Platons Gleichnisse (... und die Realität der Ideen)

Timberlake
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Di 9. Apr 2024, 02:04

Nauplios hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 01:54


Im Symposion erklärt uns Platon, daß die Menschen vor langer Zeit so aussahen: Sie hatten kugelförmige Rümpfe, vier Hände und vier Füße, vier Ohren, einen kreisrunden Hals und zwei Gesichter, die in jeweils entgegengesetzte Richtungen schauten. Sie waren ziemlich stark und wurden den Göttern gefährlich. Deshalb hat Zeus sie in zwei Hälften zerschnitten. Seitdem sucht jede Hälfte die andere und hat Sehnsucht nach ihr. Stimmt das?

Im Phaidon erzählt Sokrates, was nach dem Tod passiert: die Seelen werden auf vier Flüsse verteilt, die im Inneren der Erde fließen (die Einzelheiten laß' ich jetzt mal weg). Stimmt das?

Nichts von all dem stimmt. Nichts davon entspricht der Wahrheit.

Damit könnte man die ganze Sache auf sich beruhen lassen. Warum sich damit noch abgeben? Parmenides spricht von einer Göttin, für Heraklit besteht der Kosmos auf Feuer, für Thales aus Wasser usw. Nichts davon stimmt. Nichts davon ist wahr. Nach unseren Maßstäben.

Und doch beschäftigen sich die Philosophen seit Jahrhunderten damit,
Ich denke mal "damit" beschäftigen sich die Philosophen seit Jahrhunderten ganz sicher nicht. ;)

Dann doch schon eher , um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen , mit Platons Gleichnisse. Nur weil nichts davon stimmt , wird man doch wohl nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. .. oder?




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Nauplios
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Di 9. Apr 2024, 02:09

Timberlake hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 02:04
Nauplios hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 01:54


Im Symposion erklärt uns Platon, daß die Menschen vor langer Zeit so aussahen: Sie hatten kugelförmige Rümpfe, vier Hände und vier Füße, vier Ohren, einen kreisrunden Hals und zwei Gesichter, die in jeweils entgegengesetzte Richtungen schauten. Sie waren ziemlich stark und wurden den Göttern gefährlich. Deshalb hat Zeus sie in zwei Hälften zerschnitten. Seitdem sucht jede Hälfte die andere und hat Sehnsucht nach ihr. Stimmt das?

Im Phaidon erzählt Sokrates, was nach dem Tod passiert: die Seelen werden auf vier Flüsse verteilt, die im Inneren der Erde fließen (die Einzelheiten laß' ich jetzt mal weg). Stimmt das?

Nichts von all dem stimmt. Nichts davon entspricht der Wahrheit.

Damit könnte man die ganze Sache auf sich beruhen lassen. Warum sich damit noch abgeben? Parmenides spricht von einer Göttin, für Heraklit besteht der Kosmos auf Feuer, für Thales aus Wasser usw. Nichts davon stimmt. Nichts davon ist wahr. Nach unseren Maßstäben.

Und doch beschäftigen sich die Philosophen seit Jahrhunderten damit,
Ich denke mal "damit" beschäftigen sich die Philosophen seit Jahrhunderten ganz sicher nicht. ;)
Genau genommen beschäftigen sie sich nur damit. Aber das dürfte jetzt zu weit führen. Wir sind ja eh schon wieder im Grundsätzlichen angekommen. Es zeigt sich erneut diese Zirkelhaftigkeit: Schon die Klärung dessen, was Philosophie ist, ist Philosophie.




Timberlake
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Di 9. Apr 2024, 02:16

.. und ist es eben nicht auch diese Zirkelhaftigkeit , die uns nach dem Höhlengleichnis an die Kette legt ? So zu sagen die Kette des Philosophen!




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Nauplios
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Di 9. Apr 2024, 02:31

Wir werden uns im Laufe dieser Diskussion vielleicht auch noch mit anderen Höhlengleichnissen (s. Cicero, Arnobius, Gregor von Nyssa, Giordano Bruno, Francis Bacon ... ) beschäftigen. Es dürfte sich dann zeigen, wie durchtränkt die Philosophie von der Vorstellung der Höhle, ihrer Einschränkungs-, aber auch ihrer Schutzfunktion, ist. Am Sinnbild der Höhle lassen sich ganze Jahrhunderte wie an einer Perlenschnur aufreihen. Das reicht von der Geburtsmetapher bis zum modernen "Lichtspieltheater". Gemeint ist der abgedunkelte Kinosaal, in dem von einer rückwärtigen Lichtquelle (Ab)Bilder an die (Lein)Wand geworfen werden, von denen sich die modernen Höhlenbewohner bereitwillig "fesseln" lassen. - Variationen des Höhlengleichnisses.




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Jörn Budesheim
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Di 9. Apr 2024, 08:31

Burkart hat geschrieben :
Mo 8. Apr 2024, 22:55
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 8. Apr 2024, 20:57
Warum ist die Vorstellung seltsam, dass die Ideen in der Luft schwirren und durch den Raum fliegen, aber nicht seltsam, dass sie im Kopf sind?
Wenn ich AufDerSonne unterstützen darf:
Ideen können im Kopf sein, weil sie dort konstruiert sein können, ob nun auf Basis eigenes Denkens und sinnlichen Erfahrens oder durch Lernen von anderen Menschen o.ä.
In der Luft bzw. im Raum fehlt ihnen irgendwie die Basis dazu ;)
Das ändert nichts an der Absurdität. Ideen schwirren nicht durch die Luft oder fliegen durch den Raum, das ist absurd. Aber dass sie ihren Ort irgendwo im Kopf haben, ist ebenso absurd. Damit ändert sich diese Absurdität keinen Deut, denn es ist dieselbe absurde Struktur: Die Idee, dass wir die 7 links vom Jupiter finden können, ist halt genauso absurd wie die Idee, dass sie im Kopf ist. Abstrakte Objekte haben keinen raumzeitlichen Ort, weder in der Luft noch im Kopf. Der "Ort" der 7 ist die abstrakte und unendliche Struktur der natürlichen Zahlen und nicht irgendein Kopf.

Wenn wir die 7 in den Köpfen hätten, müssten wir empirische Untersuchungen durchführen, um herauszufinden, wie viel 7 + 5 ergibt. Das Ergebnis wäre dann z.B. ein statistischer Wert: ca. 11,8 in über 90% der Fälle. Und in welchem Kopf finden wir die 100.000ste Nachkommastelle von Pi?




Timberlake
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Di 9. Apr 2024, 09:35

Nauplios hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 02:31
Wir werden uns im Laufe dieser Diskussion vielleicht auch noch mit anderen Höhlengleichnissen (s. .. Giordano Bruno ... ) beschäftigen.
Wo hier schon mal von ihm die Rede ist ...

Ursach' und Grund und Eins...

Ursach' und Grund und Eins von Ewigkeiten,
Daraus Bewegung, Leben, Sein entspringen,
Was immer Himmel, Erd' und Höll' an Dingen
Umfasst in allen Längen, Tiefen, Breiten:

Mit Sinn, Verstand, Vernunft schau' ich die Weiten,
Die keine That, nicht Maass noch Rechnung zwingen;
Die Masse, Kraft und Zahl kann ich durchdringen,
Die Untres, Obres wie die Mitte leiten.

Nicht blinder Wahn, der Zeit, des Schicksals Tücke,
Nicht ohne Wut, noch Hasses gift'ges Flüstern,
Nicht Bosheit, roher Sinn und freches Trachten
Vermögen je, den Tag mir zu verdüstern,

Mir zu verschleiern meine hellen Blicke,
Noch meiner Sonne Glanz mir zu umnachten

Giordano Bruno


.. wenn es denn eine Handlungsanweisung gibt ., die uns aus der Höhle des Höhlenggleichnis führt , so würde ich dieses Gedicht von Giordano Bruno diesbezüglich an den vordersten Plätzen verorten. Vorausgesetzt natürlich , dass .. um auf mein Beitrag 76283 zurück zu kommen .. dieser "Sonne Glanz" tatsächlich der Sonne am Höhleneingang entspringt und kein künstliches Licht ist. Giordano Bruno ist da durchaus zwiespältig zu sehen. Als da zum Einem wären seine kosmologischen Vorstellungen zum kopernikanische Modell und zum Anderen seine Vorstellungen zur Lehre der Dreifaltigkeit, dem christlichen Gottesbegriff und der Menschwerdung Christi.
Nauplios hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 01:54


Im Symposion erklärt uns Platon, daß die Menschen vor langer Zeit so aussahen: Sie hatten kugelförmige Rümpfe, vier Hände und vier Füße, vier Ohren, einen kreisrunden Hals und zwei Gesichter, die in jeweils entgegengesetzte Richtungen schauten. Sie waren ziemlich stark und wurden den Göttern gefährlich. Deshalb hat Zeus sie in zwei Hälften zerschnitten. Seitdem sucht jede Hälfte die andere und hat Sehnsucht nach ihr. Stimmt das?

Im Phaidon erzählt Sokrates, was nach dem Tod passiert: die Seelen werden auf vier Flüsse verteilt, die im Inneren der Erde fließen (die Einzelheiten laß' ich jetzt mal weg). Stimmt das?

Nichts von all dem stimmt. Nichts davon entspricht der Wahrheit.

Damit könnte man die ganze Sache auf sich beruhen lassen. Warum sich damit noch abgeben? Parmenides spricht von einer Göttin, für Heraklit besteht der Kosmos auf Feuer, für Thales aus Wasser usw. Nichts davon stimmt. Nichts davon ist wahr. Nach unseren Maßstäben.

Denn nichts von all dem Letzterem stimmt. Nichts davon entspricht der Wahrheit. Das sind als solches Ideen , die ihre Existenz allein dem .. hier beschriebenen .. künstlichem Licht verdanken. Bezeichnender weise wurde er , vorallem auf Grund dieser Ideen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 9. Apr 2024, 10:09, insgesamt 1-mal geändert.




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AufDerSonne
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Di 9. Apr 2024, 10:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 08:31
Die Idee, dass wir die 7 links vom Jupiter finden können, ist halt genauso absurd wie die Idee, dass sie im Kopf ist. Abstrakte Objekte haben keinen raumzeitlichen Ort, weder in der Luft noch im Kopf. Der "Ort" der 7 ist die abstrakte und unendliche Struktur der natürlichen Zahlen und nicht irgendein Kopf.
Ok, das ist ein Argument. Aber das Gehirn ermöglicht uns die Idee der 7 zu erfassen. Wenn ich an die 7 denke, dann verändere ich etwas im Gehirn (Neuronen?), so dass ich eine Vorstellung von der 7 habe. Die 7 ist eine natürliche Zahl, ja. Wenn ich an die 7 denke, dann hole ich sie in meinen Gedankenbereich, in mich hinein. Ich habe einen Gedanken an die 7.
Nehmen wir wieder den Computer. Eine 7 ist so abgespeichert: 00000111. Also das sieht ganz anders aus als eine 7. Aber es zeigt uns, dass die 7 im Computer abgebildet oder repräsentiert sein muss, damit er damit rechnen kann. Im Speicher sind an irgend einer Stelle drei Schalter auf an und fünf auf aus gestellt. In irgend einer Form muss die 7 im Computer sein, sonst kann er nicht damit rechnen. Ich denke, so ist es auch in unserem Gehirn (in uns). Es ist nicht eine 7, wie sie hier auf dem Bildschirm erscheint, also 7. Aber etwas im Gehirn muss so geschaltet sein, dass ich an die 7 denken kann. Aber dann ist ja doch im Gehirn?



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Timberlake
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Di 9. Apr 2024, 10:15

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 10:09
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 08:31
Die Idee, dass wir die 7 links vom Jupiter finden können, ist halt genauso absurd wie die Idee, dass sie im Kopf ist. Abstrakte Objekte haben keinen raumzeitlichen Ort, weder in der Luft noch im Kopf. Der "Ort" der 7 ist die abstrakte und unendliche Struktur der natürlichen Zahlen und nicht irgendein Kopf.
Ok, das ist ein Argument. Aber das Gehirn ermöglicht uns die Idee der 7 zu erfassen. Wenn ich an die 7 denke, dann verändere ich etwas im Gehirn (Neuronen?), so dass ich eine Vorstellung von der 7 habe. Die 7 ist eine natürliche Zahl, ja. Wenn ich an die 7 denke, dann hole ich sie in meinen Gedankenbereich, in mich hinein. Ich habe einen Gedanken an die 7.
Nehmen wir wieder den Computer. Eine 7 ist so abgespeichert: 00000111. Also das sieht ganz anders aus als eine 7. Aber es zeigt uns, dass die 7 im Computer abgebildet oder repräsentiert sein muss, damit er damit rechnen kann. Im Speicher sind an irgend einer Stelle drei Schalter auf an und fünf auf aus gestellt. In irgend einer Form muss die 7 im Computer sein, sonst kann er nicht damit rechnen. Ich denke, so ist es auch in unserem Gehirn (in uns). Es ist nicht eine 7, wie sie hier auf dem Bildschirm erscheint, also 7. Aber etwas im Gehirn muss so geschaltet sein, dass ich an die 7 denken kann. Aber dann ist ja doch im Gehirn?
Um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen !

Würdest du denn sagen , dass diese Idee von der 7 gemäß dem Höhlengleichnis im Lichte der Sonne oder lediglich .. wie hier beschrieben .. im künstlichen Licht erscheint? Schließlich kamst du in dem Beitrag 76206 auf den genialen Einfall diesem Licht der Sonne , dem des künstlichen Licht entgegen zu stellen.

Wie dem auch sei , dass wir die 7 links vom Jupiter finden können, stimmt in etwa so , wie das uns Platon im Symposion erklärt , wie Menschen vor langer Zeit aussahen: Sie hatten demnach kugelförmige Rümpfe, vier Hände und vier Füße, vier Ohren, einen kreisrunden Hals und zwei Gesichter, die in jeweils entgegengesetzte Richtungen schauten. Diese Idee erscheint ganz sicher nicht im Licht der Sonne , gemäß dem Höhlengleichnis .




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AufDerSonne
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Di 9. Apr 2024, 10:40

Timberlake hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 10:15
Würdest du denn sagen , dass diese Idee von der 7 gemäß dem Höhlengleichnis im Lichte der Sonne oder lediglich .. wie hier beschrieben .. im künstlichen Licht erscheint? Schließlich kamst du in dem Beitrag 76206 auf den genialen Einfall diesem Licht der Sonne , dem des künstlichen Licht entgegen zu stellen.
Wir sind daran herauszufinden, was es mit der Idee der 7 auf sich hat. Wir sind noch in der Höhle, da wir uns nicht einig sind. Wer hinaus könnte aus der Höhle, der würde klar erkennen, was es mit der 7 auf sich hat. Wir sind auf der Suche. Und ich bin schon einen Schritt weitergekommen. Möglicherweise ist die 7 nicht in unserem Kopf, aber etwas muss, wie beim Computer, in unserem Gehirn passieren, damit wir an die 7 denken können. Das ist für mich ein Fortschritt. Denn ich weiss jetzt, dass wenigstens ein Abbild der 7 oder eine Repräsentation eben doch im Kopf ist.



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Jörn Budesheim
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Di 9. Apr 2024, 11:07

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 10:09
Ok, das ist ein Argument. Aber das Gehirn ermöglicht uns die Idee der 7 zu erfassen.
Im Prinzip ja. Ob es das Gehirn allein ist, das uns die Idee der 7 erfassen lässt, müssen wir hier vielleicht nicht unbedingt diskutieren; ich selbst denke, das Gehirn allein reicht nicht aus, es braucht noch einen Körper, andere Menschen, unsere Lebenswelt etc.




Alltag
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Di 9. Apr 2024, 12:11

Alltag hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 00:59
[...] Die leeren Tabellenfelder markieren die Struktur des Denkraumes.
Ja, das ist komplex aber überschaubar [Ich versuche in einem PDF den griechischen und separat den übersetzten Text in zwei, wie ich meine wunderschönen, Tabellen morgen hier hin zu transferieren.] (o,o)
Hier die angekündigte Datei. Es ist ein Entwurf, in den ich schon viel Herzblut investiert habe, dennoch erwarte ich gerne Kommentare.




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Nauplios
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Di 9. Apr 2024, 13:11

Der Frage nach der Aussagenwahrheit bei Platon vor dem Hintergrund einer "ungeschriebenen Lehre" und der Schriftkritik im 7. Brief ist Gottfried Gabriel in einem Aufsatz nachgegangen. Seiner Interpretation nach

"spricht Platon die Auffassung aus, daß philosophische Einsicht propositional gerade nicht verfügbar ist, sondern 'aus häufiger familiärer Unterredung sowie aus innigem Zusammenleben entspringt".

Philosophische Einsicht wäre dann gleichsam ein Geschenk und dieses Geschenk stellt sich ein, wird nicht zielgerichtet herbeigeführt.

"Unterstrichen wird die Unverfügbarkeit dadurch, dass es anschließend unter Verwendung der Lichtmetaphorik heißt, die Einsicht (oder ‚Idee‘) breche sich dann ‚selbst‘ weiter ihre Bahn (Ep. 7,341c‒d)."

Die philosophische Einsicht ist als propositionale Wahrheit einer Aussage danach gar nicht verfügbar.

"Noch grundsätzlicher ist zu fragen, ob das Ideenwissen überhaupt propositional ausbuchstabierbar ist. (...) Das Ideenwissen beruht auf einer Schau und wäre demnach ein Unterscheidungswissen kontemplativer Art, eine intellektuelle Anschauung der Unterschiede, die sich in begrifflichen Unterscheidungen niederschlägt, in diesen aber nicht aufgeht. Die angemessene Definition des Begriffs fällt nicht mit dem Erfassen der Idee zusammen. (Ep. 7,341dff.)"

Die platonischen Ideen sind also Objekte der Kontemplation.

"Das Ungeschriebene bei Platon wäre dann nicht eine ungeschriebene Lehre, sondern überhaupt etwas ‚Unaufschreibbares‘ im Sinne einer Fähigkeit, die propositional gar nicht vermittelbar ist." (Gottfried Gabriel; Literarische Formen der Vergegenwärtigung in der Philosophie; in: Michael Erler, Jan Erik Heßler (Hg.: Argument und Literarische Form in Antiker Philosophie; S. 23f; alle Hervorh. von mir)




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Nauplios
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Di 9. Apr 2024, 14:10

Ich hab' hier mal die Textstelle aus Platons Parmenides herausgesucht, die Du in Deiner pdf-Datei zitierst, Alltag:

"καὶ ἑνὶ λόγῳ, περὶ ὅτου ἂν ἀεὶ ὑποθῇ ὡς ὄντος καὶ ὡς οὐκ ὄντος καὶ ὁτιοῦν ἄλλο πάθος πάσχοντος, δεῖ σκοπεῖν τὰ συμβαίνοντα πρὸς αὑτὸ καὶ πρὸς ἓν ἕκαστον τῶν ἄλλων, ὅτι ἂν προέλῃ, καὶ πρὸς πλείω καὶ πρὸς σύμπαντα ὡσαύτως: καὶ τἆλλα αὖ πρὸς αὑτά τε καὶ πρὸς ἄλλο ὅτι ἂν προαιρῇ ἀεί, ἐάντε ὡς ὂν ὑποθῇ ὃ ὑπετίθεσο, ἄντε ὡς μὴ ὄν, εἰ μέλλεις τελέως γυμνασάμενος κυρίως διόψεσθαι τὸ ἀληθές."(Platon; Parmenides; 136b)

Schleiermacher übersetzt:

"Und mit einem Worte, was du auch zugrunde legst als seiend und nicht seiend oder was sonst davon annehmend, davon mußt du sehen, was sich jedesmal ergibt für das Gesetzte selbst und für jedes andere einzelne, was du herausnehmen willst, und für mehreres und alles insgesamt ebenso. Ebenso auch, was sich für das übrige ergibt an sich und in Beziehung auf jedes einzelne, was du jedesmal herausheben willst, du magst nun das, wovon du ausgingst, als seiend voraussetzen oder als nichtseiend, wenn du vollkommen geübt auch die Wahrheit gründlich durchschauen willst."

Ja, da kann ich mir gut vorstellen, daß Du viel Herzblut hineingesteckt hast. Kannst Du ein paar Erläuterungen geben zu der Tabelle?




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Jörn Budesheim
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Di 9. Apr 2024, 14:46

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 10:40
Wir sind noch in der Höhle, da wir uns nicht einig sind.
Ich würde eher sagen, wir haben vielleicht den ersten kleinen Schritt Richtung Licht gemacht, da wir uns nicht einig sind!




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AufDerSonne
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Di 9. Apr 2024, 15:17

infinitum hat geschrieben :
Sa 6. Apr 2024, 09:36
Sonnengleichnis (508a - 509d):
Hiermit will uns Plato "die Idee des Guten" deutlich machen, er vergleicht das Gute mit der Sonne, die das Licht in der physischen Welt ermöglicht. Ähnlich wie die Sonne, die die Welt mit Licht und Wärme erfüllt, erleuchtet das Gute die geistige Welt und ermöglicht den Menschen, Wahrheit und Erkenntnis zu erfahren. Menschen, die das Gute erkennen, streben nach Wahrheit und Weisheit, und ihre Seelen werden durch das Licht des Guten erhellt.

Liniengleichnis (509d - 511e):
Hier beschreibt Plato vier aufeinander folgenden Stufen des Erkenntnisweges.
Die niedrigste Stufe ist die Welt der Schattenbilder - die Menschen nehmen nur die sichtbare Welt und ihre Oberfläche wahr, ohne sich über die zugrunde liegenden Prinzipien überhaupt bewusst zu sein. Die nächste Stufe - die Welt der Gegenstände und ihrer Abbilder ist real, aber immer noch unvollkommen. Auf der dritten Stufe stehen dann die abstrakten mathematischen Ideen, die einen schon relativ hohen Grad an Wirklichkeit besitzen. Die höchste Stufe ist nun aber die Welt der reinen Ideen, die absolut vollkommen und unveränderlich sind.
Der Weg zur Erkenntnis gelingt dadurch, dass man von der untersten Stufe zur höchsten Stufe wandert. Dabei sind dann die zentralen Aspekte Vernunft und das Streben nach Wahrheit. Aber hier frage ich mich, was diese reinen Ideen sind...

Höhlengleichnis (514a - 517a):
Menschen sind in einer Höhle seit ihrer Geburt gefesselt und sie können nur Schatten an der Höhlenwand sehen. Diese Abbilder werden von ihnen als Realität wahrgenommen, da sie nichts anderes kennen. Einer von ihnen entkommt aus der Höhle und sieht das wahre Licht der Sonne. Anfangs blendet ihn das Licht, aber allmählich gewöhnt er sich daran und erkennt die wahre Natur der Dinge. Er kehrt in die Höhle zurück, um die anderen zu befreien und sie zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen. Also hier wird nun ein konkreter Weg zur Erkenntnis der Wahrheit und zur Befreiung aus der Illusion beschrieben.
Ok. Das mag ja schön und gut sein. Aber was sind diese Gleichnisse jetzt wert? Beim ersten wird uns eigentlich gesagt, dass man nach Wahrheit und Weisheit streben soll. Der Rest ist eigentlich einerlei. Ob das jetzt wegen dem Guten möglich ist oder wegen der Sonne, also woher die Motivation kommt, spielt eigentlich keine Rolle. Aber man soll nach Wahrheit und Weisheit streben.
Mit dem zweiten kann ich am meisten anfangen. Es wird hier wenigstens versucht eine Anleitung zu geben, wie wir weiterkommen können, uns entwickeln können. Allerdings würde ich die Welt der sichtbaren Dinge viel höher einstufen. Ohne sie gäbe es den ganzen Rest nicht, also Abbilder, mathematische Ideen, reine Ideen usw...
Das dritte Gleichnis, es ist ja das bekannteste von Platon, zeigt auch ein Weg und eine Situation, in der wir sind. Gefesselt in einer Höhle. Es zeigt, dass wir nachdenken müssen, um gewisse Erkenntnisse zu erlangen. Sie werden uns nicht einfach geschenkt. Wer den Weg zur Sonne findet, der wird erleuchtet. Mir ist es etwas zu romantisch.



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Jörn Budesheim
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Di 9. Apr 2024, 16:15

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 15:17
Aber was sind diese Gleichnisse jetzt wert?
Immerhin waren sie für das Drehbuch eines Science-Fiction-Films gut genug :-)




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Nauplios
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Di 9. Apr 2024, 19:35

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 15:17

Ok. Das mag ja schön und gut sein. Aber was sind diese Gleichnisse jetzt wert? Beim ersten wird uns eigentlich gesagt, dass man nach Wahrheit und Weisheit streben soll. Der Rest ist eigentlich einerlei. (...) Mir ist es etwas zu romantisch.
"Schön und gut" - das ist ja schon mal was. :lol: Vor allem ist es was genuin Platonisches.

AufDerSonne, siehst Du für Dich eine Möglichkeit, Dich mit Platon zu beschäftigen? ;)




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Di 9. Apr 2024, 19:39

Nauplios hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 19:35
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 15:17

Ok. Das mag ja schön und gut sein. Aber was sind diese Gleichnisse jetzt wert? Beim ersten wird uns eigentlich gesagt, dass man nach Wahrheit und Weisheit streben soll. Der Rest ist eigentlich einerlei. (...) Mir ist es etwas zu romantisch.
"Schön und gut" - das ist ja schon mal was. :lol: Vor allem ist es was genuin Platonisches.

AufDerSonne, siehst Du für Dich eine Möglichkeit, Dich mit Platon zu beschäftigen? ;)
Weisst du, ich sehe schon eine Möglichkeit. Aber erst ist es Platon, dann Aristoteles, dann Kant und und und. Ich denke, das nimmt doch kein Ende mehr dann.



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Di 9. Apr 2024, 19:42

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 19:39

Ich denke, das nimmt doch kein Ende mehr dann.
Besser kann man das Philosophieren nicht beschreiben. :)




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AufDerSonne
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Di 9. Apr 2024, 19:44

Nauplios hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 19:42
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 9. Apr 2024, 19:39

Ich denke, das nimmt doch kein Ende mehr dann.
Besser kann man das Philosophieren nicht beschreiben. :)
Das Problem ist, dass es ein Zeitproblem werden könnte. Was würdest du mir denn zu Platon empfehlen? Also welches Buch oder im Internet oder was?



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