Ich will mal eine kurze Zusammenfassung des Artikels schreiben, bzw. das, was nach meiner Sicht, die zentralen Punkte sind, das was mich "euphorisiert", um Alethos Worte zu nutzen:
Fangen wir mit uns selbst an: Für den Reduktionisten basieren unsere Handlungen nicht etwa auf unseren Überzeugungen oder dergleichen, sondern sie sind in Wahrheit Ergebnis “unergründlich komplizierter Ursachen” und nichts als Wechselwirkungen zwischen den Atomen in unserem Gehirn und der Umgebung. Dass wir diese Handlungen zurzeit noch nicht buttom up erklären können, liegt für den Reduktionisten nur an unseren epistemischen Beschränkungen. Demgegenüber behauptet diese Theorie, dass “makroskopische Zustände” selbst echte Ursachen sind, die sich nicht auf mikroskopische Zustände reduzieren lassen. Und das nicht etwa, weil wir nicht tief genug schauen können, sondern weil die Dinge an sich selbst so sind.
Die Frage, ob buttom up Erklärungen angemessen sind, ist also
auf keinen Fall eine epistemische Frage, sondern es geht dabei um die Natur der Dinge selbst.
Das Phänomen, das die Theoretiker untersuchen, ist natürlich nicht auf Geistiges beschränkt. Weitere Beispiele sind supraleitende Materialien, verschiedene Aggregatzustände, Kristalle und Wellen, aber auch Vogelschwärme. (Darüber haben wir im alten Forum mal ausgiebig diskutiert, falls ich mich recht entsinne.)
Unter Physikern ist die Theorie kaum bekannt. Der Grund ist nach Ansicht dieser Theoretiker, dass der oben skizzierte Reduktionismus das physikalische Bild der Natur bestimmt. (Herr K. behauptet regelmäßig, bei dieser Behauptung handle es sich um einen Strohmann.) Viele naturalistisch/physikalistisch gestimmte Philosophen stimmen in dieses Lied gerne ein: Sie betonen, dass es nur eine einzige relevante Ebene gibt, nämlich die mikroskopische, sprich
die basale Ebene, also der Teppich der Tatsachen. Was “darüber” liegt, also weitere (makroskopische) Ebenen, das fällt dem sogenannten "Ausschlussargument" als “unnötige Verdoppelung” zum Opfer.
Weder gibt es die "oberen Etagen" wirklich noch unseren "lebensweltlichen Tisch". Beides kann man nach dieser reduktionistischen Sicht der Welt ohne Verlust streichen. Diese Dinge haben keine eigene Realität (vor allem keine "eigene Kausalität") es sind zwar nützliche Fiktionen, aber nicht mehr.
Die Theorie der "kausalen Emergenz" ist nach meiner Einschätzung in einem gewissen Sinne auch antiantirealistisch: Viele antirealistische Sichtweisen gehen davon aus, dass es “da draußen” zwar irgendeinen Teppich der "Tatsachen" gibt; der bleibt für uns aber unerkennbar - es gibt nur ein tiefes Surren, Rauschen und Zucken, ein großes X oder was auch immer. Die Strukturen, die wir wahrzunehmen glauben, sind demnach in Wahrheit unsere Prägungen in den Welttteig, sie sind allein unserer eigenen Verfassung geschuldet, also unsere Konstruktionen.
Insbesondere die Welt der mittelgroßen Dinge ist in dieser Sichtweise im Grunde eine Konstruktion. Ganz anders diese Theorie: Der Grund dafür, dass wir evolutionär auf die Wahrnehmung gerade dieser Objekte eingestimmt sind, liegt nach dieser Sichtweise darin begründet, dass diese Objekt auf der Ebene, die wir von ihnen wahrnehmen, am meisten effektive Information aussenden. Das heißt,
die Welt selbst weist verschiedene Ebenen/Schichten/Bereiche auf. Es geht in dieser Theorie nicht um Epistemologie, sondern um Metaphysik/Ontologie. Sie behauptet, dass wir quasi von Natur aus auf die relevanten Bereiche, die es an sich selbst gibt, geeicht sind. Diese Bereiche sind also keine Setzungen von uns oder Konstruktionen, sondern sie bestehen ohnehin.
Im Nachgang dazu zwei Zitate, die genau hierher gehören:
Markus Gabriel, Sinn und Existenz hat geschrieben : Die sogenannten objektorientierten Ontologen, allen voran Graham Harman, folgen Heidegger in der Ansicht, dass wir »das Ding«, also die Dinge, die in unserer sinnvollen Interaktion mit »der Welt« auftauchen, nicht ontologisch, also theoretisch verzerrend, unterminieren dürfen.[23] Dabei fügt Harman hinzu, dass man solche Dinge nicht nur unterminieren kann, indem man nach einer Mikrowirklichkeit Ausschau hält, die mesoskopische Gegenstände trägt (auf der diese oder Wahrheiten über diese supervenieren).
Es gebe andererseits ebenso prominente Manöver der »Überminierung (overmining)« mesoskopischer Dinge, indem man diese von oben herab in allgemeinen eidetischen Strukturen fundiert, etwa in einem apriorischen transzendentalen Bewusstsein oder in einem konstruktivistischen Theorieüberbau.
Dieser Skalierung zufolge hängen viele Probleme der gegenwärtigen Ontologie von Entscheidungen ab, wie man die Wirklichkeit »mittelgroße[r] Exemplare von Trockenwaren (moderate sized specimens of dry goods)« einschätzt, wie eine berühmte und immer wiederkehrende Formulierung Austins lautet. Unter veränderten Vorzeichen, aber mit einer ähnlichen Absicht spricht Stanley Cavell von dem »spezifische[n] Objekt«, dessen Natur und unabhängige Wirklichkeit in der Philosophie in Frage gestellt wird.
Solche Dinge sind etwa die antiken Beispiele von Türmen, die aus der Ferne eckig aussehen, die aber aus der Nähe betrachtet rund sind, im Wasser gekrümmt erscheinende Stöcke und in der neuzeitlichen und gegenwärtigen Philosophie Äpfel, Tische und Stühle. Diese Gegenstände sind paradigmatisch unter Verdacht geraten, weil sie, wie John Campbell in einem anderen Kontext festgehalten hat, durch die frühneuzeitliche Physik mitsamt den Sinneserfahrungen in unseren Kopf verschoben wurden. (Absätze wie immer von mir)
Sir Arthur Stanley Eddington, zitiert nach Graham Harman hat geschrieben : Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß die moderne Physik mit ihren empfindlichen Prüfmethoden und ihrer unbarmherzigen Logik mir versichert, daß mein zweiter, wissenschaftlicher Tisch der einzige ist, der wirklich da ist, wo immer dieses »da« auch sein mag. Aber ebenso selbstverständlich ist es, daß es der modernen Physik trotzdem niemals gelingen wird, den ersten Tisch zu verbannen – jenes merkwürdige Gemisch von Außenwelt, Einbildungskraft und ererbtem Vorurteil, das sichtbar und greifbar vor mir steht. Doch müssen wir ihm für den Augenblick Lebewohl sagen, denn wir wollen jetzt die gewohnte Welt des täglichen Lebens verlassen und uns der wissenschaftlichen Welt zuwenden, die von der Physik entdeckt wurde und die ganz und gar eine Außenwelt, oder jedenfalls als solche gedacht ist.