Luhmann Plauderei/Offtopic/etc.

Niklas Luhmann war ein deutscher Soziologe. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Vertreter der soziologischen Systemtheorie. Er zählt zu den Klassikern der Soziologie des 20.
Timberlake
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Sa 18. Nov 2023, 13:56

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 16. Nov 2023, 21:08
Nauplios hat geschrieben :
Do 16. Nov 2023, 20:42
Das ist genauso gegenstandslos. Die Systemtheorie weist weder einen an Nietzsche ausgerichteten Sozialdarwinismus aus, der das Recht des Stärkeren plakatiert, noch weist die Systemtheorie einen an Nietzsche ausgerichteten Sozialdarwinismus aus, der das Recht des Schwächeren plakatiert.

Weder das eine noch das andere trifft zu.
Ist dann die Systemtheorie von Luhmann etwas wert? Wenn so elementare Dinge, wie der Kampf ums Überleben nicht beachtet werden?
Gute Frage ..


Weil der Ausgangspunkt dieser These , ein von mir, hier vorgebrachtes Zitat zu Nietzsche steht, so möchte anstatt dessen ich dir darauf antworten. Zumal ich nicht glaube, dass @Nauplios darauf noch antworten wird. Denn wenn er die Absicht dazu gehabt hätte, wäre es vermutlich schon längst geschehen und so stelle ich mal zur Antwort dessen , dem folgendes Zitat aus einem Luhmann-Lexikon voran ..
Wenn es hier heißt, dass Systeme eine geschlossen Einheit darstellen , sie aber gleichwohl offen sind. so würde sich demnach , nach meiner Ansicht , der Kampf ums Überleben dieser Systeme über jenen offenen Kanal verwirklichen. Schließlich kann sich diese selbst-reproduzierende Einheit , nur in Differenz zu einer Umwelt vollziehen. Einer Umwelt , in der sich eben diese geschlossenen Einheiten in permanenter Konkurrenz um Macht, Geld, Liebe, Kunst und Wahrheit befinden ..
Luhmann Wiki hat geschrieben :
Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (Macht, Geld, Liebe, Kunst und Wahrheit), auch Erfolgsmedien genannt, erzeugen eine ..[/url]
  • "laufende Ermöglichung einer hochunwahrscheinlichen Kombination von Selektion und Motivation."
    Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. 1.Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1997, ISBN 3-518-58240-2, S.320
In sofern ich einmal davon ausgehe, dass @ Nauplios , wie auch all die Anderen, die da möglicherweise meinen , dass Luhmanns Systemtheorie keinerlei , wie auch immer ausgestalteten Sozialdarwinismus ausweist , einem fundamentalen Irrtum , im Verständnis von selbigen, aufgesessen sind.

Übrigens halte ich eben deshalb , weil m.E. über die Kommunikationsmedium "Wahrheit" kommuniziert, eine Anschlusskommunikation mit denjenigen für "hochunwahrscheinlich". Nur um an dieser Stelle , mit einem Beispiel auch das abzuklären , was Luhmann mit einer "hochunwahrscheinlichen Kombination von Selektion und Motivation" meint.

Ich lasse mich allerdings diesbezüglich auch gerne überraschen. Zumal für den Fall ,dass ich einem fundamentalen Irrtum , im Verständnis von Luhmanns Systemtheorie , aufgesessen bin. Möglicherweise existieren ja von Luhmann Zitate, die das ganze Gegenteil .. von meiner Wahrheit dazu! .. ausweisen. Um sozusagen , anstatt einem Sozial- , einem Wahrheitsdarwinismus zu entsprechen.




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Jörn Budesheim
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Postrukturalismus, Münker Roesler hat geschrieben : .... Indem er seine Auffassung vom Sinn weiterdenkt, gelangt Deleuze zu vier Paradoxa. Das erste bezeichnet er als »Paradox der Regression oder der unbegrenzten Wucherung«. Es beginnt damit, dass der Sinn immer schon vorgängig ist, wenn irgend jemand spricht oder schreibt. Der Sinn ist eine Sphäre, die notwendig ist, damit ich Bezeichnungen vornehmen kann, damit ich Sätze äußern kann. Indem ich etwas bezeichne, unterstelle ich, dass der Sinn bereits erfasst worden ist, dass er vorhanden ist; »ohne diese Voraussetzung könnte ich gar nicht beginnen« (ebd., 48). Daraus folgert Deleuze: »Ich sage nie den Sinn dessen, was ich sage« (ebd.). Der Sinn liegt immer vor der Äußerung, und wenn er von ihr ausgedrückt werden kann, dann nur, weil der Sinn vorgängig ist. Er wird also streng genommen nicht direkt ausgedrückt, sondern es verhält sich umgekehrt: weil der Sinn vorgängig ist, kann ich mit meinen Sätzen etwas bezeichnen und ausdrücken. Diese Bewegung kann man, was Deleuze an dieser Stelle allerdings nicht tut, als eine Verschiebung betrachten, die an die Verschiebung bei Derrida erinnert. Der Sinn als Ausdruck ist nur möglich, weil der Sinn dem Ausdruck vorhergeht. Nicht ohne Grund spricht Deleuze hier von einem Paradoxon.

Wenn ich auch nie den Sinn dessen sagen kann, was ich sage, »kann ich aber immer den Sinn dessen, was ich sage, zum Gegenstand eines anderen Satzes machen, dessen Sinn ich dann wiederum nicht sage« (ebd., 48). Damit wird der Sinn eines Satzes zum Bezeichneten eines anderen Satzes. »Ich trete folglich in eine endlose Regression des Vorausgesetzten ein. Diese Regression zeugt gleichzeitig von der völligen Machtlosigkeit des Sprechenden und der vollkommenen Macht der Sprache« (ebd.). Was bei Derrida der unendliche Aufschub von Sinn war, der nie an ein Ende gelangte, ist bei Deleuze das »Paradox der unendlichen Wucherung«, das darin besteht, dass der Sinn dem Satz immer vorgängig ist und lediglich als Bezeichnetes eines weiteren Satzes thematisiert werden kann, wobei dessen Sinn dem gleichen Schicksal unterliegt und so fort. Interessanterweise verknüpft Deleuze diese These mit Reflexionen über die Macht der Sprache und die Ohnmacht des Sprechenden und stellt damit eine Verbindung zur poststrukturalistischen These von der Unterwerfung des Subjekts unter die Sprache her. Nicht das Subjekt ist Herr ...
Ein Auszug aus diesem Buch über Poststrukturalismus aus meiner Bibliothek, mehr oder weniger zufällig ausgewählt. Mit Paradoxien war man damals sehr großzügig, wie man sieht :-)




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Mo 20. Nov 2023, 16:28

Viva la différAnce! 😉




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Jörn Budesheim
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Mo 20. Nov 2023, 18:38

Ich habe einmal in einem Programmkino einen sehr schönen und unterhaltsamen Film über Derrida gesehen. Hier eine lustige Szene daraus: "Différance" ist von Derrida absichtlich "falsch geschrieben", eigentlich heißt es "différence". Aber wenn man es ausspricht, hört man die différance nicht. Im Hause Derrida gab es einmal einen kleinen Umtrunk. Anlass war die Aufnahme von Derridas Kunstwort in ein bedeutendes Lexikon, das wurde gefeiert. Derridas Mutter war auch da, und als ihr der Grund der Feier erklärt wurde, war sie entsetzt. "Was, Junge, hast du différence falsch geschrieben?"




Nauplios

Mo 20. Nov 2023, 18:48

Wie soll es mit den Zusammenfassungen der einzelnen Vorlesungen weitergehen? - Möchtest Du dann 5 und 6 machen, Sybok?

Ich bin da für jede Aufteilung offen. Oder macht es jemand anders?




sybok
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Mo 20. Nov 2023, 19:29

Vorlesung 5 hab ich geschaut und Notitzen gemacht, könnte ich heute Abend schreiben :) . 6 Hab ich noch nicht geschaut.




Nauplios

Mo 20. Nov 2023, 19:42

Dann schlage ich vor, Du übernimmst Vorlesung 5 und vielleicht findet sich ja noch jemand, der freiwillig Vorlesung 6 übernimmt. ;)




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Jörn Budesheim
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https://youtube.com/clip/UgkxGOAKatb4PG ... -wQtnlJLxH

Hat sich nicht viel getan seitdem ;)




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Jörn Budesheim
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Wenn die Gesellschaft aus Kommunikationen besteht, gilt dann auch umgekehrt, dass jede Kommunikation ein Teil der Gesellschaft ist?




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Quk
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Di 21. Nov 2023, 19:58

Könnte man so sagen, oder? Ich sehe in einer Gesellschaft allerdings nicht nur Kommunikation, sondern auch aufgeteilte Facharbeit; während diese verrichtet wird, muss nicht notwendig durchgehend kommuniziert werden mit anderen Arbeitenden, sondern es reicht der zukünftige, gesellschaftliche Nutzen dieser Arbeit, um diese als weiteren Bestandteil der Gesellschaft aufzufassen. Fritz geht allein in seine Werkstatt und macht Schuhe. Diese stellt er dann irgendwo hin, wo andere sie abholen können. In diesem Prozess sind nur wenige kommunikative Abschnitte; das meiste ist selbständige, isolierte Arbeit.




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Jörn Budesheim
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Mi 29. Nov 2023, 17:15

kein Bewußtsein kann außerhalb seiner Grenzen operieren.
Eigentlich ist es ein lustiger Satz, er hat dieselbe Form wie: Kein Ding ist größer als es selbst. Wenn das Bewusstsein Grenzen hat, kann es trivialerweise nicht außerhalb seiner eigenen Grenzen operieren. Das ist eine Tautologie, und aus einer Tautologie kann man entweder nichts oder alles ableiten, mit anderen Worten, dieser Satz ist kein zulässiger Zug in einem argumentativen Spiel. Dass er dennoch so oft wiederholt wird, ist kein gutes Zeichen.

Ich bin übrigens selbst erstaunt, mit welcher Vehemenz ich vieles von dem, was ich früher selbst vertreten habe, nun ablehne :)




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Quk
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Do 30. Nov 2023, 00:19

Was vermutest Du, worauf der Autor dieses Satzes hinaus will? Will er das Offensichtliche in Erinnerung rufen, wie etwa in: "Nach Regen folgt Sonnenschein"; "Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei"; "Ist der Papst katholisch?" -- Oder will er tatsächlich eine triviale Erkenntnis lehren? -- Oder ...




Grooty
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Do 30. Nov 2023, 00:49

Quk hat geschrieben :
Di 21. Nov 2023, 19:58
Könnte man so sagen, oder? Ich sehe in einer Gesellschaft allerdings nicht nur Kommunikation, sondern auch aufgeteilte Facharbeit; während diese verrichtet wird, muss nicht notwendig durchgehend kommuniziert werden mit anderen Arbeitenden, sondern es reicht der zukünftige, gesellschaftliche Nutzen dieser Arbeit, um diese als weiteren Bestandteil der Gesellschaft aufzufassen. Fritz geht allein in seine Werkstatt und macht Schuhe. Diese stellt er dann irgendwo hin, wo andere sie abholen können. In diesem Prozess sind nur wenige kommunikative Abschnitte; das meiste ist selbständige, isolierte Arbeit.
Das ist tatsächlich ein interessanter Punkt. Ähnlich geartet wie die Frage ob Kontemplation und Meditation noch Anteil nimmt an Gesellschaft, was ich verneinen würde (außer über sehr große Umwege).

Aber hier ist tatsächlich auch nicht direkt Kommunikation vorhanden, sondern wird als solche Vorausgesetzt. Man könnte etwas heideggerisch sagen, dass sie zwar nicht Zuhanden ist, aber wenigstens noch Vorhanden, indem sie Bedingung ist dafür, dass diese Arbeit als gesellschaftliche Arbeit aufgefasst werden kann.

Aber naja, die Kommunikation wäre in dem Moment aber wohl der Arbeitsauftrag, der dann durchgeführt wird, um dann in jenem System "Arbeitsauftrag" ein "Beendet" kommunizieren zu können.

Die Frage wäre dann, ob Luhmann Ereignisse als Punkthaft oder als kurze Sequenzen bestimmen würde?




Grooty
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Do 30. Nov 2023, 00:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2023, 17:15
kein Bewußtsein kann außerhalb seiner Grenzen operieren.
Eigentlich ist es ein lustiger Satz, er hat dieselbe Form wie: Kein Ding ist größer als es selbst. Wenn das Bewusstsein Grenzen hat, kann es trivialerweise nicht außerhalb seiner eigenen Grenzen operieren. Das ist eine Tautologie, und aus einer Tautologie kann man entweder nichts oder alles ableiten, mit anderen Worten, dieser Satz ist kein zulässiger Zug in einem argumentativen Spiel. Dass er dennoch so oft wiederholt wird, ist kein gutes Zeichen.

Ich bin übrigens selbst erstaunt, mit welcher Vehemenz ich vieles von dem, was ich früher selbst vertreten habe, nun ablehne :)
Die Frage wäre dann aber, ob die Konturen des Bewusstseins zwingend mit einem Einzelnen Menschen kongruent sein müssen oder ob Bewusstsein (als der Begriff) ermöglicht, über die Individualität oder Personalität hinaus sich weiter bestimmte Sachen bewusst zu sein und sich gar mit manchen von diesen Sachen zu identifizieren. (Beispiele wären Universum, Gott, eine ominöse Grundenergie, Nirwana, Zivilisation)

Denn ich würde die Meinung stark machen wollen, dass sich das "Selbstbewusstsein" im Sinne Hegels aber doch sehr deutlich über den Einzelmenschen hinaushieven kann - und dabei auf eine überindividuelle Entität stoßen kann, die dadurch von sich selbst ein Bewusstsein erhält; welches Hegel dann Selbstbewusstsein nennt und welches der Weltgeist ist, innerhalb dem sich das Subjekt stets notwendig erkennen muss. (Modern könnte man hier statt von Geist auch gerne von Zivilisation reden - aber gerade nicht von Menschheit!)




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Do 30. Nov 2023, 01:20

Grooty hat geschrieben :
Do 30. Nov 2023, 00:55
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2023, 17:15
kein Bewußtsein kann außerhalb seiner Grenzen operieren.
Eigentlich ist es ein lustiger Satz, er hat dieselbe Form wie: Kein Ding ist größer als es selbst. Wenn das Bewusstsein Grenzen hat, kann es trivialerweise nicht außerhalb seiner eigenen Grenzen operieren. Das ist eine Tautologie, und aus einer Tautologie kann man entweder nichts oder alles ableiten, mit anderen Worten, dieser Satz ist kein zulässiger Zug in einem argumentativen Spiel. Dass er dennoch so oft wiederholt wird, ist kein gutes Zeichen.

Ich bin übrigens selbst erstaunt, mit welcher Vehemenz ich vieles von dem, was ich früher selbst vertreten habe, nun ablehne :)
Die Frage wäre dann aber, ob die Konturen des Bewusstseins zwingend mit einem Einzelnen Menschen kongruent sein müssen oder ob Bewusstsein (als der Begriff) ermöglicht, über die Individualität oder Personalität hinaus sich weiter bestimmte Sachen bewusst zu sein und sich gar mit manchen von diesen Sachen zu identifizieren. (Beispiele wären Universum, Gott, eine ominöse Grundenergie, Nirwana, Zivilisation)
Weil andernorts gerade davon die Rede und natürlich um auf Luhmann und damit das Thema dieses Threads zurück zu kommen. Über das , was Luhmann Doppelte Kontingenz nennt , kann ein Bewusstsei sehr wohl außerhalb seiner Grenzen operieren.
Luhmann Wiki hat geschrieben :
Doppelte Kontingenz
  • "In sozialen Systemen trägt jeder Teilnehmer der Tatsache Rechnung, daß andere auch anders handeln können. Jeder kann sein Verhalten also erst festlegen, wenn er weiß, wie andere ihr Verhalten festlegen; aber das Umgekehrte gilt ebenso."
    Luhmann, Niklas: Das Erziehungssystem der Gesellschaft. S. 31
Wie wollte man auch sonst wissen , wie andere ihr Verhalten festlegen. Wenn gleich dabei die Rolle des Unterbewusstein zumeist unterschätzt wird. Ob dazu die Konturen des Bewusstseins zwingend mit einem Einzelnen Menschen kongruent sein müssen? ... keine Ahnung . Gleichwohl damit Frage , ob Bewusstsein (als der Begriff) ermöglicht, über die Individualität oder Personalität hinaus sich weiter bestimmte Sachen bewusst zu sein und sich gar mit manchen von diesen Sachen zu identifizieren, wie ich meine , damit mit einem klaren "Ja " beantwortet sein dürfte.




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infinitum
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2023, 10:10
Niklas Luhmann in "Erkenntnis als Konstruktion" hat geschrieben : Selbstisolierung eines erkennenden Systems – einer Zelle, eines Immunsystems, eines Gehirns, eines Bewußtseins, eines Kommunikationssystems
Luhmann hat in diese Aufzählung eine Steigerung von der Zelle zum Kommunikationssystem eingebaut. Milliarden von Zellen bilden das Gehirn. Das heißt, eines ihrer typischen Merkmale ist die Fähigkeit zur "Teamarbeit" , und das steht letztlich im krassen Gegensatz zur Idee der Selbstisolation. Wie kann man beides zusammen denken?
Die Selbstisolierung würde ich so sehen, dass das System seine Operationen von seiner Umwelt abgrenzt, um erstmal Sinn zu erhalten. Das ist dann keine Abschottung, sondern eine selektive Abgrenzung von Informationen, um die interne Struktur aufrechtzuerhalten. Die Steigerung von der Zelle zum (Kommunikations-)system zeigt dann, wie dies auf unterschiedlichen Ebenen ausgeprägt ist. In biologischen Systemen ist alles auf die Koordination der Zelle innerhalb eines Organismus ausgerichtet. Und bei sozialen Systemen wählt das System Informationen aus und verarbeitet diese, um Sinn zu generieren. Das soziale System behält dabei stets diese Isolierung als "Verbund" bei.



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Jörn Budesheim
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Do 30. Nov 2023, 08:03

Margot Berghaus bringt es in ihrem Buch über Luhmann auf diese Formel: "Systeme sind gleichzeitig (umwelt-)offen und (operativ-)geschlossen." Biologische Systeme müssen z.B. Energie importieren, sie sind (umwelt-)offen, um die Autopoiesis (operational-)geschlossen zu halten, d.h. um die Elemente, aus denen sie bestehen, ständig zu reproduzieren. Ich kann mir das einigermaßen vorstellen. Aber der Ausdruck "Selbstisolierung" ist dafür maximal unbrauchbar, finde ich. Bei "Selbstisolierung" wäre (Umwelt-)Offenheit ausgeschlossen.
infinitum hat geschrieben :
Do 30. Nov 2023, 06:39
Die Selbstisolierung würde ich so sehen, dass das System seine Operationen von seiner Umwelt abgrenzt, um erstmal Sinn zu erhalten.
Biologische Systeme operieren ja in ihrer Umwelt, der Fuchs geht in den Hühnerstall, um seine "inneren Operationen" also das Funktionieren des Körpers und seine Abgrenzung zur Umwelt zu erhalten. Deswegen finde ich es ungünstig einfach von "Operationen" zu sprechen, weil das offen lässt, welche gemeint sind. Wie man das auf Kommunikationen übertragen soll, müsste man mal an nachvollziehbaren Beispielen erläutern. Zum Beispiel:

Guten Morgen, Herr Luhmann.
Guten Morgen, Herr Fuchs.
Wie weit sind sie mit ihrem Beitrag für Reden und Schweigen?
Ist morgen fertig.
...




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2023, 17:15
Das ist eine Tautologie, und aus einer Tautologie kann man entweder nichts oder alles ableiten, mit anderen Worten, dieser Satz ist kein zulässiger Zug in einem argumentativen Spiel.
Ich glaube du meinst hier Widerspruch, aus einer Tautologie kann man nicht alles ableiten. Tautologien sind als jene Aussagen definiert, die in allen Modellen gelten.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Nov 2023, 08:03
Biologische Systeme operieren ja in ihrer Umwelt, der Fuchs geht in den Hühnerstall, um seine "inneren Operationen" also das Funktionieren des Körpers und seine Abgrenzung zur Umwelt zu erhalten.
Ich versteh das momentan so, korrigiert mich wenn ich mich irre:
Sie operieren aber nicht mit der Operation in ihrer Umwelt, durch die sie als System definiert werden. Der Fuchs frisst das Huhn, aber "er lebt nicht das Huhn". Ich hätte jetzt gesagt, dass das Fressen des Huhnes unter struktureller Kopplung mit der Umwelt läuft (ich müsste nochmals nachschauen, aber ich meinte Luhmann bringt genau ein ziemlich ähnliches Beispiel unter dem entsprechenden Abschnitt in "Einführung in die Systemtheorie").




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sybok hat geschrieben :
Do 30. Nov 2023, 09:56
Ich glaube du meinst hier Widerspruch
Ich meine eigentlich Tautologien wie "wir können nicht wahrnehmen ohne wahrzunehmen". Daraus kann man nichts schlussfolgern.




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Quk
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Do 30. Nov 2023, 11:00

kein Bewußtsein kann außerhalb seiner Grenzen operieren.
Wenn dieser Satz widersprüchlich sein sollte, müsste im Satzanfang das Bewusstsein als etwas grenzenloses oder inoperatives aufgefasst werden.

Denn im Satzende geht es nur um Grenze und Operation. Gegen diese zwei Sachen könnte ein Widerspruch erstellt werden, so es so sei.

Wenn man voraussetzt, dass das Bewusstsein sowohl operativ ist als auch Grenzen hat, ist das in meinen Augen gewissermaßen eine Tautologie. Gewissermaßen, weil im Wort Bewusstsein die besagten anderen beiden Wörter nicht drinstecken. Deutlicher wäre das in "Nässe ist nass" oder wie Jörn schreibt: "Wir können nicht wahrnehmen ohne wahrzunehmen".




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