Platons Gleichnisse (... und die Realität der Ideen)

Timberlake
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Mo 15. Apr 2024, 22:39

Burkart hat geschrieben :
So 14. Apr 2024, 12:06

Klar, in unserer realen physischen Welt sind alle Dinge unterschiedlich. Aber der "Trick" ist ja, dass man diese Dinge abstrahiert, damit sie mathematisch nutzbar werden, z.B. radikal auf ihre Existenz zur Zahl 1. Und so sind verschiedene Äpfel zusammen addierbar, ob sie nun unterschiedliche Farben oder Größen haben, also so sind 2 + 3 dann 5 (Äpfel) und wir haben uns die Basis zu den Grundrechenarten aufgebaut. Siehst du darin irgendein Problem?
"Sonnen-, Linien- und Höhlengleichnis im Merksatz des Parmenides .. Dateianhänge "
Alltag

Wenn wir denn uns .. gemäß der Tabelle von @Alltag .. auf das "so sein (a) " festlegen , so sehe ich darin allerdings ein Problem. Denn in der realen physischen Welt ist das Abstrahierte "überhaupt nicht so ( b) " wie es übrigens nach meiner Ansicht auch nicht "irgendwie dennoch passiv darunter unterliegt( bp) " -

Das ist .. wie "Bilder und Spiegelungen" .. " nicht so wie «Das Sichtbare»" , Diese mathematisch Abstrahierte ist als solches wie .. "die Schatten «in Platons Höhle».
Zuletzt geändert von Timberlake am Mo 15. Apr 2024, 23:13, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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Mo 15. Apr 2024, 23:10

Alltag hat geschrieben :
Mo 15. Apr 2024, 00:47

[...] Mein jüngster Versuch! (o,o)
.. dein "jüngster Versuch" wird mir .. im Gebrauch dessen! .. von mal zu mal immer sympathischer .




Alltag
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Di 16. Apr 2024, 07:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Apr 2024, 10:49
Was hältst Du davon, zu dieser Grafik einen eigenen Faden mit Erläuterungen aufzumachen?
Ich habe deinen Vorschlag anhand der Übersetzung von Schleiermacher gründlich geprüft. Dabei stellte ich fest, dass die beiden Gesprächspartner schon etwas müde sind. Glaukon schweift ab und Sokrates lässt sich zu nicht wirklich nötigen Exkursen verleiten. Als Leser halte ich dagegen und möchte das Thema nicht auch noch durch eigene Fäden mit Erläuterungen verwässern. Ich will das begründen, indem ich Platos Text wie folgt auf das Wesentliche eindicke:

Glaukon befürchtet, dass Sokrates ihn am Ende im Stich lässt. Denn er wolle doch zufrieden sein, wenn Sokrates so wie er über die Gerechtigkeit und Besonnenheit geredet hat, nun auch noch über das Gute redet. (506 d e). Sokrates drängt es {zum Wasserlösen}, da kommt ihm der Blitzgedanke zu einer Kurzfassung:
Vieles Schöne und vieles Gute nehmen wir im Einzelnen an, und bestimmen es uns durch Erklärungen. Dann aber auch wieder das Schöne selbst und das Gute selbst setzen wir jedes für sich als Eine Idee, so auch was wir vorher als vieles setzten. Und von diesem Vielen sagen wir, dass es gesehen werde aber nicht gedacht; von den Ideen hingegen, dass sie gedacht werden aber nicht gesehen. (507 a b)
Wenn sich die Augen auf das richten, was die Sonne bescheint: dann sehen sie deutlich, und es zeigt sich, dass in eben diesen Augen die Sehkraft wohnt. Ebenso nun betrachte dasselbe auch an der Seele: Wenn sich die Seele auf das heftet, woran Wahrheit und das Seiende glänzt: so bemerk und erkennt sie es, und es zeigt sich dass sie Vernunft hat. […] Dies also, was dem erkennbaren Wahrheit mitteilt und dem erkennenden das Vermögen hergibt, sage sei die Idee des Guten. (508)
Die Sonne […] verleihe dem Sichtbaren nicht nur das Vermögen gesehen zu werden, sondern auch das Werden und Wachstum und Nahrung, ohneracht sie selbst nicht das Werden ist. [..] Ebenso nun sage auch, dass dem Erkennbaren nicht nur das Erkanntwerden von dem Guten komme, sondern auch das Sein und Wesen habe es von ihm, da doch das Gute selbst nicht das Sein ist, sondern noch über das Sein an Würde und Kraft hinausragt. […] Merke also, […] diese Beiden Arten hast du nun, das denkbare und das sichtbare. (509)

[Ende des Sonnengleichnis und Übergang zum Liniengleichnis] (509 d)

So nimm nun […] die ungleichen Teile, und teile wiederum […] die Bereiche des sichtbaren und den des denkbaren: so gibt […] in dem sichtbaren ein Abschnitt für Bilder, im weitesten Sinn, zuerst die Schatten, dann die Spiegelung und Brechung im Wasser und die dergleichen auf (510) glatten und glänzenden Flächen. Und als den andern Abschnitt setze das folgende, nämlich Fauna und Flora und alles vom Menschen Gemachte.

[schon hier taucht mit "dem Abschnitt für Bilder" die Höhle im nächsten Gleichnis auf ... und der Leser kann erahnen wohin der Aufstieg geht.]




Alltag
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Di 16. Apr 2024, 11:46

Alltag hat geschrieben :
Di 16. Apr 2024, 07:17
[...] setzen wir jedes für sich als Eine Idee, so auch was wir vorher als vieles setzten. Und von diesem Vielen sagen wir, dass es gesehen werde aber nicht gedacht; von den Ideen hingegen, dass sie gedacht werden aber nicht gesehen. (507 a b)
Der Gegenstand der "Kurzfassung des Sokrates" ist "Denkbare", das in Bezug zu seinesgleichen ähnlich ist, insofern es nicht gesehen wird. Davon trennt Sokrates das dazu Andere ab, das "Sichtbare, das untereinander ähnlich ist, insofern nicht denkbar ist. Dieser Unterschied vom Einen zum Andern wird im "Sonnengleichnis" detailliert dargelegt und als die zwei Bereiche dargelegt; oben das Denkbare darunter das Sichtbare. Im nächsten Schritt werden diese Beiden Bereiche in einem "Federstrich" unterteilt! Es ist keine Linie, sondern ein Strich, dessen Strecke in zwei Teile geteilt wird, sodass der längere Strichteil den Bereich des Sichtbaren teilt, der kürzere Strichteil den Bereich des Denkbaren teilt.
[Somit ergibt sich: Oben hat man rechts des kleinen Teilstrichs ein kleines Quadrat, für den Bereich der Ideen; unten hat man also links des grossen Teilstrichs ein grosses Quadrat für den Bereich der Fauna, Flora und des vom Menschen gemachten.] Wird damit in meiner unten zitierten Grafik das eine oder andere klarer?
Alltag hat geschrieben :
Mo 15. Apr 2024, 00:47




Alltag
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Mi 17. Apr 2024, 11:32

Warum reite ich so auf diesen Details herum?
Alltag hat geschrieben :
Di 16. Apr 2024, 11:46
[...]Im nächsten Schritt werden diese Beiden Bereiche in einem "Federstrich" unterteilt! Es ist keine Linie, sondern ein Strich, dessen Strecke in zwei Teile geteilt wird, sodass der längere Strichteil den Bereich des Sichtbaren teilt, der kürzere Strichteil den Bereich des Denkbaren teilt.
[Somit ergibt sich: Oben hat man rechts des kleinen Teilstrichs ein kleines Quadrat, für den Bereich der Ideen; unten hat man also links des grossen Teilstrichs ein grosses Quadrat für den Bereich der Fauna, Flora und des vom Menschen gemachten.]
Mich interessieren solche Details aus zwei Gründen: erstens sind bei Platon die in den Sand gekratzten Graphen nicht selten anzutreffen (beispielsweise auch bei Menon), zweitens, weil sowohl auf Wikipedia unter Liniengleichnis, als auch bei Reclam 14373, Anmerkung 121 zu 6. Buch, eine Grafik abgebildet ist, die nicht mit dem Griechisch Text übereinstimmt, mein ich.
Übrigens, die oben von Nauplios angegeben Graphik ist nochmals anders.
Aber wen interessieren solche Details? Ausser Alltag den Kauz (o,o)




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Mi 17. Apr 2024, 13:13

Ja, wie bei allen antiken Texten sind nicht nur die Übertragungen ins Deutsche (und auch in jede andere Sprache) sehr unterschiedlich, sondern die griechischen Originaltexte, die ja selbst schon eine 2500-jährige Abschriften- und Editionsgeschichte hinter sich haben, fallen unterschiedlich aus. In der Textkritik wird bisweilen um jeden Hochpunkt, jedes Kolon gerungen, man ist sich bis heute nicht einig, welche Dialoge wann geschrieben wurden, welche überhaupt echt sind, ob der Thrasymachos (1. Buch der Politeia) nicht als eigenständiger Dialog verstanden werden muß usw.

Die Altphilologen - zumindest soweit ich sie kennengelernt hab' - sind nicht zufällig oft verträumte "Kauze", der Welt etwas abhanden gekommen und meistes kurzsichtig. ;) Heute mag das anders sein, aber zur wilden Zeit der 68er hatten die den Ruf einer Sekte.

Aus diesem peniblen und genauen Lesen heraus sind natürlich eine Vielzahl von Platon-Deutungen hervorgegangen; die "Tübinger Schule" hatte ich ja schon kurz erwähnt.

Kein Wunder, daß sich im Netz eine Fülle von Videos, Graphiken, PDFs, Vorlesungen u.ä. findet, die unterschiedlichen Interpretationen folgen, unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Darstellungen setzen.

Den einen oder anderen Satz, die eine oder andere Übersetzung von Grundbegriffen kann man sich natürlich im Rahmen eines Internetforums mal genauer anschauen, das setzt aber Grundkenntnisse der griechischen Sprache voraus, die bei Dir ja auch vorhanden sind (Daumen hoch); für mich kann ich sagen, daß mein Graecum mehr als vier Jahrzehnte zurückliegt und ich diese Grundkenntnisse kaum noch aufweise. Um auf der Höhe altsprachlicher Fachgespräche zu sein, reicht das nicht; da ist von meiner Seite Bescheidenheit angesagt. (Ich hab' übrigens im Rahmen eines Platon-Seminars mal eine Übersetzung des Höhlengleichnisses angefertigt. Falls ich sie noch finde und mich nicht allzu sehr dafür zu schämen hab' - wie gesagt, eine Jugendarbeit - stelle ich sie mal online.)

Das Interesse hier im Forum an Platon ist natürlich ein anderes als in einem Griechisch-Seminar. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Hier geht es uns ja mehr um ein Grundverständnis seiner Philosophie und nicht um Textexegese. Ich meine, wir haben das alles in allem ganz gut hinbekommen. Sicher, es gibt Abschweifungen und manchmal geht es auch ins Grundsätzliche, aber ich würde bis dahin unterm Strich eine positive Bilanz ziehen. Schade ist es um einige Dinge, die ich kürzlich erwähnt hatte. - Na gut, es ist wie es ist. Was soll man sagen. ;)

p.s.: übrigens, auch die Luhmann-Diskussion von Ende letzten Jahres hab' ich in guter Erinnerung.




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Mi 17. Apr 2024, 15:46

Nauplios hat geschrieben :
Mi 17. Apr 2024, 13:13
[...] für mich kann ich sagen, daß mein Graecum mehr als vier Jahrzehnte zurückliegt und ich diese Grundkenntnisse kaum noch aufweise. Um auf der Höhe altsprachlicher Fachgespräche zu sein, reicht das nicht; da ist von meiner Seite Bescheidenheit angesagt.
Du bist gewiss der Vernünftigere von uns beiden! Ich überschätze mich gewiss.
Mit andern freue ich mich auf Deine philologische Jugendarbeit zum Höhlengleichnis.




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Mi 17. Apr 2024, 20:33

Voilà

Ein Jugendwerk aus vergangener Zeit. Für die Übersetzung will ich nach über vier Jahrzehnten allerdings nicht mehr einstehen; Jugendwerke haben ein Recht auf Nicht-hinterfragt-werden. ;)




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Nauplios
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Do 18. Apr 2024, 19:40

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit." (Hervorhebung von mir)

Kants Bestimmung der Aufklärung als "Ausgang" - ein Zufall? - Oder zeigt sich darin für einen Moment der ansonsten unterirdisch verlaufende Metaphernstrom der Höhle samt seinen semantischen Nebenarmen?

Und Sloterdijks Blasen, Globen und Schäume? - Vom "Durchbruch des Intellekts aus den Höhlen der humanen Illusion ins nicht-menschliche Äußere" ist die Rede in der Einleitung zum ersten Teil der Sphären-Trilogie. Vollends das Uterotop ist schließlich der Inbegriff von "Wir-Höhlen" und "Weltbrutkästen" im letzten Teil.

Ist also die Höhle eine unverzichtbare Kulisse der Welterzählung?




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Quk
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Do 18. Apr 2024, 20:01

Nauplios hat geschrieben :
Do 18. Apr 2024, 19:40
Ist also die Höhle eine unverzichtbare Kulisse der Welterzählung?
Ja, ich denke schon. Der Geist kann nicht anders als sich zu öffnen gegenüber Neuigkeiten, denn in der dynamischen Evolution sind es die dynamischen Neuigkeiten, die Probleme machen; und um diese neuen Probleme zu lösen, muss der Geist abermals Neues erfinden und entdecken. Die Allwelt ist derzeit eine Explosion, keine Implosion, meiner Ansicht nach. Man sieht das auch im Körperlichen: Das Universum expandiert ebenso wie unsere Hirne. Von klein nach groß. Wäre es umgekehrt, würden wir immer dümmer werden. Das könnte man jetzt satirisch bejahen, aber nicht ernsthaft.




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Nauplios
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Fr 19. Apr 2024, 08:53

Quk hat geschrieben :
Do 18. Apr 2024, 20:01

Der Geist kann nicht anders als sich zu öffnen gegenüber Neuigkeiten, denn in der dynamischen Evolution sind es die dynamischen Neuigkeiten, die Probleme machen; und um diese neuen Probleme zu lösen, muss der Geist abermals Neues erfinden und entdecken. Die Allwelt ist derzeit eine Explosion, keine Implosion, meiner Ansicht nach. Man sieht das auch im Körperlichen: Das Universum expandiert ebenso wie unsere Hirne.
Man hat ja das Höhlengleichnis durchweg als eine Parabel auf die epistemische Situation des Menschen gelesen. Dem Gefälle zwischen dem Lebensraum der Höhlenbewohner und der oberen Welt entspricht ein ontologisches Gefälle. Oben ist das wahrhaft Seiende, unten in der Höhle gibt es nur Schatten. Die Bewegungsrichtung ist der Aufstieg. Und ein weiteres Gefälle besteht zwischen den Gefangenen und dem Rückkehrer in die Höhle, der ja nicht nur von der oberen Welt erzählt, sondern die Gefesselten aus ihrer Gefangenschaft befreien will. Warum beläßt er es nicht beim eigenen Aufstieg? Hier kommt für Platon ein wichtiger Aspekt hinzu, die Paideia. Den Höhlenbewohnern den Aufstieg aus der Höhle zu weisen, ist zugleich ein Unterweisen, ist Pädagogik.

"Aufklärung ist der Ausgang ... aus Unmündigkeit" (Kant). Darin sind eigentlich wesentliche Elemente der Höhlenmetapher enthalten: vom Schatten ans Licht, von der Gefangenschaft heraus, von der Unmündigkeit zur Mündigkeit. Kein Zufall, daß das Zeitalter der Aufklärung eine Zeit ist, in der pädagogische Traktate Hochkonjunktur haben. Wie führt man in Unwissenheit Gefangene (Kinder, Frauen*, durch religiösen Glauben Verblendete ...) ans Licht des Wissens?

Man kann in der Höhle aber auch eine Metapher für den Schutz des Menschen vor der Bedrängnis durch die Wirklichkeit sehen, also nicht die epistemische, sondern die anthropologische Situation des Menschen. In der Höhle entsteht die Phantasie. Sie ist die Geburtsstätte der Kultur.

*Das "gelehrte Frauenzimmer" ist der entsprechende Topos




Timberlake
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Fr 19. Apr 2024, 13:45

Nauplios hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 08:53


Man kann in der Höhle aber auch eine Metapher für den Schutz des Menschen vor der Bedrängnis durch die Wirklichkeit sehen, also nicht die epistemische, sondern die anthropologische Situation des Menschen. In der Höhle entsteht die Phantasie. Sie ist die Geburtsstätte der Kultur.
Beispielsweise ... "den Schutz des Menschen vor der Bedrängnis durch die Wirklichkeit" .. der Antwort auf die Frage .." Wie wird det mit uns so nachn Tode? " ..
Nauplios hat geschrieben :
So 14. Apr 2024, 17:47
Von Tucholsky gibt es ein kleines Gedicht, das all das auf den Punkt bringt. Es erschien 1931 in der Weltbühne und trägt den Titel "ALSO WAT NU? - JA ODER JA?"

"Wie ick noch 'n kleena Junge wah,
da hattn wa auffe Schule
een Lehra, den nannten wa bloß: Papa –
een jewissen Doktor Kuhle.

Un frachte der wat, un der Schieler war dumm,
un der quatschte und klönte bloß so rum,
denn sachte Kuhle feierlich:
»Also – du weeßt et nich!«

So nachn Essen, da rooch ick jern
in stillen meine Sßijarre.
Da denk ick so, inwieso un wiefern
un wie se so looft, die Karre.

Wer weeß det … Heute wähln wa noch rot,
un morjen sind wa valleicht alle tot.
Also ick ja nich, denkt jeda. Immahin …
man denkt sich so manchet in seinen Sinn.

Ick bin, ick werde, ich wah jewesen …
Da haak nu so ville Bicher jelesen.
Und da steht die Wissenschaft uff de Kommode.
Wie wird det mit uns so nachn Tode?
Die Kürche kommt jleich eilich jeloofn,
da jibt et 'n Waschkorb voll Phillesophen …
Det lies man. Un haste det hinta dir,
dreihundert Pfund bedrucktet Papier,

denn leechste die Weisen
beit alte Eisen
un sachst dir, wie Kuhle, innalich:
Sie wissen et nich. Sie wissen et nich."

So entsteht in der Höhle die Phantasie dessen , was .. " da haste det hinta dir, dreihundert Pfund bedrucktet Papier" . In Wirklichkeit .. "sachst dir, wie Kuhle, innalich: Sie wissen et nich. Sie wissen et nich." Sie ist als solches die Geburtsstätte einer Kultur, des Nichtwissens bzw. weil .. "die Kürche kommt jleich eilich jeloofn" .. die Kultur eines eingebildetem Wissens.

Somit ich einmal ergänze ..

Von Tucholsky gibt es ein kleines Gedicht, das all das .. "metaphorisch" .. auf den Punkt bringt.

„Die Vorstellung, der philosophische Logos habe den vorphilosophischen Mythos überwunden, hat uns die Sicht auf den Umfang der philosophischen Terminologie verengt; neben dem Begriff im strengen Sinne gibt es ein weites Feld mythischer Transformationen, die sich in einer vielgestaltigen Metaphorik niedergeschlagen haben. Dieses Vorfeld des Begriffs ist in seinem ‚Aggregatszustand‘ plastischer, sensibler für das Unausdrückliche, weniger beherrscht durch fixierte Traditionsformen. Hier hat sich oft Ausdruck verschafft, was in der starren Architektonik der Systeme kein Medium fand. Hier wird behutsame Forschung noch reiche Bestände erheben können.“
Hans Blumenberg




Timberlake
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Fr 19. Apr 2024, 15:23

Alltag hat geschrieben :
Mi 17. Apr 2024, 11:32

Mich interessieren solche Details aus zwei Gründen: erstens sind bei Platon die in den Sand gekratzten Graphen nicht selten anzutreffen (beispielsweise auch bei Menon), zweitens, weil sowohl auf Wikipedia unter Liniengleichnis, als auch bei Reclam 14373, Anmerkung 121 zu 6. Buch, eine Grafik abgebildet ist, die nicht mit dem Griechisch Text übereinstimmt, mein ich.
Übrigens, die oben von Nauplios angegeben Graphik ist nochmals anders.
Aber wen interessieren solche Details? Ausser Alltag den Kauz (o,o)
Dafür , dass du du offenbar so ganz und gar kein Interesse an meinen Beiträge zeigst , die nachweislich , wie im Beitrag 76404 ersichtlich , nicht nur bloss um diese Details bemüht sind , sondern sie .. mehr noch!... wie im Beitrag 76511 .. an Hand eines Beispiels beschreiben, finde ich diese Bemerkung doch schon sehr merkwürdig. Gelinde gesagt.

Aber wen interessieren solche "Details" ? Außer Timberlake den Kauz (o,o)

Vielleicht denk ich dir und deines gleichen ja zu abstrakt ..

"Dies heißt abstrakt gedacht, in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, zu sehen und durch diese einfache Qualität alles übrige menschliche Wesen an ihm [zu] vertilgen. Ganz anders eine feine, empfindsame Leipziger Welt. Sie bestreute und beband das Rad und den Verbrecher, der darauf geflochten war, mit Blumenkränzen."
Hegel .. Wer denkt abstrakt?


Übrigens , das und zwar .. "in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, zu sehen" ... was wäre denn das deiner Meinung nach , gemäß den Details deiner Tabelle zum Höhlen- bzw. Sonnen- und Liniengleichnis Platons ?
Alltag hat geschrieben :
Mi 17. Apr 2024, 15:46
Nauplios hat geschrieben :
Mi 17. Apr 2024, 13:13
[...] für mich kann ich sagen, daß mein Graecum mehr als vier Jahrzehnte zurückliegt und ich diese Grundkenntnisse kaum noch aufweise. Um auf der Höhe altsprachlicher Fachgespräche zu sein, reicht das nicht; da ist von meiner Seite Bescheidenheit angesagt.
Du bist gewiss der Vernünftigere von uns beiden! Ich überschätze mich gewiss.
Mit andern freue ich mich auf Deine philologische Jugendarbeit zum Höhlengleichnis.
.. möglicherweise kann zur Beantwortung dieser Frage tatsächlich Nauplios philologische Jugendarbeit zum Höhlengleichnis hilfreich sein. Natürlich (nicht) abstrakt gedacht ;)
Um so merkwürdiger ist allerdings , dass sich .. im Gegensatz zu mir ! .. selbiger , wie übrigens ein jeder , so ganz und gar nicht zu deiner Tabelle , geschweige denn zu den Details dazu geäußert hat. Hat man sie etwa nicht verstanden ( .. Kunstgriff 31 ) ? Solange sich niemand dazu erklärt , bleibt das alles reine Spekulation. Das gilt aber auch für dich , bezüglich meiner Beiträge.




Timberlake
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Fr 19. Apr 2024, 17:44

......

Platon - Warum Dialoge?
Markus Gabriel und Gert Scobel, 'Zwischen Gut und Böse', Vorwort hat geschrieben : Denken, darin waren und sind sich Philosophinnen von Platon bis Hannah Arendt einig, geschieht als Dialog – mit sich selbst, aber in erster Linie im Gespräch mit anderen Menschen. In einer der frühesten Bestimmungen des Denkens in der westlichen Tradition verweist Platon in Gorgias darauf, dass selbst derjenige, der als Einer für sich selbst denkt, stets mit sich selbst im Kontext anderer denkt. Philosophie entsteht daher, wie alles Denken, aus und in Gesprächen. Wer philosophiert, tritt, wie die Wissenschaften oder die Politik, in einen Raum gemeinsamen Lebens. Zu philosophieren bedeutet Teil einer Lebensform zu sein. Eine ihrer Spielregeln ist es, die Wirklichkeit möglichst gut zu erfassen. Dabei setzt man sich im Denken wie übrigens auch im alltäglichen Handeln sowohl mit anderen Menschen als auch mit sich selbst auseinander. »So wie ich mein eigener Partner bin, wenn ich denke«, schreibt Hannah Arendt in ihrer Analyse des Bösen, »bin ich mein eigener Zeuge, wenn ich handle. Ich kenne den Täter und bin dazu verdammt, mit ihm zusammenzuleben.« Einer, der denkt oder handelt, bleibt nie »schlicht Einer«. Er oder sie steht im Zusammenhang des Ganzen und ist mittendrin. Niemand kann sich aus der Wirklichkeit herausnehmen.




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Fr 19. Apr 2024, 17:55

Timberlake hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 13:45

So entsteht in der Höhle die Phantasie dessen, was .. " da haste det hinta dir, dreihundert Pfund bedrucktet Papier" . In Wirklichkeit .. "sachst dir, wie Kuhle, innalich: Sie wissen et nich. Sie wissen et nich." Sie ist als solches die Geburtsstätte einer Kultur des Nichtwissens ...
Das Wissen des Nichtwissens (Sokrates: "Ich weiß, was ich nicht weiß") ist vor allem in der neuplatonischen Tradition des lateinischen Mittelalters theologisch ausbuchstabiert worden. Augustinus spricht bereits von einem "belehrten Nichtwissen" (docta ignorantia). Eine weitreichende Wirkungsgeschichte hat die docta ignorantia vor allem in der Nachfolge der gleichnamigen Schrift von Nikolaus von Kues gehabt.

Das Wissen des Nichtwissens ist ja eigentlich eine Paradoxie: Man weiß nichts, aber zu diesem Nichtwissen kommt man durch Wissen. Zu wissen ist die Bedingung, nicht zu wissen. Bei Nikolaus von Kues ist das eine theologisch begründete Paradoxie. Ich weiß nichts von Gott, dessen Gnade darin besteht, daß er mich wissen läßt, daß ich nichts wissen kann.

Wendet man die Figur des wissenden Nichtwissens ohne ihre theologischen Konnotationen auf die anthropologische Situation des Menschen an, dann läuft dieses Wissen des Nichtwissens auf Rhetorik hinaus. So weiß man zum Beispiel nichts vom Tod, aber man kann dieses Nichtwissen in Szene setzen (s. Hogrebes "szenisches Existieren"). Der Tod wird dann etwa zu einer Allegorie. Nikolaus von Kues spricht davon, "das Unbegreifliche unbegreifenderweise zu umfassen". Man bewegt sich dann "im Vorfeld des Begriffs [welches] sensibler für das Unausdrückliche ist" (Blumenberg).

Im Grunde ähneln sich all diese Figuren - Wissen des Nichtwissens, das Unbegreifliche unbegreifenderweise umfassen, das Unausdrückliche durch Rhetorik ausdrücken usw. Immer geht es darum, die Sprache sprechen zu lassen durch vorprädikative, nicht-propositionale, metaphorische, mythische, unbegriffliche, poetische Anwendung. So läßt sich vom Tod immer noch nichts wissen, aber es läßt sich mit ihm leben, indem sein Schrecken gebannt wird. Man kann ihn gnädig stimmen.




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Fr 19. Apr 2024, 18:10

Timberlake hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 17:44
Markus Gabriel und Gert Scobel, 'Zwischen Gut und Böse', Vorwort hat geschrieben : Zu philosophieren bedeutet Teil einer Lebensform zu sein. Eine ihrer Spielregeln ist es, die Wirklichkeit möglichst gut zu erfassen.
Speziell hinter diese "Spielregel" - Philosophieren nach "Regeln" :o - möchte ich ein Fragezeichen der Verwunderung setzen. Wer setzt denn diese Regel fest? (Ich will das riesige Faß, was sich dahinter verbirgt, aber nicht aufmachen.)




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Jörn Budesheim
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Fr 19. Apr 2024, 18:22

Warum machst du ein Fragezeichen? Weil du der Meinung bist, dass diese Aussage die Wirklichkeit nicht gut erfasst?




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Fr 19. Apr 2024, 18:37

Timberlake hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 15:23

... möglicherweise kann zur Beantwortung dieser Frage tatsächlich Nauplios philologische Jugendarbeit zum Höhlengleichnis hilfreich sein.
Jugendwerke stehen unter Denkmalschutz. Hilfreich mögen sie dem biographischen Blick sein. In der Sache selbst können sie nicht mitsprechen. In diesem Fall müssen sie es auch nicht; es gibt eine weitverzweigte Platon-Deutung und Platon-Übertragung, die im Netz frei verfügbar ist. Dazu braucht es kein Jugendwerk.




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