#filosofix > Das Trolley Problem
Wenn man glaubt, dass der Wert des Menschen gegen nichts anderes verrechenbar ist, ergeben sich daraus - gelinde gesagt - gewisse ethische Probleme, wenn man in eine Situation gerät, wo man verschiedene Menschenleben gegeneinander verrechnen muss.
Das ethische Dilemma, welches in dem Video dargestellt ist, mag zunächst abstrakt erscheinen, aber wenn man z.b. über Terror Angriffe in Flugzeugen nachdenkt und die Frage, ob diese Flugzeuge abgeschossen werden dürfen, sieht man, dass es durchaus eine praktische Relevanz haben kann.
In jüngerer Zeit wird es gelegentlich im Zusammenhang mit der Frage nach selbstfahrenden Autos und den damit implizierten ethischen Probleme erörtert.
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Weitere Gedankenexperimente und ähnliches findet ihr übrigens auf dem YouTube Kanal von DiaLogos.
Wenn ihr eins der Gedankenexperimente etwas diskutieren wollt, seid ihr herzlich eingeladen, das Video in einem Thread zu teilen und zu diskutieren!
Das ethische Dilemma, welches in dem Video dargestellt ist, mag zunächst abstrakt erscheinen, aber wenn man z.b. über Terror Angriffe in Flugzeugen nachdenkt und die Frage, ob diese Flugzeuge abgeschossen werden dürfen, sieht man, dass es durchaus eine praktische Relevanz haben kann.
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- Jörn Budesheim
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Du würdest also auch den Dicken von der Brücke werfen?
Tendenziell scheint es mir eher nicht geboten, jemanden der mit dem Schicksal der fünf anderen nicht das mindeste zu tun hat - außer zufälligerweise in der Nähe zu sein - zu opfern, um deren Leben zu retten.
Angenommen auf jeden Gleis würde sich nur eine Person befinden. Welchen Grund hätte man dann, die Weiche umzustellen? Und es wäre wohl absurd, den Dicken von der Brücke zu werfen, um die andere Person zu retten, oder? Der einzige Unterschied zum Ursprung Szenario besteht nun in der Zahl. Wenn jedoch der Wert des Lebens unverrechenbar ist, dann spielt die Zahl keine Rolle. Dieses Gegenargument wird jedoch gelinde gesagt seltsam, wenn man die Zahl drastisch erhöht, wenn es also nicht mehr um 5, sondern sagen wir um 100.000 Menschen ginge...
Mit anderen Worten, ich habe keine Ahnung...
Tendenziell scheint es mir eher nicht geboten, jemanden der mit dem Schicksal der fünf anderen nicht das mindeste zu tun hat - außer zufälligerweise in der Nähe zu sein - zu opfern, um deren Leben zu retten.
Angenommen auf jeden Gleis würde sich nur eine Person befinden. Welchen Grund hätte man dann, die Weiche umzustellen? Und es wäre wohl absurd, den Dicken von der Brücke zu werfen, um die andere Person zu retten, oder? Der einzige Unterschied zum Ursprung Szenario besteht nun in der Zahl. Wenn jedoch der Wert des Lebens unverrechenbar ist, dann spielt die Zahl keine Rolle. Dieses Gegenargument wird jedoch gelinde gesagt seltsam, wenn man die Zahl drastisch erhöht, wenn es also nicht mehr um 5, sondern sagen wir um 100.000 Menschen ginge...
Mit anderen Worten, ich habe keine Ahnung...
- Jörn Budesheim
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Ich habe etwas zu diesem Problem gelesen, da in einem meiner Bücher lediglich dazu gesagt wurde, dass sich die meisten Menschen intuitiv dafür entscheiden würden, den "Dicken" nicht von der Brücke zu werfen, und in einem anderem, dass sich die Philosophie seit Jahrzehnten die Zähne an dem Problem ausbeißt, sprich nicht lösen kann.
Ich bin dabei auf einen Artikel gestoßen, der zwar auch keine Lösung nennt, aber zumindest zwei philosophische Richtungen, mit denen das Problem angegangen werden kann.
http://ethify.org/content/das-straßenba ... es-dilemma
Das war mir so neu: Das Prinzip der Doppelwirkung (PDW) ist ein von einigen ethischen Theorien akzeptiertes Prinzip. Es besagt, dass eine Handlung mit sowohl (moralisch) schlechten wie auch (moralisch) guten bzw. (moralisch) neutralen Folgen dann moralisch erlaubt ist, wenn die schlechten Folgen nur unbeabsichtigte Nebenfolgen sind. (aus wiki).
Nachdem ich dazu einiges gelesen habe, scheint es tatsächlich so zu sein: Es gibt keine Lösung, und wir müssen auf uns als Mensch vertrauen.
Ich bin dabei auf einen Artikel gestoßen, der zwar auch keine Lösung nennt, aber zumindest zwei philosophische Richtungen, mit denen das Problem angegangen werden kann.
http://ethify.org/content/das-straßenba ... es-dilemma
Das war mir so neu: Das Prinzip der Doppelwirkung (PDW) ist ein von einigen ethischen Theorien akzeptiertes Prinzip. Es besagt, dass eine Handlung mit sowohl (moralisch) schlechten wie auch (moralisch) guten bzw. (moralisch) neutralen Folgen dann moralisch erlaubt ist, wenn die schlechten Folgen nur unbeabsichtigte Nebenfolgen sind. (aus wiki).
Nachdem ich dazu einiges gelesen habe, scheint es tatsächlich so zu sein: Es gibt keine Lösung, und wir müssen auf uns als Mensch vertrauen.
Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)
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Das Konzept der Doppelwirkung geht auf Thomas von Aquin zurück. Es behandelt die Tatsache, dass es kaum eine Handlung gibt, die keinerlei schlechte Folgen hat. Zur moralischen Bewertung ist es also erforderlich, zwischen intendierten und ungewollten Folgen zu unterscheiden.
Das klassische Beispiel ist die Notwehr:
Der Angreifer wird in Notwehr verletzt oder sogar getötet. Das ist schlecht. Die Handlung ist dennoch moralisch akzeptabel, denn die Tötung des Angreifers war nicht Ziel der Handlung, sondern lediglich eine unerwünschte Nebenfolge. Ziel der Handlung war die Abwehr des Angriffs.
Würde man auf das Konzept der Doppelwirkung verzichten, ergäbe das stark kontraintuitive Folgen. Notwehr wäre dann nicht mehr erlaubt, man müsste zusehen, wie Frau und Kinder vergewaltigt und ermordet werden, ohne Widerstand zu leisten.
Speziell starke deontologische Moraltheorien sind zwingend auf das Konzept der Doppelwirkung angewiesen.
Das klassische Beispiel ist die Notwehr:
Der Angreifer wird in Notwehr verletzt oder sogar getötet. Das ist schlecht. Die Handlung ist dennoch moralisch akzeptabel, denn die Tötung des Angreifers war nicht Ziel der Handlung, sondern lediglich eine unerwünschte Nebenfolge. Ziel der Handlung war die Abwehr des Angriffs.
Würde man auf das Konzept der Doppelwirkung verzichten, ergäbe das stark kontraintuitive Folgen. Notwehr wäre dann nicht mehr erlaubt, man müsste zusehen, wie Frau und Kinder vergewaltigt und ermordet werden, ohne Widerstand zu leisten.
Speziell starke deontologische Moraltheorien sind zwingend auf das Konzept der Doppelwirkung angewiesen.
- Jörn Budesheim
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Interessanterweise taucht dieses Problem in jüngster Zeit auf, wenn es um die ethischen Fragen selbstfahrender Autos geht. Offenbar vertraut man darauf, dass der Menschen in solchen Dilemma-Situationen ohne Lösung (?) intuitiv besser entscheidet als die Maschinen ... aber ist das nicht seltsam?
Herr Precht hat sich zu diesem Fall auch geäußert
«Moral ist eine emotionale Sache, keine Rechenaufgabe»
Herr Precht, Sie stehen am Stellwerk und müssen entscheiden, ob Sie einen Zug ohne Bremsen auf eine Gruppe von fünf Bauarbeitern auffahren lassen oder auf einen einzelnen Arbeiter. Das ist die Ausgangslage im Gedankenexperiment «Strassenbahn». Was würden Sie tun?
Ich weiss nicht, was ich tun würde. Wahrscheinlich würde ich wild und vergeblich rufen. Aber die Frage will ja auch nicht wissen, was ich wirklich tun würde. Sie will wissen, was ich meine, tun zu sollen. Und da würde ich wohl auch die Weiche umstellen auf den einzelnen Arbeiter.
Ist es moralisch gesehen schlimmer, eine Person aktiv zu töten, als sie passiv sterben zu lassen? Wenn ja, warum?
Für den philosophischen «Utilitarismus» ist beides gleich schlimm, weil er eine Handlung nach ihren Folgen bewertet. In unserem moralischen Empfinden beurteilen wir allerdings auch die Absicht und die Motivation einer Handlung mit.
Wenn ich nicht spende, und es sterben deswegen Bauern in Eritrea, ist mein Handeln vielleicht kalt und gleichgültig. Wenn ich jedoch nach Eritrea reise und eigenhändig ein paar Bauern erschiesse oder erwürge, handle ich gezielt sadistisch. Selbst wenn die Folgen gleich sein sollten, die Handlung ist unterschiedlich zu bewerten.
Würden Sie die Weiche auch stellen, wenn es sich bei der einzelnen Person um Ihr eigenes Kind handelte?
Selbstverständlich nicht!
Kann es moralisch richtig sein, Personen zu bevorzugen, die uns nahestehen?
Es ist richtig, weil es sich richtig anfühlt. Moral ist ein hochsensible emotionale Sache und keine mathematische Rechenaufgabe. Eine Ethik, die unsere biologischen Instinkte ausblendet, ist vielleicht gerecht, aber zugleich inhuman.
Sollten wir den dicken Mann von der Brücke stossen?
Auf keinen Fall!
Warum nicht?
Aus den gerade genannten Gründen. Wir schubsen nicht, weil diese moralische Handlung kontraintuitiv ist.
Darf man Menschen unter keinen Umständen instrumentalisieren? Oder gibt es Situationen, in denen es moralisch zulässig ist, beispielsweise jemanden zu foltern?
Darauf gibt es keine gute Antwort. In der Praxis müssen wir irgendwo die richtige Mitte finden: zwischen Kants Gebot, dass wir einen Menschen nicht «verzwecken» dürfen und der utilitaristischen Maxime, zwischen Glück und Leid abzuwägen. In jedem Fall befinden wir uns bei dieser Frage zwischen zwei Polen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft- ... henaufgabe
Der, die, das.
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- Jörn Budesheim
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Eine Straßenbahn fährt ungebremst auf fünf Gleisarbeiter zu. Es ist möglich, den Zug auf ein Nebengleis umzulenken, auf dem ein Gleisarbeiter steht. Er würde unweigerlich sterben, die anderen fünf wären gerettet. [...] In Deutschland hielten etwa 82 Prozent der Befragten es für richtig, den einzelnen Arbeiter durch Umlenken des Zuges zu opfern. In China waren es nur 58 Prozent. Noch größere Abweichungen fanden sie für das dritte Szenario: 49 Prozent der Deutschen fanden es richtig, den Mann von der Brücke zu stoßen. In Vietnam waren es 66 Prozent, in China 32. [...]
https://www.welt.de/wissenschaft/articl ... oeten.html
Schwierige Frage. Ich tendiere noch immer dazu, die kleinere Anzahl Opfer in Lauf zu nehmen, also den Zug umzuleiten.
Grund: Obwohl Leben nicht aufgewogen werden dürfen, so sind doch weniger Tote besser als mehr.
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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Ja!
Ich würde es eher nicht tun, zumindest vom Lehnstuhl her gedacht. Die Begründung fällt mir schwer. Der Eine muss den Zufall, dass ich dabei stehe, mit dem Leben zahlen. Dafür gibt es keinen Grund. Daher würde ich eher den Dingen ihren Lauf lassen. Besonders triftig ist das alles vermutlich nicht. Das Argument mit den Zahlen ist sicher eingängiger. Und wenn meine Sicht stimmt - müsste ich dann nicht auch eine Million Menschen sterben lassen, weil ich den Einen nicht "instrumentalisieren" will?
Unsere Intuitionen sind für solche Situationen nicht gemacht.
- Jörn Budesheim
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Hier der Wiki-Artikel zu dem vergleichbaren Problem, welches der Film "Terror - Ihr Urteil" behandelte. https://de.wikipedia.org/wiki/Terror_%E ... Ihr_Urteil
[...] Gegen die Abschussermächtigung im deutschen Luftsicherheitsgesetz (2005) reichten ein Flugkapitän sowie mehrere Rechtsanwälte – darunter die beiden FDP-Politiker Gerhart Baum und Burkhard Hirsch – eine Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Bestimmung dieses Gesetzes für verfassungswidrig, soweit es den Abschuss einer Passagiermaschine erlaubt. Für verfassungskonform wurde die Erlaubnis eines Abschusses eines nur mit Terroristen besetzten Flugzeuges erklärt.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber mit dem Urteil verboten, einen solchen Abschuss zu erlauben und straffrei zu stellen. Nicht entschieden wurde, wie ein Pilot in einem solchen Fall strafrechtlich zu behandeln wäre.[11] Ob man Unschuldige töten darf, um andere Unschuldige zu retten, ist Gegenstand unter anderem des Weichenstellerfalls bzw. Trolley-Problems. [...]
Vermutlich nicht, denn man kann ja auch wegen Unterlassung haftbar gemacht werden, also wenn man den Dingen freien Lauf lässt. Natürlich nur dann, wenn ein Eingreifen geboten ist (da sonst keine Unterlassung geltend gemacht werden kann), aber das ist ja der Kern der Frage: Ist man in dieser Trolley-Situation zu einem bestimmten Handeln (auch einem Nichthandeln in Form einer Nichteinmischung) angehalten? Gibt es ein moralisch richtiges Verhalten und nach welchen Kriterien bemisst sich dessen Richtigkeit?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 28. Jan 2020, 13:02Daher würde ich eher den Dingen ihren Lauf lassen. Besonders triftig ist das alles vermutlich nicht.
Ich habe darauf auch keine verlässliche Antwort.
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Aber wenn ich nach meinem Gefühl gehe, dann empfinde ich es als grössere Tragödie, wenn 50 Kinder bei einem Busunfall tödlich verunglücken als wenn ein Kind bei einem Fahrradunfall stirbt. Es ist auch eine grössere Tragödie, wenn zig Millionen Menschen in Konzentrationslagern getötet werden, als wenn 50 bei einem Bombenangriff auf einem Markt sterben. Das sind alles keine Argumente, nur Gefühle.
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Betrachtet man die "Problemlage" allein vom Ergebnis her - ein Toter gegen fünf Tote - dann kann man sich natürlich fragen, warum nicht die geringere Zahl? Doch jedes Menschenleben ist ein Wert in sich selbst, ein Wert insbesondere, weil es dieses einmalige, unersetzbare, unwiederbringbare Leben ist. Und diesen Gedanken hebt man auf, wenn man beginnt, diesen Wert zu quantifizieren, in Zahlen zu fassen, gegen andere Zahlenwerte aufzurechnen.
Ich glaube, das ist mein Hauptproblem dabei, dass man nämlich aus einem Menschenleben etwas Abzählbares macht. Das ist eine Form der Verdinglichung. In dem Moment, wo man das eine Leben opfert, macht man aus diesem Menschen einen Zweck, was ist ein Verstoß gegen die Selbstzweckhaftigkeit jedes Einzelnen ist.
Dieser Gedanke führt jedoch Konsequenzen mit sich, die absurd wirken. Denn dann dürfte man natürlich auch nicht einen Einzelnen opfern, um die gesamte Menschheit zu retten. Doch wenn man den Gedanken der Quantität (einer gegen alle) erst einmal akzeptiert hat, kann man nicht mehr erläutern, warum man ihn bei einem Verhältnis zu 1 zu 5 nicht akzeptiert.
Es ist letztlich so, als beinhalte Problemstellung selbst eine Absurdität, die man nicht los wird ... Denn man wird schließlich "aufgefordert", das Maß des Zählens anzulegen, wo das Maß des Zählens nicht passen kann.
Ich glaube, das ist mein Hauptproblem dabei, dass man nämlich aus einem Menschenleben etwas Abzählbares macht. Das ist eine Form der Verdinglichung. In dem Moment, wo man das eine Leben opfert, macht man aus diesem Menschen einen Zweck, was ist ein Verstoß gegen die Selbstzweckhaftigkeit jedes Einzelnen ist.
Dieser Gedanke führt jedoch Konsequenzen mit sich, die absurd wirken. Denn dann dürfte man natürlich auch nicht einen Einzelnen opfern, um die gesamte Menschheit zu retten. Doch wenn man den Gedanken der Quantität (einer gegen alle) erst einmal akzeptiert hat, kann man nicht mehr erläutern, warum man ihn bei einem Verhältnis zu 1 zu 5 nicht akzeptiert.
Es ist letztlich so, als beinhalte Problemstellung selbst eine Absurdität, die man nicht los wird ... Denn man wird schließlich "aufgefordert", das Maß des Zählens anzulegen, wo das Maß des Zählens nicht passen kann.
- Jörn Budesheim
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Aber jedes einzelne Kind stirbt für sich.
Jeder von uns lebt ja, wie soll man sagen?, im "Spannungsfeld" (zumindest) zweier Perspektiven. Auf der einen Seite: die Perspektive gleichsam von außen, die soziale Perspektive, wenn man sie so nennen darf. Und auf der anderen Seite: die Perspektive von innen, die eigene Individualität und Subjektivität aus der heraus man sein Leben führt. (Die Problematik der Begriffe innen und außen lasse ich jetzt einfach mal beiseite...)
Die Innen-Perspektive ist durch nichts zu ersetzen und gegen nichts aufzuwiegen. Immer wenn jemand stirbt, stirbt eine ganze Welt. Aus der "Sicht von Innen" ist alles zu Ende, wenn man stirbt und für ALLES gibt es keine Steigerungsform. Und diese Perspektive macht es im Grunde unmöglich, etwas zu verrechnen. Mehr als ALLES gibt es nicht. Niemand ist ein Rechen Exempel.
Das Verrechnen ist nur vom objektivierenden Blick, gleichsam von oben (oder vielleicht besser: von der Seite), möglich. Aber dieser Blick verpasst sozusagen notwendig, das worauf es eigentlich ankommt, wenn man von einem Menschenleben spricht.
Auf den ersten Blick gegen diese Argumentation spricht, dass z.b. viele Eltern ihr eigenes Leben für das Leben ihres Kindes geben würden. Und es mag sicherlich auch viele Menschen geben, die bedenkenlos ihr eigenes Leben geben würden um das vieler anderer zu retten. Aber ich meine nicht, dass man das wirklich vergleichen kann, wenn eine Person aus freien Stücken so handelt ...
Was ich oben gewissermaßen "unterschlagen" habe ist, dass die Perspektive jedes Einzelnen im Grunde undenkbar ist, ohne die Perspektive der anderen. Geist ist gewissermaßen für uns selbst am dichtesten in unserer Individualität, aber letztlich ist es immer der objektive Geist, der dies "möglich" macht.
Das alles ist natürlich keine Lösung, sondern im Grunde nur eine (etwas ausführlichere, aber letztlich unzureichend bleibende) Formulierung des Problems...
- Jörn Budesheim
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Deine Bedenken betreffend die Aufrechenbarkeit von Menschenleben leuchten ein, auch der Unterschied zwischen Innen- und Aussenperspektive ist plausibel (wie du sagtest, lassen wir die problematischen Implikationen dieser Begriffe "innen-aussen" einmal weg).Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 29. Jan 2020, 05:16Ich glaube, das ist mein Hauptproblem dabei, dass man nämlich aus einem Menschenleben etwas Abzählbares macht. Das ist eine Form der Verdinglichung. In dem Moment, wo man das eine Leben opfert, macht man aus diesem Menschen einen Zweck, was ist ein Verstoß gegen die Selbstzweckhaftigkeit jedes Einzelnen ist.
Die Perspektive von aussen auf ein Menschenleben neigt dazu, tatsächlich nur das Äussere des Menschen in Rechnung zu haben, also sozusagen die materielle Hülle. Zwei Menschenleben bestehen dann aus zwei paar Augen, zwei Leber, vier Lungenflügel, zwei Herzen, vier Füsse, zwei Hirne, zwanzig Finger etc. Diese "Dinge" lassen sich tatsächlich quantifizieren, sie lassen sich addieren und in die Gleichung bringen: "Zwei sind mehr als eins", denn es werden Dinge von derselben Art verglichen: Augen, Hände, Hirne und sie lassen sich unter diese Begriffe bringen. Aber der Mensch besteht ja nicht nur aus diesen Dingen, die sich addieren lassen, sondern aus Innenperspektiven, die gar keinen gemeinsamen Begriff haben, weil sie die Perspektiven von jemandem sind. Dieser Jemand ist ein Individuum und aus dieser Perspektive ist er eben ein Einzigartiges, etwas, das sich selbst Begriff ist. Dieser Jemand lebt ein volles Leben, wenn er lebt, denn es ist "sein" oder "ihr" Leben: Alles, was ihn oder sie ausmacht, hängt daran. Diese (Innen-)Leben lassen sich nicht addieren, weil sie nicht dieselbe Einheit zulassen, denn auch, wenn wir sagen, "ein Leben wurde ausgelöscht", so dürfen wir nicht den Akzent auf ein Leben legen, sondern müssen ihn auf ein Leben setzen. Aus dieser Perspektive ist ein Leben alles, was der Fall ist mit Bezug auf diesen Jemand, der lebt. Es ist kein Leben eines anderen, sondern seines, und es kann mit dem Leben dieses Anderen auch nicht in quantifizierender Weise in eins gesetzt werden.
Das ist alles sehr schwierig zu formulieren und ich versuche es einfacher: Der Wert eines Menschenleben lässt sich in keiner Währung formulieren und es wäre auch unsinnig, ihn in verschiedenen Währungen auszudrücken, weil es keinen Umrechnungskurs gibt, mit dem man den Tauschwert ermitteln könnte.
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- Jörn Budesheim
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Sehr schön. Das klingt vernünftig :-)
Ja, das klingt vielleicht ideal, aber es lässt dennoch die von dir bereits erwähnten absurden Schlüsse zu.
Nach dieser Lesart ist es nämlich mit Bezug auf den Verlust des "Innenlebens" gleichgültig, ob ein oder 10 Mio. Leben untergehen, denn immer geht "nur" ein Leben unter und das allein entfaltet schon die maximale Tragik, nämlich diejenige, dass jemand stirbt. Wir würden mit Blick auf das Innenleben jeweils nur sagen können, dass einer stirbt, niemals viele. Das halte ich für eine einseitige Draufsicht, denn die soziale Perspektive, also z.B. die Beziehungen eines Menschen zu anderen, gehört genauso zum Leben eines Einzelnen dazu, und hier spielt es eine Rolle, ob "nur" einer stirbt (ein Sohn resp. eine Tochter, ein Bruder resp. eine Schwester, ein Freund resp. eine Freundin etc.) oder ob mehrere Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern und Freunde sterben. Die Anzahl der Hinterbliebenen und damit der Betroffenen variiert und ist quantifizierbar, denn die Verwandschaftsverhältnisse fallen unter einen gemeinsamen Begriff. Man kann sagen, dass einer mehr stirbt, wenn zwei Söhne sterben, als wenn nur einer stirbt.
Wenn also die Anzahl Sterbender aus Sicht der Innenperspektive moralisch keine relevante Grösse darstellt (es also keinen Unterschied macht, ob einer oder viele sterben), bei der Aussenperspektive aber schon, dann greift doch im Entscheidungsfall jene Perspektive, die eine Entscheidung tatsächlich möglich macht: also die Aussenperspektive. Es ist dann besser, eine Tochter von jemandem weniger sterben zu lassen als eine Tochter mehr. Ist das Argument wenigstens verständlich?
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