Stimmt, gestern haben wir hier über 100 Posts geschrieben. Nicht schlecht für so ein kleines Forum, meine ich

Der Ausdruck sagt mir leider nichts! Kannst du das kurz erläutern?
Ich habe den Artikel jetzt noch mal gelesen, mir ist aber nicht klar, worauf sich das bezieht.
Das meinte ich als Eingangsdefinition. Sie benennt die Voraussetzungen für eine Identität.Die Autorin schreibt in ihrer Antwort:
In aller Regel verbinden wir mit Identität ein stabiles Selbstbild: Dass wir uns als Personen verstehen, die für bestimmte Überzeugungen, Beziehungen und Lebensweisen verlässlich eintreten. Identität setzt also in erster Linie
ein Selbstverhältnis voraus, das uns ermöglicht, die Frage zu beantworten, wer wir sind und wofür wir
stehen.
und weiter:
(...)muss eine Biografie kein in sich geschlossener Lebenszusammenhang sein, um von einer gleichbleibenden Identität auszugehen. Sie muss Brüche und Scherbenhaufen jedoch sinnvoll integrieren können.
Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 19. Jan 2018, 16:14"Verliert ein Mensch, der schwer erkrankt oder eine Behinderung erleidet, seine Identität?"
Nur erstmal kurz, morgen hoffentlich mehr: Ich verstehe die Frage anders als du. "Verliert ein Mensch, der schwer erkrankt oder eine Behinderung erleidet, seine Identität?" heißt meines Erachtens nicht: "Hat jemand, der eine Behinderung erleidet, danach keine Identität mehr? Es fragt nur danach, ob er nach der "Verwandlung" die gleiche Identität wie zuvor hat. Zumindest verstehe ich es so.
Verliert ein Mensch, der schwer erkrankt oder eine Behinderung erleidet, seine Identität?
Die beiden Sätze "verliert ein Mensch, der schwer erkrankt oder eine Behinderung erleidet, seine Identität" und "sie ist nicht mehr dieselbe" verstehe ich nach wie vor anders als du Stefanie."Er ist nicht mehr derselbe“, bringen wir also in erster Linie unser eigenes Unvermögen zum Ausdruck, die Veränderung in das Bild integrieren zu können, das wir uns von ihm gemacht haben. Zuweilen ist diese fehlende Passung tatsächlich einer Krankheit oder einer Gehirnwäsche geschuldet.
Ich bin jetzt natürlich nicht mehr so, wie ich als kleines Kind war. Der Jörn vor 50 Jahren war sicher ein ganz anderer. Allerdings ist meine Lebensgeschichte doch das, was mich in sehr großen Teilen überhaupt ausmacht. Dazu gehören die Wege, die ich gegangen bin, die Umwege, die Irrwege, die Abwege...Dieter Thomä hat geschrieben : „Erzähle dich selbst“
Wer sind wir? Unser Körper oder unser Geist? So könnte man das Locksche Gedankenexperiment ziemlich verkürzt zusammen fassen. John Locke malt sich das an zwei sehr verschiedenen Personen/Menschen aus, die Körper und Geist tauschen. Weisen die Szenarien, um die es bei der Frage oben geht, nicht mit dieser Versuchsanordnung von Locke gewisse Ähnlichkeiten auf? Natürlich mit einigen gravierenden Unterschieden: Wir haben es anders als bei Locke nur mit einer Person/einem Menschen zu tun. Und entweder findet sich ein gesunder Geist plötzlich in einem behinderten Körper wieder (etwa nach einem Verkehrsunfall). Oder ein veränderter Geist lebt in dem "selben" Körper weiter (etwa bei Demenz). Wenn ich Locke richtig deute, sollte im ersten Fall (sehr vereinfacht gesagt) die Identität im Grunde gewahrt sein und im zweiten Fall nicht. Ob man dem zustimmen kann? Bei mir sträubt sich da einiges ...John Locke in Versuch über den menschlichen Verstand hat geschrieben :
Über Identität und Verschiedenheit (1)
[Wir müssen, um festzustellen] worin die Identität der Person besteht, zunächst untersuchen, was Person bedeutet. Meiner Meinung nach bezeichnet dieses Wort ein denkendes, verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann. Das heißt, es erfaßt sich als dasselbe Ding, das zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denkt. Das geschieht lediglich durch das Bewußtsein, das vom Denken untrennbar ist und, wie mir scheint, zu dessen Wesen gehört. Denn unmöglich kann jemand wahrnehmen, ohne wahrzunehmen, daß er es tut. Wenn wir etwas sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, überlegen oder wollen, so wissen wir, daß wir das tun. Das gilt jederzeit hinsichtlich unserer gegenwärtigen Sensationen und Wahrnehmungen; jeder wird dadurch für sich selbst zu dem, was er sein eigenes Ich nennt. Hierbei kommt es in diesem Fall nicht darauf an, ob dasselbe Selbst in derselben oder in verschiedenen Substanzen weiterbesteht.
[...]
Auf diese Weise kann man sich ohne Schwierigkeiten vorstellen, daß bei der Auferstehung dieselbe Person vorhanden sein kann, sei es auch in einem Körper, der seiner Bildungsweise und seinen Bestandteilen nach nicht genau mit dem irdischen übereinstimmt, indem nämlich dasselbe Bewußtsein mit der dem Körper innewohnenden Seele verknüpft ist. Beim Wechsel der Körper würde jedoch kein Mensch die Seele allein für ausreichend halten, um die Identität eines Menschen zu begründen; es sei denn, jemand setze die Seele mit dem Menschen gleich. Nehmen wir an, die Seele eines Fürsten, die das Bewußtsein des vergangenen Lebens des Fürsten mit sich führt, träte in den Körper eines Schusters ein und beseelte ihn, sobald dessen eigene Seele ihn verlassen hätte. Jeder sieht ein, daß der Schuster dann dieselbe PERSON sein würde wie der Fürst und nur für dessen Taten verantwortlich. Aber wer würde sagen, es sei ein und derselbe Mensch? Auch der Körper gehört also mit zum Begriff des Menschen. Ja, ich vermute, in diesem Fall würde der Körper nach jedermanns Ansicht über den Menschen entscheiden. Denn die Seele würde trotz all ihrer fürstlichen Gedanken keinen anderen Menschen aus ihm machen. Vielmehr würde jener Mensch für jeden, sich selbst ausgenommen, derselbe Schuster sein.
Es mag etwas gewalttätig erscheinen, diese Geschichte für diese Fragestellung nutzbar zu machen. Aber es könnte einen Versuch wert sein. Wenn man so will, ist das eine "ziemlich stark" abgewandelte/verwandelte Form des Szenarios, welches sich Locke ausgedacht hat. Barbara Bleisch hat, wenn mich nicht alles täuscht, im wesentlichen die Perspektive der fraglichen Person selbst im Sinn. Die Geschichte Kafkas ist hier deutlich vielschichtiger. Samsas Geist mag zu Beginn noch ganz bei sich gewesen sein, als er in die ungeheure Veränderung an sich entdeckt, die Locksche Identität ist somit gewahrt. Allerdings ist einerseits der gepanzerte Körper nun kein "nach Außen" gerichteter mehr (sondern ein solipsistisch verpanzerter) und anderseits bietet er natürlich nicht mehr das Bild der früheren "identischen Person" ...Franz Kafka, der Verwandlung hat geschrieben : Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
http://www.textlog.de/31996.html
Ich verstehe Locke anders als du: nicht nur die Seele (Psyche) stiftet Identität, sondern auch Körperlichkeit. Es gehört ja zur Person, wie sie aussieht, wie sie handelt, wie sie spricht, wie sie riecht und wie sie geht: dank dieser wesenstypischen Merkmale lässt sie sich identifizieren als von allen anderen Personen verschiedene Person. So wie ich Locke verstehe, kann trotz gleichbleibender, unversehrter Seele ein stark veränderter Körper zum Identitätsverlust (im Sinne einer Ich-Veränderung) führen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 21. Jan 2018, 08:58
Wer sind wir? Unser Körper oder unser Geist? So könnte man das Locksche Gedankenexperiment ziemlich verkürzt zusammen fassen. John Locke malt sich das an zwei sehr verschiedenen Personen/Menschen aus, die Körper und Geist tauschen. Weisen die Szenarien, um die es bei der Frage oben geht, nicht mit dieser Versuchsanordnung von Locke gewisse Ähnlichkeiten auf? Natürlich mit einigen gravierenden Unterschieden: Wir haben es anders als bei Locke nur mit einer Person/einem Menschen zu tun. Und entweder findet sich ein gesunder Geist plötzlich in einem behinderten Körper wieder (etwa nach einem Verkehrsunfall). Oder ein veränderter Geist lebt in dem "selben" Körper weiter (etwa bei Demenz). Wenn ich Locke richtig deute, sollte im ersten Fall (sehr vereinfacht gesagt) die Identität im Grunde gewahrt sein und im zweiten Fall nicht. Ob man dem zustimmen kann? Bei mir sträubt sich da einiges ...
Es ist richtig, dass meine Darstellung vereinfacht ist, worauf ich ja selbst hinweise. Locke will verschiedenes zeigen, nach meiner Einschätzung unter anderem:
Ich denke schon, dass das "irgendwie verständlich" ist. Seine Geschichte ist und bleibt, die die sie war. Er hat dieses Leben geführt, diese Werte vertreten, stand für dieses ein etc. Das sind eben die unabänderlichen Tatsachen. Was fehlt ist seine Fähigkeit, sich weiter als diese Person zu verstehen, weil der Bezug zu sich selbst verloren zu gehen droht.