Das ist ein ziemlich schwieriger Themenkomplex :-) Die Fragen, um die es hier geht, sind äußerst umstritten und schwer zu entscheiden. Vielleicht kann ich einige der Probleme skizzieren, ohne Anspruch darauf, es in einen systematischen Zusammenhang zu bringen.User bei Facebook hat geschrieben : Diese vielfältigen Versuche,
die Malerei zu anthropomorphisieren ( was für ein schöner Begriff ),
könnte jetzt mit Fug & Recht als Wiederkehr von Aberglauben, Animismus oder Magie abgetan werden
Man hätte vermutlich gar nicht so Unrecht damit
Schliesslich sind Kunstwerke tote Materie und keine Lebewesen
Du schreibst "Kunstwerke sind tote Materie".
Das kann so ohne weiteres nicht sein, denke ich. Warum? Es kann zum Beispiel nicht erklären, warum von zwei Dingen, die physisch identisch (oder nahezu identisch sind), eins ein Kunstwerk ist, das andere aber nicht. Die einschlägigen Beispiele sind in der Regel Duchamps Pissoir oder Warhols Brillo-Boxen. Zwar ist das Pissoir neben anderem auch ein physischer Gegenstand, aber dieser Umstand allein kann zum Beispiel bei weitem nicht seine Bedeutung für die Kunstgeschichte erklären, während baugleiche Pissoirs unbeachtet bleiben.
Du sprichst auch von Mentalisierungsprozessen. Was auch immer damit gemeint sein mag, weder Kunst noch Farben können einfach bloß etwas "mentales" sein. Das würde den Umstand, dass wir über Kunst streiten und über Farben reden können, zu einem Mysterium machen; schließlich kann ich nicht in deinen Kopf schauen :-)
Wenn ich deine Assoziationen richtig gedeutet habe, scheinst du von folgendem Bild auszugehen: da draußen ist ein toter Gegenstand, welcher irgendwo im Kopf zu Kunst verarbeitet wird. Aber diese Idee kann weder Duchamps Ready Mades erläutern, noch den Umstand, dass wir über Kunst diskutieren. Beides verpasst den sozialen Aspekt, den Kunst auf jeden Fall auch haben muss.
Viele andere Fragen sind offen … aber "Kunstwerke sind tote Materie", das kann meines Erachtens nicht sein. Sobald man von irgendetwas berechtigter Weise sagen kann, dass es ein Kunstwerk ist, kann es nicht mehr richtig sein, dass dieses etwas bloß tote Materie ist, da muss dann noch einiges andere hinzu kommen.
Vielleicht noch ein zwei Sätze zu den Farben. Was ich über darüber gesagt habe, ist vermutlich nicht so angekommen, wie ich es gemeint habe. Farben sind eine immense Herausforderung für jedes materialistische Weltbild. Was sind sie, wo sind sie? Die Physik wird ihrer mit ihren Methoden nicht habhaft. Sie finden zwar Licht und seine Eigenschaften, die Biologie kann das Auge untersuchen … aber Farben werden beide nicht finden. Sie finden diverse Korrelate, aber die Erlebnisse bleiben ihnen verborgen.
(Vielleicht kennst du das berühmte Gedankenexperiment von Thomas Nagel mit der Fledermaus? Dabei geht es um etwas vergleichbares.)
Der Philosoph und Hirnforscher Metzinger meinte dazu in einem Radiobeitrag mal: "Das weiß ja jeder - auch unsere Zuhörer - dass es keine Farben in der Welt gibt, sondern nur Wellenlängenmischungen […] [Wenn Bläue] keine Eigenschaften von physikalischen Dingen in der Außenwelt sind - und auch keine Eigenschaften von Hirnzuständen, dann muss man sich natürlich fragen: Was ist denn hier eigentlich blau? Vielleicht ist die Bläue ja gar nicht in der Welt drin?"
Wo ist Blau? Nicht in der Welt da draußen, nicht im Gehirn, gar nicht in der Welt drin? Das, was uns in unserem Erleben das Nächste ist, ist für die Naturwissenschaft das Fernste – vielleicht ist es nicht mal in der Welt drin ... und zwar in der Welt, welche sie mit ihren Mitteln untersuchen kann, unsere Erlebenswelt gehört jedenfalls nicht zur Gänze dazu.
Das heißt folgendes: Farben sind für bildende Kunstwerke oft von größtem Belang. Aber für die These, dass sie einfach etwas materielles sind, sind sie die nächste Herausforderung. Was auch immer Farben sind, einfach materiell sind sie nicht. Im Kopf sind sie auch nicht.
Vielleicht wird vor diesem Hintergrund klarer, was mit dem folgenden Zitat gemeint war: Aber Präsentationsformen (zum Beispiel Farben) sind nicht mental, sie sind objektiv, da sie mit den Objekten selbst kommen, als die Eigenschaften jener Objekte, die sie für Demonstrationen, Gedanken und Gespräche zur Verfügung stellen. Und sie werden durch die Objekte, die sie präsentieren, individuiert. * (Johnsten, frei zitiert nach Markus Gabriel, Sinn und Existenz)
Versuchen wir eine ad hoc These zur Kunst, die in dieser Einfachheit sicher falsch ist, aber vielleicht in einen brauchbare Richtung weißt und auch anschaulich ist :-) Stellen wir uns vor, dass ein Kunstwerk eine Relation von Betrachter und der physischen Manifestation der Arbeit darstellt. Eine Relation, die in diverse andere Relationen eingebettet ist. Dann ist das Kunstwerk etwas, was in ein Set von Relationen eingelassen ist. Was ineins besagt, dass es nicht dieser materielle Brocken da sein kann, da Teile der Relation nicht die Relation selbst sein können.
Das bedacht, wird klar, dass die Rede davon, dass uns Kunstwerke etwas sagen, oder ähnliches, keineswegs seltsam ist, denn das Kunstwerk hat seinen Ort in diesem Ralationen-Konglomerat – das man auch Geist nennen könnte. Philosophen sprechen in verschiedener Hinsicht vom Geist - unter anderem, wie das Lexikon weiß, "wenn sie überindividuelle Bewusstseinsinhalte oder die den Einzelnen überragende psychologische, soziale oder kulturelle Realität im Sinn haben."
Eine kleine Schlussbemerkung:
Ob du das alles kaufst oder nicht, das ist jetzt nicht mein Punkt. Wichtig ist mir nur folgendes:Kunst zu anthropomorphisieren ist beleibe nicht so abwegig, wie es dir erscheinen mag, finde ich. Die Kunst gehört der Sache nach zum Raum des Geistes, der von Menschen bevölkert ist.
Ich selbst finde die Idee, Kunstwerke seien ein totes materielles Etwas abwegiger :-)