Der Geschmack des Denkens

Hier können Kunstwerke diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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So 3. Feb 2019, 15:06

Ich hab mal Stichproben gemacht, ob es die Bücher wirklich gibt:

"Uses and abuses of psychology"; Hans Jürgen Eysenck
"Changing Children's Behavior"; John D. Krumboltz
"Psychology Today: An Introduction"; Richard R Bootzin (1986)
"Modern Home Medical Adviser: Your Health and how to Preserve it"; Morris Fishbein (1937)

Das ist tatsächlich ein eingeschränktes Programm wie Stefanie oben schon meinte. Man sieht ja jetzt auf den Gesamtfoto auch, dass es vermutlich wirklich nur ein Regal ist. Thema: die Selbstdomestikation des Menschen vielleicht?




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Stefanie
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So 3. Feb 2019, 15:51

Die Bilder im Internet hatte ich mir auch angeschaut.

Wenn ich mir vorstelle, ein Mensch alleine ausschließlich mit dieser Bücherauswahl, das wird ein Psychotripp.
Man kann sich nur mit sich selbst beschäftigen, und bekommt dann dazu auch nur geistjge Nahrung über menschliches Verhalten. Das Denken dreht sich früher oder später nur um einen selbst. Ohne eine Rückkopplung von anderen Menschen.
Ziemlich bitterer Geschmack des Denkens.
Wenn ich mir vorstelle, ich wäre sagen wir mal ein Jahr mit solcher Nahrung...Ich glaube, ich wäre nicht mehr wie vorher, und wie bei der einseitigen Ernährung, wurde ich wohl als nächste Buch eines von Rosamunde Pilcher lesen wollen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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TsukiHana
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So 3. Feb 2019, 16:28

Stefanie hat geschrieben :
So 3. Feb 2019, 15:51
Wenn ich mir vorstelle, ich wäre sagen wir mal ein Jahr mit solcher Nahrung...
Es ist sehr interessant, dass man als Betrachter recht schnell damit beginnt, sich selbst in dieser Zelle vorzustellen.
Man könnte dem Künstler hier fast schon eine Absicht unterstellen, als wollte er den Betrachter dazu bringen sich mit der Insassen-Situation zu identifizieren.

Und wer bestimmt hier eigentlich die Auswahl der Nahrung?
Muss ich alles fressen, was mir da vorgesetzt wird?

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist das auch eine Dose mit "Meditations-Anleitung"...
Papier und Tinte würden mir allerdings fehlen, so ich längere Zeit in diesem Raum verbringen müsste.



Wozu die Tage zählen!?
(Ф.М. Достоевский)

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Stefanie
Beiträge: 7169
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 3. Feb 2019, 18:39

Da kommt doch in einem anderen Thread ein Satz daher, der in die Richtung geht, die mir die ganz Zeit durch den Kopf geht.
Der menschliche Gedanke kann auch lebendig sein. Er kann aber auch intellektualisierend tödlich sein, auch tot bleiben, sich todbringend äußern etwa im politischen Bereich oder der Pädagogik.“
J. Beuys
In früheren totalitären Gewaltherrschaften bestand eine Methode, Menschen zu brechen, darin, sie in Isolation zu halten - kein Gedankenaustausch mit anderen- kaum zu essen also Nahrungsentzug und der Entzug von geistiger Nahrung, also keine Bücher, überhaupt nichts zum lesen. Lebendinge Gedanken waren nicht erlaubt. Viele Häftlinge hatten, um sich am Leben zu halten, Bücher, die sie gelesen hatten, aus dem Gedächtnis heraus rezitiert. Sie hatten sich quasi ein Bücherregal im Kopf geschaffen.

Später wurde in totalitären Systemen vom Staat vorgegeben, was gelesen werden darf, und was damit gedacht werden darf. Hier musste gefressen werden, was einem vorgesetzt wurde. Das bewirkte auch nicht wirklich lebendige eigene Gedanken. Tödlich für eine Gesellschaft, nützlich für die Herrschenden. Ein bitterer Geschmack den Gedanken da erzeugen.

Die Installation ist aus dem Jahr 1995. Die Veränderungen mit den sozialen Medien sind hier wohl noch nicht eingeflossen.
Aber vielleicht zwei Komponenten. Der Künstler kommt aus einem ehemaligen, kommunistischen Ostblockland.
Imre Kertesz beschreibt mehrmals in seinen Büchern, wie es ihm erging, im damaligen Ungarn literarisch eingeschränkt zu sein, zum einem als Künstler selber, wie auch als Bürger, dem nicht alles an Büchern zur Verfügung stand. Dazu noch in einer mini Wohnung, fast wie isoliert von Anderen. Intellektualisierend tödlich. Für den einzelnen, und die Gesellschaft.

Eine andere Komponente ist vielleicht diese. Die Bücher befassen sich hauptsächlich mit Psychologie und den Titel zu folge wohl auch mit Pädagogik. Es sind auch ältere Bücher, und dem Zustand nach, Inhalte und Theorien, die nicht mehr modern sein könnten.
Psychologie und moderne Pädagogik sind junge Disziplinen, denen oft blind gefolgt wurde. Oft auch als intellektuell bezeichnet werden. In der Situation, in denen sie in dieser Installation präsentiert werden, können die Gedanken die in ihnen stehen, und die eigenen Gedanken, die darauf beruhen, nicht hinterfragt werden. Gedanklicher Stillstand, einseitige Ernährung, immer der gleich Geschmack.
Letzendlich keine lebendige Gedanken. Was vermeintlich intellektuell fördern sein soll, bewirkt das Gegenteil.
Intellektualisierend tödlich.
Wenn eine Gesellschaft und deren führende Köpfe an pädagogischen, psychologischen Konzepten festhalten, quasi wie in der Installation keine anderen Einflüsse zulassen, ist das nicht lebendig, und nicht vielfältig.

Weswegen ich auch von witzig auf totalitär umschwenkt.
Wollte ich nur loswerden.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Alethos
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Sa 31. Aug 2019, 15:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 3. Feb 2019, 06:45
Statement des Künstlers:

... Ich nehme an, dass die Leute länger im Raum bleiben und einige der Buchtitel lesen werden, und auf diese Weise werden sie das Gefühl aufnehmen, in den Kopf von jemand anderem zu gehen, der dort lebt.
Stelle mir gerade vor, wie es wohl wäre, wenn man in den Kopf von jemand anderem ginge. Stellen wir seinen Kopf vor als ein Zimmer, in das wir eintreten: Sehen wir da Regale und schön abgepackte Themenblöcke? In Dosen portioniertes Wissen, nach Geschmäckern sortierte, ganz assoziativ zusammengestellte Warengruppen?

Ich meine schon, dass es in meinen Kopf gewisse Gedanken gibt, die einander näher sind als anderen. Sie teilen sich in gewissem Sinne ein Regal :)



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Alle lächeln in derselben Sprache.

Timberlake
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Do 16. Mär 2023, 23:23

Alethos hat geschrieben :
Sa 31. Aug 2019, 15:21
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 3. Feb 2019, 06:45
Statement des Künstlers:

... Ich nehme an, dass die Leute länger im Raum bleiben und einige der Buchtitel lesen werden, und auf diese Weise werden sie das Gefühl aufnehmen, in den Kopf von jemand anderem zu gehen, der dort lebt.
Stelle mir gerade vor, wie es wohl wäre, wenn man in den Kopf von jemand anderem ginge. Stellen wir seinen Kopf vor als ein Zimmer, in das wir eintreten: Sehen wir da Regale und schön abgepackte Themenblöcke? I
  • Strukturmodell der Psyche ..
    Das Strukturmodell der Psyche oder Drei-Instanzen-Modell ist ein von dem österreichischen Tiefenpsychologen Sigmund Freud beschriebenes Modell der Psyche des Menschen, bestehend aus drei Instanzen mit unterschiedlichen Funktionen: das „Es“, das „Ich“ und das „Über-Ich“.
    Freud arbeitete dieses topische Modell erstmals 1923 in seiner Schrift Das Ich und das Es aus (siehe dort zur Entwicklung dieses Instanzenmodells). Das Modell wird auch als zweite Topik oder zweites topisches Modell bezeichnet.
Wenn es denn nach dem Strukturmodell der Psyche von Freud geht , dann sehen wir da allerdings nur drei Regale bzw. drei schön abgepackte Themenblöcke.
Stefanie hat geschrieben :
Do 31. Jan 2019, 19:17
Mich erinnert das mehr an ein Vorratsregal, in dem zu denkende Inhalte stehen. Dabei ist das Angebot doch etwas einseitig, weshalb es so vor sich hin steht, und nicht mehr genutzt wird.
  • Der Grund
    Der Grund hat noch keinen an und für sich bestimmten Inhalt, noch ist er Zweck, daher ist er nicht tätig noch hervorbringend, sondern eine Existenz geht aus dem Grunde nur hervor. Der bestimmte Grund ist darum etwas Formelles, irgendeine Bestimmtheit, insofern sie als bezogen auf sich selbst, als Affirmation gesetzt wird, im Verhältnis zu der damit zusammenhängenden unmittelbaren Existenz.
    Hegel .. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
... zu denkende Inhalte , bei denen ich übrigens .. " weil etwas Formelles, im Grund (Hegel) " .. nicht davon ausgehen würde , dass sie nicht mehr genutzt werden , ganz im Gegenteil.




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