Ich mach daran anknüpfend mal sozusagen einen kurzen Exkurs zur Systemtheorie von Parsons, wenn ich das überheblicherweise für den Moment mal so nennen darf. Als kurze Rechtfertigung dafür :Nauplios hat geschrieben : ↑Do 9. Nov 2023, 15:58Talcott Parsons gehört mit seinem AGIL-Schema zweifellos zu den Impulsgebern von Luhmann's Systemtheorie. In den frühen Aufsätzen Luhmanns taucht sein Name immer mal wieder auf. Doch dann tritt er den Hintergrund und sein Strukturfunktionalismus ist eigentlich für das Verständnis der Systemtheorie in ihrer heutigen Form kaum noch von Belang. Das hängt wohl auch damit zusammen, daß Parsons Theorie zu wenig Potential zur Weiterentwicklung hatte und dann in den USA auch an Bedeutung verlor. Dieser Strukturfunktionalismus ist im Grunde ein toter Arm im Fluß soziologischer Theoriebildung.
Köbel meinte, im unten erwähnten Podcast, er würde immer erst Parsons und "die Klassiker" in seinen Vorlesungen behandeln, auch wenn sie überholt seien, die Studenten verstünden sonst Luhmann nicht.
Ich hab mir die Soziopod Academics 004: Die strukturfunktionalistische Systemtheorie von Talcott Parsons nun also nochmals angehört, eine kleine Zusammenfassung davon:
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Sie beginnen auch mit einer historischen Einordnung der Soziologie: Frankfurter Schule (sei noch halb Philosophie) --> Durkheim/Weber --> Parsons --> Luhmann/Habermas.
Parsons wird dabei als Begründer einer neuen Richtung in der Soziologie vorgestellt. Dabei sei auch bei ihm schon der Anspruch da, einer epochenübergreifenden, umfassenden Systemtheorie. Diesbezüglich kommen sie auch kurz auf Marx zu sprechen, ordnen ihn aber nicht klar ein: Auch strukturalistische Ansätze, aber scheinbar fehlt da noch was. Mit Luhmann sei dann die Systemtheorie abgeschlossen, Köbel meint, dass ihm keine ausgefeilteren Weiterentwicklungen bekannt wären und Luhmanns Schüler seien eher unbekannt - Dirk Baecker wird dabei von Breitenbach als Einwand darauf kurz erwähnt. Luhmann und Habermas trügen dann die beiden grossen Strömungen in der Soziologie des 20. Jahrhunderts.
Parsons sei sehr stark an die Biologie angelehnt, was etwas schwieriger für Kontinentaleuropa als für die USA nach dem 2. Weltkrieg gewesen sei. Man hätte dann schnell etwa einen "Volkskörper" der "gesunden muss", resp "krank" sein könne. Die Entwicklung von Denkschemata wird im Podcast thematisiert: Mechanik --> Biologie --> Computer, Parsons also im biologischen Denkschema und Luhmann dann schon zur Hälfte bei den Computern.
(Eigentlich ein sehr interessantes Thema, wäre eigentlich auch fast eine Diskussion und genauere Beleuchtung wert, hatten wir hier ja auch mal im KI-Thread thematisiert. Das scheint man wohl nicht unterschätzen zu dürfen, 1+1=3 hat ja auch gleich 2 aus der Zeit vorgestellt, die im "Bio-Schema" dachten.)
Als ein wesentlicher Unterschied zwischen Parsons und Luhmann/Habermas wird ausgemacht, dass bei Parsons die Stabilität von Gesellschaften im Vordergrund stand, während bei Luhmann/Habermas deren Entwicklung, die Dynamik, betont würde. Die Kritik der "kaltherzigen Theorie" wird mehrfach angesprochen, auch bezüglich genannter Stabilität von Gesellschaften: Die "tyrannische Diktatur" wird nicht bewertet, es werden nur Fragen nach der Stabilität dieser Gesellschaftsform gestellt.
Ausführlich wird dann das Thema "Rollen in der Gesellschaft" besprochen. Rollen würden in partikuläre vs. universelle und diffuse vs. spezifische eingeteilt. Eine universelle Rolle sei sowas wie der Busfahrer, von dem für mich etwa egal sei, wie er heisse, sei austauschbar. Spezifisch im Gegensatz dazu etwa die Rolle des Vaters oder Mutter, wo es auf persönliche Beziehungen ankomme. Diffuse Rollen wäre eine Art grenzenlos, etwa Eltern sein, das etwa nicht um eine bestimmte Tageszeit ende. Hingegen würde man am Feierabend keine Mails von Studenten mehr beantworten, die Rolle des Studenten/Dozenten im Gegensatz zu den Eltern dann spezifisch. Gehäufte Fälle von Burnouts werden dann etwa so erklärt, dass es zunehmend eine Verwechslung von diffusen und spezifischen Rollen gäbe: Das Mail des Chefs am Feierabend oder Wochenende sei eigentlich eine Unverschämtheit.
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Das mit den Rollen fand ich einen wirklich coolen und leicht verdaulichen Abschnitt, es liefert auf extrem tiefhängenden Niveau ein eigentlich schon ziemlich brauchbares Analysewerkzeug.