Philipp Hübl: Wahrheit (3) / Wissen (4)

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Quk
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Fr 18. Apr 2025, 10:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 08:32
Es geht nicht nur um Sätze. Wahr sein können gemäß Hübl nicht nur Sätze, sondern auch Überzeugungen, Gedanken, Urteile etc.
Überzeugungen, Gedanken, Urteile werden als Sätze gedacht und mitgeteilt. Oder als erzählendes Bild oder als erzählende Melodie. Das alles meine ich, wenn ich in diesem Kontext die Begriffe "Satz" und "Sprache" verwende. Da sehe ich einen klaren Konsens zwischen uns beiden. Da will ich jetzt keine Haarspalterei anfangen.

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 08:32
Wir können zwar vom je konkreten Erscheinen von Röte und Süße begrifflich absehen/abstrahieren, aber phänomenologisch tauchen sie immer nur in einer prädikativen Struktur, also gesättigt auf, nämlich so: (x) F.
Neues Beispiel: Bewusstsein.

Bewusstsein nenne ich "Ich-Quale". Das ist ein Phänomen an sich. Das "Ich-Quale" an sich ist meiner Auffassung nach kein Satz, keine Überzeugung, kein Urteil, keine prädikative Struktur.

Nun möchtest Du, Jörn, dieses Ich-Quale (Bewusstsein) prädikativ mit einem Gegenstand verknüpfen, beispielsweise mit dem Fritz. Es entsteht der Satz: "Fritz ist bewusst."

Wir sehen uns Fritz näher an: Wo ist sein Ich? Wo ist sein Bewusstsein? Wir röntgen sein Herz, durchstöbern sein Hirn. Wir finden das "Ich-Quale" nicht. Wir finden kein Bewusstsein. Wir finden kein Phänomen im Fritz.

Der Satz "Fritz ist bewusst" kann also keine phänomenologisch-prädikative Struktur haben, sondern nur eine sprachlich-prädikative Struktur. Ich erinnere mich außerdem an Aussagen von Dir, das Gras sei für Dich immer grün, auch nachts. Ich meine, das kann nur sprachlich gemeint sein, denn phänomenologisch ist das Gras nachts schwarz.

Aber bleiben wir mal beim phänomenologischen: Wir sagen, Fritz sei bewusst. Wir durchleuchten ihn und finden kein Bewusstsein im Fritz. Kein Wunder. Bewusstsein ist ein Phänomen an sich, ohne Raum.

Gleichermaßen erkenne ich in der Tomatenhaut keine Röte, sondern eine Reflektion elektromagnetischer Wellen mit einer bestimmten Frequenz, die im Geist Röte erzeugt. Und ich kann auch nicht sagen, die Welle sei rot. Elektromagnetische Wellen sind keine Phänomene und keine Farben; sie sind Bewegungsarten von Photonen. Auch die Photonen sind nicht rot. Ich muss die Röte also von jeglichem Gegenstand trennen und als eigenständige Qualität auffassen, als Quale, als Empfindung an sich. Ich kann die Röte von der Tomate trennen, und ich muss es sogar. Röte, Süße, Bewusstsein, Lautheit etc. sind Phänomene an sich, ohne Raum. Man findet sie nicht im Schädel, nicht in der Gitarre und auch nicht im Zuckerwürfel.

Nur sprachlich kann ich sie verknüpfen.




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 10:09
Ich erinnere mich außerdem an Aussagen von Dir, das Gras sei für Dich immer grün, auch nachts. Ich meine, das kann nur sprachlich gemeint sein, denn phänomenologisch ist das Gras nachts schwarz.
"Phänomenologisch ist das Gras nachts schwarz". Hier haben wir also mal ein Beispiel. Es stimmt, dass ich denke, dass das Gras immer grün ist, es sei denn natürlich, es ist vertrocknet oder ähnliches. Das meine ich nicht sprachlich. Nur zur Sicherheit möchte ich das wiederholen: ich meine es nicht (nicht!) sprachlich. Das ist mir besonders wichtig.

Nachts ist das Gras auch nicht (nicht!) "phänomenologisch" schwarz. Auch das meine ich nicht (nicht!) sprachlich. Wenn abends die Sonne untergeht und das Licht spärlich wird, dann nehme ich nicht (nicht!) wahr, dass die Dinge dunkler werden. Sondern ich nehme wahr, das es dunkler wird und ich nicht mehr alles so sehen kann, wie es ist.

(Wenn an einem hellen Tag plötzlich eine dunkle Wolke ihren Schatten auf das Feld wirft, dann nehme ich ja nicht wahr, dass das Feld dunkler wird, sondern dass ein Schatten drauf liegt.)

Noch mal: Das meine ich nicht (nicht!) sprachlich. Das gehört zu dem, was ich Phänomenologie nenne. Dabei geht es mir darum, wie die Dinge selbst erscheinen. Noch mal zur Erinnerung, es geht mir bei allem, was ich hier und bisher geschrieben habe nicht um Sprache, sondern darum, wie wir die Dinge selbst wahrnehmen. Das ist ja eigentlich der wichtigste Punkt.

Nachts sehe ich die Wiese natürlich nicht als schwarze Wiese, sondern ich sehe, dass das Licht nicht ausreichend ist und ich die Wiese nicht mehr richtig sehen kann. Wenn die Phänomenologie anders wäre (also z.b, so wie Du es im Zitat sagst) und ich dementsprechend ganz erschrocken meiner Frau sagen würde, komm schnell raus, die Wiese ist schwarz, dann müsste sie entweder vermuten, dass ich einen Scherz mache oder vielleicht verrückt geworden bin.




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Quk
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Fr 18. Apr 2025, 12:32

Wenn ich Dich richtig verstehe, siehst Du bei Tag also nicht das grüne Gras, sondern das grüne Licht. Nachts ist das grüne Licht weg, also kannst Du nachts kein grünes Licht wahrnehmen. Tatsächlich sprichst Du also über Licht, nicht über Gras.

Konsequenterweise müsstest Du Deiner Frau nachts sagen: "Komm schnell raus, das Licht ist weg."




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Apr 2025, 12:37

Das Licht sieht man eigentlich fast nie, nur in ganz seltenen Fällen, wenn es auf dem Wasser reflektiert oder ähnliches.




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Fr 18. Apr 2025, 12:37

Das wird nix mehr ... :-)

Du siehst also Licht nur auf glatten Flächen. Matte Flächen sind demnach immer schwarz. Naja ...




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Apr 2025, 12:47

Wir sehen Dinge, weil Licht von ihnen reflektiert wird – das Licht selbst aber bleibt meist unsichtbar. Es gibt Ausnahmen: Lichtstrahlen im Nebel oder Staub, Laser in dunstiger Luft, leuchtende Objekte wie Glühfäden oder Feuer, Regenbögen und andere Effekte durch Streuung oder Brechung.

Wäre das Licht selbst sichtbar, sähe ich hier in meinem Zimmer kaum etwas – es läge wie ein heller Block - oder was auch immer - zwischen mir und den Dingen.

Der Umstand, dass wir nicht das Licht, aber die Dinge sehen, hat Sehen zu so einem großen evolutionären Erfolg gemacht.




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Fr 18. Apr 2025, 13:10

Ich mache einen Unterschied zwischen Lichtstrahlung und Lichtquellenform.

Auf einer matten Fläche sehe ich nicht Form der Sonnenscheibe, aber ich sehe Sonnenlicht.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Apr 2025, 13:16

Meines Erachtens verwechselst du die Art und Weise wie Sehen teilweise (bei uns) realisiert ist, mit dem Sehen selbst. Das Licht, was von dem Auto auf der Straße reflektiert wird, teilt mir z.b nicht mit, dass es sich dabei um ein Auto handelt, das viel zu schnell fährt. Aber das ist das, was ich wirlich sehe. Es gibt keinen Sehen (und Wahrnehmung im Allgemeinen), ohne Einbildungskraft zum Beispiel.




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Fr 18. Apr 2025, 13:22

Meines Erachtens verwechselst Du Form und Farbe.

Eine matte Fläche tut ja das selbe wie ein Nebel: Sie streut die Lichtstrahlen, so dass die Form der Lichtquelle unkenntlich wird.

Wir sehen Licht also nicht nur durch Nebel und auf Glanzflächen, sondern auch auf matten Grashalmen.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Apr 2025, 13:27

In der Schule macht man damit sogar Experimente: man nehme eine Lichtquelle und einen Schirm und man wird "sehen", dass man das Licht nur dort sieht, wo es auf den Schirm auftrift. Der Lichtstrahl selbst bleibt unsichtbar. Zum Glück, sonst könnten wir vor lauter Licht nämlich nichts sehen, schätze ich.

Ohne Licht könnten wir nichts sehen, aber wir sehen nicht das Licht, sondern Gegenstände - eingebettet in Tatsachen. Für Wesen wie uns, ist Licht zwar eine (neben vielen anderen) notwendige(n) Bedingung(en), etwas zu sehen, aber es ist wieder hinreichend noch vor allem ist es das, was wir sehen, sondern nur das was uns (neben vielen anderen) zum Sehen verhilft.

(Wenn man danach googelt, findet man auch physikalische Erklärungen, warum das Licht unsichtbar ist. Für uns ist es auf jeden Fall ein großes Glück.)




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Consul
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Fr 18. Apr 2025, 13:49

"Das Erkennen irgendeines Objektes ist erst dann zum Abschluss gekommen, wenn wir der erkannten Sache so entschieden zustimmen, dass jede Furcht des Irrtums ausgeschlossen ist. Dieses entschiedene Zustimmen oder Fürwahrhalten macht die Gewissheit unseres Erkennens aus. Wo dasselbe noch nicht vorhanden ist, da besteht Ungewissheit oder Zweifel, welcher nach dem verschiedenen Grade der Unentschiedenheit die Form der subjektiven Meinung, der Wahrscheinlichkeit oder der Unwahrscheinlichkeit annimmt. Es leuchtet übrigens von selbst ein, dass die Gewissheit, eben weil sie ein entschiedenes Fürwahrhalten ist, ausschließlich dem urteilenden Denken eignet. Denn wir haben nur Gewissheit dadurch, dass wir entscheiden, das von uns Erkannte sei in der Tat so, wie wir es erkannt haben.

Wenn nun auch der Erkenntnisakt mit dem Eintreten der Gewissheit vollendet und der Denkgeist zur Ruhe gekommen ist, so liegt darin noch keine Bürgschaft, dass die betreffende Erkenntnis wahr sei. Denn Wahrheit und Gewissheit oder das Wahrsein und das Fürwahrhalten fallen beim menschlichen Erkennen nicht immer zusammen. Vielmehr kann der Zustand der Gewissheit auch bei einer irrigen Erkenntnis vorhanden sein. Während nämlich die Wahrheit in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit der erkannten Sache besteht, ist die Gewissheit die Überzeugung von dieser Übereinstimmung, welche Überzeugung sowohl bei der scheinbaren als bei der wirklichen Übereinstimmung, also sowohl bei dem Irrtum als bei der Wahrheit eintreffen kann. Darauf beruht ja eben die Möglichkeit des Irrtums, dass wir wegen unserer Beschränktheit durch den bloßen Schein des Wahren verleitet werden, etwas für wahr zu halten, was an sich unwahr ist. Weiterhin tritt infolge derselben Beschränktheit nicht selten der Fall ein, dass wir, selbst wenn unsere Erkenntnis mit der erkannten Sache übereinstimmt, über diese Übereinstimmung in Zweifel sind, dass also das an sich Wahre uns zweifelhaft erscheint. Anders verhält es sich mit dem absoluten, vollkommenen Denken. Dieses erkennt alle Wahrheit ohne jegliche Unentschiedenheit und ist in seiner Entschiedenheit frei von allem Irrtum.

Durch das tatsächliche Verhalten des menschlichen Erkennens, wonach die Gewissheit nicht allein der wahren, sondern auch der falschen Erkenntnis anhaften und der Zweifel auch bei der wahren Erkenntnis beunruhigen kann, ist der Gang der folgenden Erörterungen vorgeschrieben. Zuerst ist die Gewissheit in ihrem Grunde und ihrer Verschiedenheit klarzulegen, darauf der Maßstab festzustellen, nach welchem wir mit Sicherheit entscheiden können, ob etwas wahr oder falsch sei. Sodann haben wir den Zweifel nach seiner Möglichkeit, seiner Verschiedenheit, seiner Berechtigung innerhalb gewisser Grenzen aufzuweisen, sowie die Mitte und Wege anzugeben, um denselben ohne Gefahr des Irrtums zu überwinden und schließlich den Skeptizismus kritisch zu würdigen.

Gewissheit ist nach dem Gesagten die feste, jeden Zweifel sowie jede Furcht des Irrtums ausschließende Zustimmung des Denkgeistes zu einer wirklichen oder scheinbaren Wahrheit."

(Hagemann, Georg. Logik und Noetik. 6. Aufl. Bd. 1 v. Elemente der Philosophie. Freiburg: Herdersche Verlagsbuchhandlung, 1894. S. 178-9)
In diesem Sinn ist Gewissheit psychisch-subjektive Gewissheit in Gestalt einer von Zweifel und Irrtumsfurcht völlig freien Überzeugung von der Wahrheit einer Aussage oder vom Bestehen eines Sachverhalts.
Epistemisch-objektive Gewissheit besteht dagegen nicht in der Freiheit oder Abwesenheit von Irrtumsfurcht, sondern in der Freiheit oder Abwesenheit von Irrtumsmöglichkeit: Wenn es objektiv gewiss ist, dass A, dann kann ich mich nicht irren, wenn ich glaube, dass A. Mein Glaube, dass A, ist dann unfehlbar.
Subjektive Gewissheit und objektive Gewissheit sind voneinander unabhängig.
Zuletzt geändert von Consul am Fr 18. Apr 2025, 13:52, insgesamt 1-mal geändert.



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Jörn Budesheim
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Fr 18. Apr 2025, 13:51

Noch mal ein Wort zum Licht: Ich sehe, dass das Auto zu schnell fährt und nicht etwa, dass das Licht zu schnell fährt. Ohne Licht könnte ich das nicht sehen (bei andere Wesen in anderen Lebenswelten ist Sehen vielleicht anders realisiert), aber daraus, das Licht dafür notwendig ist, folgt nicht, dass ich das Licht sehe.




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Fr 18. Apr 2025, 13:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 13:27
... dass man das Licht nur dort sieht, wo es auf den Schirm auftrift.
Richtig. Und je nach dem, wie groß der Lichtkegel der Quelle ist, desto weiträumiger wird der Schirm beleuchtet. Ist die Quelle ein Laser, wird nur ein Fleck des Schirms beleuchtet. Ist die Quelle ein gebündelter Strahl von einem Scheinwerfer, so wird ein gewisser Kreisausschnitt auf dem Schirm beleuchtet. Strahlt die Quelle in alle Richtungen, so ist der gesamte Schirm beleuchtet.

Stehe ich nachts bei Halbmond auf einer Eisfläche, so sehe ich auf ihr als optisch scharfe Reflektion die weiße Halbmondform; der Rest ist schwarz.
Verkratze ich die Eisfläche, so sehe ich auf ihr eine verwaschene weiße Halbmondform.
Verkrümele ich die Eisfläche zu Schnee, so sehe ich im Schnee keine Halbmondform mehr, aber ich sehe eine weiße Schneefläche. Das Licht wird immer noch reflektiert, auch vom matten Schnee.

In allen drei Fällen wird Mondlicht reflektiert. Nur die Form des Mondes verschwindet aus meiner Sicht, je matter die Fläche wird.




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Fr 18. Apr 2025, 14:08

Consul hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 13:49
In diesem Sinn ist Gewissheit psychisch-subjektive Gewissheit in Gestalt einer von Zweifel und Irrtumsfurcht völlig freien Überzeugung von der Wahrheit einer Aussage oder vom Bestehen eines Sachverhalts.
Epistemisch-objektive Gewissheit besteht dagegen nicht in der Freiheit oder Abwesenheit von Irrtumsfurcht, sondern in der Freiheit oder Abwesenheit von Irrtumsmöglichkeit: Wenn es objektiv gewiss ist, dass A, dann kann ich mich nicht irren, wenn ich glaube, dass A. Mein Glaube, dass A, ist dann unfehlbar.
Subjektive Gewissheit und objektive Gewissheit sind voneinander unabhängig.
Interessant. Dann werde auch ich zukünftig diese Unterscheidung machen. Ich sprach neulich mit Timberlake über die psychisch-subjektive Gewissheit.

Epistemisch-objektive Gewissheit besteht dann wohl beispielsweise angesichts trivialer logischer Axiome und trivialer mathematischer Gesetze. Mit "trivial" meine ich Aussagen, die unser Auffassungsvermögen nicht im geringsten überfordern. Wird es überfordert, so besteht die Irrtumsmöglichkeit.




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Fr 18. Apr 2025, 14:16

Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 14:08
Interessant. Dann werde auch ich zukünftig diese Unterscheidung machen.
Man kann diese Unterscheidung sprachlich folgendermaßen ausdrücken:

1. objektive (epistemische) Gewissheit: "Es ist gewiss/sicher, dass A." ("It is certain that p.")
2. subjektive (psychische) Gewissheit: "Ich bin (mir) gewiss/sicher, dass A." ("I am certain that p.")



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Fr 18. Apr 2025, 14:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 13:51
Noch mal ein Wort zum Licht: Ich sehe, dass das Auto zu schnell fährt und nicht etwa, dass das Licht zu schnell fährt. Ohne Licht könnte ich das nicht sehen ...
Ohne Licht kann man das nicht sehen. Korrekt.

Das Auto reflektiert Sonnenlicht. Je rauher die Autooberfläche, desto zerstreuter sind seine Reflektionen. Mein Auge erreichen nur diejenigen Reflektionen, die in meine Richtung strahlen. Diese haben bestimmte Einfallswinkel, die auf der Netzhaut die entsprechende Autoform abbilden.

Mein Auge besteht im Wesentlichen aus einer Linse und einer Projektionsfläche, auf welcher das Auto spiegelverkehrt und auf dem Kopf abgebildet wird. Steht das Auto etwas rechts von mir, so bestrahlen seine Reflektionen die linke Seite meiner Netzhaut. Steht es links von mir, so bestrahlt es die rechte Seite meiner Netzhaut.

Dank der linken und rechten Sensoren auf meiner Netzhaut kann ich erkennen, wo das Auto steht. Auf meine Netzhaut prallen Photonen, keine Autolack-Partikel.

Nun bewegt sich das Auto von links nach rechts innerhalb einer bestimmten Zeit. Das heißt, es werden während dieser Bewegung verschiedene, vom Auto reflektierte Lichtstrahlen auf meine Netzhaut treffen. Zuerst die aus dem Winkel der ersten Position, dann aus dem Winkel der nächsten Position und so weiter. Das projizierte Auto fährt sozusagen auf meiner Netzhaut spiegelverkehrt von rechts nach links. Meine Netzhaut erfährt währenddessen verschiedene Lichtstrahlen aus bestimmten Winkeln.

Die wahrgenomme Geschwindigkeit ist dann keine reine optische Sache mehr; jetzt kommt das Zeitgefühl ins Spiel. Geschieht der optische Wechsel von links nach rechts in kurzer Zeit, so bezeichnen wir das als "schnell"; benötigt der Wechsel mehr Zeit, so nennen wir das "langsam".

Und dann bemerke ich: Das war kein Auto, sondern eine Wildsau. Ich habe das Ding an sich zuerst falsch gesehen! Aber die Optik funktioniert trotzdem mittels Lichtstrahlwinkeln.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Apr 2025, 15:09

Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 14:44
Auf meine Netzhaut prallen Photonen, keine Autolack-Partikel.
Das stimmt, daraus folgt aber nicht, dass du das Licht oder die Photonen siehst. Es folgt nur, was ja auch unstrittig ist, das Licht zum Sehen (für Wesen wie uns) notwendig, aber natürlich lange nicht hinreichend ist, dazu braucht es noch vieles anderes.




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Fr 18. Apr 2025, 18:04

Quk hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 14:44
Mein Auge besteht im Wesentlichen aus einer Linse und einer Projektionsfläche, auf welcher das Auto spiegelverkehrt und auf dem Kopf abgebildet wird. Steht das Auto etwas rechts von mir, so bestrahlen seine Reflektionen die linke Seite meiner Netzhaut. Steht es links von mir, so bestrahlt es die rechte Seite meiner Netzhaut.

Dank der linken und rechten Sensoren auf meiner Netzhaut kann ich erkennen, wo das Auto steht. Auf meine Netzhaut prallen Photonen, keine Autolack-Partikel.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 15:09
..., dazu braucht es noch vieles anderes.
"Lange Zeit glaubte die Wissenschaft, das visuelle System im Gehirn funktioniere wie eine Kamera. Es nehme die Information von «draußen» auf und mache daraus im Gehirn eine Art Foto. Heute wissen wir es besser." (Lisa Feldman Barrett*)

Ohne unsere Einbildungskraft und objektiven Geist (in einem weiten Sinne) wäre unsere Wahrnehmung weniger als ein Traum - gemäß einer schönen Metapher von Kant. Feldman Barrett spricht von einem "Meer der Ungewissheit" - auch ein schönes Bild, dass sich auch ganz schön in den Fadenverlauf einfügt. (Wegen Gewissheit / Ungewissheit)

Lisa Feldman Barrett drückt es in Neuroslang so aus: "Ihr Gehirn kann sich auf lebenslange frühere Erfahrungen stützen – und nicht nur Ihre eigenen, sondern auch fremde Erfahrungen, erworben durch Freunde, Bücher, Filme und andere Quellen." Dies unterstreicht die Bedeutung des "subjektiven und objektiven Geistes", auch wenn die Autorin diese Begriffe natürlich nicht verwendet. Und weiter: "Ihr Gehirn kombiniert Informationen von außerhalb und innerhalb Ihres Kopfes und schafft daraus alles, was Sie sehen, hören, riechen, schmecken und durch Berührung erfahren."

Aus beiden Passagen wird (trotz Konstruktivismus) deutlich, welche Bedeutung Einbildungskraft, Erinnerung, subjektiver und objektive Geist auch in der naturwissenschaftlichen Rekonstruktion der Wahrnehmung haben.

Lisa Feldman Barrett: "Die Wissenschaft ist sich mittlerweile ziemlich sicher, dass Ihr Gehirn die momentanen Veränderungen in Ihrer Umwelt schon wahrnimmt, bevor die Lichtwellen, Botenstoffe und anderen Sinnesdaten im Gehirn ankommen."

Mit einem Körnchen Salz und einem Augenzwinkern könnte man vielleicht sagen: das Wahrnehmungssystem arbeitet wie eine Induktionsmaschine und der Input dient der Falsifikation, wo nötig.

Wegen der großen Bedeutung der Einbildungskraft sowie des objektiven Geiste kaufe ich auch die folgende Passage auf der Folie von Hübl nicht:"Wahrnehmungseindrücke sind nur der kausale Weg, über den wir Wissen erlangen." John McDowell macht nach meinem Wissen an dieser Stelle bereits geltend, dass unsere zweite Natur in unserer Wahrnehmung hinein spielt ...


*Lisa Feldman Barrett ist eine kanadisch-amerikanische Psychologin und Neurowissenschaftlerin, die für ihre bahnbrechende Forschung zu Emotionen und Affektwissenschaft bekannt ist ... (perplexity.ai)




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perplexity.ai hat geschrieben : Michael Tomasello und Felix Warneken zeigten in ihren Experimenten, dass 18 Monate alte Kinder spontan Hilfe leisten, wenn sie eine echte Hilfsbedürftigkeit erkennen ...
Ich kenne die Beschreibung des Experiments aus einem Buch von Tomasello und mich hat daran besonders beeindruckt, dass diese Kinder offenbar sehen können, dass jemand Hilfe braucht.

Ein weiteres Beispiel: Freude, Ärger, Trauer: Bereits im ersten Lebensjahr erkennen Babys diese Emotionen an Mimik und Stimme. Auch das gehört zu den Dingen, die wir wahrnehmen.




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Quk
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Fr 18. Apr 2025, 23:00

So sei dies denn Deine Theorie. Deren Aussagen über das "Licht" solltest Du dann aber auch konsistent setzen, ohne Ausnahmen. Du formulierst Ausnahmen wie diese:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Apr 2025, 12:37
Das Licht sieht man eigentlich fast nie, nur in ganz seltenen Fällen, wenn es auf dem Wasser reflektiert oder ähnliches.
Solche Sätze verwirren Physiker und Techniker. Du sagst von Dir selbst, Du seist kein Techniker. Vermutlich verwendest Du in Deinen Gedanken Alltagsbegriffe als technische Fachbegriffe.

Viele Menschen verwenden Alltagsbegriffe als Fachbegriffe. Beispiele:

Alltagssprache: "Im Bad ist das Licht kaputt."
Fachsprache: "Im Bad ist die Glühlampe kaputt."

Alltagssprache: "Beim Bäcker drüben brennt noch Licht."
Fachsprache: "Beim Bäcker sind die Leuchtstofflampen noch an."

Also wo Du "ausnahmsweise" ein Licht auf der Wasserpfütze spiegelnd zu sehen glaubst, das ist konsistenterweise kein Licht, sondern ein bestimmtes helles Ding wie zum Beispiel: Straßenlaterne, grünes oder rotes Ampelmännchen, Neonreklame, Sonnenscheibe, Mondscheibe, Halbmond, Mondsichel und so weiter. Diese Dinge siehst Du, und nicht deren "Licht".

Der Stern dort ist 10 Lichtjahre entfernt.

Auch hier sollte Deine Theorie konsistent sein:

Also nicht sagen: "Wir sehen hier ein 10 Jahre altes Licht."
Sondern: "Wir sehen hier einen 10 Jahre alten Stern."




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