Vorlesung: Luhmann - Theorie der Gesellschaft

Niklas Luhmann war ein deutscher Soziologe. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Vertreter der soziologischen Systemtheorie. Er zählt zu den Klassikern der Soziologie des 20.
Nauplios

So 12. Nov 2023, 18:31

Sinn ist eine "unnegierbare Kategorie", sagt Luhmann in der zweiten Vorlesung. Das gilt auch für den Weltbegriff und für den der Realität. Es handelt sich um differenzlos gegebene Begriffe. Beobachtung ist ja angewiesen auf Unterscheiden. Sinn, Welt, Realität lassen sich also nicht beobachten. Negationen nehmen immer Sinn in Anspruch.

"Wir können sagen, daß ein Bewußtsein Sinn als Form benötigt, in dem es seine Operationen abwickeln kann. Einem Stein fehlen diese Eigenschaften. Ein Stein projiziert keinen Sinn in seine Umwelt. Aber wenn wir das sagen, hat das, was wir sagen, wiederum Sinn. Wir stellen uns also vor, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise, daß es jedoch für uns Sinn hat, zu sagen, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise." (Niklas Luhmann; Einführung in die Theorie der Gesellschaft; S. 43)

Schon die Phänomenologie Husserls arbeitete mit einem Weltbegriff, bei dem Welt nicht als Gesamtheit aller Dinge oder aller Sachverhalte oder aller Tatsachen u.ä. vorgestellt wird, sondern als Horizont, in den diese Dinge, Sachverhalte, Tatsachen usw. gestellt sind, mithin also nie erreichbar ist für Wahrnehmung, auch nicht für intentionales Erleben oder Beobachtung. Der Horizont weicht immer zurück.

Sinn ist nicht negierbar. Wenn wir sagen, dies oder jenes sei sinnlos, dann haben wir immer schon Sinn in Anspruch genommen.

Bei Kant gibt es einen verwandten Gedanken: Das Wirkliche enthält "nichts mehr als das bloß Mögliche. Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Fall dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein." (Kritik der reinen Vernunft, A 599)




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Jörn Budesheim
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So 12. Nov 2023, 18:54

Nauplios, Luhmann zitierend hat geschrieben :
So 12. Nov 2023, 18:31
"Wir können sagen, daß ein Bewußtsein Sinn als Form benötigt, in dem es seine Operationen abwickeln kann. Einem Stein fehlen diese Eigenschaften. Ein Stein projiziert keinen Sinn in seine Umwelt. Aber wenn wir das sagen, hat das, was wir sagen, wiederum Sinn. Wir stellen uns also vor, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise, daß es jedoch für uns Sinn hat, zu sagen, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise." (Niklas Luhmann; Einführung in die Theorie der Gesellschaft; S. 43)
Genau, aber soweit ich mich entsinne, sagt er auch, dass wir uns damit in irgendeiner Form ein Problem einhandeln, und ich verstehe nicht welches.




Nauplios

Di 14. Nov 2023, 12:49

In der 3. Vorlesung geht es zunächst um den Kommunikationsbegriff. Er ist der Begriff "für diejenige Operation, die ein soziales System (...) produziert, reproduziert und damit ausdifferenziert." (Niklas Luhmann; Einführung in die TheoriederGesellschaft; S. 61)

Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von einer "operativen Systemtheorie"; das scheint mir insofern wichtig, weil damit die Vorstellung eines statischen Systems, das mit seiner Umwelt "verbunden" ist beziehungsweise mit ihr im "Austausch" ist o.ä. ersetzt wird durch die Vorstellung eines Systems, das sich laufend durch Operationen (welcher Art auch immer) von seiner Umwelt abgrenzt. Dies ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Dazu gehört, daß es überhaupt eine Umwelt gibt, daß es Menschen gibt, daß diese Menschen Körper haben, ein Gehirn usw., aber all diese Substrate sind zwar Voraussetzungen für Systembildung, aber Menschen und ihre Körper sind damit noch nicht Teile eines sozialen Systems. Voraussetzung zu sein, beinhaltet nicht Mitgliedschaft. Das Alltagsverständnis legt den Gedanken nahe, daß Voraussetzungen einer Sache für diese Sache auch wesentlich sind, zu ihr gehören, ihr inhärent sind. Aber dann kriegt man das Problem, daß man im Fall von Gesellschaft, erklären muß, wie denn Individuum und Gesellschaft zusammenkommen, worüber Körper, Geist, Seele... mit der Gesellschaft verbunden sind. Die "elegante Lösung" für dieses Problem: "Das Individuum ist draußen." (S. 61)

Doch was bleibt dann noch? Es bleiben Kommunikationen. Und man ahnt schon, daß damit eine Neufassung des Kommunikationsbegriffs ansteht (wie zuvor des Sinnbegriffs, des Systembegriffs usw.)

Unter Kommunikation versteht die Systemtheorie einen dreifachen Selektionsprozeß, nämlich den von Information, Mitteilung und Verstehen.

Information: "Es wird etwas mitgeteilt, was auch anders sein könnte". (63) Luhmann nennt als Beispiele: "So ist es", "Dies will ich", "So fühle ich mich", "Das wünsche ich von dir". Man könnte hier schnell den Eindruck gewinnen, daß das Individuum damit wieder "drin" ist, aber es geht bei diesen Beispielen nur um die reine Informativität, nicht um die sprachliche Äußerung, die ein Mensch in einer bestimmten Situation tätigt. Diese sprachliche Äußerung ist wieder nur Voraussetzung, nicht Wesensbestimmung o.ä. Es geht hier nur um die Selektivität solcher Informationen. Es wird etwas als Information ausgewählt aus einem Pool anderer Möglichkeiten. "Der Hund ist bissig". Man könnte auch dies als Information auswählen: "Das ist ein Schäferhund" oder "Der Hund heißt Bello" (s. die Verweisungsstruktur des Sinnbegriffs). Es wird eine Auswahl getroffen.

Mitteilung: "Die bloße Informativität der Information genügt jedoch nicht, sondern sie muß mitgeteilt werden." (S. 63) - "Treten Sie doch mal bitte zur Seite!" - "Meinen Sie mich?" - Die Information reicht nicht, um Kommunikation in Gang zu setzen. Wenn auf der Straße ein entgegenkommender Fußgänger vor sich hin brabbelt: "Ach, sie liebt mich nicht mehr", dann liegt zwar eine Information vor, aber sie wird einem anderen Fußgänger nicht mitgeteilt. Auch die Mitteilung ist mit einer Selektion verbunden. "Das heißt, es gibt zweitens eine Auswahl des Agenten oder der Instanz, die die Kommunikation betreibt und der man zurückrechnend eine Handlung unterstellen kann. Es gibt also eine expressive oder mitteilende Aktivität innerhalb der Kommunikation, die wiederum kommunikativ als Selektion gefaßt wird." (S. 63)

Verstehen: Das Verstehen ist nicht der Abschluß der Kommunikation, so wenig wie die Information oder die Mitteilung ihr Anfang ist. Mit dem Verstehen beginnt eigentlich erst die Kommunikation. Verstehen bedeutet aber hier nicht ein Verstehen im hermeneutischen Sinne oder Verstehen als Erfassen einer Intention. "Kommunikation findet nur statt, wenn ein Verstehender - und das ist eigentlich der Anfang des ganzen Prozesses - sieht, daß irgendwo eine Differenz zwischen Mitteilung und Information stattfindet." (S. 63) Auch das Verstehen ist ein Selektionsvorgang, der so, aber auch anders möglich ist. Aber Verstehen ist nicht die Abschluß-Selektion, sondern mit dem Verstehen wird die Kommunikation gleichsam wachgeküßt und es kann dann Anschlußkommunikation erfolgen - wieder nach dem Muster dieses dreifachen Selektionsprozesses.

Die Beispiele (auch die, die Luhmann selbst bringt) legen insofern eine falsche Fährte, als sie zur Wiedereinrechnung des Individuums in die Kommunikation und damit in die Gesellschaft verführen. An ihnen läßt sich aber wohl etwas zeigen, nämlich wie Kommunikation funktioniert. Um diese Funktion geht es Luhmann, nicht um das Substrat, was Voraussetzung von Kommunikation ist, wie Sprache, Stimme, Intention, herrschaftsfreie Diskurse o.ä.




Nauplios

Di 14. Nov 2023, 13:59

Ein anderes Thema in dieser 3. Vorlesung ist die Frage nach der Universalität der Gesellschaft. Luhmann lehnt hier alle Vorstellung von regionalen Gesellschaften oder solchen, die die Gesellschaft an eine Nation koppeln, ab. "Ich tendiere dazu (...) von Weltgesellschaft in diesem Sinne eines global system zu sprechen, zumal man in allen Funktionssystemen diese Tendenz zu einer weltweiten Operations- und Strukturbildung feststellen kann." (S. 68)

Funktionssysteme wie beispielsweise die Wissenschaft oder die Wirtschaft lassen sich nicht lokal einhegen. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie hat sich das eindrucksvoll gezeigt. Daß es einen russischen Impfstoff gab und einen chinesischen usw. hatte mit einer provinzialisierten Wissenschaft nichts zu tun, sondern mit einer politischen Provinzialität, die das globale Bemühen um einen Impfstoff zu unterlaufen versucht hat. Das Beispiel der Pandemie zeigt auch, daß Funktionssysteme wie beispielsweise Politik und Wissenschaft füreinander Umwelt sind. Aber auch andere Funktionssysteme waren involviert: die Virologen haben die Politik beraten, aber die Politik konnte nicht "rein virologisch" entscheiden. Zudem mußte sie mit weiteren Funktionssystemen kommunizieren, etwa mit der Wirtschaft, die keine langen Lockdowns wollte, mit dem Erziehungssystem, das schon bald Bedenken gegen Home-Schooling anmeldete, dem Rechtssystem, das die Frage einer Impflicht verhandeln mußte, dem Ethikrat, der die Maskenpflicht diskutierte usw.

Seit 1992 hat sich auch das System Wirtschaft in Richtung Weltgesellschaft orientiert. Die internationalen Finanzmärkte laufen dieser Entwicklung voraus. Und auch hier kommunizieren Funktionssysteme, etwa in der Frage, ob es politisch opportun ist, russisches Gas zu kaufen, ob es moralisch vertretbar ist, mit Katar über Gaslieferungen zu verhandeln, ob die Erhebung einer Maut für ausländische Fahrzeuge juristisch zulässig ist u.ä.




Nauplios

Di 14. Nov 2023, 14:28

Die Plätze der Virologen haben inzwischen die Militärhistoriker eingenommen, auch die Klimaforscher. Der Klimawandel ist wohl das zur Zeit wichtigste Problem, bei dem es wiederum um Kommunikation zwischen den Funktionssystemen Politik und Wissenschaft geht, aber auch um Kommunikation mit der Wirtschaft. Auf welche Ziele kann man sich auf internationaler Ebene politisch einigen? Kann die Wirtschaft genügend Wärmepumpen produzieren? Haben Entscheidungen zum Austausch von Heizungen juristisch Bestand? usw.

Man könnte das an vielen Beispielen illustrieren. Inwieweit löst der Zustrom von Flüchtlingen das Problem des Fachkräftemangels? Bietet der ÖPNV genügend Anreize, zum Schutz der Umwelt auf das Auto zu verzichten? Was spricht aus wissenschaftlicher Sicht für und gegen die Legalisierung von Cannabis? usw.




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Jörn Budesheim
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Di 14. Nov 2023, 14:53

Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 13:59
Luhmann lehnt hier alle Vorstellung von regionalen Gesellschaften oder solchen, die die Gesellschaft an eine Nation koppeln, ab.
Markus Gabriel hält hier einen einfachen Tatbestand entgegen: Es gibt immer noch einige Menschengruppen, die völlig isoliert leben, also gibt es keine Weltgesellschaft.




Nauplios

Di 14. Nov 2023, 15:07

Ja, ich weiß. Ich habe in der Nacht den kompletten Vortrag von Markus Gabriel gehört, über Gesellschaft, Ethik, Moralisierung und Differenz. Ja gut, das ist, wie nicht anders zu erwarten, das Gegenteil einer systemtheoretischen Betrachtung im Sinne Luhmanns.




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Jörn Budesheim
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Di 14. Nov 2023, 15:16

Ich dachte immer, Nachts wäre YouTube geschlossen?! ;-)




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Di 14. Nov 2023, 15:18

Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 15:07
Ja, ich weiß. Ich habe in der Nacht den kompletten Vortrag von Markus Gabriel gehört, über Gesellschaft, Ethik, Moralisierung und Differenz. Ja gut, das ist, wie nicht anders zu erwarten, das Gegenteil einer systemtheoretischen Betrachtung im Sinne Luhmanns.
Das mag sein, aber das entkräftet das Argument ja nicht.




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Quk
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Di 14. Nov 2023, 15:51

Wenn Zivilisationsmüll über die Atmosphäre und Gewässer in das Gebiet einer "sozial isolierten" Menschengruppe geleitet wird, ist das dann nicht doch auch ein sozialer Einfluss? Und wenn dieser Effekt bekannt wird in der verursachenden Gruppe und in dieser einzelne Protestierer laut werden, hat dann nicht auch jene isolierte Gruppe einen Einfluss auf die Protestierer? -- Wie Ihr seht, stelle ich mir immer wieder die Frage, wie absolut solche Schwarzweiß-Auffassungen sein sollen bei Luhmann und Gabriel. Welche Graustufen sind zulässig, welche nicht? Und dann frage ich mich, warum eine Systemtheorie überhaupt so viel Zeit mit Schwarzweiß-Problematiken verbringen muss. Kommt sie so jemals aus ihren Startlöchern?




Nauplios

Di 14. Nov 2023, 16:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 15:18
Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 15:07
Ja, ich weiß. Ich habe in der Nacht den kompletten Vortrag von Markus Gabriel gehört, über Gesellschaft, Ethik, Moralisierung und Differenz. Ja gut, das ist, wie nicht anders zu erwarten, das Gegenteil einer systemtheoretischen Betrachtung im Sinne Luhmanns.
Das mag sein, aber das entkräftet das Argument ja nicht.
Die Information liegt darin, daß ich den Vortrag von Gabriel gehört habe; d.h. ich habe etwas ausgewählt aus anderen Möglichkeiten: ich habe diesen Vortrag gehört, keinen anderen. Die Mitteilung liegt darin, daß ich diese Information hier gepostet habe; die Selektion wäre auch anders möglich gewesen, beim Kaffeetrinken, in einem anderen Forum usw. Das Verstehen liegt darin, daß wieder eine Selektion stattgefunden hat; alter ego hätte meine Mitteilung auch anders verstehen können, nicht als Versuch einer Entkräftung des Arguments, sondern als Gegenüberstellung des Arguments. Alter ego hat Information und Mitteilung differenziert. - Diese Selektion des Verstehens eröffnet dann wieder Anschlußkommunikation. - Das wäre eine - zugegebenermaßen aus dem Stegreif genommene - Veranschaulichung des dreifachen Selektionsprozesses, den die Systemtheorie als Kommunikation bezeichnet.




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Di 14. Nov 2023, 17:38

Quk hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 15:51
Wenn Zivilisationsmüll über die Atmosphäre und Gewässer in das Gebiet einer "sozial isolierten" Menschengruppe geleitet wird, ist das dann nicht doch auch ein sozialer Einfluss?
Das ist ein interessanter Einwand. Um diese Frage zu klären, müsste man allerdings fragen, was Markus Gabriel unter "sozial isoliert" versteht. Dafür ist der Luhmann Thread aber vielleicht nicht der richtige Ort.




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Jörn Budesheim
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Di 14. Nov 2023, 18:09

Niklas Luhmann; Einführung in die Theorie der Gesellschaft; S. 43 hat geschrieben : "Wir können sagen, daß ein Bewußtsein Sinn als Form benötigt, in dem es seine Operationen abwickeln kann. Einem Stein fehlen diese Eigenschaften. Ein Stein projiziert keinen Sinn in seine Umwelt. Aber wenn wir das sagen, hat das, was wir sagen, wiederum Sinn. Wir stellen uns also vor, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise, daß es jedoch für uns Sinn hat, zu sagen, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise."
Was wir sagen, mag sinnhaft sein, daraus folgt aber nicht, dass der Gegenstand der Rede sinnhaft sein muss. Und es folgt auch nicht, dass der Gegenstand der Rede in irgendeiner Form von der Rede gleichsam infiziert wird. Meines Erachtens ist es ganz problemlos zu sagen, dass der Stein keinen Sinn erfassen kann oder wie Luhmann sich ausdrückt, keinen Sinn projizieren kann. Irgendwie komme ich mit diesem Argument von Luhmann nicht zurecht, wer hilft mir auf die Sprünge?




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AufDerSonne
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Di 14. Nov 2023, 18:17

Das Beispiel mit dem Stein ist natürlich heikel. Ein Stein ist Materie. Es wird versucht lebendige Gegenstände, Menschen (mit Bewusstsein), mit leblosen, dem Stein zu vergleichen.
Ich komme immer wie mehr zu der Auffassung, dass eine gute Theorie, sei es der Gesellschaft oder des Universums oder egal, sich über Materie Gedanken machen muss. Tut das Luhmann?
Wieso sage ich das? Weil viele Theorien ganz brauchbar erscheinen, bis es zu Fragen der Materie kommt. Dort versagen sie dann.

Hier scheint mir ein Problem zwischen lebendiger und unlebendiger Materie vorzuliegen. Das müsste man zuerst lösen, bevor man einem Stein Bewusstsein zuschreiben oder nicht zuschreiben kann.
Naja, ich hoffe, man kann mich ein wenig verstehen.



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Timberlake
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Di 14. Nov 2023, 18:31

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 18:17
Das Beispiel mit dem Stein ist natürlich heikel. Ein Stein ist Materie. Es wird versucht lebendige Gegenstände, Menschen (mit Bewusstsein), mit leblosen, dem Stein zu vergleichen.
Ich komme immer wie mehr zu der Auffassung, dass eine gute Theorie, sei es der Gesellschaft oder des Universums oder egal, sich über Materie Gedanken machen muss. Tut das Luhmann?
Wieso sage ich das? Weil viele Theorien ganz brauchbar erscheinen, bis es zu Fragen der Materie kommt. Dort versagen sie dann.

Hier scheint mir ein Problem zwischen lebendiger und unlebendiger Materie vorzuliegen. Das müsste man zuerst lösen, bevor man einem Stein Bewusstsein zuschreiben oder nicht zuschreiben kann.
Naja, ich hoffe, man kann mich ein wenig verstehen.
Ich kann dir versichern, ich verstehe dich in puncto "Problem zwischen lebendiger und unlebendiger Materie" aber auch so was von . Dazu nur mal zur Erinnerung , wie von mir das Problem nicht nur bloß beschrieben , sondern unter Bezugnahme auf Luhmanns Systemtheorie , wie ich meine , auch gelöst wurde und zwar am Beispiel eines Sonnensystems ...
Timberlake hat geschrieben :
Di 7. Nov 2023, 23:14
Weil hier schon des öfteren der Begriff "Interdisziplinär" gefallen ist , nur zu Vervollständigung ...
Wikipedia hat geschrieben :
Systemtheorie (Luhmann)

Biologische Systeme

Nicht Hauptbetrachtungspunkt, aber ebenfalls Bestandteil zur Vervollständigung der Luhmannschen Systemtheorie sind Biologische Systeme. Darunter ist der Körper eines Lebewesens zu verstehen. Ebenso wie soziale Systeme grenzt sich ein biologisches System von seiner Umwelt ab, z. B. durch die Grenze des Körpers. Und ebenso wie soziale Systeme operiert es permanent, nämlich indem es lebt. Auch die Reproduktion ist eine Eigenschaft des biologischen Systems, ebenso wie der beiden anderen Systemtypen.
Zumindest für mich macht eben das und zwar diese Analogie .. wohlgemerkt nicht Metapher , im Sinne Blumenbergs! . . zu biologischen Systemen die Faszination von Luhmanns Systemtheorie aus .
...

Stellt er sogar darüber hinaus eine Analogie zur Materie dar.

Wenn man denn die Beziehung von Materie als Kommunikation versteht, wie beispielsweise das , was die "Materie" der Sonne über das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium ( Luhmann) Gravitation , den Planeten kommuniziert , so ließe sich sogar Luhmanns Systemtheorie dahin gehend erweitern. Demnach wäre Luhmanns Vorlesung zur Theorie der Gesellschaft , lediglich eine Fußnote von etwas viel Größerem.
In dem Steine eine Masse besitzen , so kommunizieren übrigens auch Steine über die Gravitation.
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 14. Nov 2023, 18:53, insgesamt 1-mal geändert.




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AufDerSonne
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Di 14. Nov 2023, 18:45

@Timberlake

Also muss auch die Systemtheorie Luhmanns auf die Biologie bzw. Materie zurückgreifen? Sie kommt ohne diese Begriffe nicht aus? Habe ich das richtig verstanden?
Das wäre ungefähr das, was ich herausgespürt habe aus den Beiträgen von Nauplios. Das es irgendwie ein Problem dort gibt.



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Di 14. Nov 2023, 19:02

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 18:45
@Timberlake

Also muss auch die Systemtheorie Luhmanns auf die Biologie bzw. Materie zurückgreifen? Sie kommt ohne diese Begriffe nicht aus? Habe ich das richtig verstanden?
Das wäre ungefähr das, was ich herausgespürt habe aus den Beiträgen von Nauplios. Das es irgendwie ein Problem dort gibt.
@AufDerSonne

Es geht bei der Systemtheorie von Luhmann m.E: nicht um ein Zurückgreifen auf die Biologie bzw. Materie, sondern vielmehr um ein Zusammenfassen von Biologie bzw. Materie und ,um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen, von einer "Theorie der Gesellschaft" . Ein Zusammenfassen unter einer Theorie , die besagt , dass buchstäblich alles mit einander kommuniziert. Sei es nun über die Nahrung in der Biologie , über die Gravitation bei der Materie, oder über das Geld in einer Gesellschaft. Selbsredent kann man natürlich auch in einer Gesellschaft über Nahrung kommunizieren übrigens auch über die Gravitation, wenn man sich ihrer , wie auch immer darin bedient.
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 14. Nov 2023, 19:08, insgesamt 1-mal geändert.




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Di 14. Nov 2023, 19:05

Timberlake hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 19:02
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 18:45
@Timberlake

Also muss auch die Systemtheorie Luhmanns auf die Biologie bzw. Materie zurückgreifen? Sie kommt ohne diese Begriffe nicht aus? Habe ich das richtig verstanden?
Das wäre ungefähr das, was ich herausgespürt habe aus den Beiträgen von Nauplios. Das es irgendwie ein Problem dort gibt.
Es geht bei der Systemtheorie von Luhmann m.E: nicht um ein Zurückgreifen auf die Biologie bzw. Materie, sondern vielmehr um ein Zusammenfassen von Biologie bzw. Materie und ,um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen, von einer "Theorie der Gesellschaft" . Ein Zusammenfassen unter einer Theorie , die besagt das buchstäblich alles mit einander kommuniziert. Sei es nun über die Nahrung in der Biologie , über die Gravitation bei der Materie, oder über das Geld in einer Gesellschaft.
Ja gut. Da stellt sich dann die Frage wie weit man den Begriff Kommunikation ausdehnen will. Das, was du schreibst, tönt für mich sehr nach Informationstheorie bzw. Kybernetik.
Die gravitative Kraft der Sonne auf die Planeten um umgekehrt als Kommunikation zu verstehen, halte ich für sehr gewagt.



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Timberlake
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Di 14. Nov 2023, 19:17

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 19:05
Timberlake hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 19:02
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 18:45
@Timberlake

Also muss auch die Systemtheorie Luhmanns auf die Biologie bzw. Materie zurückgreifen? Sie kommt ohne diese Begriffe nicht aus? Habe ich das richtig verstanden?
Das wäre ungefähr das, was ich herausgespürt habe aus den Beiträgen von Nauplios. Das es irgendwie ein Problem dort gibt.
Es geht bei der Systemtheorie von Luhmann m.E: nicht um ein Zurückgreifen auf die Biologie bzw. Materie, sondern vielmehr um ein Zusammenfassen von Biologie bzw. Materie und ,um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen, von einer "Theorie der Gesellschaft" . Ein Zusammenfassen unter einer Theorie , die besagt das buchstäblich alles mit einander kommuniziert. Sei es nun über die Nahrung in der Biologie , über die Gravitation bei der Materie, oder über das Geld in einer Gesellschaft.
Ja gut. Da stellt sich dann die Frage wie weit man den Begriff Kommunikation ausdehnen will. Da, was du schreibst, tönt für mich sehr nach Informationstheorie bzw. Kybernetik.
Die gravitative Kraft der Sonne auf die Planeten um umgekehrt als Kommunikation zu verstehen, halte ich für sehr gewagt.
.. und ich halte das für stimmig. Wenn man denn Kommunikation nicht nur auf die menschliche Sprache beschränkt, sonder ganz allgemein auf alles anwendet , was , wie auch immer , in Beziehung steht und als solches ein "Beziehungs" - System darstellt.
sybok hat geschrieben :
So 5. Nov 2023, 19:26

2. Abstrakte Theoriegrundlage: Er spricht vom interdisziplinären Zusammenhang der Systemtheorie und sie nicht wirklich eine soziologische Theorie ist. Die begriffliche Erfahrung stamme aus der Kybernetik, Informationstheorie, Biologie, Computertechnologie ("Programm").
Es wird betont, dass die beiden Aspekte/Perspektive in gegenseitiger Wechselwirkung stehen.

.. . weil in gegenseitiger Wechselwirkung stehend, ein interdisziplinärer Zusammenhang der Systemtheorie .




Nauplios

Di 14. Nov 2023, 19:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 14. Nov 2023, 18:09
Niklas Luhmann; Einführung in die Theorie der Gesellschaft; S. 43 hat geschrieben : "Wir können sagen, daß ein Bewußtsein Sinn als Form benötigt, in dem es seine Operationen abwickeln kann. Einem Stein fehlen diese Eigenschaften. Ein Stein projiziert keinen Sinn in seine Umwelt. Aber wenn wir das sagen, hat das, was wir sagen, wiederum Sinn. Wir stellen uns also vor, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise, daß es jedoch für uns Sinn hat, zu sagen, dem Stein fehle die sinnhafte Operationsweise."
Was wir sagen, mag sinnhaft sein, daraus folgt aber nicht, dass der Gegenstand der Rede sinnhaft sein muss. Und es folgt auch nicht, dass der Gegenstand der Rede in irgendeiner Form von der Rede gleichsam infiziert wird. Meines Erachtens ist es ganz problemlos zu sagen, dass der Stein keinen Sinn erfassen kann oder wie Luhmann sich ausdrückt, keinen Sinn projizieren kann. Irgendwie komme ich mit diesem Argument von Luhmann nicht zurecht, wer hilft mir auf die Sprünge?
Es geht Luhmann an dieser Stelle darum, daß Sinn keine negierbare Größe ist. Sinn ist "etwas, das nichts ausschließt". (S. 42) In der Negation von Sinn ist bereits Sinn beschlossen. Denn die Negation ist "selbst eine sinnvolle oder eine sinnhaltige Operation. Sie nimmt Sinn in Anspruch. Dann haben wir aber das Problem, wie der Sinnbegriff, wenn es nichts außerhalb des Sinnes gibt, abgrenzbar ist." (S. 42)

Das Bewußtsein kann sozusagen nicht ohne Sinn operieren, denn Sinn ist seine Form. Ein Stein hat kein Bewußtsein. Es gibt da nichts, was am Stein die Form Sinn hat. Allerdings ist der Satz "Es gibt da nichts, was am Stein die Form Sinn hat" seinerseits ein Satz, der quasi von einem Bewußtsein gesprochen wird. Und Bewußtsein hat wiederum die Form Sinn. Folglich hat dieser Satz für uns Sinn. "Wir fangen uns immer wieder in demselben Zirkel." (S. 43) Dieser Zirkel besteht darin, daß Sinn nicht negierbar ist. Von etwas zu sagen, es habe keinen Sinn, erfordert bereits den Gebrauch von Sinn (auf der Seite des Sagenden). Es gibt kein Außerhalb von Sinn. Das heißt, selbst wenn man Sinn negiert (wie beim Beispiel Stein), bleibt das Bewußtseinssystem beim Vollzug dieser Negation auf Sinn angewiesen; seine Negation kann sich nur im Medium Sinn ereignen.




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