Platon - Warum Dialoge?

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Jörn Budesheim
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Mo 15. Apr 2024, 09:44

Markus Gabriel und Gert Scobel haben im Dialog ein philosophisches Buch mit dem Titel 'Zwischen Gut und Böse: Philosophie der radikalen Mitte' verfasst. Daniel Kehlmann und Omri Boehm haben im Kant-Jahr ebenfalls ein Buch in Dialogform veröffentlicht, das den Titel 'Ein Gespräch über Kant: Der bestirnte Himmel über mir' trägt.

Sind Dialoge, wie bei Platon als philosophische Methode der Erkenntnis gerade wieder im Kommen? Oder waren sie nie weg?

"Das Vorbild dieses dialogorientierten Philosophieverständnisses ist Sokrates. Der historische Sokrates hat der Überlieferung zufolge auf dem Athener Marktplatz und in den Gymnasien Athens philosophische Gespräche geführt, die um die Tugend, die Gerechtigkeit, das Gute kreisten. In seinen Schriften ahmt Platon das Gespräch mit den Mitteln der literarischen Gestaltung nach, um den Dialog als philosophische Methode lebendig zu halten und den Lesern die Möglichkeit zu bieten, im Nachvollzug von Rede und Gegenrede, Frage und Antwort selbst Einsichten zu gewinnen. Platon geht es in seinen Schriften stets darum, den Leser zur intellektuellen Selbsttätigkeit und zur eigenen Suche nach Erkenntnis anzuregen. Diese Intention ist in dem Bewusstsein begründet, dass nur die eigene Einsicht Wirkkraft besitzt." (Bettina Fröhlich)




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Jörn Budesheim
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Mo 15. Apr 2024, 09:46

Nauplios hat geschrieben :
Fr 29. Mär 2024, 12:06
AndreaH hat geschrieben :
Fr 29. Mär 2024, 00:17

Einer der unsere Geistesgeschichte am tiefsten geprägt hat, ist Platon.
In seinen Dialogen nutzt Platon unter anderem auch die Darstellungsform der Gleichnisse.
Mich interessieren diese Gleichnisse sehr, da er damit seinem Inhalt ein symbolisches Abbild schafft.
In der Politeia finden sich drei der bekanntesten Gleichnisse von Platon.
"In seinen dialogischen Schriften, die von ihm für die Vielen geschrieben wurden, sorgt er für einen gewissen Glanz und eine penible Sorgfalt in Redeweise und bildlichem Ausdruck." - (Ammonios; Commentaria in Aristotelem Graeca IV 4: 6, 26)

Nicht nur Platon, auch Aristoteles schrieb Dialoge. Allerdings sind nur sehr wenige davon erhalten geblieben. Es stellt sich die Frage, warum schrieben Platon und Aristoteles überhaupt Dialoge, warum nicht Traktate wie im Mittelalter oder Abhandlungen wie wir sie heute von Philosophen kennen?

Die Frage führt geradewegs ins Epizentrum der Philosophie. Wir erfahren die Welt als je einzelne Wesen; wie kann sich ein einzelner Mensch sicher sein, daß seine Welterfahrung nicht individuelle Irrtümer aufweist oder gar auf Täuschungen beruht? - Man fragt einen anderen Menschen. Dieser andere kann sich seiner Welterfahrung aber ebensowenig sicher sein. Der Dialog bietet jetzt die Möglichkeit, der Wahrheit darüber, was es mit der Welt auf sich hat, einen Schritt näher zu kommen. Was der andere sagt, kann man anzweifeln oder auch bestätigen. Vielleicht kommt noch ein Dritter hinzu, Ansichten werden ausgetauscht, Argumente werden beigebracht usw.

Der Dialog galt Platon als eine Form, die Wahrheit freizulegen. Und wie das Beispiel Aristoteles zeigt, war er damit nicht allein. Beim platonischen Dialog kommt noch eine weitere, moralische Komponente hinzu. Man muß den anderen anerkennen, auch wenn man seine Ansichten und Meinungen nicht teilt. Das Prinzip des Dialoges basiert auf der Gleichwertigkeit der Gesprächspartner. Die Offenlegung der Wahrheit im Vollzug des Dialogs erfordert eine moralische Haltung. Im Parmenides ist die Rede vom "Durchgehen nach allen Richtungen" ohne daß es unmöglich ist, "auf das Wahre zu kommen und Einsicht zu erwerben". (136e)

In dem Ammonios-Kommentar zu Aristoteles ist die Rede von "dialogischen Schriften, die von ihm für die Vielen geschrieben wurden". Obwohl es an der Stelle um Aristoteles geht, wird hier ein wichtiger Punkt angesprochen: "Für die Vielen". Am platonischen Dialog können immer nur wenige teilnehmen, manchmal sind es nur zwei, im Symposion sind es sieben. "Für die Vielen" sind diese Dialoge darüberhinaus auch nicht allgemein verständlich. In der Platon-Philologie ist in den letzten Jahrzehnten ein fast schon erbitterter Streit darüber entbrannt, ob Platon seinen Schülern in der Akademie (seine Philosophen-Schule) eine "unbeschriebene Lehre" beigebracht hat, welche gleichsam die eigentlichen Inhalte seiner Philosophie zum Thema hatte, während seine Dialoge "für die Vielen", für die breite Masse gedacht waren.

Für diese Auffassung einer "ungeschriebenen Lehre" steht die sogenannte "Tübinger Schule", der übrigens auch Thomas Alexander Szlezák angehört. (Die "Tübinger" beziehen sich u.a. darauf, daß der Ausdruck "Ungeschriebene Lehre" - ἄγραφα δόγματα - schon bei Aristoteles selbst vorkommt.)

Noch ein Punkt: Von einem "gewissen Glanz und eine(r) penible(n) Sorgfalt in Redeweise und bildlichem Ausdruck" spricht Ammonios. Und auch das gilt für Platon. Der platonische Dialog ist eine literarische Form. Es werden darin Geschichten und Mythen erzählt, "bildliche Ausdrücke" kommen zum Einsatz, ein "gewisser Glanz". Für diese Bildlichkeit, für diesen Glanz sorgen u.a. Gleichnisse. Sie dienen auch dazu, daß Sokrates seinen Dialogpartnern etwas veranschaulichen kann, aber mit ihnen kommt etwas in den Dialog, das wir im Vorgespräch schon erwähnt hatten: Rhetorik.




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Jörn Budesheim
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Mo 15. Apr 2024, 10:23

Markus Gabriel und Gert Scobel, 'Zwischen Gut und Böse', Vorwort hat geschrieben : Denken, darin waren und sind sich Philosophinnen von Platon bis Hannah Arendt einig, geschieht als Dialog – mit sich selbst, aber in erster Linie im Gespräch mit anderen Menschen. In einer der frühesten Bestimmungen des Denkens in der westlichen Tradition verweist Platon in Gorgias darauf, dass selbst derjenige, der als Einer für sich selbst denkt, stets mit sich selbst im Kontext anderer denkt. Philosophie entsteht daher, wie alles Denken, aus und in Gesprächen. Wer philosophiert, tritt, wie die Wissenschaften oder die Politik, in einen Raum gemeinsamen Lebens. Zu philosophieren bedeutet Teil einer Lebensform zu sein. Eine ihrer Spielregeln ist es, die Wirklichkeit möglichst gut zu erfassen. Dabei setzt man sich im Denken wie übrigens auch im alltäglichen Handeln sowohl mit anderen Menschen als auch mit sich selbst auseinander. »So wie ich mein eigener Partner bin, wenn ich denke«, schreibt Hannah Arendt in ihrer Analyse des Bösen, »bin ich mein eigener Zeuge, wenn ich handle. Ich kenne den Täter und bin dazu verdammt, mit ihm zusammenzuleben.« Einer, der denkt oder handelt, bleibt nie »schlicht Einer«. Er oder sie steht im Zusammenhang des Ganzen und ist mittendrin. Niemand kann sich aus der Wirklichkeit herausnehmen.




Timberlake
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Fr 19. Apr 2024, 17:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Apr 2024, 10:23
Markus Gabriel und Gert Scobel, 'Zwischen Gut und Böse', Vorwort hat geschrieben : Denken, darin waren und sind sich Philosophinnen von Platon bis Hannah Arendt einig, geschieht als Dialog – mit sich selbst, aber in erster Linie im Gespräch mit anderen Menschen.
.. aus gegebenem Anlass ... ganz meiner Meinung .." Denken ... geschieht als Dialog – mit sich selbst, aber in erster Linie im Gespräch mit anderen Menschen.!




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