Leib, Körper, Intersubjektivität und Lebenswelt

Psychiater und Philosoph
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Jörn Budesheim
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Mi 17. Jan 2024, 19:39

Ein Begriff, der in phänomenologischen Überlegungen immer wieder auftaucht, ist der des Leibes im Unterschied zum Körper. In diesem Video erläutert Thomas Fuchs den Begriff und auch den Zusammenhang zwischen den Begriffen Leib, Körper Intersubjektivität und Lebenswelt.

Das Video ist zugegebenermaßen etwas lang und ich habe selbst auch noch nicht alles gesehen, aber bisher ist es wirklich ausgesprochen spannend!





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Jörn Budesheim
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Do 18. Jan 2024, 13:59

Ab ca. Minute 12 skizziert Fuchs den Zusammenhang von Leib, Körper und Intersubjektivität.

Anhand der frühkindlichen Entwicklung zeichnet Thomas Fuchs nach, wie es eigentlich zum Unterschied/Zusammenhang von Leibsein und Körperhaben kommt. Es zeigt sich, dass dies entscheidend mit der Entwicklung von Intersubjektivität zu tun hat: Erst im Laufe der ersten Lebensjahre entsteht für das Kind der zwischenmenschliche Raum, in dem es lernt, sozusagen aus seiner leiblichen Mitte herauszutreten und seinen Leib als einen Körper unter anderen Körpern zu sehen.

Aus der leiblichen Mitte heraustreten und den eigenen Leib als einen Leib unter anderen Leibern sehen - diese Fähigkeit hat der Philosoph Helmuth Plessner als die exzentrische Position des Menschen bezeichnet: Wir leben primär aus einem leiblichen Zentrum heraus, aber wir können jederzeit auch aus diesem Zentrum heraustreten und uns von außen, d.h. mit den Augen der anderen sehen; aber erst dadurch, dass wir so sehen, entsteht unsere gemeinsame intersubjektive Welt, unsere Lebenswelt ...




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Jörn Budesheim
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Do 18. Jan 2024, 14:39

Fuchs' phänomenologische Erkenntnis-/Wahrnehmungstheorie > HIER KLICKEN

Meine etwas verkürzte Paraphrase: Die menschliche Wahrnehmung ist kein einsames Verhältnis eines Subjekts zu seiner Welt. Sie enthält immer schon die mögliche Gegenwart und die möglichen Perspektiven anderer. Die Objekte existieren nie nur für mich. Der Tisch, den ich dort sehe, ist ein Objekt, das gleichzeitig auch andere sehen könnten, von ihrem Blickwinkel aus. Selbst Robinson Crusoe sah seine einsame Insel immer schon mit den Augen der anderen. Zehn Jahre lang war die Insel für alle da, lange bevor der Freitag auf der Bildfläche erschien. Alles, was wir wahrnehmen, ist für uns alle da. Selbst wenn wir es nur für uns allein sehen, enthält es eine implizite Intersubjektivität, und die Dinge gewinnen ihre Objektivität, ihre Gegenständlichkeit dadurch, dass sie von allen, die an meiner Stelle sind, wahrgenommen werden können.

Warum ist das wichtig? Wenn wir in philosophischen Foren über Jahre, ja Jahrzehnte hinweg über Wahrnehmung und Erkenntnis sprechen, dann wird in den meisten Fällen paradigmatisch ein einsames Verhältnis eines Subjekts zu seiner Welt vorgestellt. Aber das ist eine verkürzte Sicht. (Übrigens enthält Fuchs' Konzeption bereits eine Gesellschaftstheorie in nuce).




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