Tommy hat geschrieben : ↑ Di 25. Sep 2018, 19:58
Denn das ist die Frage die mich viel mehr interessiert: Wieso haben wir überhaupt Gefühle?
Die Fähigkeit Affekte zu äußern (und zu lesen) ist uns angeboren. Entwickelt hat sie sich bei den höheren Säugetieren, die auf die Strategie setzten, wenige Nachkommen auf die Welt zu bringen, im Gegensatz zu der, tausende Eier zu legen, so dass irgendwer schon durchkommen wird. Die wenigen Nachkommen waren dem entsprechend biologisch kostbar und daher wurden sie behütet, was umso besser und gezielter ging, wenn man sehen konnte, ob das Junge sich wohl fühlte oder unwohl. Durch Affekte konnten die höheren Säugetiere das anzeigen und sehen, weil man durch sie eine spontane Antwort auf äußere Reize geben kann.
Neugeborene Babys können bereits schreien, entspannt sein, sich wegdrehen, Freude zeigen, usw. einige Affektdispositionen sind uns als Basisausstattung angeboren.
Damit gehören Affekte zum Kommunikationssystem, aber auch zum Motivationssystem, denn aus der Fülle der Eindrücke, die das neugeborene Kind nun gewinnt, kristallisieren sich die ersten Triebe heraus. Affekte sind die Bausteine der Triebe. Das geht so:
Einiges was das Kind erlebt, löst Furcht aus, Ekel, das Kind weint, schreit, dreht sich weg. Anderes ist angenehm, löst Wohlgefühle aus. Das Kind lacht, entspannt sich, wird ruhig. Die eine Gruppe von Reizen, die aversiven, wie Hunger, Kälte, Lärm, will das Kind künftig vermeiden, es wird schon in ähnlichen Situationen unruhig, wütend, ängstlich, dreht sich weg, verspannt sich. Die angenehmen Reize: Nähe, Mutterbrust, Stimulation der Genitalien, Wärme usw. will das Kind wiederholen und sehnt sie herbei. Gruppen, Bündel, Cluster entstehen, des Erwünschten oder Guten und des Unerwünschten oder Bösen/Schlechten.
10.000e Eindrücke, die das kleine Kind erlebt, werden in diese gut/böse Gruppen eingeordnet, die bösen gemieden, wo immer es geht, die guten ersehnt. Das will ich, dies auf keinen Fall. Die Welt wird in gut und böse eingeteilt. Dadurch sind Affekte auch Teil des Motivationssystem die beiden fundamentalen Gruppen werden zu Trieben: Eros und Thanatos, Lebens und Todes- oder Aggressionstrieb. Die Triebe werden ihrerseits wieder zur Basis neuer Affekte und wenn diese uns dann später bewusst werden, heißen sie Gefühle (auch wenn die Zuordnung hier uneinheitlich ist). Die Hoffnung und das Sehnen, etwas möge eintreten, das Gute sich wiederholen ist nur ein Resultat dieser neuen Generation, Angst wäre demnach die Sorge, ein furchtauslösender Reiz könne wiederkommen. Die Triebe reformieren die Affekte, eine dynamische Einheit entsteht, die relativ schnell schon sehr kompliziert ist.
Affekte auszudrücken und zu lesen ist uns angeboren, die Affektschwelle, -dauer und -intensität sind genetisch bestimmt, sie gehören zum Kommunikations- und Motivationssystem.
Früher oder später kommen Empfindungen dazu, die ambivalent sind, nicht eindeutig gut oder böse, Freud entdeckte das im Masochismus. Einige Antriebe denen wir folgen sind uns bewusst, andere nicht oder sie werden verdrängt, weil sie sozial nicht erwünscht sind. Das Kommunikationssystem der Sprache senkt sich auf das der Affekte nieder und verbackt mit diesem zu einer theoretisch und praktisch kaum mehr zu differenzierenden Einheit. Emotionen verbacken zu neuen, komplexeren: Eine Kränkung ist Ärger mit Trauer. Neid, der Hass auf etwas, was man ersehnt, aber nicht bekommt. Bestimmte Begriffe lösen sofort affektive Assoziationen aus, aus sehr kompliziert wird sehr sehr kompliziert.
Konzepte kommen hinzu, die einem erklären, warum man das, was man will, eigentlich gar nicht will, verbunden mit einer schrittweisen Verinnerlichung dieser Idee und damit der aufrichtigen Überzeugung, dass es der ureigene Wunsch ist, dies tatsächlich nicht zu wollen. Simple Konzepte werden bei manchen Menschen von komplexeren abgelöst. Die Idee nach seiner verschütteten Eigentlichkeit zu suchen ist verständlich, funktioniert aber nur bedingt. Denn unser Belohnungssystem feuert nicht nur, wenn wir mit der Chipstüte vor der Playstation sitzen und gelegentlich Pornos gucken und uns dabei …, sondern eben auch, wenn wir die Wohnung geputzt und die Steuererklärung gemacht haben. Und das mit der Steuererklärung war von Mutter Natur so sicher nicht vorgesehen.
Die nächste Raketenstufe ist soziale Interaktion, also so gesehen, schnöder Alltag. Wir möchten ein Gefühl äußern, wissen aber, dass dieses Gefühl nicht erwünscht ist. Unter Umgehung des Bewusstseins wird das was man eigentlich ausdrücken wollte in eine sozial akzeptierte Version umgeschrieben, Freud nannte das Reaktionsbildung. So ist Mitleid, die Reaktionsbildung gegen Entwertung: „Ach Gott, der Arme“ hat als Schatten die Auffassung, dass es jemand aus eigener Kraft nicht schafft, z.B. weil er zu schwach oder dumm oder unfähig ist. Der Trottel. Es würde geleugnet werden, konfrontiere man den Mitleidenden mit dieser Deutung.
Vor kurzem unterschied ich:
Tosa Inu hat geschrieben : ↑ Fr 14. Sep 2018, 21:37
Die Frage nach der Intentionalität kann man in zweifacher Weise verstehen.
1. Sind individuelle Gefühle intentional? Ich verstehe unter Intention eine zielgerichtete Absichtlichkeit und da würde ich individuelle Gefühle von freisprechen, weil sie oft reaktiv sind, darin den Stimmungen nicht unähnlich.
2. Sind Gefühle insgesamt intentional? Hier kann man so etwas wie den evolutionären oder kommunikativen Nutzen im Blick haben und die Grundbausteine der Gefühle, die Affekte sind ein altes Kommunikationssystem und Motivationssystem, der höheren Säugetiere.
Vor allem Punkt 2 habe ich versucht näher auszuführen. Ob die evolutionsbiologische Deutung in einen noch größeren Kontext eingebettet ist, weiß ich nicht.
Punkt 1, also individuelle Gefühle richten sich in ihrer Intentionalität auch nach der Grundstimmung des Individuums. Diese hängt in einem starken Maße davon ab, in welchem Verhältnis Eros und Thanatos oder Liebe und Aggression in einem Individuum gemischt sind. Dieses hängt von der individuellen Neurobiologie ab, aber in noch stärkerem Maße, von den Erfahrungen mit anderen Menschen, den sogenannten Objektbeziehungen mit denen so ziemlich alles steht und fällt. Auf dem Buchrücken von Dieter Sturmas Sammelband
Philosophie und Neurowissenschaften steht der einzige schöne Satz:
"Der Kopf ist mit das Komplizierteste, was es im Leben gibt." (Matthias Sammer)
Da bleibt nur zu ergänzen: Und mit das Soziale, wird das das alles noch viel komplizierter. Oder, wie Dieter Bohlen sagen würde: Megamegakompliziert.
Demnächst: Die Bedeutung der konkordanten Gegenübertragung in der Objektbeziehungstheorie. (Scherz)