Tangens Alpha hat geschrieben : - aus didaktischer Sicht: wenn ich weiß, wie Lernprozesse im Gehirn ablaufen, kann ich meinen Unterricht daraufhin optimieren.
Stellen wir uns vor, was wirklich passiert. Eine kleine Person soll etwas lernen. Etwas, was sie noch nicht kann, nämlich den Lernstoff. Also z.b. Schwimmen oder Französisch. Das Lernen des Lernstoffs (also der Lernprozess) - z.b. das Schwimmen - kann schwerlich in ihrem Gehirn ablaufen. Schwimmen findet bekanntlich im Wasser statt und es ist eine äußerst komplizierte körperliche Aktivität. Hier muss das Kind als Ganzes den eigenen gespürten Leib im Wasser so zu bewegen lernen, dass das Wasser es trägt. Wichtiger Teil dieses Lernprozesses ist sicherlich der Lehrer. Nicht unwesentlich dürfte auch die Atmosphäre des Lernorts sein, das Verhalten der Mitschüler und sicher viele viele Faktoren mehr. (Das was du an anderer Stelle despektierlich Gemischtwarenladen genannt hast.)
Der Lernprozess ist dabei ein normativer Prozess. Denn man kann das, was man tut, richtig oder falsch anstellen. Bei "richtig oder falsch" haben wir es in diesem Fall mit objektiven Relationen zwischen dem, was das Kind tut und dem, was es tun sollte, zu tun. Das kann daher gar nicht im Gehirn stattfinden, denn welchen Ort im Gehirn sollte das Relat "richtiges tun" haben? (Welchen Ort hat die französische Sprache?) Wie bei der Sprache gilt hier der Externalismus.
Zu sagen, im Gehirn finden Lernprozesse statt, ist meines Erachtens an Kategorienfehler. (ich denke das ist das, was ein analytischer Philosoph auch beizutragen hätte.) Im Gehirn finden biologische/chemische Prozesse statt.
Wenn der Lehrer z.b. eine bestimmte Armbewegung vormacht (die man beim Kraulen macht), dann ist das Teil des Lernprozesses und die Art und Weise, wie der Lehrer das macht gehört dazu. Aber das findet sich nicht in irgendeinem Gehirn.
Das Gehirn ist zudem ein biologisches Organ und weißt daher keine normative Aspekte auf.
Wichtig bei jedem Lernen ist aldo natürlich die Person und die Persönlichkeit des Lehrers. Seine Ausstrahlung, sein Einfühlungsvermögen, seine Fähigkeit sich auszudrücken und die Dinge zu erklären. Das ist ein ganz wesentlicher Teil des Lernprozesses und nichts davon befindet sich in einem Gehirn.
Natürlich müssen alle beteiligten Menschen bei diesem Prozess ein Gehirn haben, sonst würde da nichts laufen. (Auch ohne Lunge könnten wir nicht schwimmen lernen.) Ein Gehirn haben ist für diesen Prozess notwendig, aber bei weitem, bei weitem nicht hinreichend. Und ganz sicher finden im Gehirn zwar viele Prozesse statt, aber keine Lernprozesse, weil zu diesen der Gegenstand des Lernens, der Lehrkörper, die Umgebung und vieles anderes mehr gehört - der gesamte Gemischtwarenladen eben.
Vermutlich können Hirnforscher diesen Vorgang mit ihren Mitteln irgendwie beobachten und vielleicht auch dabei helfen, ihn zu optimieren. Aber wenn man behauptet, im Gehirn finden Lernprozesse statt, dann verfehlt man meines Erachtens völlig, was Lernprozesse überhaupt sind. (Meines Erachtens ein mereologischer Fehler, weil man einem Teil zuschreibt, was man nur dem Ganzen zu schreiben kann.)
All dies ist meines Erachtens von größten Belang, weil es das Verständnis dessen, was dort überhaupt passiert, mitbestimmt. Solange wir das Gehirn als ein Organ, als ein sehr wichtiges Organ betrachten, ist es vielleicht noch alles okay. Aber wenn wir dabei den Blick für die lebensweltlichen Tatsachen verlieren, dann ist das der erste Schritt in die falsche Richtung.