Nauplios hat geschrieben : ↑ Sa 11. Nov 2023, 19:45
"als Operation eines von seiner Umwelt abgekoppelten Systems. Nimmt man zusätzlich ernst, daß es sich hier immer um ein operational geschlossenes System handeln muß, reichert sich diese Ausgangsthese an mit Annahmen über Selbstreferenz und Rekursivität. Operationen dieser Art sind nur möglich im Kontext eines Netzwerkes von Operationen desselben Systems, auf die sie vorgreifen und zurückgreifen, und keine einzige Operation kann ohne diese rekursive Vernetzung zustandekommen. Zugleich gilt aber auch: das Netzwerk selbst ist keine Operation. (...) Das Ganze kann nicht im Ganzen nochmals aktiv werden. Jede Operation reproduziert die Einheit des Systems und mit ihr die Grenzen des Systems. Jede Operation reproduziert Schließung und Einschließung. Aber ohne Operation läuft nichts, läuft auch keine Erkenntnis, und jede Operation muß dieser Bedingung genügen, eine unter den anderen zu sein, weil sie anders gar nicht vorkommen, gar nicht eine Operation sein könnte. Das System ist deshalb von einem Beobachter aus gesehen eine Paradoxie, eine Einheit, die nur als Vielheit Einheit ist, eine unitas multiplex. Auch für die Selbstbeobachtung des Systems gilt nichts anderes als für jede Beobachtung. Will ein System erkennen, was es möglich macht, daß es erkennen kann, stößt es auf diese Paradoxie. Alle Erkenntnistheorie hat mit der Auflösung einer Paradoxie zu beginnen. Eine weitere Konsequenz ist: daß kein System Operationen außerhalb seiner eigenen Grenzen durchführen kann. Wenn es zusätzliche Operationen anschließt, weitet es seine Grenzen entsprechend aus. Daraus folgt zwingend, daß das System die eigenen Operationen nicht benutzen kann, um sich selber mit seiner Umwelt zu verknüpfen; denn das würde es erfordern, daß das System mit seinen Operationen halb im System, halb außerhalb seiner Grenzen operiert."
Unter der Voraussetzung, dass ich das soweit richtig verstehe, wäre es zwar extrem unintuitiv, würde aber Sinn machen und wäre ziemlich elegant (weil es eigentlich wieder nichts sagt

): Das System selber dürfte dann eigentlich gar nicht von "seiner Umwelt" sprechen, diese dürfte es für das System eigentlich gar nicht geben, nicht existieren, denn in dem Moment des Erkennens würde sie automatisch in das System "hineinstrukturiert". Würde es beispielsweise seine Grenze "sehen", würde es diese ja als Solche erkennen und damit wäre das, was die Grenze definiert, schon wieder innerhalb des Systems. Das würde vielleicht noch eine andere Erklärung für den Erfolg des Wissenschaftsparadigmas liefern, dann würden wir mit Modellen andere Modelle abgleichen, in der irrigen Annahme, das eine Modell sei keines, sozusagen der konstruktivisitsche Aspekt von Luhmanns Theoriengebäude (?)
Ok, Erkenntnis ist also eine Operation in diesem Netwerk und rekursiv damit vernetzt. Was ist dann der Effekt dieser Operation und worauf genau wirkt sie, also was ist dann, wieder "klassisch gedacht", der eigentliche Gegenstand der Erkenntnis? Und welches System gewinnt sie, wozu und wo wird sie gespeichert? Aaah, wie du schreibst, man müsste gleich über alles sprechen! Es ist ärgerlicherweise für mich nicht mal richtig klar, was überhaupt die richtigen Fragen sind. Man müsste vielleicht erstmal eine geeignete, "nichtlineare" Sprache und eine entsprechende Kommunikationsform entwickeln,... und ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich als Witz meine

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Bisher bin ich noch nicht darauf gestossen, wie Systeme mit Subsystemen umgehen. Möglicherweise "gehen" da plötzlich all die intuitiven Dinge wieder: Aus Sicht eines Supersystems, würde ich erwarten, wäre dann etwa die Grenzen und die Umwelt eines Subsystems wieder fassbar und ein Subsystem müsste vielleicht, aus der übergeordneten Perspektive gesehen, nicht operational geschlossen sein: In dem Sinne, dass das Subsystem es aus seiner Sicht zwar ist, seinen Effekt auf die Umwelt nicht erkennen kann, aber das übergeordnete System schon. Im Stil von: Das Gesellschaftssystem sieht wie das Bildungssystem auf das Justizsystem wirkt.
Nauplios hat geschrieben : ↑ Sa 11. Nov 2023, 19:45
Dies ist eines jener typischen Probleme, welche die Darstellung der Systemtheorie erschwert und damit auch das Verständnis. Man müßte jetzt eigentlich zunächst über den Beobachter sprechen und die Paradoxie seiner Beobachtung, aber zugleich auch über die rekursive Geschlossenheit der Systeme bei gleichzeitiger kognitiver Offenheit, über die System/Umwelt-Differenz usw., also eigentlich über alles. Alles gleichzeitig. - Es bleibt eigentlich immer wieder nur eine Möglichkeit: nacheinander, dafür mehrfach.

Das Gute dabei ist für mich, dass dies sozusagen mein Vertrauen in die Theorie und die Gedankengänge Luhmanns hoch schraubt.