Schimmermatt hat geschrieben : ↑ Mi 11. Mär 2020, 00:08
Wenn man sich aber alle Sptzfindigkeiten schenkt, so bleibt meines Erachtens auch nur übrig, dass die gefundenen Wahrheiten stets trivial bleiben. "Was sollen wir tun?", "Was ist der Mensch?", vor allem "Warum gibt es etwas und nicht nichts?" bleiben zu große Fragen, sie triumphieren nachgerade in noch unheilvollerem Glanz
Dass 'Dingtatsachen' für uns weniger relevant sind, kann man so sehen. Ich jedenfalls teile deine Meinung, dass die wichtigen Fragen, die also, die uns als Menschen betreffen und nicht bloss als Molekülehaufen, viel eher um Themen kreisen, die einen moralischen Sachverhalt zum Gegenstand haben. Jedenfalls halte ich es für mich als Menschen wichtiger zu wissen, was moralisch geboten ist, als zu wissen, dass ich um den Tisch herum gehen muss, wenn ich mich nicht an ihm stossen will, oder zu wissen, dass der Stein in der Regel zum Erdmittelpunkt neigt, wenn man ihn loslässt oder zu wissen, dass Materie aus Atomen besteht.
Aber ich würde nicht behaupten wollen, weil ich es mir nicht schlüssig erklären kann, dass diese 'Dingtatsachen', also Tatsachen, die nicht-moralische Sachverhalte betreffen, allesamt trivial sind. Für trivial halte ich beispielsweise alle logischen Schlüsse, generell, alle nicht-informativen Schlüsse. Denn trivial ist doch, wenn wir durch unsere Verfahren nichts Neues in Erfahrung bringen. So gesehen ergibt auch der
modus ponens triviale Resultate, überhaupt alle logischen Schlüsse, denn es ist in den Prämissen angelegt, was folgen soll und es folgt nichts, was nicht schon
formaliter feststand. Dass ein Ball blau scheint (für uns oder für wen auch immer), das halte ich nicht für ein triviales Urteil, dass er rund ist hingegen schon. Beides betrifft aber Dingtatsachen, die uns nicht betroffen machen können.
Darum weist du zurecht darauf hin, dass man es auch (mit Bezug auf handlungsrelevante, moralische Reflexionen) für trivial halten könnte, dass der Ball blau ist, denn es leuchtet ja überhaupt nicht ein, worin die Tragweite dieses Unstands liegen sollte, dass dort ein solch blaues Objekt steht. Es ist genauso 'trivial' wie das Wissen, dass der Computer ein menschliches Artefakt ist. Es sind einfach Fakten, die sich so darstellen. Mehr nicht. Es ist vielleicht gut zu wissen, aber nicht zwingend wichtig zu wissen, dass es so ist.
Anders doch bei moralisch relevanten Sachverhalten. Moralisch relevant sind doch Tatsachen, weil sie uns Menschen als Menschen betreffen. Und zum Menschsein gehört relevanterweise das Vermögen, Werteinstellungen zu haben. Dass wir im wahren Sinn Betroffene sein können. Dass wir Ansichten haben über uns und andere und den Wert dieser Bezüglichkeit zu uns selbst und anderen empfinden können. Reflektieren können. Und hier, wo gewissermassen unsere sozialen Empfindungen individuell empfunden werden, wo es eine Rolle spielt, was ich denke und du denkst, was wir denken und wie wir was bewerten, eine moralische Objektivität postulieren zu wollen, eine Objektivität im Sinne einer absoluten Wahrheit, das fällt nicht leicht.
Denn wenn wir einzelne moralische Fragestellungen anschauen, führen sie immer zurück auf die Feststellung: Dass es abhängig ist von der entsprechenden Begebenheit (Kultur, Situation, Jahrhundert, in dem man lebt), ob man so oder anders urteilen müsse. Es scheint so zu sein, dass moralische Richtigkeit sich nur vor dem Hintergrund einer spezifischen Situation beantworten lasse. Ist es bspw. richtig, ein Rehkitz zu töten? Ja, wenn man sonst bei hoher Geschwindigkeit ein gefährliches Manöver einleiten muss, das den Onkel auf dem Beifahrersitz und die zwei kleinen Kinder auf den Rücksitzen gefährdet. Nein, wenn es darum geht, es aus blosser Freude zu vernichten. Wenn wir aber im Auto unterwegs sind, und da steht ein Rehlein auf der Strasse, dann wägen wir ab, wir müssen abwägen, denn es ist unumgänglich, dass wir diese Richtigkeit mit der anderen Richtigkeit abwägen: Richtig, die Familie zu verschonen? Richtig, das Rehlein zu verschonen? Und wenn wir das tun, wenn wir uns solche Fragen stellen, fragen wir zwangsläufig danach, was uns mehr Wert ist, was uns mehr am Herzen liegt. Wir kommen gar nicht umhin, die moralische Richtigkeit zu einer Herzensangelegenheit zu machen und dann, wenigstens scheint es vermeintlich so, dass moralisch richtiger ist, was uns mehr am Herzen liegt. Moralische Richtigkeit erkennen wir nur durch unsere epistemischen Fähigkeiten: Reflexion, Argumente, Gründeabwägungen und so diffuse Dinge wie Gefühle und Emotionen. Wir können diese Relevanz, die wir diesen uns betreffenden, besser: diese uns betroffen machen könnenden Dingen entgegenbringen, bei der Beurteilung moralischer Sachverhalte gar nicht herausrechnen. Zu wissen, ob dieses oder jenes Handeln moralisch richtiger ist, das können wir nur in Anbetracht unserer inneren Einstellungen beurteilen und/oder abhängig von den Wertegemeinschaften reflektieren, in denen wir sozialisiert sind.
Aber heisst das nun, dass ein moralisches Urteil deshalb relativ ist? Ich meine nicht. Wenigstens steckt darin nicht mehr Relativismus als in der Tatsache, dass das Blauempfinden abhängig von meinem Sehsinn ist oder das Geschmackserlebnis abhängig ist von meinen individuellen Geschmacksnerven. Daran ist nichts relativ und nicht mehr Relativität steckt doch in den moralischen Urteilen.
Es ist schliesslich objektiv wahr, dass Blau mir blau erscheint und Schokoladeneis mir schmeckt. Und es ist wahr, dass mir die meisten Schokoladeneisvarianten die meiste Zeit schmecken. Es ist der Regelfall, dass p. So ist es doch auch objektiv so, dass im Regelfall es richtig ist, meine Familie zu schützen und nicht ein Reh, das ein beliebiges Reh ist für mich. Und es wird im Regelfall so sein, dass Diebstahl schlecht ist und Folter auch. Auch wenn es Ausnahmen geben mag, so rechtfertigen sie nicht die Relativität der Richtigkeit, sondern bestärken doch vielmehr die Richtigkeit als Regelfall. Dass es richtig oder falsch ist, dass p.
Damit sage ich nicht, dass moralische Urteile Geschmacksurteile sind, sondern dass sie Objektivität haben - ganz und gar nicht triviale.