Sa 22. Jul 2023, 06:32
Ein wichtiger Aspekt, den ich begrüße und akzeptiere, ist die Infragestellung der Dichotomie von Gefühl und Verstand: Der Aha-Moment ist ein „Gefühl des Verstehens“, Verstand und Gefühl spielen zusammen. Das überrascht nur, wenn man sich Vernunft und Gefühl als Gegensätze vorstellt. Emotionen* sind aber selbst eine Form des Verstehens. Das Aha-Erlebnis ist ein Beispiel dafür, es ist eine besondere Form des Verstehens.
Nach der Passage, die ich gerade in eigenen Worten (hoffentlich einigermaßen korrekt) wiedergegeben habe, schreibt Antonia Siebeck: "Um diese Funktion begreifen zu können, hilft es, zunächst einen Blick auf die beiden zentralen Begriffe des Gefühls und des Verstehens zu werfen."
Aber was sind die beiden zentralen Begriffe des Fühlens und des Verstehens? Ich bin mir nicht ganz sicher. Da Siebeck aber im nächsten Absatz den Unterschied zwischen "Wissen" und "Verständnis" erläutert, nehme ich an, dass diese beiden Begriffe gemeint sind. Unter Wissen versteht Siebeck, wenn ich es richtig sehe, in diesem Zusammenhang propositionales Wissen - "wissen, dass p". Verständnis dagegen ist weiter gefasst. Die einzelnen Bausteine des Wissens fügen sich so zu einem kohärenten/stimmigen Ganzen zusammen. So jedenfalls verstehe ich die Passage. Es entsteht ein Netz von Informationen, durch das der verstandene Gegenstand erklärbar wird, heißt es sinngemäß. Welche Rolle dabei die Gefühle spielen, ist mir noch nicht ganz klar. Vielleicht hat es etwas mit dem Gefühl von Kohärenz/Stimmigkeit zu tun?
Der Geistesblitz ist ohne vorhergehende Anstrengungen nicht zu haben. Das ist sicherlich einer der wichtigsten Punkte im Text, oder? Ohne eine intensive Suche, mit allen Ab- und Umwegen gibt es keinen Geistesblitz: "Erst vor dem Hintergrund der aufreibenden Anstrengung, der Frustration durch die immer gleichen gedanklichen Sackgassen, die uns nicht entkommen lassen; erst vor dem Hintergrund der erfolgreichen Leistung, die aus dem Wirrwarr ein kohärentes Informationsnetz werden lässt, wird der emotional erlebte Fund phänomenologisch greifbar." fehlt diese Anstrengung, fehlt auch der Geistesblitz, was Siebeck am Beispiel von Verschwörungstheorien zu zeigen versucht. (Siehe die Passage, die Stefanie zitiert hat.) Wer mogelt, kann mit keinem Aha-Erlebnis rechnen. Das gleiche gilt für die, die unverdrossen an den alten Lösungen festhalten: "Nur wer die Stärke hat, von der mühsam erarbeiteten These zurückzutreten, wer bereit ist, sie als Sackgasse anzuerkennen und sich Neuem zu öffnen, wird durch das Aha-Erlebnis belohnt." Das erinnert mich an das Buch von Carlos Rovelli "Helgoland", das ich vor kurzem gelesen habe - da ging bei der Revolution der Quantenphysik wohl unentwegt darum, alte Bilder hinter sich zu lassen.
Neben der Anstrengung, der Mühsal braucht es aber oft auch die scheinbar "unproduktive Ablenkung - zum Beispiel einen Spaziergang". Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Oft ist das Muster so: Es gibt zunächst eine Phase des Sammelns von Informationen, von Wissen. Aber es fehlt der Überblick, die einzelnen Puzzleteile liegen unverbunden nebeneinander - und dann plötzlich und unerwartet, bei besagtem Spaziergang zum Beispiel, fügt sich alles zu einem Bild zusammen, der Knoten ist geplatzt.
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* Die Ausdrücke Emotion und Gefühl verwende ich hier synonym, ebenso Vernunft und Verstand.