Nicht offen?

Die Philosophie der Mathematik fragt, ob mathematische Objekte wie Zahlen existieren. Sie fragt nach der erstaunlichen Effektivität mathematischer Modelle in den Naturwissenschaften und wie mathematische Erkenntnisse gewonnen werden.
Wolfgang Endemann
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So 27. Okt 2024, 12:42

Quk hat geschrieben :
So 27. Okt 2024, 10:36
Unendlich viele Winkel bilden einen geschlossenen Kreis, andernfalls wäre der Kreis offen, womit wir zufällig einen weiteren Aspekt zum Thema bekommen: Ein Kreis ist nicht offen. -- Eine Linie übrigens auch nicht.
Da geht mir ein bißchen viel durcheinander.
Ein offener Kreis ist kein Kreis. Du meinst einen Kreisbogen.
Und wahrscheinlich denkst Du an eine Kreisfläche. Der Kreisausschnitt, der Kreissektor (nicht: Kreisabschnitt) bildet einen Winkel von den Endpunkten des Kreisbogens mit dem Mittelpunkt.

Richtig ist also, daß man von dem Kreis auf neue mathematische Gegenstände kommen, und so dem Objekt Kreis sehr viele Facetten abgewinnen kann. Allerdings ist die Formulierung "Unendlich viele Winkel bilden einen geschlossenen Kreis, andernfalls wäre der Kreis offen" falsch, der geschlossene Kreis enthält weder einen ausgezeichneten Radius noch einen Winkel, Kreisausschnitte können mit allen Winkel 0°<α<360° gebildet werden.

Eine Linie ist geschlossen, wenn man ihr von jedem Ausgangspunkt aus in jede der zwei Richtungen folgen kann und irgendwann wieder an den Ausgangspunkt gelangt. Übrigens gibt es eine andere Bezeichnung von offen, offener Menge. Man unterscheidet ein (beidseitig) offenes Intervall (a,b) von einem (beidseitig) geschlossenen [a,b], wenn in der dicht liegenden Punktemenge das eine Mal a und b nicht zum Intervall gehören, das andere Mal dazugehören. Ein Kreisbogen kann durch die zwei Kreispunkte P₁=(x,y) und P₂=(u,v) festgelegt werden, aber man muß den offenen Kreisbogen (P₁,P₂) zB von dem halbgeschlossenen [P₁,P₂) unterscheiden.




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Quk
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So 27. Okt 2024, 13:50

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
So 27. Okt 2024, 12:42
Ein offener Kreis ist kein Kreis. [...]
Und wahrscheinlich denkst Du an eine Kreisfläche.
Ein offener Kreis ist kein Kreis. Richtig. Habe ich ja geschrieben, dass es dann kein Kreis mehr ist.

Nein, ich denke nicht an eine Kreisfläche, sondern an einen Kreis.

Ich bin kein Mathe-Profi; eine spezielle mathematische Vorliebe habe ich dennoch: Die Navigation. -- Also Ortsbestimmung, Kursberechnung, Großkreisdistanzen berechnen, Gitternavigation, Longitudinale Navigation etc. und alles was dazugehört. Nicht nur in der Theorie, hauptsächlich in der Praxis. Und vor diesem Hintergrund ist mir eine Sache ganz sicher: Ein Kreis kann nur sein, wo zwei Dimensionen sind. Wie diese zwei Dimensionen beschrieben werden, ist weniger wichtig, aber es sind zwei Dimensionen. Ein Kreis, oder auch nur ein Kreisbogen, oder eine Linie, eine Hyperbel, oder eine Parabel etc. enthält unendlich viele verschiedene Punkte; sie haben verschiedene Koordinaten im 2D-Raum. Hätten alle Punkte die selben Koordinaten, wären sie alle identisch und somit würden die besagten Formen nicht sein. Wie Du natürlich weißt, können die 2D-Koordinaten eines Punktes beispielsweise mit folgenden Werte-Paaren beschrieben werden: Horizontale Versetzung & vertikale Versetzung (X und Y) -- oder Winkel & Distanz vom Kreismittelpunkt aus (Kurs und Meilen). Wenn wir damit auf der Erdoberfläche arbeiten und die Erde als ideale 3D-Kugel betrachten, können wir statt der Meilen sogar wiederum Winkelgrade angeben, weil jede Distanz auf der Kugeloberfläche auf einem Großkreis liegt und nicht auf einer Geraden. So entspricht eine nautische Meile einer Bogenminute. -- Ich sage das jetzt nur, damit wir uns nicht in theoretischen Begrifflichkeiten verlieren, sondern damit meine Denkweise hoffentlich nachvollziehbar wird. Darauf kommt es doch an.




Wolfgang Endemann
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So 27. Okt 2024, 18:17

Quk hat geschrieben :
So 27. Okt 2024, 13:50


Nein, ich denke nicht an eine Kreisfläche, sondern an einen Kreis.
Was Du als Navigator schreibst, ist natürlich richtig. Was ich ein bißchen zurechtgerückt habe, war eine abstraktere, mathematische Betrachtung der Objekte. Du denkst den Kreis als eingebettet in die Fläche oder auch in den Raum, so wie die Kugel in den Raum eingebettet ist. Nun denke diese Objekte nur für sich, ohne die Einbettung. Nimm die Erdkugel. Zur Navigation ist, auch ohne die Idealisierung der Erdoberfläche zu einer Kugel, die Positionsbeschreibung durch 2 Koordinaten möglich, Längen- und Breitengrad, die Erdoberfläche ist zweidimensional. Beim Kreis reicht, Normierung vorausgesetzt, eine Größe aus, die Position auf dem Kreis eindeutig zu bestimmen, ein Winkel oder eine Streckenlänge (ist U der Umfang, dann ist xU mit 0≤x<U eine eindeutige Positionierung), das Objekt ist also eindimensional. In der Mathematik werden die ein- oder zweidimensionalen Objekte selbstverständlich oft, in der Physik in der Regel in den 3D-Raum eingebettet, der nach Bedarf euklidisch orthogonal, aus Zweckmäßigkeit aber auch in Polarkoordinaten erfaßt wird. Daß das möglich ist, führt auf die Möglichkeit, die Erdoberfläche ausschnittsweise eineindeutig als "flache" Fläche in Landkarten darzustellen, zweidimensional (selbstverständlich nicht ohne Verzerrung geometrischer Größen).




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Quk
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So 27. Okt 2024, 19:51

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
So 27. Okt 2024, 18:17
Nun denke diese Objekte nur für sich, ohne die Einbettung.
Gut, diesen Gedanken verstehe ich. Da bleibt nur eine einzige Dimension übrig: Eine additive Reihe.

Aber eine Addition allein -- Punkt um Punkt -- beschreibt noch keine Krümmung.

Statt an eine Einbettung zu denken, kann ich innerhalb der Punkte-Reihe -- neben der additiven Information -- noch eine Krümmungs-Information hinzufügen. So kann ich als Betrachter auch innerhalb der Reihe bleiben, ohne von außen eine Einbettung hinzuzudenken. Also auch auf diese Weise komme ich nicht herum, eine Krümmung mit nicht weniger als zwei Verlaufs-Parametern beschreiben zu müssen.




Wolfgang Endemann
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Mo 28. Okt 2024, 09:28

Das stimmt. Man könnte auch sagen, ein Kreis muß einen Ort haben, also ist er durch die Punktmenge und den Mittelpunkt (eine dichte Punktmenge, die einen Bezugspunkt hat, zu dem alle ihre Elemente den gleichen Abstand haben; und selbst diese Bestimmung reicht nicht; ohne Linearität wäre das eine x-beliebige geschlossene Kurve auf der Kugeloberfläche) bestimmt. So ist er ein geometrisches Objekt. Mathematisch kann er ortsunabhängig betrachtet werden. Meine Kritik bezog sich nur auf die Verwendung des mathematischen Ausdrucks "Dimension". Würde man Deiner Sprechweise folgen, wäre die Erdkugel ein vierdimensionaler Gegenstand, nämlich dreidimensional als Kugel plus Mittelpunkt als Ort in der 3-dimensionalen Welt. Oder 6-dimensional, weil der Mittelpunkt (ein 0-dimensionales Element) verortet 3-dimensional wäre.
Des weiteren muß man den Kreis als geometrisches, topologisches oder algebraisches Objekt unterscheiden.




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