Markus Gabriel - Warum es die Welt nicht gibt

Markus Gabriel (* 6. April 1980 in Remagen) ist ein deutscher Philosoph. Er lehrt seit 2009 als Professor an der Universität Bonn.
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Herr K.
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Mi 6. Sep 2017, 18:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2017, 11:34
Gehört jetzt mir :-) Nun muss ich nur noch Zeit finden zum Lesen :-)
Prima. :D

Wenn das dieselbe Auflage ist wie die bei Google-Books, dann müsste Gabriel auf S. 179 unten 4 Einwände von Diehl/Rosenfeld darstellen und darauf vermutlich auf den nächsten beiden Seiten antworten, die leider im Google-Book fehlen. Mich würden insbesondere die Antworten auf die Einwände 1 und 3 interessieren. Und bei der 4 würde mich interessieren, ob Gabriel dem: "Hexen existieren SFO zufolge (angeblich), weil Goethe sie hervorgebracht hat." zustimmt oder nicht, (denn das "angeblich" ist vermutlich von ihm und das könnte bedeuten, dass er das nicht so sieht).

Wäre sehr nett, wenn Du mal die Zeit und Lust fändest, dazu was zu zitieren.




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Sep 2017, 19:08

Mach ich! Heute abend bin ich allerdings etwas zu groggy!




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Jörn Budesheim
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Do 7. Sep 2017, 05:47

Herr K. hat geschrieben :
Di 5. Sep 2017, 13:26
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 4. Sep 2017, 19:12
(Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass Gabriel seine Sinnfeldontologie schon wieder aufgegeben hat, aber man wird ja sehen.)
Ich denke nicht, dass er die Sinnfeldontologie aufgegeben hat, sie taucht im Buch permanent auf, mit "SFO" abgekürzt, was sich mir schnell erschlossen hat. Andere Abkürzungen aber nicht, als da sind "MMN" und "AUQ".
Ich habe das Buch jetzt zwar, aber da es kein Kindle book ist, wie meine anderen, habe ich noch nicht herausfinden können, wie man daraus kurze Sequenzen zitiert. Immerhin weiß ich mehr über die fraglichen Abkürzungen.
  • MMN bedeutet, das ist die Abkürzung für Metametaphysischer Nihilismus. (Was nach meiner Einschätzung der Fachterminus für Gabriels Hauptthese ist, dass es die Welt nicht gibt.)
  • AUQ ist die Abkürzung für absolut unrestringierte Quantifikation. (Das ist in meiner Lesart die entgegengesetzte Sicht, nämlich die Idee, dass es eine Art Premiumbereich gibt, der in tosa inus schöner Formulierung als Referee fungieren kann, wenn es um die Frage geht, was wirklich existiert, so dass man schließlich doch bereichsunabhängig entscheiden kann, was es gibt.
(Ich lese gerade den Artikel, den Herr K. erwähnt, und muss sagen, dass ich sehr erstaunt bin, wie scharf der Ton dort ist, den Gabriel anschlägt... Vor dem Hintergrund, dass er falsch zitiert und dargestellt wurde, einigermaßen nachvollziehbar, dennoch sehr erstaunlich...)




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Jörn Budesheim
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Do 7. Sep 2017, 07:51

Tosa Inu, Herr K. - Sie haben Post!




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Herr K.
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Do 7. Sep 2017, 09:19

Vielen Dank, Jörn, gut zu wissen, was MMN und AUQ bedeuten soll. Deine Lesarten davon würde ich unterschreiben.

Zu Gabriels Ansicht bezüglich Fiktionalem komme ich später noch, zunächst mal ein Punkt, der mir noch auf dem Herzen liegt und zwar AUQ. Nun sehe ich es zwar auch so wie Gabriel, dass absolut unrestringierte Quantifikation ziemlich unsinnig ist, aber dennoch denke ich, dass, wenn wir in Gabriels Nomenklatur bleiben wollen, es eine Art Standard-Sinnfeld geben muss. Nun hat uns Gabriel das Wort "Welt" geklaut, was man wohl normalerweise nimmt, um diesen Bereich zu bezeichnen. Wir benötigen deshalb hier ein anderes Wort dafür, ein vorläufiger Vorschlag von mir wäre: Lebenswelt. Dieses Wort ist nun jedoch auch schon in Gebrauch, vielleicht gibt es noch einen anderen Vorschlag.

Ich meine nun damit denjenigen Bereich, in dem alle folgenden Beispiel-Sätze (jetzt) wahr sind: Angela Merkel ist Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Herr K. schreibt gerade diesen Beitrag für ein Philosophie-Forum. Vor ca. 230 Millionen Jahren lebten Dinosaurier. Deniz Yücel wird beschuldigt, ein Terrorist zu sein. Goethe hat ein Theaterstück namens 'Faust' geschrieben, das u.a. von einem Menschen namens 'Faust' handelt. Superman ist eine Comic-Figur. Gemäß der Geschichte 'Superman' kommt Superman von einem andere Planeten. In Indien gibt es eine Flutkatastrophe. Am CERN wird physikalische Grundlagenforschung betrieben, insbesondere wird der Aufbau der Materie untersucht. Es gibt keine Einhörner. Markus Gabriel ist ein international bekannter deutscher Philosoph.

Ob das nun ein Premiumbereich ist oder nicht, sei mal dahingestellt. Es ist jedoch derjenige Bereich, der nicht besonders gekennzeichnet werden muss und meist auch nicht wird, im Gegensatz zu z.B. literarischen Bereichen wie Goethes Faust.




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Jörn Budesheim
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Do 7. Sep 2017, 09:28

[offtopic] Da ich heute und am Sonntag zwei Künstlergespräche moderieren muss/darf, auf die ich mich auch etwas vorbereiten muss/will, kann ich in dem neu erworbenen Buch vermutlich kaum lesen. Wenn also meine Bemerkungen etwas sporadisch ausfallen, liegt es nicht daran, dass ich das Interesse am Thema verloren habe. :-) [/offtopic]




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Do 7. Sep 2017, 18:38

Herr K. hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2017, 18:48
Den Punkt mit der Unbestimmtheit würde ich gerne beiseitelegen wollen, denn ich denke nicht, dass das ein Problem ist für Ansichten, die meinen, dass fiktionale Dinge konkret existieren, was ja wohl Gabriels Ansicht ist.
Kein Problem.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2017, 18:48
Der Punkt ist hier der, dass, wenn jemand den Satz vom Widerspruch nicht akzeptiert, all seine Behauptungen sinnlos werden. Normalerweise ist es so, dass, wenn jemand p behauptet, er damit behauptet, dass p wahr sei. Wenden wir nun den Satz vom Widerspruch an, dann bedeutet das, dass er gleichzeitig behauptet, dass nicht-p falsch sei. Ohne den Satz vom Widerspruch wäre hingegen gar nicht klar, was er überhaupt behauptet. Ich denke nicht, dass Gabriel den Satz vom Widerspruch ablehnt.
Ja.
Gabriel ging es eher darum (auch an anderen Stellen ds Buches), dass die Logik zwar ihre Regeln hat, aber auch keinen prinzipiellen Vorrang genießt.
Darüber kann man jedoch streiten, wie in dem Stanford link ausgeführt, wenn es um die Differenz zwischen 'möglich, aber gibt es nicht' und 'logsich unmöglich' geht. Wobei m.E. die Frage nach der Herkunft oder Genese der Logik zu stellen ist.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2017, 18:48
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein fiktionaler Realist zu sein, die SEP listet im Artikel Fiction 3 davon auf: 1. Possibilismus, 2. (Neo-)Meinongianismus und 3. Kreationismus. Gabriel ist ganz grob der 1. Position zuzuordnen, denn diese ist die einzige dieser Position, die meint, dass fiktionale Objekte konkret seien, die anderen beiden Positionen meinen, dass fiktionale Objekte abstrakt seien.
Hier ist es an Gabriel zu erklären, wie er das meint.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Do 7. Sep 2017, 19:39

Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 09:19
Zu Gabriels Ansicht bezüglich Fiktionalem komme ich später noch, zunächst mal ein Punkt, der mir noch auf dem Herzen liegt und zwar AUQ. Nun sehe ich es zwar auch so wie Gabriel, dass absolut unrestringierte Quantifikation ziemlich unsinnig ist, aber dennoch denke ich, dass, wenn wir in Gabriels Nomenklatur bleiben wollen, es eine Art Standard-Sinnfeld geben muss.

Will man nahe an Gabriel bleiben, ist m.E. "Leitsinn" der treffende Begriff:

"De facto abstrahieren wir von gegebenen wirklichen Gegenständen, um auf diese Weise Beziehungen zwischen ihnen zu entdecken, was uns Aufschluss über den Leistinn gibt."
(Markus Gabriel, Sinn und Existenz, Suhrkamp TB 2016, S. 383)

"Etwas ist nur dann möglich, wenn es mit dem Leitsinn eines gegebenen Sinnfeldes vereinbar ist. Da dieser nicht etwa im Allgemeinen nur deswegen besteht, weil wir ihn in die Dinge "hineinlegen", ist diese Auffassung auch nicht ohne weiteres als eine Reduktion aller Sinne von Möglichkeit auf epistemische Möglichkeit aufzufassen. Ist etwas wirklich, erfüllt es die Beschreibungen, die mit dem Leitsinn eines Sinnfeldes einhergehen."
(ebd. S. 385)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Herr K.
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Do 7. Sep 2017, 20:13

So richtig bin ich nun noch nicht weitergekommen was Gabriels Auffassung bezüglich Fiktionalem betrifft.

Zitate aus Neutraler Realismus: Jahrbuch-Kontroversen 2, Markus Gabriel:
[S. 179] Ich halte Faust nicht für einen abstrakten Gegenstand. Er ist ein Mensch. [...] Ich bestreite nicht, dass Faust diejenigen Eigenschaften hat, die ihm im Text zugeschrieben werden, bzw. die sich aus einer gelungenen und literaturwissenschaftlich abgesicherten Deutung des Stückes ergeben. Ich halte z.B. den Satz "Faust hat keine Hände" für falsch. [...]
[S. 180] Zur GENEALOGIE: Ich habe nicht gesagt, dass Faust durch Ausgedachtwerden zur Existenz kommt. Dies ist kein Satz, den das mit Faust beschriebene Sinnfeld als wahren ausweist.
Hier immerhin stellt er klar, in welchem Sinnfeld Faust seiner Ansicht nach existiert: in dem in Faust beschriebenen Szenario. Aber dann stellt sich gleich die Frage, ob denn dieses Sinnfeld existiert - denn daraus, dass etwas beschrieben wird, folgt ja nun noch lange nicht, dass das Beschriebene existiert. Ebensowenig wie daraus, dass jemand etwas behauptet, folgt, dass die Behauptung wahr ist. Und wenn Gabriel aus einem mir noch unerfindlichen Grunde annimmt, dass dieses Sinnfeld existiert, (was gleich zu der Frage führt, in welchem Sinnfeld es denn erscheint), dann stellt sich die Frage nach der Genealogie von Faust und dessen Vorgeschichte erneut, s.u.
[S. 180, Fussnote] Ich stimme Lewis mutatis mutandis zu, wenn er einem literarischen Werk viele Welten zuordnet, in denen es jeweils andere Antworten auf solche Fragen [nach bestimmten Eigenschaften fiktionaler Entitäten] gibt, womit Lewis Unbestimmtheit vermeidet. Allerdings würde ich hier nicht von Welten, sondern von Sinnfeldern reden und die Sinnfelder eines literarischen Werkes relativ zu Interpretationen individuieren.
Hier ging es eigentlich um Einwand 2: UNBESTIMMTHEIT. Das sei erst mal geschenkt, allerdings verstehe ich nun nicht, wie er Lewis Welten durch seine Sinnfelder ersetzen kann. Lewis' Auffassung hat nun weder Probleme mit UNBESTIMMTHEIT, noch mit GENEALOGIE. Um die nochmal kurz zu skizzieren: Lewis hält mögliche Welten für ebenso real wie unsere Welt. Nach seiner Auffassung gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen unserer Welt und anderen möglichen Welten oder auch so gesagt: nach seiner Auffassung ist unsere Welt in keiner Weise gegenüber den anderen möglichen Welten hervorgehoben oder privilegiert. Demnach gibt es viele mögliche Welten, in denen ein Mensch vorkommt, der recht ähnlich zu dem Menschen Faust ist, der in Faust beschrieben wird. Die Genealogie all dieser Menschen ist ebenso wie unsere: sie wurden geboren, haben Eltern und weitere Vorfahren. Wie aber kann man das nun auf Sinnfelder übertragen? Das in Faust beschriebene Sinnfeld wurde ja wohl durch Goethe erfunden, d.h. vor dessen Erfindung gab es das nicht, (anders als Lewis mögliche Welten, die ebensowenig erfunden sein sollen wie unsere Welt). Und wenn wir Gabriels These folgen, dass "existieren" bedeutet: "in einem Sinnfeld erscheinen", dann kann ja wohl Faust demnach nicht existiert haben, bevor das Sinnfeld existierte - ebensowenig seine Eltern etc. (Und jede neue Interpretation von Faust ruft demnach neue Sinnfelder in ihre Existenz, Sinnfelder in denen der Mensch Faust - oder aber, wie bei Lewis, ein Faust-ähnlicher Mensch, das ist mir bei Gabriel auch noch nicht klar - lebt, der demnach im Moment der Fertigstellung der Interpretation mitsamt all seiner Vorgeschichte in seine Existenz ploppt.)
[S. 180] Und selbst wenn man eine Erzählung anführen könnte, die widersprüchliche Gegenstände enthält, folgt dem neutralen Realismus zufolge noch nicht ohne Zusatzarbeit, dass dies auf Bereiche abfärbt, in denen wir einen solchen Widerspruch nicht dulden würden [...].
Hier geht es um Einwand 4: WIDERSPRÜCHLICHKEIT. Hier frage ich mich, wieso wir überhaupt Widersprüche akzeptieren sollen. Lewis z.B. tut das nicht: er hält nur mögliche Welten für real, nicht aber unmögliche Welten. Den Einwand 4 halte ich für ein gutes Argument gegen die Existenz fiktionaler Gegenstände. Wenn Gabriel meint, dass in bestimmten Bereiche die Existenz widersprüchlicher Gegenstände akzeptabel sei, in anderen aber nicht, dann müsste er das näher spezifizieren. Warum und wann sind widersprüchliche Gegenstände akzeptabel und warum und wann nicht? Sind z.B. Sinnfelder akzeptabel, die sowohl in anderen Sinnfeldern erscheinen als auch in keinem Sinnfeld erscheinen? Wenn nicht: warum das nicht, aber was anderes Widersprüchliches?




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Herr K.
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Do 7. Sep 2017, 20:32

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 19:39
Will man nahe an Gabriel bleiben, ist m.E. "Leitsinn" der treffende Begriff:
Der treffende Begriff für den Bereich/das Sinnfeld, das ich oben "Standard-Sinnfeld" bzw. "Lebenswelt" nannte? Doch wohl nicht?




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Do 7. Sep 2017, 21:41

Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 20:32
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 19:39
Will man nahe an Gabriel bleiben, ist m.E. "Leitsinn" der treffende Begriff:
Der treffende Begriff für den Bereich/das Sinnfeld, das ich oben "Standard-Sinnfeld" bzw. "Lebenswelt" nannte? Doch wohl nicht?
Gabriel ist ja Pluarlist und will gerade keine metaphysische Reduktion. Etwas, wo man wie in "Welt" alles reinstopfen könnte, wäre doch nicht in seinem Sinne.
Referenzgröße scheint mir zu sein, dass etwas in mehreren Sinnfeldern auftaucht und sich in diesen und durch diese ein Muster abbildet.
So jedenfalls hatte ich das verstanden.



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Herr K.
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Do 7. Sep 2017, 21:51

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 21:41
Gabriel ist ja Pluralist und will gerade keine metaphysische Reduktion. Etwas, wo man wie in "Welt" alles reinstopfen könnte, wäre doch nicht in seinem Sinne.
Ich will ja aber keineswegs alles hineinstopfen, z.B. nicht das Faust-Szenario.

Ich als Mensch und Person lebe in irgend einem Sinnfeld, ebenso all meine Freunde und überhaupt alle Menschen, u.a. auch Markus Gabriel. In diesem Sinnfeld gehen wir miteinander um, z.B. wir beide schreiben uns darin gerade. Wir essen, arbeiten, schlafen, forschen, machen Kunst und Liebe und whatever. Ich möchte einfach nur wissen, wie ich dieses Sinnfeld nennen darf, wenn denn nicht mehr "Welt". Ich hoffe, dass es nach Gabriel so ein Sinnfeld überhaupt gibt und nicht nur das Sinnfeld Faust-Szenario und sonst nichts.




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Do 7. Sep 2017, 22:10

Ich muss mich auch korrigieren, Gabriel weist das Aktualisierungsmodell zurück. Das hatte ich erst anders verstanden und glaube ich auch hingeschrieben.
Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 20:13
Hier ging es eigentlich um Einwand 2: UNBESTIMMTHEIT. ...
Das in Faust beschriebene Sinnfeld wurde ja wohl durch Goethe erfunden, d.h. vor dessen Erfindung gab es das nicht, (anders als Lewis mögliche Welten, die ebensowenig erfunden sein sollen wie unsere Welt).
Ich glaube, Gabriels Antwort ginge in die Richtung, dass man Faust nur erfinden kann, weil seine Existenz nicht unmöglich ist. Gabriel sagt, dass Möglichkeiten von Wirklichkeiten anhängen. Und in diesem Sinne wäre er dann keine reine Erfindung.
Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 20:13
Und wenn wir Gabriels These folgen, dass "existieren" bedeutet: "in einem Sinnfeld erscheinen", dann kann ja wohl Faust demnach nicht existiert haben, bevor das Sinnfeld existierte - ebensowenig seine Eltern etc. (Und jede neue Interpretation von Faust ruft demnach neue Sinnfelder in ihre Existenz, Sinnfelder in denen der Mensch Faust - oder aber, wie bei Lewis, ein Faust-ähnlicher Mensch, das ist mir bei Gabriel auch noch nicht klar - lebt, der demnach im Moment der Fertigstellung der Interpretation mitsamt all seiner Vorgeschichte in seine Existenz ploppt.)
Ich meine, dass Gabriel Sinnfelder potentiell ewig denkt. D.h., wenn a >b und b>c dann gilt auch a>c ist irgendwann als Erkenntnis in ein Bewusstsein getreten, aber es galt auch davor schon und wir noch gelten, wenn das niemand mehr formulieren kann.
Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 20:13
WIDERSPRÜCHLICHKEIT. Hier frage ich mich, wieso wir überhaupt Widersprüche akzeptieren sollen.
Ich tendiere ja auch in die Richtung. Meine Intuition dabei ist, dass ein Einzelner zwar nicht sagen kann, er sei jetzt gerade 42 und 52 Jahre alt und schreibe hier gerade aus Köln und München, dass allerdigs längst nicht alle Widersprüche diese Form haben und ich meine, er ist auch mit der Korrespondenztheorie nicht ganz glücklich. Das entnehme ich implizit daraus, dass er sich auf Latours Existenzweisen beruft, der wiederum die Korrespondenztheorie ziemlich attackiert.



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Do 7. Sep 2017, 22:16

Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 21:51
Ich als Mensch und Person lebe in irgend einem Sinnfeld, ebenso all meine Freunde und überhaupt alle Menschen, u.a. auch Markus Gabriel. In diesem Sinnfeld gehen wir miteinander um, z.B. wir beide schreiben uns darin gerade. Wir essen, arbeiten, schlafen, forschen, machen Kunst und Liebe und whatever. Ich möchte einfach nur wissen, wie ich dieses Sinnfeld nennen darf, wenn denn nicht mehr "Welt". Ich hoffe, dass es nach Gabriel so ein Sinnfeld überhaupt gibt und nicht nur das Sinnfeld Faust-Szenario und sonst nichts.
Ich würde das Alltag nennen oder wie Du sagtest Lebenswelt.
Ich habe aber gerade mit dem Sinnfeld-Begriff noch immer die größten Schwierigkeiten, insofern kann ich nicht gut beurteilen, wann etwas ein Sinnfeld ist und wann eine Perspektive.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Herr K.
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Do 7. Sep 2017, 22:49

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 22:10
Ich muss mich auch korrigieren, Gabriel weist das Aktualisierungsmodell zurück. Das hatte ich erst anders verstanden und glaube ich auch hingeschrieben. [...] Ich glaube, Gabriels Antwort ginge in die Richtung, dass man Faust nur erfinden kann, weil seine Existenz nicht unmöglich ist. Gabriel sagt, dass Möglichkeiten von Wirklichkeiten anhängen. Und in diesem Sinne wäre er dann keine reine Erfindung.
Gabriel ist kein modaler Realist, sondern Aktualist, er sagt nämlich: "Möglichkeit ist ein Abstraktionsprodukt, das auf Wirklichkeit gestützt ist, was der alten - unter anderem von Aristoteles, Kant, Schelling, Bergson und Heidegger diskutierten - These entspricht, dass es ohne eine gegebene Wirklichkeit keine Möglichkeiten gäbe." Also bleibt mein Einwand gültig.
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 22:10
Ich meine, dass Gabriel Sinnfelder potentiell ewig denkt. D.h., wenn a >b und b>c dann gilt auch a>c ist irgendwann als Erkenntnis in ein Bewusstsein getreten, aber es galt auch davor schon und wir noch gelten, wenn das niemand mehr formulieren kann.
Wie kommst Du darauf? Und in welchem Sinnfeld soll so ein Sinnfeld erscheinen und in welchem Sinnfeld dieses höhere Sinnfeld?
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 22:10
Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 20:13
WIDERSPRÜCHLICHKEIT. Hier frage ich mich, wieso wir überhaupt Widersprüche akzeptieren sollen.
Ich tendiere ja auch in die Richtung. Meine Intuition dabei ist, dass ein Einzelner zwar nicht sagen kann, er sei jetzt gerade 42 und 52 Jahre alt und schreibe hier gerade aus Köln und München, dass allerdigs längst nicht alle Widersprüche diese Form haben und ich meine, er ist auch mit der Korrespondenztheorie nicht ganz glücklich. Das entnehme ich implizit daraus, dass er sich auf Latours Existenzweisen beruft, der wiederum die Korrespondenztheorie ziemlich attackiert.
Wenn bestimmte Widersprüche in bestimmten Bereichen akzeptiert werden sollen, andere in anderen Bereichen aber nicht, dann wären die Kriterien dafür näher zu bestimmen, das kann ja wohl nicht einfach nach Lust und Laune gehen.




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Fr 8. Sep 2017, 00:17

Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 22:49
Gabriel ist kein modaler Realist, sondern Aktualist, er sagt nämlich: "Möglichkeit ist ein Abstraktionsprodukt, das auf Wirklichkeit gestützt ist, was der alten - unter anderem von Aristoteles, Kant, Schelling, Bergson und Heidegger diskutierten - These entspricht, dass es ohne eine gegebene Wirklichkeit keine Möglichkeiten gäbe." Also bleibt mein Einwand gültig.
Lies mal:

Dem Aktualisierungsmodell „zufolge ist die Existenz von etwas genau dann kontingent, wenn seine Aktualisierung zu einem bestimmten Zeitpunkt sowohl möglich als auch nicht möglich war. Die Existenz jedes einzelnen Menschen etwa wäre kontingent, weil zu irgendeinem Zeitpunkt sowohl die Möglichkeit bestand, dass seine Eltern ihn zeugen, als auch die Möglichkeit, dass sie dies unterlassen. Folgt daraus nicht etwa, dass sie oder er vorher möglich war und durch den kontingent stattfindenden Akt der Begattung aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt wurde? Dann gäbe es es einen überfüllten Raum möglicher Entitäten, aus dem einige Entitäten in den Raum der Wirklichkeit überführt werden.
Generalisiert man diese Überlegung, könnte man meinen, im Allgemeinen sei dasjenige wirklich, was aktualisiert wurde. Diesem Modell zufolge müsste es unaktualisierte de re-Möglichkeiten geben. Im Rahmen der Sinnfeldontologie bedeutete dies aber, dass es Sinnfelder gibt, in denen etwas erscheint, ohne zu existieren. Da zu existieren aber bedeutet, in einem Sinnfeld zu erscheinen, scheidet das Aktualisierungsmodell für eine Sinnfeldontologie aus.
(Markus Gabriel, Sinn und Existenz, Suhrkamp TB 2016, S. 384)
Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 22:49
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 22:10
Ich meine, dass Gabriel Sinnfelder potentiell ewig denkt. D.h., wenn a >b und b>c dann gilt auch a>c ist irgendwann als Erkenntnis in ein Bewusstsein getreten, aber es galt auch davor schon und wir noch gelten, wenn das niemand mehr formulieren kann.
Wie kommst Du darauf? Und in welchem Sinnfeld soll so ein Sinnfeld erscheinen und in welchem Sinnfeld dieses höhere Sinnfeld?
Kann ich Dir nicht sagen, da ich bei der Zuordnung von Sinnfeldern, wo sie beginnen und aufhören, auf dem Schlauch stehe.
Herr K. hat geschrieben :
Do 7. Sep 2017, 22:49
Wenn bestimmte Widersprüche in bestimmten Bereichen akzeptiert werden sollen, andere in anderen Bereichen aber nicht, dann wären die Kriterien dafür näher zu bestimmen, das kann ja wohl nicht einfach nach Lust und Laune gehen.
Nicht nach Lust und Laune. Ich denke eher, dass die Klarheit der Selbstwidersprüche nicht immer so gegeben ist, wie man meint. Für eine Person die sagt. Ich wähle die SPD, aber nicht die SPD ist der Fall klar. Sagt man aber über einen Menschen, dass man ihn irgendwie liebt, irgendwie aber auch hasst, ist das schon weniger klar Urteilen mehrere über einen Sachverhalt, ist es machmal noch weniger klar, usw.
Wie sagt, streng logisch, kein Ding, aber nicht alles ist streng logisch.
Über das Verhältnis Logik - Wirklichkeit - Möglichkeit kann man diskutieren.



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Herr K.
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Fr 8. Sep 2017, 08:26

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 00:17
Lies mal:

[...] Dann gäbe es es einen überfüllten Raum möglicher Entitäten, aus dem einige Entitäten in den Raum der Wirklichkeit überführt werden.
Generalisiert man diese Überlegung, könnte man meinen, im Allgemeinen sei dasjenige wirklich, was aktualisiert wurde. Diesem Modell zufolge müsste es unaktualisierte de re-Möglichkeiten geben. Im Rahmen der Sinnfeldontologie bedeutete dies aber, dass es Sinnfelder gibt, in denen etwas erscheint, ohne zu existieren. Da zu existieren aber bedeutet, in einem Sinnfeld zu erscheinen, scheidet das Aktualisierungsmodell für eine Sinnfeldontologie aus.
(Markus Gabriel, Sinn und Existenz, Suhrkamp TB 2016, S. 384)
Hm, das interpretiere ich nun aber nicht so, dass er modaler Realist ist, sondern lediglich so, dass er das Aktualisierungsmodell ablehnt, woraus folgt, dass es keinen "überfüllten Raum möglicher Entitäten, aus dem einige Entitäten in den Raum der Wirklichkeit überführt werden" gibt. Was ganz gut passte zur Ablehnung der Existenz nicht-aktualer möglicher Entitäten. Ich würde nun diese Aussagen: [S. 26] "Doch Fausts Existenz ist so restringiert oder unrestringiert wie jede andere Existenz, wenn es auch stimmen mag, dass Fausts Existenz in Faust niemals kausal zustande gekommen wäre, wenn niemand Faust geschrieben hätte." und [S. 180, Fussnote] "Ich stimme Lewis mutatis mutandis zu, wenn er einem literarischen Werk viele Welten zuordnet, in denen es jeweils andere Antworten auf solche Fragen [nach bestimmten Eigenschaften fiktionaler Entitäten] gibt, womit Lewis Unbestimmtheit vermeidet. Allerdings würde ich hier nicht von Welten, sondern von Sinnfeldern reden und die Sinnfelder eines literarischen Werkes relativ zu Interpretationen individuieren." in Richtung Aktualismus/Ablehnung des modalen Realismus interpretieren.
(Zitate aus: Neutraler Realismus: Jahrbuch-Kontroversen 2)

Vielleicht findet Ihr aber auch noch eindeutigere Stellen bezüglich der Frage, ob er nun modaler Realist ist oder nicht.
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 00:17
Ich denke eher, dass die Klarheit der Selbstwidersprüche nicht immer so gegeben ist, wie man meint. Für eine Person die sagt. Ich wähle die SPD, aber nicht die SPD ist der Fall klar. Sagt man aber über einen Menschen, dass man ihn irgendwie liebt, irgendwie aber auch hasst, ist das schon weniger klar Urteilen mehrere über einen Sachverhalt, ist es machmal noch weniger klar, usw.
Wie sagt, streng logisch, kein Ding, aber nicht alles ist streng logisch.
Mir ging es die ganze Zeit nur um logische Widersprüche, nicht auch um sonstige Widersprüche. Hätte ich wohl besser immer dazugesagt.

(Hier gibt es übrigens eine Antwort von Diehl/Rosenfeld auf den Text von Gabriel in Neutraler Realismus: Jahrbuch-Kontroversen 2).




Tosa Inu
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Fr 8. Sep 2017, 10:40

Herr K. hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 08:26
(Hier gibt es übrigens eine Antwort von Diehl/Rosenfeld auf den Text von Gabriel in Neutraler Realismus: Jahrbuch-Kontroversen 2).
Vielen Dank, für diesen interessanten link zu Rosefeldt, den ich auch anderen Interessierten zu lesen empfehle.

Bemerkenswert finde ich, dass es ziemlich genau die Kritikpunkte sind, die auch hier auffielen, die von Diehl/Rosefeldt als solche gesehen wurden, bishin zur (Selbst-)Zerstörung der zentralen Prämisse, dass es die Welt nicht gibt. Das ist ja keine Kleinigkeit. Die Schwierigkeiten mit dem Sinfeld-Begriff sind mindestens implizit an Bord, die Frage in welcher Weise Faust denn nun existiert, sowie Russells Antinomie (und eine m.E. veraltete, wenigstens aber nicht einzig mögliche Deutung Gabriels diesbezüglich), sowie auch das AUQ finden in der Kritik explizit ihren Platz.

Ich habe ehrlich gesagt den Eindruck, dass an der Sinnfeld-Ontologie in der bisherigen Form nicht viel dran ist. Führt man die Diskussion von Feinheiten, die zweifelsfrei notwendig ist, immer wieder mal zurück auf das eigentlich Behauptete (die Grobheiten), dann steht Gabriel m.E. in Bedrängnis.

Ich kann aber dennoch würdigen, dass es in Gabriels Ansatz viele gute und richtige, manchmal auch "nur" bedenkenswerte Argumente finde, auch wenn ich die Gesamttheorie zweifelhaft finde. Ähnlich ist es mir mit Wilber ergangen, dessen Holon-Theorie zwar (leider) inkonsistent ist, aber viele der Bausteine sind nach wie vor großartig.
Ich würde mich Kripke und Brandom verbunden fühlen, die auch behaupten, dass fiktionalen Wesen (Brandom darüber hinaus auch Zahlen) eine Form der Existenz zukommt, mein Vorschlag ist noch immer, den Begriff der Existenz von fiktionalen Wesen an der Wirkung dieser Entitäten festzumachen, wobei ich da bei Zahlen selbst Schwierigkeiten sehe.

Der zentrale Klärungsedarf besteht m.E. im Zusammenhang mit dem Begriff Existenz. Auch Meinongs Unterscheidung von Existenz und Subsistenz (die ich meinte schon in einem Sekundärtext über Aristoteles gefunden zu haben) finde ich nicht schlecht.

Das Argument, Faust, Pegasus oder Superman hätten ja nur für uns (Menschen) Relevanz, halte ich für nicht sehr stark, da in meiner Lesart Philosophie insgesamt den Ausgangspunkt hat, dass da jemand über das reflektiert, indem er sich vorfindet, d.h. das Subjekt ist immer unhintergehbarer Ausgangspunkt aller Philosophie. M.E. ist das auch in den Naturwissenschaften so, aber dies wird dadurch verschleiert, dass man den Beginn der Geschichte gerne mit dem Beginn des Universums zusammenfallen lässt (was aber einen kategorialen Bruch darstellt). Dadurch kommt es erst zu den m.E. idiotischen Diskussionen darüber, ob es nicht sein könnte, dass die Welt nur erdacht ist, also irgendwas, was man bei Descartes und dem radikalen Konstruktivismus auf unterschiedliche Art findet, am deutlichsten hat diesen Fehler m.E. Heidegger erkannt. Auch am Anfang der Physik steht ein in dei Welt geworfenes Individuum, das wissen will, wie das alles funktioniert.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Herr K.
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Fr 8. Sep 2017, 17:35

@Tosa Inu: ich habe Dir auf einen Teil Deines Beitrages dort geantwortet.

Ich möchte noch kurz was zu AUQ (absolut unrestringierte Quantifikation) sagen: meiner Ansicht nach ist das ein Strohmann. Wenn man über die Welt redet, dann geht es mE nicht schlechterdings um alles, sondern nur um dasjenige, was existiert. Und wenn wir das nun derart beschränken, dann können wir leicht über alles Existierende nach Gabriels Ansicht quantifizieren: alle Sinnfelder und deren jeweiliger Inhalt. Wir können das auch in 2 Gruppen einteilen: 1. alle diejenigen Sinnfelder, deren Sinn uns prinzipiell zugänglich ist und 2. alle diejenigen Sinnfelder, deren Sinn uns prinzipiell ungänglich ist.




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Herr K.
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So 17. Sep 2017, 22:25

Gabriel sagt immer wieder merkwürdige Dinge. Zitat aus Neutraler Realismus: Jahrbuch-Kontroversen 2, S. 26:
Doch Fausts Existenz ist so restringiert und unrestringiert wie jede andere Existenz, wenn es auch stimmen mag, dass Fausts Existenz in Faust niemals zustande gekommen wäre, wenn niemand Faust geschrieben hätte, was literarische Einbildungskraft voraussetzt. Doch dies bedeutet für sich betrachtet ontologisch noch nicht sehr viel. Nehmen wir an, mächtige Außerirdische hätten den Erdmond in grauer Vorzeit absichtlich hergestellt. Sie hätten ihn sich vorher in langer kultureller Überlieferung immer schon so-und-so ausgemalt. Dann existierte der Mond u.a. aufgrund der Einbildungskraft der Außerirdischen. Dies sollte aber kein Anlass sein, hinsichtlich des Mondes einen ontologischen Antirealismus zu vertreten. Dass einiges nur dann existiert, wenn es eine bestimmte Vorgeschichte gibt, die menschliche oder sonstige Einbildungskraft involviert, bedeutet noch nicht, dass es etwa nicht wirklich oder geistabhängig existiere.
Dieser Vergleich ist nun offensichtlich nicht analog. Analog wäre entweder, wenn die Außerirdischen sich zwar den Mond ausgemalt, ihn aber nie hergestellt hätten oder aber wenn Goethe nicht nur Faust geschrieben, sondern auch Faust hergestellt hätte. In dem hier beschriebenen nicht-analogen Fall würde zwar der Mond existieren (er wäre dann ein Artefakt), aber Faust existierte nicht - literarische Tätigkeit alleine kann nun mal keinen Menschen in seine Existenz rufen.

Oder betrachten wir dies (Neutraler Realismus: Jahrbuch-Kontroversen 2, S. 179):
[S. 179] Ich halte Faust nicht für einen abstrakten Gegenstand. Er ist ein Mensch. [...] Ich bestreite nicht, dass Faust diejenigen Eigenschaften hat, die ihm im Text zugeschrieben werden, bzw. die sich aus einer gelungenen und literaturwissenschaftlich abgesicherten Deutung des Stückes ergeben. Ich halte z.B. den Satz "Faust hat keine Hände" für falsch. [...] Ich halte Faust für einen fiktionalen Gegenstand, [...]. Ich halte Faust aber nicht für einen fiktiven Gegenstand, d.h. für einen Gegenstand, den sich jemand einbildet. Genauer ist die Bedeutung des Satzes

(Faust) Faust liebt Gretchen.

ja nicht die, dass eine eingebildete Person eine eingebildete Person liebt.
Hier finde ich es äußerst merkwürdig, dass Gabriel nicht die jeweiligen Sinnfelder nennt und unterscheidet. Selbst wenn wir seine SFO akzeptieren würden, wäre der Satz "Faust ist [...] ein Mensch." falsch, da hier kein Sinnfeld angegeben ist und er ja wohl nicht für alle Sinnfelder gilt. Wenn wir nun annehmen, dass der Satz im Standardkontext - der Lebenswelt - geäußert wurde, ist er ebenfalls falsch. Und in diesem Kontext wäre der Satz "Faust ist eine fiktive Figur" wahr.

Nun nennt er zumindest für den Satz "Faust liebt Gretchen" das Sinnfeld - die Dramawelt bzw. das Szenario (Faust). In diesem Sinnfeld wäre jedoch seine Aussage "Faust [ist ein] fiktionaler Gegenstand" ebenso falsch wie die Aussage "Faust ist eine fiktive Figur".

Nun ist aber das Hauptproblem dieses: aus "es gibt Gedanken an x" folgt mitnichten "x existiert". Es folgt lediglich und das trivialerweise, da tautolgisch, dass Gedanken an x existieren.
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Weiter oben hatte ich mich gefragt, auf welches Sinnfeld Gabriel denn eigentlich seine Aussage "die Welt gibt es nicht" bezieht. Inzwischen habe ich seine Antwort darauf gefunden (Perspektiven der Philosohie: Neues Jahrbuch. Band 42 - 2016, S. 122):
SFO legt sich darauf fest, dass die Welt als allumfassender Gegenstandsbereich (als Sinnfeld aller Sinnfelder) nicht existiert - und zwar relativ zum Sinnfeld der Ontologie.
Schön, bloß gibt es dann folgendes kleine Problem: das Sinnfeld der Ontologie umfasst nun alles, was es gibt, d.h. es wäre das Sinnfeld aller Sinnfelder - zumindest aber in einem eingeschränkten Sinne und zwar insofern als es sich nicht selber enthält - mE good enough.

Weiter oben hatte ich auch gefragt, in welchem Sinnfeld denn das Universum und mathematische Objekte vorkämen. Nun, vielleicht ist die Antwort darauf die: im Sinnfeld der Ontologie. Aber, falls so: in welchem Sinnfeld erschiene denn das Sinnfeld der Ontologie?




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