mariaboiler hat geschrieben : ↑ Fr 16. Mär 2018, 13:04
Gut gefallen haben mir auch seine Bemerkungen zu skeptizistischen Auffassungen: 'Der "Interface-Skeptizismus" beweist deshalb bestenfalls, dass wir häufig oder meistens den ungehinderten Zugang zum Interface mit einem nur vermeintlich ungehinderten Zugang zu etwas anderem verwechseln.' So gesehen mag es zwar sein, dass meine heiße Affäre mit Brad Pitt nur im Traum stattgefunden hat, aber Kuss ist Kuss - und bloß weil er kausal andere Ursachen hat, als ein Kuss außerhalb des Reichs der Träume, heißt es ja nicht, dass er gar nicht stattgefunden hat. Das ist immerhin ein interessanter Gedankengang, der das jeweils erlebte Phänomen in den Vordergrund rückt und die Theorien darüber in die 2.e Reihe schiebt.
mariaboiler hat geschrieben : ↑ Fr 16. Mär 2018, 13:04
'Der "Interface-Skeptizismus"
Ich hab mal die fragliche Stelle rausgesucht. [Absätze von mir]
MG, SuE hat geschrieben : Bis zu einem gewissen Grad stimme ich demnach dem alten phänomenologischen Argument zu, dem zufolge wir selbst dann mit einer Wirklichkeit konfrontiert sind, wenn wir von einer tiefsitzenden Illusion in Beschlag genommen werden, ja selbst dann, wenn wir uns in einer globalen Halluzination vom cartesischen oder Matrix-Typ befinden. Jede Erklärung, die epistemische »Vermittler« ansetzt, die zwischen uns und die Tatsachen oder Dinge an sich treten, muss imstande sein zu erklären, wie der erkenntnistheoretisch in Anspruch genommene Zugriff auf das vermeintliche Interface gelingen kann. Damit gehört das Interface aber seinerseits zum Teppich der Tatsachen, es ist ein Gegenstand der theoretischen Bezugnahme in der höherstufigen Erklärung gelingender oder scheiternder Bezugnahme auf eine nicht ihrerseits intentionale Wirklichkeit, der wir freilich in jedem Fall Strukturen unterstellen müssen, die es ermöglichen, dass sie uns überhaupt erscheint. Folglich haben wir selbst dann einen ungehinderten Zugang zu einer Wirklichkeit, wenn wir uns im skeptischen Szenario einer globalen Halluzination befinden, jedenfalls so lange, wie wir diese Möglichkeit theoretisch erwägen.
Der »Interface-Skeptizismus« beweist deshalb bestenfalls, dass wir häufig oder meistens den ungehinderten Zugang zum Interface mit einem nur vermeintlichen ungehinderten Zugang zu etwas anderem verwechseln. Ein einfaches Beispiel mag dieses Argument illustrieren. Wenn es überhaupt sinnvoll und kohärent behauptbar ist, dass Wiesen in Wahrheit nicht grün sind, dass sie durch unsere neuronalen Filter grün eingefärbt werden (dass sie nur »im« visuellen Kortex grün sind), bedeutet dies ja nicht, dass wir keinen Zugang zu etwas Grünem haben. Grün wäre dann nur nicht die Eigenschaft von Wiesen, sondern die Eigenschaft unseres Interfaces (etwa des Gehirns), in der kausalen Konfrontation mit Wiesen in einen internen, nur phänomenal zugänglichen Grünzustand einzutreten (wie auch immer man dies genauer beschreiben oder erklären mag). Damit hat man das Grün nicht »aus der Welt« geschafft, sondern es nur an einen anderen Ort verfrachtet; man hat es den Wiesen genommen und dem Geist gegeben.
Der eigentliche Punkt der Einführung skeptischer Szenarien vom Halluzinationstyp besteht darin, eine alternative Erklärung anzubieten, die derjenigen, die wir normalerweise vorziehen, überlegen ist, eine Erklärung, die wir nicht dadurch ausschließen können, dass wir darauf bestehen, unser vorherige Erklärung sei doch als Schluss auf die beste Erklärung schon gut genug gewesen. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die beste Erklärung ist diejenige, die den Tatsachen entspricht. Wenn wir uns in einer globalen Halluzination des cartesischen Typs befinden, ist die beste Erklärung dafür, dass uns etwas so-und-so erscheint (als grüne Wiese), eben diejenige, die Tatsachen hinsichtlich dessen erwähnt, dass wir uns in einem solchen Szenario befinden.
Schon aus diesem einfachen Grund hat der »gesunde Menschenverstand« in der Erkenntnistheorie nichts zu suchen. Die Berufung auf Meinungen ist noch kein Argument. Umgekehrt ist die ebenso voreilige Verabschiedung des gesunden Menschenverstandes im Namen der Wissenschaft die Kehrseite desselben Fehlschlusses. Es geht darum, was der Fall ist, ob dies nun ein Landwirt aus dem Kreis Ahrweiler oder Werner Heisenberg herausfindet. Beide können sich täuschen, und beide können richtigliegen. Heisenberg täuscht sich, wenn er behauptet, es gebe keine Kühe, und der Landwirt, wenn er behauptet, es gebe keine Protonen. Es gibt sowohl Kühe als auch Protonen, und zwischen beiden besteht kein metaphysisches Wirklichkeitsgefälle.
Spaemann hat geschrieben : Dass es Farben "an sich" nicht gibt, weiß ja heute schon jedes Kind. Es bedarf philosophischer Phänomenologie, um zu begreifen, dass es sie sehr wohl gibt.
mariaboiler hat geschrieben : ↑ Fr 16. Mär 2018, 13:04
Das ist immerhin ein interessanter Gedankengang, der das jeweils erlebte Phänomen in den Vordergrund rückt und die Theorien darüber in die 2.e Reihe schiebt.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich verstehe, was du damit meinst.
Die Überlegungen Gabriels fragen - nach meinem eigenen Verständnis - nach dem altehrwürdigen Unterschied von Sein und Schein. Der Schein gehört ebenso sehr zum Sein wie alles andere auch. Wie sollte es auch anders sein? Oft wird dieser Position der Vorwurf gemacht, entweder einen Strohmann anzugreifen oder eine Selbstverständlichkeit anzusprechen. Dass dies keineswegs der Fall ist, zeigt sich spätestens, wenn es um die Frage geht, wie wir Perspektiven und Sinne verstehen wollen. Dass es sich dabei um etwas objektives handelt, was zu den Dingen selbst zu zählt, wird dann in der Regel nicht nur bestritten, sondern vehement bestritten :-) Gabriel hingegen nimmt sein eigenes Diktum "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen" radikal ernst.
An dieser Stelle trifft er sich mit anderen neuen Realisten. In SuE zitiert er M Johnston: "Aber die "Präsentationsformen" sind nicht mental, sondern objektiv, da sie mit den Objekten selbst als den Eigenschaften jener Objekte einhergehen, die sie zur Demonstration, zum Nachdenken und zum Sprechen zur Verfügung stellen. Und sie werden durch die Objekte, die sie präsentieren, individualisiert." (von deepl übersetzt)