Aus der Mathematik lernen

Die Philosophie der Mathematik fragt, ob mathematische Objekte wie Zahlen existieren. Sie fragt nach der erstaunlichen Effektivität mathematischer Modelle in den Naturwissenschaften und wie mathematische Erkenntnisse gewonnen werden.
Wolfgang Endemann
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Mo 3. Jun 2024, 13:07

Man könnte hier von einem konkretistischen Fehlschluß reden.
Die Planetenbewegung kann ich nur verstehen, wenn ich bei Himmelskörpern von ihren Eigenschaften teilweise absehe (abstrahiere), zB von ihrem Volumen, und sie paarweise als Zweikörperproblem analysiere, in dem nicht die Größenausdehnung, sondern die Masse eine Rolle spielt. Hier ist die Eigenschaft von zwei aufeinander bezogenen Objekten entscheidend, wie dann im unlösbaren Mehrkörperproblem. Würde ich die zwei Äpfel, so unterschiedlich sie sein mögen, im Weltraum aussetzen bzw verloren haben, müßte ich das konkrete Zweikörperproblem lösen. Farbe und Reifezustand der Äpfel hätten keinerlei Bedeutung. Ich sehe die Bewegung der Äpfel richtig, wenn ich von den irrelevanten Unterschieden absehe.




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Jörn Budesheim
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Ich glaube auch nicht, dass unsere Fähigkeit, bestimmte Aspekte in den Blick zu nehmen (und andere dabei nicht), zu einer Verzerrung führt, sondern dass sie uns im Gegenteil die Komplexität der Wirklichkeit erst erschließt.




Burkart
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Mo 3. Jun 2024, 21:16

Timberlake hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2024, 00:45
In dem man mit 1 Apfel + 1 Apfel = 2 Äpfel , die "Massengröße" eines Apfels gleich setzt , werden Dinge abstrahiert, die so in der Realität nicht vorkommen. Deshalb "lernen wir aus der Mathematik" meiner Meinung nach , wie Dinge verfälscht werden.
Nun ja, die Mathematik bietet nur Modelle an, ihre Anwendung sollte immer kritisch gesehen werden... na ja, jedenfalls, wenn man über einfachem Schüler-Rechnen hinaus ist.
Insofern sollte man nicht der Mathematik die Schuld geben, wenn etwas verfälscht erscheint, sondern dem, der gerade ihr Modell falsch anwendet.
Dabei sind 1+1 Äpfel bzw. ihre "Massengrößen" ja noch übersichtlich, z.B. Wahrscheinlichkeitsrechnung kann leicht unübersichtlich und zu überraschenden Ergebnissen führen.
Aber Überraschungen sind ja auch keine Verfälschungen, nur ein gewisses Unverständnis zumindest für eine gewisse Zeit.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Timberlake
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Di 4. Jun 2024, 04:25

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2024, 13:07
Man könnte hier von einem konkretistischen Fehlschluß reden.


Wer könnte hier von einem konkretistischen Fehlschluß reden?

Timberlake hat geschrieben :
So 2. Jun 2024, 16:17
Timberlake hat geschrieben :
Do 11. Apr 2024, 02:03
Burkart hat geschrieben :
Mo 8. Apr 2024, 22:55

Wenn ich AufDerSonne unterstützen darf:
Ideen können im Kopf sein, weil sie dort konstruiert sein können, ob nun auf Basis eigenes Denkens und sinnlichen Erfahrens oder durch Lernen von anderen Menschen o.ä.
In der Luft bzw. im Raum fehlt ihnen irgendwie die Basis dazu ;)
.. diesen Grundrechenarten fehlt irgendwie die Basis dazu. Die können, weil sie dort konstruiert wurden, nur im Kopf sein. Ob nun auf Basis eigenes Denkens und sinnlichen Erfahrens oder durch Lernen von anderen Menschen o.ä.. In der Luft bzw. im Raum .. quasi außerhalb der Höhle! .. funktionieren sie nicht mehr.
Alltag hat geschrieben :
Sa 6. Apr 2024, 11:34

Das Höhlengleichnis fokussiert - meines Erachtens - auf die Frage, die sich der Rückkehrers selber stellt, "Wie aber sag ich's meinen Pappenheimern, damit sie auch eine Chance haben, das Gesehene zu verstehen."
.. nur wie sag ich's meinen Pappenheimern, damit sie auch eine Chance haben, das von mir Gesehene zu verstehen ....

Bezugnehmend darauf ... Platon unterscheidet zwischen der " Welt" derjenigen , die in der Höhle angekettet sind und derjenigen , die sich außerhalb der Höhle befinden. Vor die Wahl gestellt , welche Welt wäre im Vergleich dazu, deiner Meinung nach , die Welt der Mathematik ? Oder anders gefragt , wer käme in Folge dessen in die Verlegenheit zu fragen .. ".. nur wie sag ich's meinen Pappenheimern, damit sie auch eine Chance haben, das von mir Gesehene zu verstehen .."
Derjenige , der in der Höhle angekettet ist oder derjenige . der sich außerhalb der Höhle befindet .Oder anders gefragt , wer käme in Folge dessen in die Verlegenheit zu fragen .. ".. nur wie sag ich's meinen Pappenheimern, damit sie auch eine Chance haben, das von mir Gesehene zu verstehen .."



Vor die Wahl gestellt , wem von uns beiden käme denn in dieser Angelegenheit , deiner Meinung nach, für die Rolle desjenigen in Frage , der in dem Video vergeblich den Angeketten in der Höhle die wahre Welt zu erklären versucht ?

" Und natürlich : deshalb ist die Welt ausserhalb der Höhle ( Mathematik) ... kein bisschen weniger wirklich " (2:31 min)




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Jörn Budesheim
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Di 4. Jun 2024, 07:28

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2024, 13:07
Man könnte hier von einem konkretistischen Fehlschluß reden.
[...] Ich sehe die Bewegung der Äpfel richtig, wenn ich von den irrelevanten Unterschieden absehe.
Soweit ich den Beitrag verstehe, bin ich einverstanden. Warum dann aber "Fehlschluss"? Wenn man nur die relevanten Aspekte betrachtet, ist alles richtig. Der Fehlschluss liegt meines Erachtens auf Seiten der Kritiker, die implizit oder explizit unterstellen, dass Dinge, die unter einen Begriff fallen, damit als "identisch" markiert werden, was nicht der Fall ist. Um bei den Äpfeln zu bleiben: Es gehört zum Beispiel zum Begriff des Apfels, dass sie alle verschiedene Farben haben. Wer meint, alle Äpfel seien völlig identisch, hätte einen völlig falschen Begriff von Äpfeln.




Wolfgang Endemann
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Di 4. Jun 2024, 11:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Jun 2024, 07:28
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2024, 13:07
Man könnte hier von einem konkretistischen Fehlschluß reden.
[...] Ich sehe die Bewegung der Äpfel richtig, wenn ich von den irrelevanten Unterschieden absehe.
Soweit ich den Beitrag verstehe, bin ich einverstanden. Warum dann aber "Fehlschluss"?
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist ein mereologischer Fehlschluß die Zurechnung eines Attributs des Ganzen zu einem Teil oder die Gleichsetzung eines Teils mit dem Ganzen.
Wahrheit ist seit den alten Griechen das Allgemeine im Besonderen, das wird zB mit dem Unterschied von Wesen und Erscheinung markiert. Insofern ist die Abstraktion von den Concreta, die das Allgemeine in ihnen aufspürt, keine Verfälschung, sondern im Gegenteil die einzige Möglichkeit, zur Wahrheit über den konkreten Gegenstand zu kommen. Freilich "gibt" es die Wahrheit nicht, wie es Concreta gibt. Es gibt nicht die Wahrheit eines Gegenstandes neben dem Gegenstand. Es gibt nur Bäume als extensionale Dinge, nicht den Baum. Wahrheit ist eine Relation, die das Denken herstellt, eine Relation von Realobjekt und Gedankenobjekt. Der konkretistische Fehlschluß ist der, der die Wahrheit dem Realobjekt statt der Relation von Realobjekt zu Gedankenobjekt zuschreibt. Das könnte man auch einen mereologischen Fehlschluß nennen.
Genauer jedoch wäre zu unterscheiden zwischen einer extensionalen und einer intensionalen Wahrheit. Die groteske Torheit des Empirismus, spezifischer des Sensualismus liegt ja nicht im Irrtum über die extensionale Wahrheit über die extensionalen Dinge, selbstverständlich gibt es diese extensionale Wahrheit, die allem existierenden seinen extensionalen Raumzeitort zuweist. Es ist der Radikalismus, Wahrheit auf diese Form von Wahrheit zu beschränken. Natürlich kann ich im Prinzip bspw die gesetzmäßige Bewegung des Masseobjekts in einem funktionalen, mathematisch beschreibbaren Zusammenhang durch die unendliche Zahl der Beobachtungen der Ortsveränderungen, die mathematische Qualität durch die empirische Quantität ersetzen, und selbstverständlich kann ich das bei allen Gegenständen machen, nur scheitert diese Wissensanhäufung schon im kleinsten Ausschnitt. So führt die empiristische/extensionale Wahrheit auf ein Ignorabimus, auf die Unbegreifbarkeit der Welt. Das kann man einen konkretistischen Fehlschluß nennen.
"Es gehört zum Beispiel zum Begriff des Apfels, dass sie alle verschiedene Farben haben"
Nein, es gehört zum extensionalen Sein des konkreten Apfels, daß er einen bestimmten Raumzeitpunkt einnimmt und eine bestimmte Färbung aufweist. Es gehört zu seinem Begriff, daß er in seiner raumzeitlichen Existenz seine Gestalt gesetzmäßig ändert, also auch seine Farben. Das können wir allgemein für alle Äpfel beschreiben und das können wir natürlich für den konkreten Apfel konkretisieren. Eine extensionale Identität des Apfels gibt es nicht, eine intensionale sehr wohl. Es gibt keinen Begriff des konkreten Apfels, der Begriff des Apfels ist seine notwendige Gestalt in Raum und Zeit. Wenn wir den konkreten Apfel in der Hand halten, begreifen wir ihn physisch, aber nicht gedanklich.




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Jörn Budesheim
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Di 4. Jun 2024, 12:33

Dann hab ich dich zuvor missverstanden, denn das halte ich alles für falsch. Dieser Gegenstand rechts von mir fällt unter den Begriff Salzstreuer. Damit ist nicht gesagt, alle Salzstreuer würden sich bis auf letzte Körnchen gleichen, sondern nur in relevanter Hinsicht.




Wolfgang Endemann
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Di 4. Jun 2024, 13:21

Dann unterscheidest Du nicht zwischen Namen (Individual- oder Klassenbezeichnung) und Begriff.




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Di 4. Jun 2024, 13:33

Ich unterscheide nicht wie du. Ich unterscheide so wie ich es geschrieben habe. "Das da" fällt (neben vielem anderen) unter den Begriff Salzstreuer.

Und wer nicht begreift, das Salzstreuer ganz verschieden sein können, der hat keinen angemessenen Begriff von Salzstreuer.




Timberlake
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Mi 5. Jun 2024, 15:03

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 4. Jun 2024, 11:14
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Jun 2024, 07:28
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2024, 13:07
Man könnte hier von einem konkretistischen Fehlschluß reden.
[...] Ich sehe die Bewegung der Äpfel richtig, wenn ich von den irrelevanten Unterschieden absehe.
Soweit ich den Beitrag verstehe, bin ich einverstanden. Warum dann aber "Fehlschluss"?
Wenn ich das richtig verstanden habe, ...
Wie wäre es denn , um dich richtig zu verstehen , wenn du dazu meine Fragen .. in eben diesen Beiträgen! .. beanwortest. Schon allein aus dem Grund , um den Verdacht aus zuräumen , dass die Antworten so ganz und gar nicht in deinen Kram passen und du dich deshalb durchaus bewusst davor drückts. Obgleich explizit an dich gerichtet , so sei allerdings auch den anderen unbenommen, sich gleichfalls diesen Fragen zu stellen. Gehe ich doch einmal davon aus , dass auch bei den anderen erhebliche Zweifel darüber bestehen , was man (um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen) nach meiner Meinung von der Mathematik noch lernen könne und zwar wie man Dinge verfälscht.

Übrigens ...
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 4. Jun 2024, 11:14


Wenn ich das richtig verstanden habe, ist ein mereologischer Fehlschluß die Zurechnung eines Attributs des Ganzen zu einem Teil oder die Gleichsetzung eines Teils mit dem Ganzen.
... würden demnach , wenn ich das richtig verstanden habe , weil die Grundrechenarten genau darauf basieren und zwar der Zurechnung eines Attributs des Ganzen zu einem Teil oder die Gleichsetzung eines Teils mit dem Ganze ... "samt und sonders" .. eben unter einem solchen mereologischen Fehlschluss fallen.
Timberlake hat geschrieben :
Di 4. Jun 2024, 04:25




Vor die Wahl gestellt , wem von uns beiden käme denn in dieser Angelegenheit , deiner Meinung nach, für die Rolle desjenigen in Frage , der in dem Video vergeblich den Angeketten in der Höhle die wahre Welt zu erklären versucht ?

" Und natürlich : deshalb ist die Welt ausserhalb der Höhle ( Mathematik) ... kein bisschen weniger wirklich " (2:31 min)
Eíne Rechenart , in der man , im Vergleich zu dem , wie ich sie sehe, ganz sicher nicht für diese Rolle in Frage kommt. Einer Rolle , in der man sich fragt : "Wie aber sag ich's meinen Pappenheimern ..
Alltag hat geschrieben :
Sa 6. Apr 2024, 11:34
Höhlengleichnis (514a - 517a):
[...] Er kehrt in die Höhle zurück, um die anderen zu befreien und sie zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen.
Das Höhlengleichnis fokussiert - meines Erachtens - auf die Frage, die sich der Rückkehrers selber stellt, "Wie aber sag ich's meinen Pappenheimern, damit sie auch eine Chance haben, das Gesehene zu verstehen."
Sehe ich doch jetzt nicht , dass man als Mathelehrer mit 1+1 = 2 ( ggf. mit besagten Äpfeln plausibel gemacht) bei den ABC Schützen vor eben jenem Problem stehen würde. Ganz im Gegenteil zu klein Fritzchen , wenn er denn Lehrer darauf aufmerksam macht , dass doch dazu die Äpfel gleich sein müssen. Was ja ganz offensichtlich in Wirklichkeit nicht der Fall ist.




Timberlake
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Mi 5. Jun 2024, 16:19

.. wer befindet sich denn , im Hinblick dessen ,was Wirklich und was Schatten ist , außerhalb der Höhle ? Der Mathelehrer oder klein Fritzchen?

Wie heißt es doch so schön "Kindermund tut Wahrheit kund"




Wolfgang Endemann
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Mi 5. Jun 2024, 16:51

Timberlake hat geschrieben :
Mi 5. Jun 2024, 15:03
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 4. Jun 2024, 11:14
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Jun 2024, 07:28


Soweit ich den Beitrag verstehe, bin ich einverstanden. Warum dann aber "Fehlschluss"?
Wenn ich das richtig verstanden habe, ...
Wie wäre es denn , um dich richtig zu verstehen , wenn du dazu meine Fragen .. in eben diesen Beiträgen! .. beanwortest.

Ich hatte mir schon überlegt, auf Jörn weiter zu antworten, habe aber davon Abstand genommen, weil es etwas off topic ist. Nach Deiner Frage komme ich noch einmal kurz auf diese Debatte mit Jörn zurück. Wir haben aneinander vorbeigeredet, denn wir sprechen beide von der Abstraktion von Unwesentlichem, kommen dennoch zu gegenteiligen Ansichten. Das liegt daran, daß zwar das unterschiedliche Beleuchten einer Sache oder eines Sachverhalts zu ihrer/seiner Kenntnis beiträgt, daß aber Jörn meint, nur diese vollständige, multiperspektivische Sicht erschließt sie/ihn. Das ist bedingt richtig, aber mir ging es um einen anderen Zusammenhang, nämlich nicht die vollständige Sache bzw die Sache vollständig, in ihrem Umfang zu erfassen, sondern den Bedeutungskern, das Wichtige an ihr. Dann führt gerade die Abstraktion vom Unwesentlichen auf den wirklichen Kern, den Begriff einer Sache. Nicht die äußerliche (extensionale) Vollständigkeit, sondern das tiefe Begreifen. Im Falle des Salzstreuers ist das die Funktion, die ihn zu einem solchen macht, das, was ihn wirklich definiert, nicht die Fülle seiner möglichen Gestalten. In diesem Sinn schafft Abstraktion Klarheit, Verständnis.

Hier geht es nun um Mathematik und damit um die Abstraktionen, die diese Wissenschaft geradezu beherrschen. Und da kann man aus unserer kleinen Debatte durchaus etwas lernen. Denn eine der fundamentalen Aussageformen in der Mathematik ist: x ist A, oder x=f(y), oder M = {x׀ E(x)} usw. So wird eine Funktion etwa durch einen arithmetischen Ausdruck A, in dem die Variable x vorkommt, definiert als Menge aller Paare <x,f(x)>, in der jedem x der Wert f(x) zugeordnet ist, der entsteht, wenn man den jeweiligen Wert x in den Ausdruck A einsetzt und die Berechnung durchführt.
Dieses "ist" bzw "=" hat es in sich. Ich kann selbstverständlich ganz unsinnige Prädikate bilden, zB die Menge aller deutschen Worte, die mit dem Buchstaben A anfangen. Wobei selbst diese Menge in der Sprachwissenschaft eine minimale Bedeutung haben kann. In der Mathematik geht es jedoch um strukturell bedeutsame Eigenschaften, etwa P(x), die Primzahleigenschaft, die besagt, daß diese Zahl nicht als Produkt zweier kleinerer natürlicher Zahlen darstellbar ist. Diese Eigenschaft hat eine enorme Bedeutung für die natürlichen Zahlen, zB den Restklassenring. Oder allgemein formuliert: die axiomatische Einführung des Objekts bzw der Objektmenge "natürliche Zahl" benennt (sogar vollständig) alle wesentlichen Eigenschaften, die endlich abzählbare Dinge als Dingmenge aufweisen, ich erfasse vollkommen ihre Struktur. Damit erfasse ich alles, was ich über Zusammenhänge von realen Dingen in der Welt erfassen kann, die in dieser Form der Aufzählbarkeit mir gegeben sind. Ist diese Eigenschaft der entscheidende Aspekt, liefert die mathematische Abstraktion die tiefste Einsicht.
Ein Beispiel mit Äpfeln, oder besser mit Bonbons, wenn ich - politisch unkorrekt - die Kinder auf dem Kindergeburtstag glücklich stimmen möchte. Damit jedes der eingeladenen Kinder die gleiche Zahl Süßigkeiten auf seinem Tellerchen hat, benötige ich das der Kinderzahl entsprechende Vielfache an Bonbons. Vielleicht ist es auch wichtig, wie bunt sie verpackt sind, aber das wichtigste ist, daß jedes Kind die gleiche Menge bekommt, sich nicht benachteiligt fühlt. Ich hoffe doch, man kann sich kompliziertere Sachverhalte vorstellen, in denen mathematische Beschreibungen etwas Wesentliches aussagen.




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Jörn Budesheim
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Mi 5. Jun 2024, 17:51

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 5. Jun 2024, 16:51
Ich hatte mir schon überlegt, auf Jörn weiter zu antworten, habe aber davon Abstand genommen, weil es etwas off topic ist. Nach Deiner Frage komme ich noch einmal kurz auf diese Debatte mit Jörn zurück. Wir haben aneinander vorbeigeredet, denn wir sprechen beide von der Abstraktion von Unwesentlichem, kommen dennoch zu gegenteiligen Ansichten. Das liegt daran, daß zwar das unterschiedliche Beleuchten einer Sache oder eines Sachverhalts zu ihrer/seiner Kenntnis beiträgt, daß aber Jörn meint, nur diese vollständige, multiperspektivische Sicht erschließt sie/ihn.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 3. Jun 2024, 13:44
Ich glaube auch nicht, dass unsere Fähigkeit, bestimmte Aspekte in den Blick zu nehmen (und andere dabei nicht), zu einer Verzerrung führt, sondern dass sie uns im Gegenteil die Komplexität der Wirklichkeit erst erschließt.
Ich habe nicht "vollständig" oder "multiperspektivisch" geschrieben, und ich bin mir auch nicht sicher, ob man den Beitrag so lesen muss, dass diese Fähigkeit, bestimmte Aspekte zu betrachten, die einzige Möglichkeit ist, sich der Komplexität der Realität zu nähern. Vielleicht ist es so, aber das ist nicht der zentrale Aspekt meiner Argumentation.

Mein Punkt ist einfach, dass unsere Begriffe die Wirklichkeiten nicht notwendigerweise verzerren, sondern sie uns öffnen. Und das liegt unter anderem daran, dass die Wirklichkeiten an sich selbst verschachtelt sind und wir mit den verschiedenen Aspekten, die wir betrachten können, versuchen können, diese Verschachtelung zu verstehen.

Das ist auch einer der Gründe, warum ich nicht "multiperspektivisch" geschrieben habe.




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Mi 5. Jun 2024, 20:15

Timberlake hat geschrieben :
Mi 5. Jun 2024, 15:03
Sehe ich doch jetzt nicht , dass man als Mathelehrer mit 1+1 = 2 ( ggf. mit besagten Äpfeln plausibel gemacht) bei den ABC Schützen vor eben jenem Problem stehen würde. Ganz im Gegenteil zu klein Fritzchen , wenn er denn Lehrer darauf aufmerksam macht , dass doch dazu die Äpfel gleich sein müssen. Was ja ganz offensichtlich in Wirklichkeit nicht der Fall ist.
Um Äpfel zählen zu können, müssen sie doch nicht gleich sein! Oder meinst du unsere deutschen Menschen, zusammengezählt auf mehr als 80 Millionen, sind alle gleich? Sicher nicht.

Nochmal: Die Mathematik verfälscht nichts, wie hier z.B.
Zuletzt geändert von Burkart am Mi 5. Jun 2024, 20:43, insgesamt 1-mal geändert.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Um Äpfel zählen zu können, müssen sie verschieden sein, ansonsten wären es keine Äpfel.




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Quk
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Mi 5. Jun 2024, 20:28

Das Wort "gleich" kann sich nur auf eine einzelne Eigenschaft beziehen, zum Beispiel auf eine Farbe oder Staatsbürgerschaft.

Zilliarden von Eigenschaften stecken in einem Apfel und in einem Menschen. Wenn es gilt, Eigenschafts-Gleichheiten zu zählen, muss man die genaue Eigenschaft nennen, um die es geht.




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Mi 5. Jun 2024, 20:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 5. Jun 2024, 20:28
Um Äpfel zählen zu können, müssen sie verschieden sein, ansonsten wären es keine Äpfel.
Ja, um aus einem Singular einen Plural zu machen, braucht es mehrere Exemplare mit -- a) -- jeweils bestimmten gleichen Eigenschaften und -- b) -- gewissen verschiedenen Eigenschaften. Beispielsweise brauchen Äpfel verschiedene Positionen oder Formen oder Farben oder wie auch immer, um in den Plural zu kommen, während mindestens eine bestimmte Eigenschaft bei allen vorhanden sein muss, etwa die biologische Apfelkategorisierung.

Wenn es eine Eigenschaft Mensch und eine Eigenschaft braunäugig gibt, werden zwei Zählungen möglich:
Wie viele aller Menschen sind braunäugig?
Wie viele aller Braunäugigen sind Menschen?




Wolfgang Endemann
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Mi 5. Jun 2024, 22:55

Das, was keine Eigenschaften hat, also völlig unbestimmt ist, existiert so wenig wie das, welches durch sich widersprechende Eigenschaften bestimmt wird. Daher bilden Eigenschaften Eigenschaftsklassen, die real existierenden Objekte können in eine Klasse fallen oder nicht. Und Objekte können temporäre Eigenschaften haben, sogar im zeitlichen Verlauf widersprüchliche Eigenschaften annehmen. Und das größte Verständnisproblem erzeugen Dinge, die scheinbar sich widersprechende Eigenschaften gleichzeitig annehmen (Teilchen- und Welleneigenschaft), das liegt dann aber an einem falschen oder falsch verallgemeinerten Eigenschaftsverständnis.
Mathematisch unterscheidet man Gleichheit (=) und Identität (≡).
Sehr unterschiedlich geformte Flächen können gleich sein. Andrerseits kann eine Kreisfläche nicht in eine gleichgroße rechteckige/quadratische verwandelt werden. Das kann allerdings nur ein Mathematiker beweisen, und ein Praktiker kann (scheinbar) das Gegenteil beweisen, indem er eine von einem kreisrunden Rahmen begrenzte, mit winzigen Teilchen vollständig bedeckte Fläche in eine rechtwinklige vollständig mit diesen Teilchen bedeckte Fläche verwandelt. So überzeugend die Demonstration auch ist, der Mathematiker hat recht, auch wenn wir den Fehler zwischen Kreisfläche und Rechteckfläche beliebig minimieren können, unter jede minimale Quantenlänge (falls die Ausdehnung gequantelt ist).




Timberlake
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Sa 8. Jun 2024, 01:02

.. ich versuch mal was anderes . Vielleicht fällt ja mit Kant der Groschen ..
  • "Analytische Urteile (die bejahende) sind also diejenige, in welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, diejenige aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urteile heißen. ..Z.B. wenn ich sage: alle Körper sind ausgedehnt, so ist dies ein analytisch Urteil. Denn ich darf nicht über den Begriff, den ich mit dem Körper verbinde, hinausgehen, Dagegen, wenn ich sage: alle Körper sind schwer, so ist das Prädikat etwas ganz anderes, als das, was ich in dem bloßen Begriff eines Körpers überhaupt denke. Die Hinzufügung eines solchen Prädikats gibt also ein synthetisch Urteil."
    Kant .. Kritik der reinen Vernunft
Kant unterscheidet zwischen analytische Urteile und synthetische Urteile. Der Unterschied besteht darin , dass die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt bei dem analytischen Urteil durch die Identität gedacht werden kann und bei dem synthetische Urteile ohne die Identität.
  • "Mathematische Urteile sind insgesamt synthetisch. Dieser Satz scheint den Bemerkungen der Zergliederer der menschlichen Vernunft bisher entgangen, ja allen ihren Vermutungen gerade entgegengesetzt zu sein, ob er gleich unwidersprechlich gewiß und in der Folge sehr wichtig ist."
    Kant .. Kritik der reinen Vernunft

.. und wenn ich mir so eure Beiträge vergegenwärtige , so scheinen die mir doch sehr zu jenen "Zergliederer der menschlichen Vernunft" zu tendieren. die noch immer der Meinung sind mathematische Urteile sind insgesamt analytisch. Was sind denn die Zahlen, mit denen in der Mathematik gerechnet wird ? Kann man sie sich als Prädikat , mit dem Subjekt bzw Objekt , durch dessen Identität , verknüpft denken ?

Wenn wir von „einem“ Apfel sprechen , ist dann dessen Identität mit der Zahl „1“ verknüpft? So wie die Ausdehnung des Apfels, in den jeweiligen Raumkoordinaten , unmittelbar mit dessen Identität verknüpft ist ? Oder wird die Zahl 1 ohne die Identität des Apfels gedacht . So wie ich mir die Schwere des Apfels auch ohne dessen Identität denken kann . Beispielsweise als Schwere einer Birne oder was sonst auch immer.

Wenn wir ( vergleichbar mit eben jener Schwere ) 1+1= 2 rechnen , ist dann dergleichen nicht tatsächlich völlig frei von jeglicher Identität und somit vollständig „synthetisch“. ?

Was lernen wir also aus der Mathematik ? Das sie keinesfalls insgesamt analytisch ist !



.. sie ist, gleichsam den Schatten an der Höhlenwand , insgesamt nur synthetisch.

.. ich korrigiere ..

Deshalb "lernen wir aus der Mathematik" meiner Meinung nach , wie Dinge synthetisiert (Kant) werden.




Wolfgang Endemann
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Sa 8. Jun 2024, 09:45

Dann mal ein bißchen Kant.
Kant war zwar wie alle Philosophen vor ihm, und ich würde auch sagen, alle Philosophen nach ihm, Universalist, aber das Denken der Menschheit war schon so fortgeschritten, daß das philosophische Wissen nicht mehr mit der Fülle des einzelwissenschaftlichen Wissens mitkam. Hier irrt der große Kant. "Alle Körper sind ausgedehnt" ist nicht mehr und nicht weniger analytisch als "alle Körper sind schwer". Das ist kein gravierender Irrtum, denn wenn man ihn korrigiert, bleiben die Kantschen Überlegungen richtig.
Man kann sagen, die Wissenschaft analysiert auf präzise Begriffe, indem sie von der phänomenologischen Form, in der uns die Dinge gegeben sind, abstrahiert. Und dann synthetisiert sie die Begriffe, um die Dinge durchdacht im Bewußtsein zu repräsentieren. Durch diesen (tatsächlich dialektischen) Prozeß von Analyse und Synthese kann im Bewußtseinshorizont die Welt abgebildet werden. Es geht auch umgekehrt. Es können abstrakte, reine Gedankenobjekte synthesiert werden zu gedanklichen Begriffen, die dann analytisch auf Bilder von Realobjekten eingeschränkt werden. Und Kant hat sogar die synthetischen Urteile a priori entdeckt, das sind die Allgemeinurteile, die keine vorgängige Analyse des Realen benötigen, sondern, weil wir gar nicht anders denken können, immer schon unserem Denken zugrunde liegen. Allerdings schleichen sich da leicht Fehler ein. So hat die Physik auch das Kantsche Urteil über das apriori synthetische Denken von allem korrigiert, das euklidsche Raum-Zeit-Verständnis ist nur partiell richtig (im Mesoraum). Gerade hier hatte ich das schöne Beispiel von Riemanns synthetischem Urteil angeführt, dem zufolge eine Riemannsche Geometrie das korrekte apriorische synthetische Urteil über die Welt wäre. Die reale Welt ist ein analysierbarer Spezialfall dieser Riemannschen Geometrie.
"Mathematische Urteile sind insgesamt synthetisch."
Diese Bemerkung ist wieder falsch. Die Mathematik arbeitet wie gesagt analytisch-synthetisch, mal geht es um Allgemeinstrukturen, dann um Spezifika wie die Eigenschaften von π. Sagen wir so, richtig ist, daß es keine mathematischen Objekte ohne Synthese gibt.
Zahlen können ihren synthetischen Charakter nicht verbergen, das kann kein Allgemeinbegriff. Den Apfel gibt es so wenig wie die 1. Aber zum Apfel komme ich, wie ich zur 1 komme, durch Abstraktion. Wenn ich Abstraktionen nicht für real halte, bin ich beim idiotischen Sensualismus (ich spare mir die philosophische Kritik des Sensualismus, des radikalisierten Empirismus, die kann sich aber jeder nach dem Gesagten selbst erschließen), der alle Allgemeinbegriffe als Spinnerei abtut. Aber warum sollte es Äpfel und Birnen geben, wenn es nur konkrete Einzeläpfel und Einzelbirnen gibt? Vom Einzelapfel zu Äpfeln zu kommen ist danach genau so irreal wie von einem Apfel zu "einem Apfel und einer Birne" bzw "Äpfel und Birnen" zu kommen.
Ist der Groschen gefallen?




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