Das halte ich für einen gesunden sokratischen Reflex. Auch ihm galten Aussagen der Art Gerechtigkeit ist x oder Tugend ist x als suspekt, insofern man über nichts ein Urteil abschliessend bilden könne. Er hat seine Diskussionspartner ja teilweise zur Verzweiflung getrieben. Und das ist meines Erachtens sicherlich nicht falsch, dass man sich über so genannte "gesicherte Tatsachen" in Zweifel bringt. Es ist ja ein produktiver Zweifel. Es beugt auch einer gewissen Fortschrittshemmung der eigenen Positionen vor, indem man sie in einem falsifizierbaren Status hält. Dadurch wird Wahrheit vom Sockel der Unumstösslichkeit gestossen und in einen Modus der Potenzialität versetzt.Herr K. hat geschrieben : ↑So 17. Sep 2017, 23:46Ich persönlich habe nun in meiner nicht so kurzen Foren-Erfahrung schlechte Erfahrungen mit angeblichen common-sense-Auffassungen gemacht. Ich habe daraufhin inzwischen so eine Art internen Alarm-Mechanismus entwickelt, der spricht u.a. auf Schlüsselwörter wie "selbstverständlich", "wie jeder weiß", "bekanntlich" und "xy ist common-sense" an, da bimmelt dann die Alarmglocke in mir. Sowas deutet nach meiner Erfahrung meist auf mangelnde Argumente hin, daher lohnt es sich oft, an der Stelle dann noch etwas nachzubohren.
Nun sehe ich aber dort die Schwierigkeit, wo diese Potenzialität zum Modus vivendi des philosophischen Diskurses erhoben wird. Wenn der Inhalt des philosophischen Austausches sich darin erschöpft festzustellen, dass der Wahrheitsgehalt unserer Aussagen stets nur relativ ist und der kleinste gemeinsame Nenner heisst: Ich weiss, dass ich nichts weiss , dann wird der Boden relativ hart und trocken, auf welchem etwas Gedeihliches wachsen könnte. Es wird insbesondere dann schwierig, wenn aus dem Ich weiss, dass ich nichts weiss folgt, also behaupte ich, was immer ich möchte. Denn, dass wir nicht zu immer gültigen Wahrheiten vordringen können, bedeutet ja nicht, dass wir keine praktikablen Wahrheiten hätten. Die Betonung liegt hier auf dem Begriff praktikabel.
Ich halte Erkenntnis für nichts derartiges, das sich Schritt für Schritt einstellt, gleich einem Eile-mit-Weile-SpielHerr K. hat geschrieben : ↑So 17. Sep 2017, 23:46Nun hängt es von den jeweiligen Diskutanten ab, wo man eine Diskussion beginnt, bzw. was gemeinsam akzeptiert ist und das kann sehr unterschiedlich sein. Daher ist es mE merkwürdig zu sagen, man werde "auf Feld eins zurückgeworfen", denn das impliziert irgendwie eine allgemeine/umfassende Schritt-für-Schritt-Erkenntnis, d.h. alte Erkenntnisse, die irgendwann für ewig abgehakt seien, eine geradlinige Entwicklung der Erkenntnis. Sowas kann es aber mE nicht geben - nicht allgemeingültig. Und auch individuell gesehen wäre es mE besser, wenn man bereit wäre, auch als gesichert angenommen Erkenntnisse bei guten Argumenten zu überdenken.
