Scobel über Komplexität

Hier werden Vorträge diskutiert, die online als Video verfügbar sind.
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Jörn Budesheim
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So 23. Jul 2023, 17:36

sybok hat geschrieben :
So 23. Jul 2023, 12:37
Mir persönlich gefiele Spontaneität hier nicht wirklich, dahinter steckt aus meiner Sicht vorwiegend eine zeitliche Eigenschaft, aber keine bei der es wirklich um den Mechanismus als Funktion eines Anfangszustandes eines Systems geht. Aber eben, scheint mir halt auch eine Frage, wie man die Begriffe genau versteht - kann man sicher drüber streiten.
Ich schaue mir gerade das Video mit dem jungen Scobel an, das 1+1=3 gepostet hat, und obwohl ich erst bei Minute 15 bin habe ich das gefühlte Gefühl, dass der Begriff "spontan" schon ein halbes Dutzend Mal gefallen ist :) jetzt müsste man wahrscheinlich tatsächlich mal genauer darüber streiten, was damit eigentlich gemeint ist.




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Jörn Budesheim
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So 23. Jul 2023, 17:57

In dem Video Nr. 2 über Selbstorganisation gibt es etwa bei Minute 17 oder 18 zwei Beispiele für reduktive Erklärungen. Das Verhalten von Menschen in der Großstadt bei Fußgängerströmen. Und Vogelschwärme.

So wie das erklärt wurde, natürlich ziemlich knapp, würde ich meinerseits nicht von reduktiven Erklärungen sprechen. Denn die "letzten Elemente" der Erklärungen waren die einzelnen Menschen bzw. die einzelnen Vögel. Eine reduktive Erklärung wäre für mich eine, die sich auf die subatomaren Teilchen innerhalb jedes beteiligten Systems bezieht. Das würde ich gerne gezeigt bekommen. Auch wenn jeder einzelne Vogel im Schwarm da ist, wo der Schwarm ist, sollte es für die Atome, Moleküle oder Zellen im eben anders sein, die sind da, wo der Vogel ist, schätze ich.

Das Verhalten der Menschen ist auch nach der Erklärung, die gegeben wurde, keineswegs reduktiv, denn die Distanzen, die die Menschen einhalten, sind (auch) kulturell und historisch bedingt und nicht durch die Atome der Beteiligten.

Und überhaupt: wenn Information, so wie es in den ersten Video von Scobel heißt, ein intrinsischer Aspekt der komplexen Systeme ist, dann ist doch allein schon deshalb reduktive Erklärung ausgeschlossen, oder? (Das kommt dann ungefähr ab Minute 30)

Das ist jetzt von mir ziemlich aus der Hüfte geschossen, frei Schnauze, mag sein, dass da viel Unsinn dabei ist. Ich bin auch erst bei Minute 30 :)

Ca. Minute 41: Information ist der Schlüsselbegriff der modernen Biologie.




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Quk
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So 23. Jul 2023, 20:59

Hier ein paar meiner Gedanken zu Seite 1 dieses Fadens. (Seite 2 habe ich noch nicht vollständig gelesen.)



Jörn schrieb: "Ich war an dieser Stelle eher erstaunt und überrascht. Warum muss die Vielfalt der Wirklichkeit in ihrer Einheit verstanden werden, warum kann sie nicht als Vielfalt bestehen bleiben?"

Da war ich auch erstaunt. Dann erklärte ich mir das so: Mit "Einheit" meint Scobel vielleicht den "einheitlichen" Typ mehrerer, ähnlicher Dinge, wie etwa den Typ "Virus XY". Jeder Virus XY ist komplex; dessen Verhalten ist nicht vollständig vorhersehbar. Außerdem ist jeder Virus XY zu einem gewissen Grad individuell. So haben wir sowohl eine unvollständige Totale in dessen Vielfalt als auch eine unvollständige Totale in seiner Einheit. In dieser Dämmerung zwischen "Vielfalt" und "Einheit" fallen dann wohl solche vermeintlich paradoxen Sätze wie der von Scobel. Der Satz will wahrscheinlich sagen, dass dieses Paradoxon aufgelöst werden könne, indem man verstünde, dass hinter diesem Paradoxon eine Komplexität stecke und keine Linearität. In einer Komplexität sei sowas nämlich nicht paradox, sondern plausibel.



Ab 9:20 sagt Scobel:
"Ein Lebewesen, das sich nur auf eine einzige Art und Weise verhalten kann, wird aussterben, wenn sich seine Umwelt massiv ändert."

Dieser Aussage stimme ich zu und wende sie auch auf politische Systeme an, die ja auch mehr oder weniger komplex sind. Beispielweise sage ich, dass konservativ-totalitäre Systeme keine lange Lebenserwartung haben (siehe 1933-1945) gerade weil sie unterkomplex sind; sie sind geschlossen inzestös und vergiften sich durch ihr eigenes Gift, nämlich durch ihre lineare Starrheit, welche durch die flexible, unaufhaltsame Dynamik der Umwelt zertreten wird. So werden wohl auch Gruppen wie die AfD und dergleichen durch ihre eigene Unterkomplexität schneller eingehen als jede aufgeschlossene, dynamische Gruppe. Das gibt angesichts der aktuellen weltweiten rechten Zunahme wenigstens ein bisschen Hoffnung.

Ebenso instabil, wie Scobel andeutete, ist natürlich deren Gegenteil: Das totale Anti-Konservative, das kritiklos jedwede Neuheit annimmt und selbige Neuheit nicht konserviert, weil jede Konserve sofort Langeweile auslöst. Dieses System ist dann das totale Chaos als Gegenteil zur totalen Starrheit. Das überlebensfähige Komplexe liegt offensichtlich dazwischen. Die Lotterie der Evolution scheint in der Mitte hin und her zu pendeln, um stets das überlebensfähigste Mittelmaß zu überprüfen. Derzeit pendelt es wohl ein bisschen nach rechts. Hoffentlich kommt es bald zurück.



Zu den Begriffen "Zufall" und "Spontaneität":

"Kontingenz" würde ich das nicht nennen, weil ich darunter eine "Auswahl von festgelegten Optionen" verstehe.

Unter "Zufall" verstehe ich ein ursachenloses Ereignis. So einem Ereignis geht kein Anstoß voraus. In der Alltagssprache benutze ich das Wort "spontan" in Fällen, wo ich etwas planlos mache, also ohne Anstoß, ohne Überlegung. Ob dem wirklich keine Ursache vorausgeht, ist dann eher eine wissenschaftliche Frage als eine Alltagsfrage. Sicherlich hat da vorher ein Neuron geblitzt. Deshalb würde ich da auch eher das Wort "spontan" verwenden als "zufällig". Im wissenschaftlichen Kontext würde ich beide Wörter synonym verwenden. Aber vielleicht sehe ich das morgen anders.



Übrigens: Es ist ja bereits bekannt, dass "komplex" etwas anderes bedeutet als "kompliziert". Demnach muss ein komplexes System nicht notwendig aus einem komplizierten Gebüsch bestehen, um darin gewisse Ursachen zu verbergen und somit Ereignisse nur scheinbar ursachenlos darzustellen. Die Ursachenlosigkeit benötigt kein Gebüsch. Schon ein ganz unkompliziertes System kann einen Zufall generieren; wenn sich etwa ein Elementarteilchen spontan loslöst. Da ist dann nur ein System aus zwei Teilen und ein paar Kräften. Ganz überschaubar unkompliziert. Aber komplex. Damit will ich sagen, dass womöglich nicht das komplexe System an sich den Zufall erzeugt -- das wäre ja auch wiederum kausal -- sondern dass der Zufall etwas auf der von Scobel genannten Zutatenliste sein könnte, neben Emergenz, Dynamik und so weiter. Der Begriff "Komplexität" erzeugt seine Zutaten wohl nicht selbst, sondern der Begriff ist nur ein Versuch, die Sache einigermaßen sprachlich zu vereinheitlichen, was ja niemals in der Totalen möglich ist. Oder doch?




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Jörn Budesheim
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Mo 24. Jul 2023, 08:20

Nur kurz dazu, andere Aspekte kommen später. Den Begriff "Kontingenz" verwende ich anders, deine Verwendung ist mir nicht geläufig. Kontingent ist - in der Verwendung des Begriffs, die mir vorschwebt - etwas, das nicht notwendig, aber doch möglich ist.

Aber egal, ich habe heute einen anderen Vorschlag. Wenn etwas spontan auftaucht (emergiert), dann deshalb, weil es sich nicht nach den bisher geltenden Naturgesetzen abgespielt hat, sondern weil ein neues Naturgesetz entstanden ist. Das heißt, wenn man die Zeit zurückdrehen würde, würde es genau so wieder passieren. Es ist also kein Zufall. Möglicherweise ist es aber kontingent (in meinem Sinne), weil es nach den bis dahin geltenden Naturgesetzen nicht notwendig war.

Klingt seltsam, ist es vielleicht auch. Ich muss einfach mal sehen, was die einschlägige Literatur dazu sagt.




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Mo 24. Jul 2023, 15:00

Kontingent heißt aber doch im allgemeinsten Sinne soviel wie zufällig!?

An einer Stelle im zweiten Video sprach doch Küppers sinngemäß davon, dass Information, wenn ich mich richtig erinnere, sich zufällig, kontingent und arbiträr zu dessen "Träger" (mein Wort) verhalte. Also die Bedeutungsebene nicht "automatisch" aus den "darunterliegenden Seinsebenen" vorhersagbar ist, oder so. (Ich muss mal sehen, ob ich's wiederfinde.)




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Jörn Budesheim
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Mo 24. Jul 2023, 15:26

1+1=3 hat geschrieben :
Mo 24. Jul 2023, 15:00
zufällig, kontingent und arbiträr
Ich erinnere mich an die Passage, weil mich die Gleichsetzung der drei Begriffe überrascht hat :-) In dem Zusammenhang ging um den Unterschied zwischen Syntax und Semantik, wenn ich mich nicht irre.




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Quk
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Mo 24. Jul 2023, 16:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 24. Jul 2023, 08:20
Wenn etwas spontan auftaucht (emergiert), dann deshalb, weil es sich nicht nach den bisher geltenden Naturgesetzen abgespielt hat, sondern weil ein neues Naturgesetz entstanden ist. Das heißt, wenn man die Zeit zurückdrehen würde, würde es genau so wieder passieren. Es ist also kein Zufall. Möglicherweise ist es aber kontingent (in meinem Sinne), weil es nach den bis dahin geltenden Naturgesetzen nicht notwendig war.
Ist das dann aber nicht einfach nur eine Verschiebung des Problems um eine Stufe zurück, ohne das Problem an sich zu lösen? Die akausale Entstehung eines neuen Naturgesetzes ist ja -- Tautologie -- akausal. Wenn das durch das neue Naturgesetz verursachte Ereignis nicht akausal ist, so war zumindest das Naturgesetz-Entstehungs-Ereignis akausal.

Egal, wie wir es nennen -- zufällig, spontan, kontigent, arbiträr, akausal --, ich bin momentan der Ansicht, dass so ein Ereignis wahrlich durch und durch, unwiederholbar ursachenfrei sein muss, andernfalls ist es ein ganz normales, deterministisches Ereignis wie im Schachspielregelwerk.




1+1=3
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Mo 24. Jul 2023, 18:04

Aber die ("spontane"? Schon eher "instantane, schlagartige, sprunghafte" usw. - die Natur macht eben doch Sprünge: qualitative, etwa wenn "Quantität in Qualität umschlägt", wenn gewisse [defgem. kritische] "Schwellenwerte" überschritten werden... - ) Entstehung eben komplexerer Zustände als die vorhergehenden ist doch alles andere als akausal (oder indeterministisch). Eben basalere "Zustände" werden so lediglich "überformt" durch die zusätzlichen Spezialbestimmungen (oder "Eigengesetzlichkeiten" - die "die Naturgesetzlichkeiten" transzendieren und, wie unten hier gerade dargestellt, sogar regelrecht "benutzen" usf.) der neu entstehenden übergeordneten Ebene - und entsprechend integriert/"eingemeindet"/"in Dienst gestellt" etc. von besagter neuen Ebene. So werden weder irgendwelche "Naturgesetze" verletzt oder gar gebrochen - ganz im Gegenteil... - , noch ist dafür eine Art "Indeterminismus" als (Vor-)Bedingung notwendig. Und darum ist's auch "ohne Weiteres" kompatibel (von wegen "Kompatibilismus").




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Quk
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Mo 24. Jul 2023, 18:16

Wenn es egal ist, ob der Sprung akausal ist, was ist dann das Besondere an einem Sprung in einem komplexen System im Gegensatz zu einem Sprung in einem nichtkomplexen System? Ist es die Unregelmäßigkeit? Wenn ja, wenn es eine echte Unregelmäßigkeit ist, dann haben wir damit wieder die Nichtdeterminiertheit, oder?

Wie entsteht Vielfalt, wenn der Ursprung niemals etwas Neues generiert? Ich meine, jedes Neue ist ein kleiner Urknall. Sonst wäre es nicht neu, sondern die Folge einer Regelmäßigkeit. Regel-Mäßigkeit ist deterministisch, denke ich.




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Quk
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Mo 24. Jul 2023, 19:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Jul 2023, 08:33
Unvorhersehbarkeit
Komplexe Systeme können vorhersehbar sei[n], selbst wenn alle Informationen zur Verfügung stünden. An dieser Stelle war mir nicht ganz klar, ob die Unvorhersehbarkeit epistemisch ist oder ontologisch/intrinsisch.
Fehlt da irgendwo das Wort "nicht"? (a) oder (b)?

(a) "Komplexe Systeme können nicht vorhersehbar sein, selbst wenn alle Informationen zur Verfügung stünden."
(b) "Komplexe Systeme können vorhersehbar sein, selbst wenn nicht alle Informationen zur Verfügung stünden."

Noch ein Gedanke:
Reden wir über Information, welche von außen in das komplexe System geführt wird?
Oder reden wir über Information, welche das komplexe System selbst neu generiert?




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Jörn Budesheim
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Mo 24. Jul 2023, 19:28

Quk hat geschrieben :
Mo 24. Jul 2023, 19:00
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Jul 2023, 08:33
Unvorhersehbarkeit
Komplexe Systeme können vorhersehbar sei[n], selbst wenn alle Informationen zur Verfügung stünden. An dieser Stelle war mir nicht ganz klar, ob die Unvorhersehbarkeit epistemisch ist oder ontologisch/intrinsisch.
Fehlt da irgendwo das Wort "nicht"? (a) oder (b)?

(a) "Komplexe Systeme können nicht vorhersehbar sein, selbst wenn alle Informationen zur Verfügung stünden."
(b) "Komplexe Systeme können vorhersehbar sein, selbst wenn nicht alle Informationen zur Verfügung stünden."
Ich vermute es fehlt ein "un" :) Komplexe Systeme können unvorhersehbar sei[n], selbst wenn alle Informationen zur Verfügung stünden. Das wäre dann (a).

Zu dem nächsten Punkt kann ich auf die Schnelle nichts sagen, da müsste ich erst drüber nachdenken, außerdem bin ich mir nicht ganz sicher ob ich es verstehe.

Wie auch immer: danke, ich trage es oben nach.




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Mo 24. Jul 2023, 19:57

Quk hat geschrieben :
Mo 24. Jul 2023, 18:16
Wenn es egal ist, ob der Sprung akausal ist, was ist dann das Besondere an einem Sprung in einem komplexen System im Gegensatz zu einem Sprung in einem nichtkomplexen System? Ist es die Unregelmäßigkeit? Wenn ja, wenn es eine echte Unregelmäßigkeit ist, dann haben wir damit wieder die Nichtdeterminiertheit, oder?

Wie entsteht Vielfalt, wenn der Ursprung niemals etwas Neues generiert? Ich meine, jedes Neue ist ein kleiner Urknall. Sonst wäre es nicht neu, sondern die Folge einer Regelmäßigkeit. Regel-Mäßigkeit ist deterministisch, denke ich.
Das "nichtvorgesehene" Zusammentreffen der (zunächst naturgemäß nur potenziellen) Komponenten des späteren, daraus bestehenden usw. Systems ist zufällig - aber keineswegs akausal. D.h. die besagten einzelnen (späteren) Komponenten sind für sich genommen kausal, deren Zusammentreffen nicht unbedingt. Letztere "Unregelmäßigkeit" sorgt für das Neue (oder den zusätzlich-neuen "qualitativen Urknall"). Sie ist quasi "ein Engriff von außen" (ein "deus ex machina" einer zusätzlich-neuen [!] Einflussnahme). Und STEIGERT damit das "allgemeine Determinationsgefüge" des betreffenden "Falles" noch - was eben einer Steigerung der Komplexität gleichkommt! (U./o. einem ABBAU voriger Freiheitsgrade! Deswegen hat Komplexitätszuwachs nicht nur keinen Indeterminismus zur Voraussetzung. Umgekehrt stellt der o.g. "Zufall" selbst eine - eben weitere - Determination dar. Komplexer bedeutet, es sind MEHR Bestimmungen im Spiel... Eine Art "[über-]determinierter [mal x] Determinismus" liegt hier vor.)




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Mo 24. Jul 2023, 21:23

Dann reden wir also über zufällige Information, welche von außen in das komplexe System geführt wird.

Wann diese Information in das komplexe System geführt wird, mag zufällig sein, und die Art der Information ebenso. Aber wie das komplexe System auf diesen Input reagiert, sei vorhersehbar, also mit einer bestimmten Kausalkette folgend.

Siehst Du das so?


Was meint dann Scobel bei 18:55 mit "Unvorhersehbarkeit"?
Unvorhersehbar, weil zu kompliziert für das menschliche Hirn?
Oder unvorhersehbar, weil tatsächlich akausale Ereignisse im System vorkommen?
Oder unvorhersehbar, weil wir die Inputs als unvorhersehbar annehmen (in dieser Diskussion)?




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Jörn Budesheim
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Di 25. Jul 2023, 07:49

Ich hab die Frage etwas umformuliert und unter das Video gepostet :-)

Was genau ist bei 18:55 mit "Unvorhersehbarkeit" gemeint? Unvorhersehbar, weil es für uns zu kompliziert ist? (Könnte ein allwissender Gott es vorhersehen?) Oder unvorhersehbar, weil es tatsächlich akausale Ereignisse im System gibt? Also: epistemische oder ontologische Unvorhersehbarkeit?




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Quk hat geschrieben :
Mo 24. Jul 2023, 16:01
Egal, wie wir es nennen -- zufällig, spontan, kontigent, arbiträr, akausal --, ich bin momentan der Ansicht, dass so ein Ereignis wahrlich durch und durch, unwiederholbar ursachenfrei sein muss, andernfalls ist es ein ganz normales, deterministisches Ereignis wie im Schachspielregelwerk.
Warum unwiederholbar? Warum ist das wichtig?

Wenn aus dem alten Schachspielregelwerk ein neues aufpoppt und sich damit spontan/akausal (nach den alten Regeln gerechnet) ein neues Regelwerk etabliert, wenn es also einen echten Sprung gibt, den das alte Regelwerk nicht vorsah, dann würde ich von starker Emergenz auch dann sprechen, wenn das im Weltenlauf an dieser Stelle immer (=wiederholt) geschehen würde.




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Eiwa hat geschrieben :
Fr 21. Jul 2023, 20:50
Komplexität ist für mich etwas, was mir im Denken sehr oft Grenzen aufweist.
Das ist ein wichtiger Punkt. Komplexität ist etwas, was unserem Denken sehr oft Grenzen setzt. Deshalb kommen wir in der regel ohne Komplexitätsreduktion nicht durch die Realität. Ist Komplexitätsreduktion nicht vielleicht ein generelles Merkmal von komplexen Systemen schlechthin, weil sie alle offen sind und im Austausch mit ihrer Umwelt stehen, ohne deren Komplexität quasi 1:1 "aufnehmen" zu können?




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Jörn Budesheim
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sybok hat geschrieben :
So 23. Jul 2023, 12:37
das 3 Körperproblem

Ich hab leider nicht die geringste Ahnung, wie seriös das ist. Außerdem fehlt mir selbst das entsprechende Instrumentarium, um das meiste davon zu verstehen. "Lustig" fand ich es trotzdem :-)




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Di 25. Jul 2023, 12:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Jul 2023, 08:43
Ich hab leider nicht die geringste Ahnung, wie seriös das ist. Außerdem fehlt mir selbst das entsprechende Instrumentarium, um das meiste davon zu verstehen. "Lustig" fand ich es trotzdem :-)
Random walks (ich finde eigentlich den deutschen Begriff sehr schön: "Irrfahrten" :) ) sind nach meinem Geschmack ein bisschen sehr "blumig" beschrieben, aber sähe sonst nach meinem unmassgeblichen Urteil gut aus. Mein Eindruck ist allerdings, dass im Video es so dargestellt wird, als sei es ein offenes Problem. Ich war mir eigentlich sicher, dass es, beweisbar, analytisch nicht gelöst werden kann. Hab kurz auf Wiki "gegengecheckt" und dort heisst es, dass man es nicht mit elementaren Funktionen lösen kann - meine Aussage war also ein Tick zu scharf (man kann es scheinbar etwa mit Potenzreihen lösen), ein völlig offenes Problem, wie meinem Eindruck nach im Video dargestellt, is es aber nicht.

Kurzes OT:
Es gibt übrigens einen Roman "The Three-Body Problem von einem chinesischen Autor Liu Cixin (fand ich super). Man findet sogar ein Hörbuch auf Deutsch auf youtube Die drei Sonnen - Hörspiel - Die Trisolaris-Trilogie Band 1 und Netflix will in nächstens sogar eine Serie bringen 3 Body Problem | Official Teaser | Netflix :)




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Di 25. Jul 2023, 13:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Jul 2023, 07:49
Ich hab die Frage etwas umformuliert und unter das Video gepostet :-)

Was genau ist bei 18:55 mit "Unvorhersehbarkeit" gemeint? Unvorhersehbar, weil es für uns zu kompliziert ist? (Könnte ein allwissender Gott es vorhersehen?) Oder unvorhersehbar, weil es tatsächlich akausale Ereignisse im System gibt? Also: epistemische oder ontologische Unvorhersehbarkeit?
Ich würde sagen, dass das kompliziert ist und ein wenig von der Modellierung und den herangezogenen physikalischen und informationstheoretischen Theorien abhängt.

Nimmt man etwa ein Doppelpendel als eines der simpelsten komplexen Systemen. Nehmen wir im Stil eines Gedankenexperimentes an, es sei sozusagen perfekt isoliert und perfekt sensibel (keine Reibungen, Luftstösse, Wärmeströme und solche Geschichten) und nehmen wir an, wir würden es in den metastabilen Zustand bringen - also die beiden Pendel senkrecht "nach oben" aufstellen - dann könnte man keine Vorhersage machen: Es gibt so Argumentationen, wo man mit der Unschärferelation kommt, also ontologisch, auch ein "allwissender Gott" könnte dann keine Vorhersage machen: Wir hätten - "perfekt sensibel im metastabilen Gleichgewicht" - jedes einzelne Teilchen, die kleinsten Energieverteilungen, perfekt bezüglich Ort auf diesen metastabilen Zustand hin ausbalanciert, wegen Heisenberg könnten wir dann aber die Impulse nicht kennen und demnach die Bewegung des Pendels auch nicht vorhersagen.




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Quk
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Jul 2023, 08:08
Warum unwiederholbar? Warum ist das wichtig?
Ich denke an folgendes:

Eine Geschichte wird unter bestimmten Bedingungen gestartet, und all ihre Ereignisse werden notiert.
Derselbe Start wird nochmal ausgeführt; dieselbe Geschichte läuft ab. Man erkennt, dass die selben Ereignisse stattfinden.
Die Geschichte wird weiterhin wiederholt, und sie ist jedes Mal dieselbe. Sie ist vorhersehbar. Daraus lässt sich eine determinierte Regel schließen, die solange gilt, bis sie bricht. Es geht mir bei dieser Idee nur ums Prinzip der exakten Wiederholung, nicht um die Frage, ob die Wiederholung tatsächlich epistemisch oder ontologisch exakt erfolgt. Solange die Regel nicht bricht, ist die Geschichte kausal. Soweit mein Gedanke dazu.




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