Allgemeiner Austausch und Smalltalk zu Blumenberg

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
Nauplios
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Friederike hat geschrieben :
Mo 18. Nov 2019, 13:10

Konkret: Du meinst mit dem schulbildenden Verfahren, daß Akademiker, die eine Professur innehaben, dafür Sorge tragen, wissenschaftliche Mitarbeiter und wissenschaftliche Assistentinnen zu haben, die die Arbeit ihres Doktorvaters (ihrer Doktormutter) bzw. ihres Förderers einer wissenschaftlichen Ausbildung fortführen?

Mir fällt noch ergänzend zum akademischen Netzwerk, der Verbindung zu den "richtigen" Kreisen ein, daß es wohl auch darauf ankommt, ob Themen den zeitgeistigen philosophischen Nerv treffen. Das mag gegebenenfalls eben erst nach dem Tode eines Autors der Fall sein. Ich kann das weder für Blumenberg noch für Habermas beurteilen, aber theoretisch scheint mir die Aktualität eines bearbeiteten Themas durchaus eine maßgebliche Rolle zu spielen (das, was für "aktuell" angesehen wird). Es scheint mir vergleichbar -wenn Du gestattest :lol: - mit einem irgendeinem neuen Produkt, das eine Firma auf den Markt wirft. Erfolgreich verkaufen läßt es sich dann, wenn ein Konsumbedarf besteht ... oder aber auch, wenn ein Bedarf geweckt werden kann.
Ja, ich meine genau jene Art von Schul- und Traditionsbildung, die in der Philosophie nichts Ungewöhnliches ist. Zwei Faktoren kommen bei Habermas noch hinzu, die ihn fundamental von Blumenberg unterscheiden. Da ist zum einen die Tatsache, daß Habermas als ein streitbarer Intellektueller sehr schnell zu einer öffentlichen Figur wurde, die in den jungen Bundesrepublik der 60er Jahre mit Vordenkerfunktionen ausgestattet war. Blumenberg hingegen meidete die Öffentlichkeit, wann immer sich Gelegenheit geboten hätte und beschränkte sich auf Glossen und Anekdoten in der NZZ und FAZ. Im Streit, in der Kontroverse, im argumentativ geführten Diskurs sah er nicht das bevorzugte Medium der Philosophie. In dem kleinen Vorlesungsmitschnitt, der in dem Film "Der unsichtbare Philosoph" zu hören ist, mißbilligt er Seminare, weil er in der Philosophie ein "Handwerk" sah, daß man wie andere Handwerke auch besser im Vollzug demonstrieren könne; deshalb seien Vorlesungen das richtige Format für dieses Zeigen. Während Habermas den "Strukturwandel der Öffentlichkeit" begleitete, blieb Blumenberg für die Öffentlichkeit "unsichtbar". -

Der zweite Faktor betrifft die Aufnahme von und den Anschluß an Theorien aus benachbarten Disziplinen, aus der Sprachphilosophie, der analytischen/postanalytischen Philosophie. Habermas war hier immer für Anreicherungen seiner eigenen Theorie der Kommunikation offen. Blumenberg hat zeitgenössische Strömungen in der Philosophie über den Kreis von Poetik und Hermeneutik hinaus kaum kontaktiert. Ich war erstaunt, in den Paradigmen an einer Stelle Alfred Jules Ayer beiläufig erwähnt zu finden.

"Markt ... verkaufen ... Aktualität ... Konsumbedarf"

Ob es einen meßbaren Bedarf an Philosophie gibt und je gegeben hat, kann ich nicht beurteilen. Offenbar muß es aber zumindest eine öffentlich-rechtliche Nachfrage nach fernsehaffinen Philosophen geben (Precht, Eilenberger u.a.), die es sich nicht nehmen lassen, in "Sternstunden" das Publikum unterhaltend aufzuklären, also aufklärend zu unterhalten. Ja gut, es mag auch einen "Markt" für Philosophie geben. Was auf diesem Markt Angebot sein und Nachfrage befriedigen kann - es sei dahingestellt.




Nauplios
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Di 19. Nov 2019, 18:00

Wenn ich die Dinge richtig sehe, Friederike, bewegen wir uns jetzt in jener Zäsur, die wir uns vor einigen Wochen vorgenommen hatten und in der wir überlegen wollten, wie (ggf. auch ob) es weitergehen soll mit dem Blumenberg-Projekt. - Ich spreche Dich deswegen direkt und persönlich an, weil - nach meinem Eindruck - wir beide die verbliebenen Interessenten an diesem Projekt sind. ;) Du scheinst ja inzwischen wieder regelmäßiger hier im Forum zu sein. Wie könntest Du Dir das weitere Vorgehen vorstellen? -




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Friederike
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Do 21. Nov 2019, 09:33

Nauplios hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 18:00
Wenn ich die Dinge richtig sehe, Friederike, bewegen wir uns jetzt in jener Zäsur, die wir uns vor einigen Wochen vorgenommen hatten und in der wir überlegen wollten, wie (ggf. auch ob) es weitergehen soll mit dem Blumenberg-Projekt. - Ich spreche Dich deswegen direkt und persönlich an, weil - nach meinem Eindruck - wir beide die verbliebenen Interessenten an diesem Projekt sind. ;) Du scheinst ja inzwischen wieder regelmäßiger hier im Forum zu sein. Wie könntest Du Dir das weitere Vorgehen vorstellen? -
Lieber Nauplios, derzeit bin ich leider immer noch nicht in der Lage, längere Texte zu lesen. Das heißt, es könnte wieder nur so gehen, daß Du referierst. Dennoch: "Einige Perspektiven ..." wir haben bzw. Du hast uns einen Einblick in die Metaphorologie und in diesem Kontext in die "Theorie der Unbegrifflichkeit" verschafft. Was wären weitere Perspektiven? Die Bedeutung des Mythischen für die Philosophie? Kunst, insbesondere die Dichtkunst in Verbindung mit der philosophischen Eindeutigkeitssprache (zumindest als angestrebtes Ziel)? Lebenswelten und Technisierung (Husserl)? Das fällt mir ein. Sage Du, gibt es Originelleres noch? Damit meine ich nur, daß ich die bekannten Themen nenne.




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Friederike
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Do 21. Nov 2019, 10:37

O, mir kommt noch die Nachlaßschrift über Hannah Arendt und den Eichmann-Prozeß in den Sinn. So weit ich mich erinnere, ein sehr anstößiger Text. Und möglicherweise gibt er Aufschlüsse über Blumenbergs Moralvorstellungen?




Nauplios
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Fr 22. Nov 2019, 13:59

Friederike hat geschrieben :
Do 21. Nov 2019, 10:37
O, mir kommt noch die Nachlaßschrift über Hannah Arendt und den Eichmann-Prozeß in den Sinn. So weit ich mich erinnere, ein sehr anstößiger Text. Und möglicherweise gibt er Aufschlüsse über Blumenbergs Moralvorstellungen?
Ja, Blumenbergs Sicht auf Hannah Arendt hat sich in kürzester Zeit von einer anfänglichen Zustimmung (1956) in eine vehemente Ablehnung von Eichmann in Jerusalem (1963) gewandelt.

Vermittelt über Hans Jonas schreibt Hannah Arendt im November 1956 an Blumenberg: "Es wäre schön, wenn wir uns sprechen könnten." - Eine Woche später kommt das Treffen dann auch in Kiel zustande, auf das Blumenberg schon drei Jahre später im Brief an Hans Jonas so zurückblickt:

"Seit der auf Ihre Anregung zustande gekommenen Unterhaltung mit Frau Hannah Arendt war mir der Verdacht dunkel gegenwärtig, daß ich nicht mehr die ˋrichtige Sprache´ spräche." (Brief v. 10. Aug. 1959)

Aus Anlaß von Eichmann in Jerusalem heißt es dann, Arendt schreibe "aus der Distanz dessen, der nicht weiß, was es heißt, seine Haut retten zu wollen." Hannah Arendt trete als Anklägerin der Juden auf, die "aus Liebe zur Wahrheit alles von sich und anderen verlangen zu dürfen glaubt." -

Die Zitate, teils in bislang unveröffentlichten Briefen, teils auf Karteikarten, sind dem aufschlußreichen Aufsatz "Hans Blumenberg über Hannah Arendt´s Eichmann in Jerusalem" von Hannes Bajohr (Merkur, Mai 2015) entnommen: http://hannesbajohr.de/wp-content/uploa ... usalem.pdf. -

Anders als Blumenberg liegt den Überlegungen Arendts eine "universale und moralische Wahrheit" (Bajohr) zugrunde. Für Blumenberg hingegen ist die Wahrheit "nicht jeden Preis wert" (Bajohr) - die moralische schon gar nicht. Dafür steht u.a. auch Die nackte Wahrheit.

Eine Diskussion über moralische Wahrheiten, deren Platonismus und Rigorismus ist kürzlich im Forum an anderer Stelle bereits geführt worden; vor diesem Hintergrund rate ich vom Durchlaufen der Blumenberg/Arendt-Debatte als recht unergiebig ab. - Der "natürliche" Anknüpfungspunkt an die Metaphorologie ist da wohl eher die Theorie des Mythos.




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Jörn Budesheim
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Fr 22. Nov 2019, 16:00

Du scheinst einen ziemlich genauen Fahrplan zu haben, worüber man hier reden sollte und worüber nicht. Wie hieß noch einer der Leitsprüche von Hannah Arendt? Denken ohne Geländer? Oder hieß er Denken nach Fahrplan?




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Alethos
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So 14. Jun 2020, 16:26

Nauplios hat geschrieben :
Mo 14. Okt 2019, 00:50
"Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d.h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn schreiben wollte, würde eine karge Ausbeute erzielen." (18) - Was ist Wahrheit? Wie läßt sie sich begrifflich definieren? Die Frage ist ein Dauerläufer, der - vorausgesetzt, er kommt überhaupt ans Ziel - eine "karge Ausbeute" mit sich führt. Anders die Metaphorik der Wahrheit.
Mit dem Versuch einer Anknüpfung an unsere Diskussionen über Blumenbergs "Paradigmen" verbindet sich die Hoffnung, dass wir ein Gespräch am Laufen halten, das sich zu führen lohnt. Es ist ein Gespräch über Wahrheit - darüber, was sie uns bedeutet und bedeutet hat.

Herauszufinden, was Wahrheit "bedeutet und bedeutet hat" kann nun vieles heissen, u.a. kann es heissen, "eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d.h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn" zu schreiben. Dies müsste zwangsläufig darauf hinauslaufen, Wahrheitsbegriffe in ihren historischen Kontexten zu erfassen und sie zu analysieren, also die Begriffsumfänge im Lichte ihrer Zeitalter zu bestimmen, sodass sich terminologisch festhalten liesse, was Wahrheit je bedeutete. Hier wäre aber vorausgesetzt, dass sich Wahrheit auf Begriffe (in welchem historischen Maßstab wir diese auch immer denken) bringen lässt.

Blumenberg kündigt bereits im ersten Satz des ersten Kapitals der "Paradigmen" an, dass eine solche auf Definitionen gerichtete Untersuchung nur eine "karge Ausbeute erzielen" würde. Denn dass Wahrheit in irgendeine definitorische Form zu bringen sei, z.B. als Übereinstimmung von Denken und Sache ("veritas est adaequatio rei et intellectus"), habe dem Anspruch der alten Frage, was Wahrheit sei, nicht zu genügen vermocht. Wenn die Frage, was Wahrheit ist, trotz dieser und jener Definition immer wieder gestellt wird, dann wohl deshalb, weil sie sich nicht mit einer Definition in der Form von "Das ist sie!" beantworten lässt. Aber warum ist das so? Warum treibt uns die Frage danach, was Wahrheit ist, immer noch um, wenn wir doch hier handliche Definitionen (z.B. Übereinstimmung von Denken und Sache) zur Verfügung haben? Warum ist es noch nach Jahrhunderten so, dass uns diese Frage immer wieder und immer noch umtreibt?

Eine mögliche Begründung liefert Blumenberg mit dem Hinweis auf die Lichtmetapher, mit der die Philosophie die Wahrheitsproblematik buchstäblich zu erhellen versuchte. Die Lichtmetaphorik sei, so Blumenberg, "nicht rückübertragbar", weil sich die Analyse "auf die Erschliessung der Frage richtet, auf die Antwort gesucht wird." Diese Fragen (nach der Wahrheit) hätten "präsystematischen Charakter", sie hätten wegen ihrer Intentionsfülle "die Metaphern gleichsam provoziert". Die Metapher kann vor diesem Hintergrund keine abschliessende Antwort auf die Frage geben, was Wahrheit ist, weil die Quelle der Frage die Quelle der Metapher selbst ist. Im nächsten Kapitel wird Blumenberg festhalten, dass diese Fragen "nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden".

Aber was leisten denn die (Wahrheits-)Metaphern mit Blick auf diese "prinzipiell unbeantwortbaren Fragen", was die Begriffe nicht leisten? Wenn uns Begriffe nicht befriedigende Definitionen liefern und uns Metaphern gleichsam ohne Antwort lassen, so müssen doch letztere gegenüber ersteren eine Funktion haben, ansonsten wir sie ja nicht verwenden würden. Wir verwenden aber ständig Wahrheits-Metaphern (Lichtmetaphern, Reinheitsmetaphern, Nacktheits- und Verhüllungsmetaphern, Nähe- und Distanzmetaphern usw. usf.), um Fragen zu beantworten wie: "Welchen Anteil hat der Mensch am Ganzen der Wahrheit?". Dürfen wir vertrauen, dass "sich das Seiende öffnet?" Blumenberg deutet an, dass "sich in der Sprache der Philosophie Indizien dafür finden lassen, dass in einer untergründigen Schicht des Denkens immer schon Antwort auf diese Fragen gegeben worden war, die zwar in den Systemen nicht formuliert enthalten, wohl aber impliziert durchstimmend, färbend, strukturierend gegenwärtig und wirksam gewesen ist.

Wichtig hervorzuheben, ist, dass dem Denken in dieser Perzeption eine "untergründige Schicht" attribuiert wird, dass ihm nachgesagt wird, das Implizites durchstimme, das Denken färbe und in ihm "strukturierend gegenwärtig und wirksam" sei. Wenn dem so ist, dass es eine untergründige Schicht im Denken gibt, dann kann diese Schicht nicht begrifflich gehoben werden, sie ist "vorbegrifflich" oder unbegrifflich. Hier greift der (pragmatische) Mehrwert von Metaphern gegenüber eigentlichen Begriffen. Die Metapher geht nicht auf die Begriffe, sondern auf die Bergung von Bedeutungsgehalten, die diesen immanent sind. Sie überträgt die Begriffsbedeutung eines Begriffs auf den anderen und fasst damit das Uneigentliche des Begriffs - das nicht durch ihn Bezeichnete, aber durch ihn Alludierte - zusammen. Sie lässt so den "imaginativen Hintergrund" durchscheinen und erkennbar werden, der den Denkuntergrund bildet. Sie vermag es nicht, näher an die Wahrheit zu kommen als der Begriff, aber sie kann den Untergrund durchscheinen lassen, der den Begriffen implizit sind.

So muss man es lesen, wenn im Weiteren von der Wahrheit als einer >mächtigen Akteurin< gesprochen wird, die sich "zeigt", oder wenn ihr "eine bestimmte Weise des Verhaltens" zugeschrieben wird. Das in allen Zeiten wechselnde 'Kleid der Wahrheit' ist nun eben die Wahrheit des Kleides, in das sie sich hüllt. Hüllt oder enthüllt - das ist dann bloss eine Frage der ästhetischen (oder erotischen) Präferenz.



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Jörn Budesheim
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So 14. Jun 2020, 16:57

"Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d.h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn schreiben wollte, würde eine karge Ausbeute erzielen."
Jochen Hörisch hat sich in seinem Buch "Theorie Apotheke" mal auf die Suche begeben. Und die Ausbeute war keineswegs karg, wie ich finde. Ich habe die Liste von Hörisch und ein paar andere Wahrheits-Definition schon vor längerer Zeit mal zusammengetragen. Wichtig: Die Erläuterungen beanspruchen natürlich keine letzte Präzision, im Gegenteil, teilweise muss man sie auch mit einem Augenzwinkern nehmen.
  • Abbildtheorie der Wahrheit: Wahr ist ein Bild/Modell, wenn es mit der Wirklichkeit übereinstimmt
  • Aletheia-Theorie der Wahrheit: Wahr ist das Sein insofern es sich lichtet und entbirgt
  • Ästhetische-Theorie der Wahrheit: Wahr ist das Schöne und Stimmige
  • Autoritäts-Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was eine Autorität sagt bzw. festsetzt (auctoritas, non veritas facit legem, Hobbes)
  • Charisma-Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was charismatische Personen verkünden
  • Dezisions-Theorie der Wahrheit: Wahr ist (als wahr gilt) wofür wir uns entscheiden, bzw. einer, der das Sagen hat
  • Disquotationstheorie -Theorie der Wahrheit: "Wahr ist" ist eine Form der "Disquotation": "Schnee ist weiß" ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist
  • Evidenz-Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was evident und offensichtlich ist
  • Falsifikations-Theorie der Wahrheit: Wahr ist (als wahr gilt) eine plausible Ansicht bis sie widerlegt wurde
  • Fundamentalitäts-Theorie der Wahrheit: "Wahr" ist undefinierbar, Der Begriff "Wahrheit" ist fundamental und lässt sich nicht auf andere Begriffe zurückführen
  • Identitäts-Theorie der Wahrheit: Wahr ist eine Aussage, die mit einer Tatsache identisch ist
  • Inkarnations-Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was die Person sagt, in der das Wort Fleisch wurde
  • Intensitäts-Theorie der Wahrheit: Wahr(haftig) ist das Leben, das sich selbst spürt - ich glühe, also bin ich
  • Kalokagathie-Theorie der Wahrheit: Wahr ist was zugleich schön und gut und wahr ist
  • Kohärenz-Theorie der Wahrheit: Wahr ist (als wahr gilt), was in sich stimmig ist
  • Komplexitätsreduktions-Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was die Überkomplexität der Welt reduziert und somit Überblick und Orientierung verspricht
  • Konsens-Theorie der Wahrheit: Wahr ist (als wahr gilt), worauf wir uns nach gründlicher Abwägung einigen
  • Konstruktions-Theorie der Wahrheit: Wahr ist eine viable Wirklichkeits-Konstruktion
  • Korrespondenz-Theorie der Wahrheit: Wahr ist eine Ansicht und/oder eine Satz, dem eine Tatsache entspricht
  • Logische Theorie der Wahrheits: Wahr ist, was aus wahren Aussagen widerspruchsfrei folgt bzw. zu folgern ist
  • Metaphorologische Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was sich in einer absoluten Metapher zeigt
  • Moralische Theorie der Wahrheit: Wahr ist das Gute
  • Offenbarungs-Theorie der Wahrheit: Wahr ist das Wort Gottes
  • Ontische Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was der Fall ist (Wahrheit ist "da draußen")
  • Pragmatische Theorie der Wahrheit: Wahr ist, was nützlich ist, was uns weiter bringt
  • Redundanz-Theorie der Wahrheit: "Wahr ist" ist redundant und lässt sich stets ohne Verlust eliminieren
  • Widerspiegelungstheorie der Wahrheit: Wahr ist ein Bewusstseinszustand, wenn eine Übereinstimmung mit dem bewussten Objekt vorliegt
Quellen: Jochen Hörisch (Theorie-Apotheke), www.gavagai.de, Wikipedia, eigene Recherchen




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Alethos
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So 14. Jun 2020, 18:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 16:57
"Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d.h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn schreiben wollte, würde eine karge Ausbeute erzielen."
Jochen Hörisch hat sich in seinem Buch "Theorie Apotheke" mal auf die Suche begeben. Und die Ausbeute war keineswegs karg, wie ich finde.
Die Liste der Definitionen ist gewiss lang, das stimmt. Meiner Meinung nach geht es Blumenberg aber eher um die 'Geschichte' des Wahrheitsbegriffs, also auch um die Entstehungsgeschichte und ihre -bedingungen. Hier sind terminologische Ansätze eher unfruchtbar, weil sie nur sagen, was Wahrheit ist, aber nicht, was es bedeutet, in dieser Wahrheit zu leben oder gar, was es mit sich bringt, diese Wahrheit zu verlieren gegen eine andere. Nur die Auseinandersetzung mit der Wahrheit aus historisierender Perspektive auf die Bildmotive, durch die sie überhaupt denkbar wurde, beleuchtet den Wahrheitsbegriff als eine sich wandelnde anthropologische Konstante. Und nur dieses Epochen übergreifende Studium lässt überhaupt erkennen, wie neuere Wahrheitskonzepte aus älteren haben erwachsen können.



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Jörn Budesheim
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"Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d.h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn schreiben wollte, würde eine karge Ausbeute erzielen."
Ich verstehe diesen Satz so: Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriff schreiben wollte, indem er nach entsprechenden Definitionen Ausschau halten würde, würde eine karge Ausbeute erzielen.




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Jörn Budesheim
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So 14. Jun 2020, 18:34

Alethos hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 16:26
Paradigmen
Ich finde den Link leider nicht :(




Nauplios
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Alethos hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 16:26
Nauplios hat geschrieben :
Mo 14. Okt 2019, 00:50
"Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d.h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn schreiben wollte, würde eine karge Ausbeute erzielen." (18) - Was ist Wahrheit? Wie läßt sie sich begrifflich definieren? Die Frage ist ein Dauerläufer, der - vorausgesetzt, er kommt überhaupt ans Ziel - eine "karge Ausbeute" mit sich führt. Anders die Metaphorik der Wahrheit.
Mit dem Versuch einer Anknüpfung an unsere Diskussionen über Blumenbergs "Paradigmen" verbindet sich die Hoffnung, dass wir ein Gespräch am Laufen halten, das sich zu führen lohnt. Es ist ein Gespräch über Wahrheit - darüber, was sie uns bedeutet und bedeutet hat.

Herauszufinden, was Wahrheit "bedeutet und bedeutet hat" kann nun vieles heissen, u.a. kann es heissen, "eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d.h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn" zu schreiben. Dies müsste zwangsläufig darauf hinauslaufen, Wahrheitsbegriffe in ihren historischen Kontexten zu erfassen und sie zu analysieren, also die Begriffsumfänge im Lichte ihrer Zeitalter zu bestimmen, sodass sich terminologisch festhalten liesse, was Wahrheit je bedeutete. Hier wäre aber vorausgesetzt, dass sich Wahrheit auf Begriffe (in welchem historischen Maßstab wir diese auch immer denken) bringen lässt.
Anselm Haverkamp schreibt an einer Stelle in Metapher - Mythos - Halbzeug. Metaphorologie nach Blumenberg: "Blumenbergs Werk ist darin ganz eigentümlich und allein Derrida verwandt, daß es die Verantwortung des abgeschlossenen Werkes nicht als eigene Wahrheit propagiert, sondern dessen Wahrheit für seine Wirkung offen hält und weiter zu tragen anhält. Mit der an seinem Fall immer neu aufbrechenden, immer wieder skandalösen Konsequenz, daß sich über Blumenberg nicht in Positionen handeln läßt, sondern nur im Weiterdenken des in sich - der transzendentalen Unfertigkeit der Zeit entsprechend - übergängig Kristallisierten." (S. 57f.) -

Blumenberg propagiert die Verantwortung des abgeschlossenen Werkes nicht als eigene Wahrheit. Ob das, was er in den Paradigmen und anderen Werken schreibt, wahr ist, bleibt "offen für seine Wirkung". Das ist das Eine. Die Frage, ob das, was er schreibt also wahr ist, hat er der Wirkungsgeschichte seiner Philosophie überlassen. Insofern könnten auch wir gut damit leben, nicht zu wissen, ob das, was in den Paradigmen steht, wahr ist oder nicht. Blumenberg beschreibt das, was er sieht. Andere beschreiben dasselbe (Kurt Flasch) anders. Die Frage, ob der Blumenberg´sche Befund wahr ist oder nicht, ist deshalb für mich ohne jeden Reiz und ohne jeden Belang. Wenn Blumenberg die eigene Wahrheit "für seine Wirkung offen hält", dann warten wir doch diese Wirkung einfach ab. Er steht ja erst am Anfang seiner Wirkungsgeschichte. Diese Wirkungsgeschichte nimmt in den letzten zwei Jahrzehnten Fahrt auf. Als ich in den 90er Jahren zum ersten Mal in philosophischen Foren unterwegs war, war der Name Hans Blumenberg für das Internetpublikum allenfalls ein "Geheimtipp". Heute liest man in den überregionalen Tageszeitungen von Blumenberg als einem der "Giganten unter den großen Philosophen des 20. Jahrunderts" (Frankfurter Rundschau v. 01.11.2019. - Über Blumenberg "läßt sich nicht in Positionen handeln" schreibt Haverkamp, insbesondere nicht von Positionen aus wie Konstruktivismus, Realismus, Idealismus, Materialismus usw. - "Weiterdenken" schlägt Haverkamp vor. In den letzten 25 Jahren hat sich eine "Blumenberg-Gemeinde" gebildet - konsolidiert in der Hans-Blumenberg-Gesellschaft, die an diesem "Weiterdenken" arbeitet (!). - Es mag wohl mittlerweile auch einen gewissen Chic haben, wenn man sich in Feuilletons mit Blumenberg-Zitaten schmückt. Das ist in Ordnung. Ob diese Popularität für die philosophische Wirkungsgeschichte von Vorteil ist, sei dahingestellt. Moden in Feuilletons haben eine geringe Halbwertzeit. Blumenbergs Werke sind inzwischen in die gängigen Sprachen übersetzt. Das ist viel wichtiger. - Nun stelle man sich vor: in 25 Jahren zeigt sich, daß nichts von dem, was Blumenberg geschrieben hat, einer Wahrheitsüberprüfung standhielte. Ich würde ihn trotzdem lesen. Aus Bosheit. :)

Etwas völlig anderes ist die Wahrheit als Gegenstand der Metaphorologie, die Wahrheit als ein zentrales Thema der Philosophie, als "Licht als Metapher der Wahrheit" ... Blumenberg hat sich in vielen Werken mit der Wahrheit beschäftigt (s. Rigorismus der Wahrheit oder Die nackte Wahrheit. Wenn von der "kargen Ausbeute" die Rede ist, dann ist nicht die Vielzahl von Wahrheitstheorien gemeint, sondern die "streng terminologische" Untersuchung der Geschichte des Wahrheitsbegriffs. "Eine streng terminologische Untersuchung der Wahrheit würde ihre Geschichte als Geschichte der expliziten Definitionen von Wahrheit erfassen. Ein Terminus ist ein in der Bedeutung exakt definierter Ausdruck, Terminologie wäre als Spezialfall von Begrifflichkeit von dem Gegenstand der Begriffsgeschichte abzugrenzen." (Anselm Haverkamp in seinem Kommentar zu den Paradigmen; S. 280) - Das Paradebeispiel für die "kärgliche Ausbeute" ist veritas est adaequatio rei et intellectus. Es geht also um die "kärgliche Ausbeute" im Hinblick auf einen exakt definierten Ausdruck, einen Terminus. Daß es viele Wahrheitstheorien gibt, widerspricht der "kärglichen Ausbeute" an Wahrheitsdefinitionen nicht. Es belegt sie geradezu. -




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Jörn Budesheim
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Nauplios hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 19:23
Das Paradebeispiel für die "kärgliche Ausbeute" ist veritas est adaequatio rei et intellectus.
Welche Begründung gibt es dafür?




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Alethos
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So 14. Jun 2020, 20:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 18:34
Alethos hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 16:26
Paradigmen
Ich finde den Link leider nicht :(
Mir liegt der Text nur in "hard copy" vor. :roll:



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So 14. Jun 2020, 21:31

Ich dachte, wir hätten hier einen gemeinsamen Text online gehabt?!




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Dia_Logos hat geschrieben :
Fr 4. Okt 2019, 06:28
Die Paradigmen gibt es auch online > https://www.jstor.org/stable/24355810 eine Anmeldung ist allerdings notwendig.




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Alethos hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 16:26
Nacktheit
Woher will man eigentlich wissen, dass die Metaphern, z.b. die von der nackten Wahrheit, dem Begriff der Wahrheit nicht etwas hinzufügen, was gar nicht passt?




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Alethos hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 16:26
Eine mögliche Begründung liefert Blumenberg mit dem Hinweis auf die Lichtmetapher, mit der die Philosophie die Wahrheitsproblematik buchstäblich zu erhellen versuchte. Die Lichtmetaphorik sei, so Blumenberg, "nicht rückübertragbar", weil sich die Analyse "auf die Erschliessung der Frage richtet, auf die Antwort gesucht wird." Diese Fragen (nach der Wahrheit) hätten "präsystematischen Charakter", sie hätten wegen ihrer Intentionsfülle "die Metaphern gleichsam provoziert". Die Metapher kann vor diesem Hintergrund keine abschliessende Antwort auf die Frage geben, was Wahrheit ist, weil die Quelle der Frage die Quelle der Metapher selbst ist. Im nächsten Kapitel wird Blumenberg festhalten, dass diese Fragen "nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden".
Das finde ich alles ziemlich dunkel. Insbesondere die Begründung, warum die Lichtmetapher nicht rückübertragbar sei. Vielleicht kannst du die Stille angeben, wo das besprochen wird, so dass wir das gemeinsam lesen können?




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Mo 15. Jun 2020, 20:36

"Blumenbergs Werk ist darin ganz eigentümlich und allein Derrida verwandt, daß es die Verantwortung des abgeschlossenen Werkes nicht als eigene Wahrheit propagiert, sondern dessen Wahrheit für seine Wirkung offen hält und weiter zu tragen anhält."

Blumenbergs Werk propagiert nicht die Verantwortung des abgeschlossenen Werkes als eigene Wahrheit. Was heißt das? Insbesondere was ist "die Verantwortung des abgeschlossenen Werkes" Vielleicht habe ich den Satz auch grammatikalisch falsch rekonstruiert, auf jeden Fall kann ich ihn nicht verstehen.

Was soll es heißen, die Wahrheit für seine Wirkung offenzuhalten? Ich kann die Wahrheit meiner Gedanken nicht offen halten, weil die Wahrheit meiner Gedanken gar nicht von mir abhängt. Die Wahrheit der Gedanken hängt davon ab, ob sie ihren Gegenstand treffen oder verfehlen.




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Mo 15. Jun 2020, 22:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Jun 2020, 20:05
Vielleicht kannst du die Stille angeben, wo das besprochen wird, so dass wir das gemeinsam lesen können?
H. Blumenberg hat geschrieben : Vom vollen Gehalt dieser Frage (Was ist Wahrheit?) erfahren wir aus dem terminologischen Material nur wenig. Verfolgen wir aber die Geschichte der mit dem Wahrheitsproblem am längsten verschwisterten Metapher, der des Lichtes, so expliziert sich die Frage in ihrer verborgenen, systematisch nie gewagten Fülle. Die Lichtmetaphorik ist nicht übertragbar; die Analyse richtet sich auf die Erschliessung der Fragen, auf die Antwort gesucht und versucht wird, Fragen präsystematischen Charakters, deren Intentionsfülle die Metaphern gleichsam >provoziert< hat. Man darf die vermeintliche Naivität nicht scheuen, diese fundierenden Fragen - auch wenn sie nie ausdrücklich gestellt sein sollten - zu formulieren. Welchen Anteil hat der Mensch am ganzen der Wahrheit? In welcher Situation befindet sich der Wahrheit Suchende: darf er vertrauen, dass das Seiende sich ihm öffnet, oder ist Erkenntnis wesentlich Gewalttat, Überlistung, Abpressung, hochnotpeinliches Verhör des Gegenstandes? Ist der Wahrheitsanteil des Menschen sinnhaft reguliert, z.B. durch die Ökonomie seiner Bedürfnisse oder durch seine Begabung zum Glück des Überflusses nach der Idee einer visio beatifica? Das alles sind Fragen, deren theoretische Beantwortung mit systematischen Mitteln kaum eine philosophische Schule auf sich genommen hat; trotzdem behaupten wir, dass sich überall in der Sprache der Philosophie Indizien dafür finden, dass in einer untergründigen Schicht des Denkens immer schon Antwort auf diese Fragen gegeben worden war, die zwar in den Systemen nicht formuliert enthalten, wohl aber implizit durchstimmend, färbend, strukturierend gegenwärtig und wirksam gewesen ist. Die kategorialen Mittel, solche Indizien zu erfassen und zu beschreiben, sind noch bei weitem nicht ausgebildet und methodisch parat; wenn wir etwa philosophische >Einstellungen< als optimistisch oder pessimistisch klassifizieren, so bleiben wir im Grunde an der Verdrossenheit oder Heiterkeit einer Physiognomie hängen, ohne auf die Orientierungen zurückzugehen, an denen sich solche scheinbar primär emotionalen Vorzeichensetzungen konstituieren, und zwar in der Weise, dass sie >abgelesen< werden an ganz elementaren Modellvorstellungen, die in der Gestalt von Metaphern bis in die Ausdruckssphäre durchschlagen.



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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