der üblichen Lesart, die sich gerne um Definitionen drückt, ist, dass man behaupten kann (und es wird auch regelmäßig gemacht) der Altruist sei ja gar keiner, weil er das in Wirklichkeit auch nur für sich täte, nämlich damit er sich gut fühlt. Obige Definition kann an der Stelle differenzieren.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Herr K.
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Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 11:05
Auch die Wünsche anderer sind absehbar und unabsehbar. Der Altruist kann mit seiner Selbstaufopferung zugunsten anderer auch zu deren Ungunsten handeln, insofern er die Angemessenheit seiner Handlungen zugunsten des Wohles anderer nicht einschätzen kann. Sagt man aber, der Altruist habe es wenigstens gut gemeint und sich gutmeinend selbst geopfert, mithin zähle seine Absicht, nicht seine Wirkung, so landen wir wieder beim Anfangspunkt: der Absicht. Wenn jemand aber getreu seiner Absicht handelt, dann eben nicht getreu der Absicht anderer. Der Altruist kommt um die Egozentrik seines Wollens nicht herum. Deshalb ist das mit dem Altruismus nicht einfach und eindeutig.
Ja, es kommt dabei auf die Absicht an, die eigene Absicht ist die eigene Absicht und Handlungen sind immer absichtlich. Wenn nun Handeln aus eigener Absicht egoistisch sein soll, dann wäre damit Altruismus aus seiner Existenz definiert. Psychologischer Egoismus wäre trivialerweise wahr, es könnte dann ja keine nicht-egoistischen Handlungen geben. Und die Aussage, dass eine Handlung egoistisch sei, enthielte null Information, der Ausdruck "egoistische Handlung" wäre ein Pleonasmus.




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Friederike
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Sa 23. Sep 2017, 19:29

Herr K. hat geschrieben : Ja, es kommt dabei auf die Absicht an, die eigene Absicht ist die eigene Absicht und Handlungen sind immer absichtlich. Wenn nun Handeln aus eigener Absicht egoistisch sein soll, dann wäre damit Altruismus aus seiner Existenz definiert. Psychologischer Egoismus wäre trivialerweise wahr, es könnte dann ja keine nicht-egoistischen Handlungen geben. Und die Aussage, dass eine Handlung egoistisch sei, enthielte null Information, der Ausdruck "egoistische Handlung" wäre ein Pleonasmus.
Dieser Punkt ist mir auch aufgefallen (Alethos hat ihn in seinen beiden letzten Beiträgen "gemacht"). Was tun wir jetzt aber damit? Wäre es gut, eine weitere Unterscheidung zu treffen? Denn es ist doch zutreffend, daß wir bei jeder Handlung immer auch die Absicht des Nicht-Scheiterns verfolgen, damit unsere "andere" Absicht (der Handlung) verwirklicht wird.




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Jörn Budesheim
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Sa 23. Sep 2017, 19:47

Die Idee, alle Handlungen oder auch nur eine Mehrheit der Handlung, könnten egoistisch sein, finde ich absurd. Wenn ich die Heizung anmache, weil ich friere, dann ist es keine egoistische Handlung, auch wenn sie für mich angenehm endet. Egoistisch ist etwas nur dann, wenn man die Belange der anderen in unangemessener Weise ausblendet und nicht berücksichtigt oder in unangemessener Weise gar auf Kosten der anderen handelt.

Ich schätze daher, die allermeisten Handlung, der allermeisten Menschen sind in den seltensten Fällen egoistisch.




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Alethos
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Sa 23. Sep 2017, 20:03

Das war übrigens gar nie mein Punkt, sondern es ging mir darum zu sagen, dass altruistische Handlungen in ihremursprünglichsten Motiviertsein gänzlich das Ziel der eigenen Absicht verfolgen.

Das heisst ja nicht, dass eine Handlung sich in dieser Motivation erschöpft. Denn es ist in allen Fällen so, dass eine Handlung über die unumgehbare Selbstbegründung hinaus durch andere Gründe vollzogen wird. Bei Wünschen erster Ordnung durch schwache Wertungen, bei Wünschen zweiter Ordnung durch eine gewisse Tiefe des Selbstverständnisses, z.B. anderen eine Hilfe sein zu wollen oder weil man ein guter Mensch sein will etc. Die Heizung nicht aufzudrehen wäre dann eine Handlung, die auf einem Wunsch zweiter Ordnung basiert, wenn sie darin Begründung findet, die Umwelt nicht belasten zu wollen.
Zuletzt geändert von Alethos am Sa 23. Sep 2017, 20:09, insgesamt 1-mal geändert.



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Sa 23. Sep 2017, 20:07

Ich habe die Diskussion vielleicht auch nicht genau genug verfolgt. (Ich finde übrigens auch nicht, ist Altruismus irgendwas mit Selbstaufopferung zu tun hat.)




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Herr K.
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Sa 23. Sep 2017, 20:11

Friederike hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 19:29
Dieser Punkt ist mir auch aufgefallen (Alethos hat ihn in seinen beiden letzten Beiträgen "gemacht"). Was tun wir jetzt aber damit? Wäre es gut, eine weitere Unterscheidung zu treffen? Denn es ist doch zutreffend, daß wir bei jeder Handlung immer auch die Absicht des Nicht-Scheiterns verfolgen, damit unsere "andere" Absicht (der Handlung) verwirklicht wird.
Ich möchte dazu einen Abschnitt aus der SEP zitieren (es ging vorher als Beispiel um einen Soldaten, der sich auf eine explodierende Granate wirft, um seine Kameraden zu retten), SEP - Egoism - 1. Psychological Egoism:

Schließlich tat der Soldat das, was er am meisten wollte, und so muss er sein wahrgenommenes Eigeninteresse verfolgt haben. Auf eine bestimmte Art und Weise ist das wahr. Wenn das Eigeninteresse mit der Befriedigung aller Präferenzen identifiziert wird, dann ist jede bewusste Handlung eigennützig (zumindest wenn Handlungen immer durch das Aufzählung von Präferenzen erklärt werden, wie die meisten glauben). Psychologischer Egoismus erweist sich als trivial wahr. Dies würde jedoch keine Verteidiger des psychologischen Egoismus zufriedenstellen. Sie beabsichtigen eine empirische Theorie, für die, wie für andere solche Theorien, es zumindest möglich ist, sie durch Beobachtung zu widerlegen.

Eine trivialerweise wahre Theorie ist unbefriedigend und etwas (hier: Altruismus) einfach aus seiner Existenz zu definieren ebenso.

Nun, der Lösungsvorschlag ist, wie schon gesagt, die Definition von Batson zu nehmen: Altruismus hat zum Ziel, das Wohl anderer zu steigern. (Im Gegensatz dazu Egoismus, der darauf abzielt, das eigene Wohl zu steigern.) Nimmt man diese Definition, dann ist die Behauptung des psychologischen Egoismus nicht mehr trivial, sondern eine empirisch testbare These (wozu Batson diverse Untersuchungen angestellt hat).

(In dieser Definition ist "Egoismus" nicht negativ belegt, anders als im Alltagsgebrauch, wo "egoistisch" häufig synonym zu "rücksichtslos" verwendet wird.)




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Sa 23. Sep 2017, 20:13

Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:03
Die Heizung nicht aufzudrehen wäre dann eine Handlung, die auf einem Wunsch zweiter Ordnung basiert, wenn sie darin Begründung findet, die Umwelt nicht belasten zu wollen.
Das lässt sich auch in der ersten Ordnung erklären: Man spart Heizkosten.

Ich gebe dir aber dahin gehend recht, dass bei vielen Handlungen eine Kombination von Motiven, Absicht und Gründen vorliegt. Die Welt ist nicht monodimensional.




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Segler hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:13
Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:03
Die Heizung nicht aufzudrehen wäre dann eine Handlung, die auf einem Wunsch zweiter Ordnung basiert, wenn sie darin Begründung findet, die Umwelt nicht belasten zu wollen.
Das lässt sich auch in der ersten Ordnung erklären: Man spart Heizkosten.

Ich gebe dir aber dahin gehend recht, dass bei vielen Handlungen eine Kombination von Motiven, Absicht und Gründen vorliegt. Die Welt ist nicht monodimensional.
Können wir uns vielleicht noch etwas eingehender mit dem Unterschied zwischen Wünschen erster und zweiter Ordnung auseinandersetzen? Mir ist dieser noch nicht wirklich klar geworden.

Ich verstehe deinen Einwand betreffend das Sparen von Heizkosten und würde diese wohl auch bei den Wünschen erster Ordnung einreihen. Aber wie können wir dies etwas konkreter fassen?



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Herr K. hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:11

Ich möchte dazu einen Abschnitt aus der SEP zitieren (es ging vorher als Beispiel um einen Soldaten, der sich auf eine explodierende Granate wirft, um seine Kameraden zu retten),

Schließlich tat der Soldat das, was er am meisten wollte, und so muss er sein wahrgenommenes Eigeninteresse verfolgt haben. Auf eine bestimmte Art und Weise ist das wahr. Wenn das Eigeninteresse mit der Befriedigung aller Präferenzen identifiziert wird, dann ist jede bewusste Handlung eigennützig (zumindest wenn Handlungen immer durch das Aufzählung von Präferenzen erklärt werden, wie die meisten glauben). Psychologischer Egoismus erweist sich als trivial wahr. Dies würde jedoch keine Verteidiger des psychologischen Egoismus zufriedenstellen. Sie beabsichtigen eine empirische Theorie, für die, wie für andere solche Theorien, es zumindest möglich ist, sie durch Beobachtung zu widerlegen.
Sorry, das sehe ich anders. Solche Akte erfolgen eher reflexhaft, nicht rational. Damit erfüllen sie nicht die Anforderungen an eine Handlung. Der Soldat hat nicht überlegt, ober er seine Kameraden retten will. Dafür war die verfügbare Zeit viel zu kurz. Er hat sich instinktiv über die Granate geworfen.

Die Story über den psychologischen Egoismus ist Unfug.




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Sa 23. Sep 2017, 20:21

Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:16

Ich verstehe deinen Einwand betreffend das Sparen von Heizkosten und würde diese wohl auch bei den Wünschen erster Ordnung einreihen. Aber wie können wir dies etwas konkreter fassen?
So wie ich Taylor gelesen habe, sind Wünsche erster Ordnung zweckgerichtet, solche zweiter Ordnung dagegen normativ.




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Herr K.
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Segler hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:19
Sorry, das sehe ich anders. Solche Akte erfolgen eher reflexhaft, nicht rational. Damit erfüllen sie nicht die Anforderungen an eine Handlung. Der Soldat hat nicht überlegt, ober er seine Kameraden retten will. Dafür war die verfügbare Zeit viel zu kurz. Er hat sich instinktiv über die Granate geworfen.
Man kann davon ausgehen, dass der Soldat die Situation erfasst hat und sich mit der Absicht, seine Kameraden zu retten, auf die Granate geworfen hat. Sowas ist nach meinem Verständnis eine Handlung. Was fehlt Dir dabei? Muss vorher erst ein längeres Überlegen erfolgen, reicht kein kurzes Überlegen?
Segler hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 20:19
Die Story über den psychologischen Egoismus ist Unfug.
Nö.




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Jörn Budesheim
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So 24. Sep 2017, 05:24

Ich denke mal, über die meisten Handlung denken wir nicht nach. Während ich hier sitze und ein paar Sätze schreibe, greife ich nebenbei zu der Kaffeetasse, führe sie zum Mund und trinke. Das sind fraglos wiederkehrende Handlungen. (Oder ein wiederkehrender Handlungstyp.)

Handlungen müssen nicht mit Reflektionen einhergehen. Dennoch könnte man, danach gefragt, die Gründe und die Absichten angeben, die zu der Handlung geführt haben... Diese Handlungen können gelingen oder misslingen man könnte sie auch unterlassen, es handelt sich also auch nicht um ein Reflex. Es gibt hier meines Erachtens gar nichts, was dagegen spricht, das eine Handlung zu nennen.




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Jörn Budesheim
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So 24. Sep 2017, 05:35

SEP hat geschrieben : Wenn das Eigeninteresse mit der Befriedigung aller Präferenzen identifiziert wird, dann ist jede bewusste Handlung eigennützig
Vielleicht eine schlechte Übersetzung? Meines Erachtens nicht wirklich richtig. Und zwar aus demselben Grund wie weiter oben die Verwendung des Wortes Egoismus falsch ist. Wer sagt, dass eine Handlung eigennützig ist, der tadelt sie. "Eigennützig" ist kein beschreibender Begriff sondern ein wertender. Ein Beispiel: Obwohl es in diesen Moment keinem anderen nützt, dass ich meinen Kaffee trinke, ist die Handlung, die ich gerade vollziehe, natürlich nicht eigennützig.

Die Worte "eigennützig", "egoistisch" oder "altruistisch", haben nur deshalb einen Sinn, weil wir mit unseren Handlungen auch die Interessen der anderen berücksichten können und in der Regel auch sollen (oder gemeinschaftlich mit diesen handeln). "Eigennützig" und "egoistisch" sind wie gesagt Begriffe, die offensichtlich wertend und nicht bloß beschreibend sind und besagen, dass bei einer Handlung die Interessen der anderen nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Würde ich hier nicht alleine sitzen, sondern Gäste haben und beim Kaffeetrinken nicht in angemessener Weise berücksichtigen, dass auch meine Gäste Kaffeedurst haben, dann wäre "dieselbe" Handlung möglicherweise eigennützig.

Hier noch ein weiterer Punkt, der aber eng damit zusammenhängt: Die Thread Frage "was ist Handeln und warum handeln Menschen?" umfasst logischerweise auch kooperative Handlungen. Interessanterweise spielt das bei den Handlungstheorien, von denen ich bisher Kenntnis genommen habe, jedoch zumeist eine untergeordnete Rolle. Generell sind Handlungen ja keine absoluten Einzelvorkommnisse, sondern sie sind nahezu immer in ein Netz von anderen Handlungen eingefügt. Und in der Wirklichkeit, die wir bewohnen, sind nahezu alle Handlung, die wir vollführen, abhängig von Handlungen, die andere vollzogen haben.

Außerdem ist die große Mehrheit der Handlungen, die wir vollziehen, verknüpft mit Geräten, die diese Handlung erst möglich und sinnvoll machen...

Vielleicht sind ja diese (holistisch zu verstehenden) Handlungen, die auf einem Set von Hintergrunds-Handlungen angewiesen sind (und die implizit kooperativ sind) und mit Hilfe von Geräten vollführt werden, der Standard Typ der Handlung, von dem die anderen (sagen wir mal die Einzel Handlungen), abgeleitet werden müssen und nicht umgekehrt... Vielleicht kommt man gar nicht auf einen grünen Zweig bei der Handlungstheorie, wenn man bei den Einzelhandlungen beginnt und dann versucht die anderen Aspekte oder Momente hinzu zu denken.

(Nachtrag 1: Zudem ist es auch so, dass die Geräte, mit denen wir umgeben sind, zwar von uns geformt wurden, aber nun ihrerseits unsere Handlungen formen.)

(Nachtrag 2: Da Denken eine Form von Handeln ist und der Psychologismus dem richtigen Verständnis von Denken offenbar im Wege steht, bietet es sich an, zu überlegen, inwiefern der Psychologismus auch dem Verständnis vom Handeln im Wege steht.)




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Jörn Budesheim
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So 24. Sep 2017, 06:46

Michael Tomasello in 'Warum wir kooperieren' hat geschrieben : Konkret werde ich Argumente und Nachweise dafür präsentieren, daß Kinder ungefähr von ihrem ersten Geburtstag an -wenn sie zu laufen und zu sprechen beginnen und zu wirklich kulturgeprägten Wesen werden -schon in vielen, wenn auch ganz offensichtlich nicht in allen Situationen hilfsbereit und kooperativ sind. Dieses Verhalten ist nicht von Erwachsenen abgeschaut, sondern kommt ganz natürlich zum Vorschein (...). Im Laufe ihrer weiteren Entwicklung wird diese relativ uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft der Kinder jedoch durch verschiedene Einflüsse verändert, etwa durch die zu erwartende Reziprozität und ihre Sorge um ihre Beurteilung durch andere Gruppenmitglieder, ...
Altruistisch zu sein, also anderen zu helfen, gehört nach dieser Ansicht zu unserer Natur. Sollten nicht Wesen, die geborene Helfer sind, die geborene Kooperierer sind, in einem Thread zum Thema Handeln das Helfen gleich mitbehandeln :)

Mir ist natürlich klar, dass die Sicht von Tomasello umstritten ist. Dennoch sollte man diese Sichtweise zumindestens als mögliche Option ernsthaft in Erwägung ziehen und keineswegs unterstellen, als sei die Egoperspektive auf Handlungen die einzig mögliche :) wenn ich das mal etwas provokativ ausdrücken darf.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 05:35
(Nachtrag 2: Da Denken eine Form von Handeln ist und der Psychologismus dem richtigen Verständnis von Denken offenbar im Wege steht, bietet es sich an, zu überlegen, inwiefern der Psychologismus auch dem Verständnis vom Handeln im Wege steht.)
+
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 06:46
Michael Tomasello in 'Warum wir kooperieren' hat geschrieben : Konkret werde ich Argumente und Nachweise dafür präsentieren, daß Kinder ungefähr von ihrem ersten Geburtstag an -wenn sie zu laufen und zu sprechen beginnen und zu wirklich kulturgeprägten Wesen werden -schon in vielen, wenn auch ganz offensichtlich nicht in allen Situationen hilfsbereit und kooperativ sind. Dieses Verhalten ist nicht von Erwachsenen abgeschaut, sondern kommt ganz natürlich zum Vorschein (...). Im Laufe ihrer weiteren Entwicklung wird diese relativ uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft der Kinder jedoch durch verschiedene Einflüsse verändert, etwa durch die zu erwartende Reziprozität und ihre Sorge um ihre Beurteilung durch andere Gruppenmitglieder, ...
Altruistisch zu sein, also anderen zu helfen, gehört nach dieser Ansicht zu unserer Natur. Sollten nicht Wesen, die geborene Helfer sind, die geborene Kooperierer sind, in einem Thread zum Thema Handeln das Helfen gleich mitbehandeln :)

Mir ist natürlich klar, dass die Sicht von Tomasello umstritten ist. Dennoch sollte man diese Sichtweise zumindestens als mögliche Option ernsthaft in Erwägung ziehen und keineswegs unterstellen, als sei die Egoperspektive auf Handlungen die einzig mögliche :) wenn ich das mal etwas provokativ ausdrücken darf.
Da ist ja kein Psychologismus, sondern einfach nur Psychologie und dass die uns bei Handlungen und ihren Motiven nicht helfen sollte, halte ich für ein ziemlich großes Gerücht. Tatsächlich ist es so, dass der Mensch nicht nur kooperativ, sondern sogar "ultrakooperativ" (Tomasello) ist, gleichzeitig ist der Mensch aber auch aggressiv und zwar obendrein noch ultraaggressiv, auf ebenso natürliche Weise, wie er kooperativ ist.

Peter Fonagy dazu:
„Aggression tritt nicht plötzlich auf, sie verschwindet allmählich. Berichte von Müttern legen den Schluss nahe, dass körperlich aggressives Verhalten am Ende des 2. Lebensjahrs seinen Höhepunkt erreicht, um dann stetig abzunehmen (Tremblay et al. 1999). Rund 90% aller Mütter bestätigen, dass im Alter von 17 Monaten ihr Kind körperlich aggressiv gegen andere ist. Ungefähr eines von vier Kindern dieser Altersstufe hat ein anderes Kind geschlagen. Interessanterweise neigen Mütter dazu, dies zu vergessen, um ein Jahr später zu behaupten, ihr Kind habe bis zum 2. Lebensjahr kein anderes Kind geschlagen. Im Alter von 12 Monaten verfügen Kinder über die kognitiven, körperlichen und emotionalen Möglichkeiten, sich anderen gegenüber aggressiv zu zeigen, und sobald dies der Fall ist, so scheint es, beginnen sie tatsächlich zu schlagen, zu beißen und zu treten. Es ist keine Übertreibung, zu behaupten, dass sobald das kindliche Gehirn Kontrolle über ein Bein oder einen Arm erlangt, dies auch in den Dienst der Aggression gestellt wird, das heißt, zu treten, zu schubsen, zu ziehen, zu vernichten.“
(Peter Fonagy, Persönlichkeitsstörung und Gewalt – ein psychoanalytisch-bindungstheoretischer Ansatz, in: in Otto F Kernberg (Herausgeber), Hans P Hartmann (Herausgeber), Narzissmus: Grundlagen – Störungsbilder – Therapie, Schattauer 2009, S. 496 f)


Die Ansätze von Tomasello und Fonagy sind aber keine eklatanten Wiedersprüche, sondern verweisen auf die unter Psychologen altbekannte und kurioserweise bis heute oft verdrängte Tatsache, dass der Mensch eben auch ein aggressives Wesen ist und Aggression in diversen Arten, sowie Kooperation und Liebe in diversen Arten einfach zur psychischen Grundausstattung gehören und kein Fehler ist, der irgendwie später auftritt.
"Fonagy und Tomasello sehen den Grund für Kooperation etwas kontrovers. Für Fonagy scheint Angst der Auslöser für Bindungen zu sein, für Tomasello scheint es eher lustbetont zu sein, doch beide stimmen wesentlich in der Annahme überein, dass das Kind irgendwann eine neue Art, eine neue Qualität von Beziehungen eingeht. Es lernt größere Systeme und deren Funktionsweise zu überblicken und zugleich sich selbst als einen Teil dieses Systems und zugleich als Individuum zu sehen.

Mit anderen Worten es lernt ein Konzept des Selbst und von wichtigen Anderen zu entwickeln und den Sinn und die Notwendigkeit der Kooperation, auf einem anderen Niveau. Zuvor konnte man Kooperation noch als im Dienste der Konkurrenz stehend interpretieren. Der andere war für mich wichtig, aber in dem Sinne, wie ein Werkzeug wichtig sein kann, um an Nahrung zu gelangen. Es machte Freude ihm zu helfen, aber in einem vermutlich angeborenen Sinne, wie es Freude macht, zu essen. Beides sehr instrumentelle Ansätze, die am anderen interessiert sein können, weil er mir nützlich ist.

Aber dann gibt es einen Sprung. Einen Sprung der Kooperation auf eine andere Ebene hebt, nämlich auf die ein Verständniss vom Selbst und Anderen, von Ich und Du zu entwickeln und von einem Wir was nicht zufällig zusammenfindet, etwa in einer Jagdsituation und dann, wenn es um die Beute geht, getrennter Wege geht, sondern es geht um ein Wir, was über gemeinsame zufällige Aktionen hinaus eine Beziehung eingeht. Zum Beispiel indem man öfter gemeinsam auf Nahrungssuche geht.

Und gleich ob Angst, Lust oder Verständnis die Triebfeder ist: Wenn man längere Beziehungen eingeht, ist ein überdauerndes Bild von Anderen, eine Mentalisierung, eine Idealisierung des Anderen notwendig. Der Andere, der mir jetzt konkret nichts bringt, weil er krank ist, aber mit dem ich dennoch teile, in dieser noch diffusen Mischung von: weil ich ihn später gebrauchen kann, aber auch, weil er und sein Wohlergehen kostbar für mich geworden sind. Weil ich inzwischen eine Beziehung zu ihm aufgebaut habe. Eine Beziehung, die stabil ist, weil sie gerade nicht nur auf Nützlichkeit beruht, sondern tiefer geht, emotionaler ist."
(psyheu, Ein Grundpfeiler des Lebens und der Psyche: Aggression (1), 22. März 2017)
Der ganze Artikel, hier.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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So 24. Sep 2017, 10:05

Mir ist nicht ganz klar, in welche Richtung dein Kommentar geht.

Ich wollte (neben anderem) darauf hinweisen, dass wir vielleicht auf dem Holzweg sind, wenn wir grundsätzlich die Einzelhandlung des Einzelnen in den Blick nehmen.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 10:05
Mir ist nicht ganz klar, in welche Richtung dein Kommentar geht.

Ich wollte (neben anderem) darauf hinweisen, dass wir vielleicht auf dem Holzweg sind, wenn wir grundsätzlich die Einzelhandlung des Einzelnen in den Blick nehmen.
Psychologie beschäftigt sich aber längst nicht nur mit den Motiven des Einzelnen.
Das grundsätzliche Problem an dieser Stelle könnte sein, dass philosophisch ambitionierte Menschen (ganz allgemein, ist nicht persönlich gemeint) das Gefühl haben könnten, dass man die Psychologie und ihre Erkenntnisse in der philosophietypischen Draufsicht, mal so eben mitnimmt. Tatsächlich scheint es aber mir so zu sein, dass die Konzepte der Psychologie denen der Philosophie des Geistes, Handelns usw., so wie ich es sehe, vielleicht mit Ausnahme der Ethik, wo vieles sich schön ergänzen konnte, an tiefe und Differenziertheit oft bei weitem überlegen sind. So oft der Philosophie eine einordnende Abstraktion auch oft gelingt, hier lohnt sich oft der Blick ins psychologische Detail.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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