Argumentative Bringschuld (Beweislast)

Argumente gehören zum Kernbestand der Philosophie. Die Argumentationstheorie ist derjenige Bereich Philosophie, der sich mit der Form und dem Gebrauch von Argumenten befasst.
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Alethos
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Di 12. Sep 2017, 19:11

Genau. Es kann nur einen geben, der die Beweislast trägt, weil es im Solipsismus überhaupt nur einen gibt. :)

Aber unter der Voraussetzung einer Welt von vielen :) Wer trägt nun die Beweislast? Wer immer etwas behauptet? Der, der etwas hierauf entgegnet? Oder doch nicht viel mehr überhaupt alle, die eine Aussage über etwas machen?



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Herr K.
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Mi 13. Sep 2017, 00:27

Die Lust, mit jemandem zu reden, der mich gar nicht als gleichwertigen Gesprächspartner anerkennt, hält sich aber bei mir in arg engen Grenzen, genau genommen ist sie gar nicht vorhanden, es fehlte dann einfach die Grundvoraussetzung für ein gleichberechtigtes Gespräch. Soll doch der Solipsist mit sich selber reden, vielleicht überzeugt er sich ja und er kann dann ja auch mit sich selber ausmachen, wer von sich selber die Beweislast trägt.




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Jörn Budesheim
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Tommy hat geschrieben :
Di 12. Sep 2017, 18:50
Was ist denn am Solipsismus so Besonderes, dass jemand der einen solchen vertritt, die komplette (alleinige?) Beweislast tragen muss?
Nun, das Besondere ist eben, dass der Solipsist glaubt, dass es im Grunde nur ihn gibt. Meines Erachtens ist es selbstevident, dass solche Behauptung begründet werden müssen, während die Behauptung, dass es neben mir noch viele andere gibt, nicht begründet werden muss.

Wenn jemand behauptet, dass es in entlegenen Stellen der Erde viele Menschen mit fünf Köpfen gibt, der muss für diese Behauptung einen Grund beibringen, während die entgegengesetzte Behauptung, dass die allermeisten Menschen nur einen Kopf haben, nicht begründet werden muss. Ich finde diese Asymmetrie liegt klar auf der Hand, vielleicht hat er es etwas mit Denk-Ökonomie zu tun.

So müssen z.b. Ansichten, die sich gegen etablierte wissenschaftliche Positionen richten, die Beweislast tragen. Der Grund dafür ist nicht, dass gut etablierte wissenschaftliche Position von vornherein wahr sind. Der Grund ist, dass diese Position das Beweis-Prozedere ja bereits hinter sich haben, ansonsten wären sie nicht gut etabliert. Dass der state-of-the-art in den Wissenschaften oft falsch sein kann, das zeigt die Geschichte. Das bedeutet aber nicht, dass die besagte Asymmetrie nicht besteht.

Bezieht man sich auf die Mehrheitsmeinung in einer bestimmten Sphäre, dann begeht man auch keinen Fehlschluss. Denn man behauptet damit ja nicht, dass eine Ansicht wahr es, weil alle (oder die meisten) das glauben. Sondern man behauptet, es glauben alle, weil es wahr ist.




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Jörn Budesheim
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Mi 13. Sep 2017, 18:07

Wie verstehen beide offensichtlich unter Beweislast etwas ganz anderes. Beweislast heißt für mich nicht, dass man etwas letztgültig beweisen muss. Beweislast heißt nach meiner Ansicht, dass derjenige, der sie trägt, Argumente vorzutragen hat, während es für die andere Partei, genügt diese Argumente zu entkräften.




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Alethos
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Mi 13. Sep 2017, 18:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 13. Sep 2017, 18:07
Wie verstehen beide offensichtlich unter Beweislast etwas ganz anderes. Beweislast heißt für mich nicht, dass man etwas letztgültig beweisen muss. Beweislast heißt nach meiner Ansicht, dass derjenige, der sie trägt, Argumente vorzutragen hat, während es für die andere Partei, genügt diese Argumente zu entkräften.
Das mag für Behauptungen gelten, die eindeutig dem "Common Sense" zuwiderlaufen. Da liegt die Beweislast bei der Position, die sich im Lichte gegenteiliger Evidenzen "rechtfertigen" muss. Aber warum eine Haltung, die ganz selbstverständlich von vielen geteilt wird, also eben gerade "Common Sense ist, nicht auch beweisend erklärt werden soll, kann man sich schon fragen. Dann sprechen wir natürlich nicht mehr von Beweislast, sondern vielleicht von Beweislust oder dem Willen zum Austausch von Gründen. Man darf sich ja gelegentlich auch fürs Allgemeingültige "ins Zeug legen", vielleicht auch motiviert durch einen didaktischen Willen zur Vernünftigkeit.

Wenn die Sache klar ist, z.B. jemand behauptet: "Ein Elefant ist ein Insekt", dann liegt die Beweislast selbstverständlich bei demjenigen, der dies behauptet. Es gibt schlicht zu viel Evidenz dagegen. Da lohnt sich auch kein grosser argumentativer Einsatz. Aber wo sind die Dinge schon so klar in der Philosophie?



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Jörn Budesheim
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Der Beweis-Lust darf man natürlich jederzeit frönen :)




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Alethos
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Der Lust fröhnen? Für einen Asketiker ist das sicherlich nicht "Common Sense" :)



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Mi 13. Sep 2017, 23:41

Tommy hat geschrieben :
Mi 13. Sep 2017, 21:32
Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Sep 2017, 18:34
Wenn die Sache klar ist, z.B. jemand behauptet: "Ein Elefant ist ein Insekt"...
Machen wir das doch mal. Ich behaupte jetzt ein Elefant ist ein Insekt und liefere gleich dazu ein dutzend Gründe warum ein Elefant ein Insekt ist, und stelle damit Deine Behauptung, ein Elefant sei kein Insekt in Frage.
Und jetzt ist Jörn der Meinung dieses InFrageStellen bedürfe keiner Antwort, weil der "common sense" sich nicht rechtfertigen muss?
Ne, das kann nicht sein. Das sehe ich komplett anders.

https://de.wikipedia.org/wiki/Elefantenk%C3%A4fer
Der Elefantenkäfer ist ein guter Versuch, aber wahrscheinlich kein hinreichender Grund, einen Gattungsbegriff so mir nichts, dir nichts umzustürzen :)



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Jörn Budesheim
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Do 14. Sep 2017, 05:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 13. Sep 2017, 18:07
Wie verstehen beide offensichtlich unter Beweislast etwas ganz anderes. Beweislast heißt für mich nicht, dass man etwas letztgültig beweisen muss. Beweislast heißt nach meiner Ansicht, dass derjenige, der sie trägt, Argumente vorzutragen hat, während es für die andere Partei, genügt diese Argumente zu entkräften.
Tommy hat geschrieben : Und jetzt ist Jörn der Meinung dieses InFrageStellen bedürfe keiner Antwort, weil der "common sense" sich nicht rechtfertigen muss?
Dieser Ansicht bin ich nicht, wie du oben leicht sehen kannst.




Bartleby
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Do 14. Sep 2017, 10:27

Mit der Verteilung von Beweislasten mag es sich ja verhalten wie es will, sie hat so weit ich sehe allerdings einen Haken: Dummerweise kann man argumentative Bringschulden, die als solche nicht anerkannt werden, de facto ja weder einfordern, einklagen noch eintreiben. Darauf zu pochen dürfte einem im Konfliktfall also nicht wirklich Gewinn bringen. Es ist halt letztlich eine soziale Übereinkunft auf freiwilliger Basis (und der Schuldbegriff, da stimme ich Alethos zu, in der Tat unglücklich gewählt) ; anders funktioniert das ganze Konzept sowieso nicht ;) .



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Jörn Budesheim
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Do 14. Sep 2017, 11:05

Wo die Beweislast liegt, darüber wird oft auch (mit Argumenten) gestritten. Um Übereinkünfte dürfte es dabei nicht gehen, schätze ich.

Das Problem, was du ansprichst, besteht im Grunde immer: Dass von den Diskussionspartner Argumente anerkannt werden, kann man weder einfordern, einklagen noch eintreiben, manche "beugen" sich dem zwanglosen Zwang eben nicht :-)




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Alethos
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Do 14. Sep 2017, 12:48

Die Hauptschwierigkeit stellt sich für mich in der Frage: Wo übernimmt ein Argument die Beweislast? Ab wo kann der eine Gesprächspartner mit einem genügend guten Recht und mit Verweis auf eine allgemeingültig anerkannte Wahrheit den anderen Gesprächspartner dazu bringen, Beweise vorzutragen?

Ich sehe auch, dass wir im argumentativen Austausch weder einen moralischen, noch einen sittlichen und schon gar keinen rechtlichen Anspruch auf Beweise durchsetzen können. Wir sind nicht klageberechtigt in diesem Wahrheitsverfahren :) Aber doch sagt der Eintragsbeitrag, dass die Beweislast nicht einfach umgekehrt werden kann, davon ausgehend, dass eine bestimmte argumentative Position privilegiert sei und a priori eine geringere (oder überhaupt keine) Beweislast trage. Nun sage mir doch einer, woran wir diese privilegierten Argumente erkennen, auf dass man ihnen diese Beweise darbringe. :) Weil, wenn wir nicht von den ganz klaren Fälle von falschen Behauptungen reden, so sehe ich nirgends eine klare Form oder einen eindeutigen Inhalt, das ein Argument über das andere erheben würde.



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Tosa Inu
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Do 14. Sep 2017, 15:05

Ich sehe es so, dass die abweichende Meiung die größere Bringschuld hat.

Ansonsten so, dass man als Diskursteilnehmer, die ihm innewohnende Rationalität akzeptiert.

"Jürgen Habermas bezeichnet in seiner Theorie des kommunikativen Handelns den Diskurs als Prozess einer Aushandlung von individuellen Geltungsansprüchen der einzelnen Akteure (bei Habermas auch als „Aktoren“ bezeichnet). Ein Merkmal der Sprache ist dabei nach Habermas die ihr innewohnende Rationalität. Die Ergebnisse einer Kommunikation – wenn sie frei ist von Verzerrungen durch Macht oder Hierarchien – sind ihm zufolge zwangsläufig rational. Als Ideal, als beste Versicherung für wahrhaftige Erkenntnisse, sieht er somit den „herrschaftsfreien Diskurs“ – aufgebaut auf Diskursnormen (Prinzipielle Gleichheit der Teilnehmer, Prinzipielle Problematisierbarkeit aller Themen und Meinungen, Prinzipielle Unausgeschlossenheit des Publikums) und authentischen Gefühlen. Die dadurch erreichte kommunikative Realität soll das beste Argument zum Gewinn bringen – auf welches weiter aufgebaut werden kann."
(https://de.wikipedia.org/wiki/Diskurs#J ... n_Habermas)

Ansonsten sehe ich kein größeres Problem darin, auch wenn man eine vom Mainstream abweichende Meinung vertritt, zu erkennen, dass sie abweicht. Hat man gute Gründe anderer Meinung zu sein, kann man diese ja einbringen, genau darum geht es ja. Sind Fragen auch im Mainstream kontrovers, ist es möglich auch das zu wissen. Man ist allgemein der Meinung, dass sich die Erde um die Sonne dreht, weiß aber nicht genau, wie im Fall größerer Einwanderung zu verfahren ist.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Herr K.
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Do 14. Sep 2017, 23:46

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 15:05
Ich sehe es so, dass die abweichende Meiung die größere Bringschuld hat.

[...]

Ansonsten sehe ich kein größeres Problem darin, auch wenn man eine vom Mainstream abweichende Meinung vertritt, zu erkennen, dass sie abweicht.
Letzteres mag in extremen Fällen so sein, aber das ist mE nicht der Regelfall.

Es ist ja nun auch so, dass, wenn jemand sagt "xy ist die Mainstream-Ansicht" das ebenfalls eine Behauptung ist, die der Andere nicht unbesehen akzeptieren muss. Da ich meine, dass Behauptungen auf Anfrage begründet werden sollten, wäre dann ggf. auch diese Behauptung zu begründen. Was sich der Diskussionspartner dann aber auch einfach sparen und gleich die Argumente für seine Ansicht nennen könnte - denn es ist ja letztlich egal, wieviele Leute xy meinen, als Argument für die Wahrheit von xy taugt es nichts.

Wobei das nun immer davon auszugehen scheint, dass Parteien aufeinandertreffen, die feste entgegengesetzte Positionen hätten. Das muss ja aber nicht so sein, es kann ja auch sein, dass jemand gar keine bestimmte Position einnimmt, er nur eine bestimmte Position kritisiert. Was mE auch in Ordnung wäre.




Tosa Inu
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Herr K. hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 23:46
Es ist ja nun auch so, dass, wenn jemand sagt "xy ist die Mainstream-Ansicht" das ebenfalls eine Behauptung ist, die der Andere nicht unbesehen akzeptieren muss. Da ich meine, dass Behauptungen auf Anfrage begründet werden sollten, wäre dann ggf. auch diese Behauptung zu begründen.
Das sehe ich unter Gutwilligen nicht als Problem an und zwischen nicht Gutwilligen kommt es ohnehin nicht zu einem Diskurs.
Herr K. hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 23:46
Was sich der Diskussionspartner dann aber auch einfach sparen und gleich die Argumente für seine Ansicht nennen könnte - denn es ist ja letztlich egal, wieviele Leute xy meinen, als Argument für die Wahrheit von xy taugt es nichts.
Gründe sollte man immer vorlegen, aber man muss nicht alles im Detail wissen, um sich darauf zu berufen, man kann auch Berechtigungen erben.

D.h. man muss nicht die Evolutionstheorie im Detail erklären können, um sich auf sie zu berufen oder die Geschichte der Aufklärung oder warum sich noch mal nichts schneller als das Licht bewegen kann.
Herr K. hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 23:46
Wobei das nun immer davon auszugehen scheint, dass Parteien aufeinandertreffen, die feste entgegengesetzte Positionen hätten. Das muss ja aber nicht so sein, es kann ja auch sein, dass jemand gar keine bestimmte Position einnimmt, er nur eine bestimmte Position kritisiert. Was mE auch in Ordnung wäre.
Klar, aber es geht ja darum, wer in der Pflicht steht, seine Position zu begründen.

Vertritt man eine Mainstream-Position braucht man das nicht, je mehr man von Mainstream abweicht, oder sich auf Schlüsse aus den eigenen Prämissen nicht festlegen lassen will oder wenn man nicht tut, was man tun müsste, falls die eigenen Prämissen gelten sollten, sind andere berechtigt nachzufragen.

Nicht jede Nachfrage ist aber berechtigt, erzählt jemand eine gewöhnliche Geschichte (Wie ich gestern 100 Gramm Gehacktes kaufte), bei der ein anderer alles infrage stellt, steht der Fragende in der Pflicht sich zu rechtfertigen. Diesen Pflichten muss man nicht nachkommen, aber das hat Einfluss auf den deontischen Kontostand. Dieser wiederum hat durchaus auch praktische Auswirkungen, wenn man derjenige ist, der dann im Zweifel auch mal nicht eingeladen oder zu etwas befragt wird.



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Tommy hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 21:16
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 15:05
Ich sehe es so, dass die abweichende Meiung die größere Bringschuld hat.
Abweichend wovon und aus wessen Perspektive?
Vom Mainstream.
Es ist bspw. auch psychologisch fundamental wengistens eine Minimalempathie im Bezug auf die Einstellungen der Herkunftsgesellschaft zu haben.
D.h. konkret, dass man zwar theoretisch in allen Punkten von dieser Einstellung abweichen kann, aber man sollte wissen, wie ein Verhalten allgemein bewertet wird.

Wie wohl die meisten Menschen bewege ich mich in einer Vielzahl von Bereichen irgendwo im grauen Bereich zwischen meinungsfrei und Mainstream, aber es gibt Bereiche, bei denen ich auch eine mehr oder weniger stark abweichende Meinung vom Mainstream habe. An der Stelle fühle ich mich tatsächlich auch selbst in der Pflicht meine Position eher zu begründen, als wenn ich mich eins mit der Mehrheit weiß.

Ansonsten siehe auch die Antwort an Herr K..



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Jörn Budesheim
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Tommy hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 21:26
"Ich habe grundsätzlich erstmal Recht und die anderen müssen beweisen dass ich mich irre"
Meines Erachtens ist das überhaupt nicht der Punkt. Es geht bei dieser Beweislastfrage keineswegs darum, dass irgendeine Partei von vornherein Recht hat und schon gar nicht darum, dass irgendjemand grundsätzlich Recht hat.

Nehmen wir an, du behauptest, dass es ein fliegendes Spaghettimonster gibt. Dann trägst du die Beweislast. Beweislast heißt hier, dass du Tatsachen vorbringen musst, die deine Behauptung plausibel machen.




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Alethos
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Fr 15. Sep 2017, 11:33

Tommy hat geschrieben :
Do 14. Sep 2017, 21:56
Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Sep 2017, 23:41
Tommy hat geschrieben :
Mi 13. Sep 2017, 21:32

Machen wir das doch mal. Ich behaupte jetzt ein Elefant ist ein Insekt und liefere gleich dazu ein dutzend Gründe warum ein Elefant ein Insekt ist, und stelle damit Deine Behauptung, ein Elefant sei kein Insekt in Frage.
Und jetzt ist Jörn der Meinung dieses InFrageStellen bedürfe keiner Antwort, weil der "common sense" sich nicht rechtfertigen muss?
Ne, das kann nicht sein. Das sehe ich komplett anders.

https://de.wikipedia.org/wiki/Elefantenk%C3%A4fer
Der Elefantenkäfer ist ein guter Versuch, aber wahrscheinlich kein hinreichender Grund, einen Gattungsbegriff so mir nichts, dir nichts umzustürzen :)
Warum nicht?
Und wenn Du jetzt antwortest (was du nicht musst, weil es mir hier nicht um Elefanten geht, sondern darum etwas zu demonstrieren) sind wir schon beim argumentativen Austausch, bei dem sowohl der "Herausforderer" Argumente fordert, als auch der "Herausgeforderte". Und wenn man dann richtig dabei ist beim Diskutieren, wechseln die Seiten sowieso dauernd.
In einer länger andauernden Diskussion ist jeder mal der Herausgeforderte und dann wieder der Herausforderer.
In der IT nennt man sowas eine Peer-to-Peer Verbindung. In dieser Art der Kommunikation ist nicht einer der Server (der daten liefert) und der andere der Client (der Daten anfordert), sondern beide sind wechselseitig Client und Server ;-)
Ich sehe das genau so wie du. Es gibt kein Schuldgefälle von einem wahreren Argument zum anderen. Ich denke, wenn man überhaupt von Schuld und Last sprechen will, dann sind die an einer Diskussion Beteiligten gemeinsam Verschuldete. Und schon der gegenseitige Respekt verlangt es, dass sich beide auf Augenhöhe austauschen. Aber, und das geht daraus implizit hervor, das bedeutet auch, dass die "Minderheitsposition" genauso gute Gründe ins Feld führen muss. Es kann nicht sein, dass wir alle Meinungen als gleich wahrheitsberechtigt gelten lassen, ohne alle demselben Stresstest zu unterziehen.

Ich denke, das Augenmerk des Eingangsbeitrags von Jörg ist, sich zu fragen, wie "systemrelevant" gewisse Positionen sind. Es gibt gewisse Wahrheiten, die sind "too big to fail" :) andere hingegen laufen unter "absurde Behauptungen". Ist es denn gerechtfertigt, eine argumentative Maschinerie in Gang zu setzen, um als "absurd" taxierte Ansichten um jeden Preis zu verteidigen resp. zu widerlegen? Müssen wir tatsächlich jede je ausgesprochene Meinung unter dem Gesichtspunkt "Fairness" oder "Individualismus" oder "Relativismus" gleich behandeln oder lohnt es sich nicht viel mehr, aufgrund der Ressourcenknappheit die argumentativen Ressourcen auf jene Wahrheiten zu lenken, die als gesichert gelten können?

Verständlich, dass sich dann aber alles um das Kriterium dreht, wonach eine Aussage als wahr, die andere als absurd zu bezeichnen gälte. Und das war der Anlass meiner Frage im vorigen Beitrag. Welches ist eben die Form dieses Arguments, das eine Beweislast a priori an das Gegenargument zu delegieren vermag? Ich sehe hier schon gründlichen Diskussionsbedarf.

Aber, wenn jemand die Aussage trifft "Ein Elefant ist ein Insekt", dann sehe ich hier schon vielmehr Erklärungsnot bei dieser Aussage als bei deren Erwiderung :)
Die IT-Metapher leuchtet mir ein, obwohl ich kein Fachmann bin.



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Fr 15. Sep 2017, 21:33

Tommy hat geschrieben :
Fr 15. Sep 2017, 19:05
Müssen wir tatsächlich jede je ausgesprochene Meinung unter dem Gesichtspunkt "Fairness" oder "Individualismus" oder "Relativismus" gleich behandeln oder lohnt es sich nicht viel mehr, aufgrund der Ressourcenknappheit die argumentativen Ressourcen auf jene Wahrheiten zu lenken, die als gesichert gelten können?
Hier verstehe ich jetzt gar nicht mehr, was Du sagen willst. Soll das heißen es solle nur noch über "gesicherte Wahrheiten" gesprochen werden? Das kann ich mir nicht vorstellen dass du das meinst. Ich weiß aber auch nicht, was Du sonst meinen könntest.
Nun, ich bin kein Freund von Redeverboten. Natürlich soll man über alles reden können und man soll auch über Absurdes reden. Die Frage ist, wieviel argumentativen Einsatz soll man bieten für etwas offensichtlich Absurdes?

Das heisst natürlich nicht, dass wir nur über 'gesicherte Wahrheiten' sprechen sollen, von denen ich nicht wirklich glaube, dass es deren viele gibt. Nein, ich meine es vielmehr so: Das Fundament, auf welchem wir unser Diskussions-Gebäude aufbauen, sollte möglichst breit und stabil sein, damit das Haus nicht bereits von Grund auf wackelt. Und ich denke, dass es ergiebig ist, sich gegenseitig in einer Diskussion voranzubringen, was sich relativ schwierig darstellt, wenn man wegen immer wieder neu zu verhandelnder Positionen auf Feld eins zurückgeworfen wird. Wenn man weiss, dass z.B. Kant einen transzendentalen Rationalismus vertreten hat, ist es doch müssig des langen und breiten dagegen zu argumentieren, dass er kein Coiffeur war, um ein extrem absurdes Beispiel anzuführen. Hier könnte die Diskussion an anderen, effektiveren Punkten anschliessen.



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So 17. Sep 2017, 23:46

Alethos hat geschrieben :
Fr 15. Sep 2017, 21:33
Nein, ich meine es vielmehr so: Das Fundament, auf welchem wir unser Diskussions-Gebäude aufbauen, sollte möglichst breit und stabil sein, damit das Haus nicht bereits von Grund auf wackelt. Und ich denke, dass es ergiebig ist, sich gegenseitig in einer Diskussion voranzubringen, was sich relativ schwierig darstellt, wenn man wegen immer wieder neu zu verhandelnder Positionen auf Feld eins zurückgeworfen wird. Wenn man weiss, dass z.B. Kant einen transzendentalen Rationalismus vertreten hat, ist es doch müssig des langen und breiten dagegen zu argumentieren, dass er kein Coiffeur war, um ein extrem absurdes Beispiel anzuführen. Hier könnte die Diskussion an anderen, effektiveren Punkten anschliessen.
Um in Deinem Bild zu bleiben: kein einziges dieser Fundamente wackelt nicht, sie wackeln alle, aber vielleicht einige mehr und einige weniger. Nun ist das aber für das Haus nicht so schlimm, es steht auch auf wackeligen Fundamenten. Dennoch aber wäre es gut, allzu wackelige Fundamente nach und nach auszutauschen.

Nun hängt es von den jeweiligen Diskutanten ab, wo man eine Diskussion beginnt, bzw. was gemeinsam akzeptiert ist und das kann sehr unterschiedlich sein. Daher ist es mE merkwürdig zu sagen, man werde "auf Feld eins zurückgeworfen", denn das impliziert irgendwie eine allgemeine/umfassende Schritt-für-Schritt-Erkenntnis, d.h. alte Erkenntnisse, die irgendwann für ewig abgehakt seien, eine geradlinige Entwicklung der Erkenntnis. Sowas kann es aber mE nicht geben - nicht allgemeingültig. Und auch individuell gesehen wäre es mE besser, wenn man bereit wäre, auch als gesichert angenommen Erkenntnisse bei guten Argumenten zu überdenken.

Das ist nun sehr abstrakt gesagt - und das ist auch ein Problem dabei. Es gibt Behauptungen, die ich zwar zur Kenntnis nehme, aber keine weiteren Gedanken daran verschwende. Das geht auch gar nicht anders, ich kann mich nicht mit jeder Behauptung beschäftigen, ich bin ja nur ein endliches Wesen.

Ich persönlich habe nun in meiner nicht so kurzen Foren-Erfahrung schlechte Erfahrungen mit angeblichen common-sense-Auffassungen gemacht. Ich habe daraufhin inzwischen so eine Art internen Alarm-Mechanismus entwickelt, der spricht u.a. auf Schlüsselwörter wie "selbstverständlich", "wie jeder weiß", "bekanntlich" und "xy ist common-sense" an, da bimmelt dann die Alarmglocke in mir. Sowas deutet nach meiner Erfahrung meist auf mangelnde Argumente hin, daher lohnt es sich oft, an der Stelle dann noch etwas nachzubohren.

Um hier nochmal ein bisschen zurückzuspulen: z.B. über Solipsismus zu diskutieren halte ich nicht für per se absurd - wiewohl ich es für absurd halte, Solipsist zu sein.




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