Wir sind nicht unser Gehirn

Hier werden Vorträge diskutiert, die online als Video verfügbar sind.
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 24. Jun 2023, 08:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 23. Jun 2023, 19:01
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Jun 2023, 20:29
Carlos Rovelli, Helgoland hat geschrieben : Die Welt, die wir beobachten, ist beständiges Wechselwirken. Sie ist ein dichtes Netz aus Wechselwirkungen. Die Objekte sind durch die Art gekennzeichnet, auf die sie miteinander wechselwirken ...
Etwas ganz ähnliches sagt der Hirnforscher in dem Video des Ausgangs-Beitrags. Sinngemäß sagt er, dass es kaum noch wissenschaftliche Artikel gibt, die von den Funktionen einzelner Areale sprechen, denn man weiß mittlerweile, dass das Gehirn so ähnlich wie ein Netzwerk funktioniert.
Wörterbuch der philosophischen Begriffe hat geschrieben : Substanz: ... Die für die neuzeitl. Philosophie wichtigsten Definitionen der S. sind die von R. Descartes (Principia I 51): »Unter S. können wir nur ein Ding verstehen, das so existiert, daß es zu seiner eigenen Existenz keines anderen Dinges bedarf« und von B. Spinoza (Ethica I, Def. 3): »Unter S. verstehe ich das, was in sich ist und durch sich begriffen wird, d. h. das, dessen Begriff, um gebildet werden zu können, des Begriffs eines anderen Dinges nicht bedarf«...
Gemäß einem sehr weit verbreiteten Verständnis ist also eine Substanz etwas, was in sich besteht, was gewissermaßen auch ganz alleine für sich bestehen könnte. Dementsprechend könnte man sagen, dass Rovellis Sichtweise der physikalischen Welt eine Absage an jede Form von Substanzmittelphysik darstellt. Die Dinge bestehen gemäß dieser Sichtweise nicht "in sich" sondern nur innerhalb von Netzen.
Rovelli hat geschrieben : ... Die sich daraus ergebende Welt ist ausgedünnt; eine Welt, in der es anstatt unabhängiger Gebilde mit festen Eigenschaften nur Entitäten gibt, die Eigenschaften und Merkmale nur in Bezug auf andere und diese auch nur dann haben, wenn sie mit ihnen wechselwirken. Ein Stein hat keine Position an sich: Er hat eine Position nur in Bezug auf den anderen Stein, den er anstößt. Der Himmel hat keine Farbe an sich: Er hat eine Farbe in Bezug auf mein Auge, das ihn betrachtet. Ein Stein erstrahlt nicht am Himmel als ein unabhängiges Gebilde: Er ist ein Knoten in einem Netz aus Wechselwirkungen, das die Galaxie bildet, in der er beheimatet ist...

Die Welt der Quanten ist folglich luftiger als die von der alten Physik erdachte, sie besteht allein aus Wechselwirkungen, Geschehnissen, diskontinuierlichen Ereignissen ohne Beständigkeit ...
Wenn man diese Sichtweise ein wenig wirken lässt, dann verschwinden also die Substanzen und an ihre Stelle treten Knoten in Netzwerken. Das hat natürlich erhebliche Konsequenzen für die Frage, was ein Gehirn ist und was ein Ich ist. Man müsste sich dann fragen, was für ein Netzwerk ein Gehirn ist und in welches Netzwerk man sich "einklinken" muss, um es zu verstehen, und dasselbe gilt natürlich auch für das Ich.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 24. Jun 2023, 08:53

Timberlake hat geschrieben :
Fr 23. Jun 2023, 19:17
Eine wunderbare Diskussion, die so neu nicht ist ...
Schaut man sich das Video an, wird man feststellen dass die Diskussion vergleichsweise neu ist. Der "Vorläufer" des Gehirns (in Bezug auf unsere Fragestellung) waren die Gene, so dass "man" glaubte, wir seien unsere Gene.




Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 24. Jun 2023, 11:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 08:53
Timberlake hat geschrieben :
Fr 23. Jun 2023, 19:17
Eine wunderbare Diskussion, die so neu nicht ist ...
Schaut man sich das Video an, wird man feststellen dass die Diskussion vergleichsweise neu ist. Der "Vorläufer" des Gehirns (in Bezug auf unsere Fragestellung) waren die Gene, so dass "man" glaubte, wir seien unsere Gene.
Ich verstehe nicht, warum du es "wir sind" nennst.
Natürlich sind wir nicht unser Gehirn wie auch nicht unsere Gene. Aber beides sind zentrale Grundlagen unserer Existenz.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 24. Jun 2023, 11:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 08:28
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 23. Jun 2023, 19:01
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Jun 2023, 20:29
Etwas ganz ähnliches sagt der Hirnforscher in dem Video des Ausgangs-Beitrags. Sinngemäß sagt er, dass es kaum noch wissenschaftliche Artikel gibt, die von den Funktionen einzelner Areale sprechen, denn man weiß mittlerweile, dass das Gehirn so ähnlich wie ein Netzwerk funktioniert.
Das sehe ich auch so.
Wörterbuch der philosophischen Begriffe hat geschrieben : Substanz: ... Die für die neuzeitl. Philosophie wichtigsten Definitionen der S. sind die von R. Descartes (Principia I 51): »Unter S. können wir nur ein Ding verstehen, das so existiert, daß es zu seiner eigenen Existenz keines anderen Dinges bedarf« und von B. Spinoza (Ethica I, Def. 3): »Unter S. verstehe ich das, was in sich ist und durch sich begriffen wird, d. h. das, dessen Begriff, um gebildet werden zu können, des Begriffs eines anderen Dinges nicht bedarf«...
Gemäß einem sehr weit verbreiteten Verständnis ist also eine Substanz etwas, was in sich besteht, was gewissermaßen auch ganz alleine für sich bestehen könnte.
Was heißt aber "ganz alleine für sich bestehen"? Ein totes Gehirn besteht (ggf.) für sich, ein lebendiges nicht? Ein Kind, dass von Eltern abhängig ist, besteht nicht für sich? Ist das wirklich so gemeint?
Ich sehe es anders: Ein (materieller) Gegenstand existiert einfach substanziell, entsprechend einzelner Moleküle u.ä. Dass diese durch (äußere) Einflüsse, verändert werden können, sollte hier keine Rolle spielen, genauso wenig, dass sie natürlich nicht alleine in unserer Welt sind und z.B. "Nachbarn" zur Vernetzung haben.
Dementsprechend könnte man sagen, dass Rovellis Sichtweise der physikalischen Welt eine Absage an jede Form von Substanzmittelphysik darstellt. Die Dinge bestehen gemäß dieser Sichtweise nicht "in sich" sondern nur innerhalb von Netzen.
Wie gesagt, ich sehe es anders, s.o.
Rovelli hat geschrieben : ... Die sich daraus ergebende Welt ist ausgedünnt; eine Welt, in der es anstatt unabhängiger Gebilde mit festen Eigenschaften nur Entitäten gibt, die Eigenschaften und Merkmale nur in Bezug auf andere und diese auch nur dann haben, wenn sie mit ihnen wechselwirken. Ein Stein hat keine Position an sich: Er hat eine Position nur in Bezug auf den anderen Stein, den er anstößt. Der Himmel hat keine Farbe an sich: Er hat eine Farbe in Bezug auf mein Auge, das ihn betrachtet. Ein Stein erstrahlt nicht am Himmel als ein unabhängiges Gebilde: Er ist ein Knoten in einem Netz aus Wechselwirkungen, das die Galaxie bildet, in der er beheimatet ist...

Die Welt der Quanten ist folglich luftiger als die von der alten Physik erdachte, sie besteht allein aus Wechselwirkungen, Geschehnissen, diskontinuierlichen Ereignissen ohne Beständigkeit ...
Wenn man diese Sichtweise ein wenig wirken lässt, dann verschwinden also die Substanzen und an ihre Stelle treten Knoten in Netzwerken.
Diese "Knoten in Netzwerken", z.B. Steine, sind gerade die Substanz. Auf menschlicher Ebene bleibt ein Mensch ein Mensch, auch wenn er in einem Netzwerk lebt, genau wie ein Stein ein Stein bleibt.
Das hat natürlich erhebliche Konsequenzen für die Frage, was ein Gehirn ist und was ein Ich ist. Man müsste sich dann fragen, was für ein Netzwerk ein Gehirn ist und in welches Netzwerk man sich "einklinken" muss, um es zu verstehen, und dasselbe gilt natürlich auch für das Ich.
Um mal eher deine Idee (möglicherweise?) weiterzuspinnen: Möchtest du, dass unser Gehirn Teil eines "weltweiten Gehirn" ist, das in ein einziges großes Netzwerk eingebunden ist, also es keine Persönlichkeiten einzelner Menschen gibt?



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 24. Jun 2023, 11:48

Steinmetz hat geschrieben :
Fr 23. Jun 2023, 23:10
Ich würde Software nicht unbedingt als Nichtmateriell bezeichnen. Eine Kugel in einer Kugelbahn ist auch Materie in Verbindung mit Schwerkraft. Der Kugel wird dabei aber nicht schwindelig. Sie wird auch keine Gewissensbisse haben wenn sie Losrollt. Wenn alles physikalisch erklärbar ist, dann bräuchte es doch diesen ganzen Erlebensquatsch, den wir jeden Moment unseres Lebens durchmachen gar nicht. Warum ist er dann da?
Der "Erlebensquatsch" ist da, weil wir Menschen sind :)
Oder meinst du eine philosophische(re) Einstellung des Erlebens?
Ach ja, eine Kugel ist kein Mensch, der nicht schwindelig werden oder die Gewissensbisse haben kann ;)

"physikalisch erklärbar": Meinst du rein theoretisch oder praktisch? Letzteres scheitert an viel zu hoher Komplexität.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1294
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Sa 24. Jun 2023, 12:28

Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 11:48
Der "Erlebensquatsch" ist da, weil wir Menschen sind :)
Menschen zeichnet es aus, dass sie Erlebnisse haben. Das gibt dem Leben eine zusätzliche Qualität, die eine KI möglicherweise nie haben wird. Oder sicher nicht in der Art wie Menschen.
Die Software besteht aus einer Reihe von Befehlen, die der Computer nacheinander ausführt. Auch wir Menschen arbeiten oft Programme ab im Alltag. Aus dem einfachen Grund, weil wir nicht beliebig viel gleichzeitig machen können. Sondern eins nach dem anderen. Die Software ist ja physisch auf einer Festplatte gespeichert. Aber sie ist nicht materiell, wenn das Programm einmal ausgeführt wird. Das Programm macht Entscheidungen, führt gewisse Codeblöcke viele Male nacheinander aus, wartet auf Input vom Benutzer, macht eine Ausgabe am Bildschirm oder Drucker. Im Prinzip werden Milliarden von Schaltern dauernd ein- und ausgeschaltet, die logisch miteinander verknüpft sind. Ich denke, unser Gehirn funktioniert wenigstens zum Teil gleich. Jedenfalls deutet die Struktur der Synapsen darauf hin, dass es so ist.
Es ist bekannt, dass eine Synapse auf Input wartet und je nachdem feuert oder nicht, also ein Output erzeugt. Sie kann mit hunderten von anderen Synapsen verbunden sein oder auch nur mit wenigen. Wir haben ein sehr komplexes Netzwerk von Synapsen, die feuern oder nicht. Das erinnert doch alles sehr an die logischen Gatter im Computer.

Daraus folgt. Sie Software ist geistig, die Hardware körperlich, wenn man es mit dem Menschen vergleicht. Das Gehirn des Computers ist der Prozessor.



Ohne Gehirn kein Geist!

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 24. Jun 2023, 12:44

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 12:28
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 11:48
Der "Erlebensquatsch" ist da, weil wir Menschen sind :)
Menschen zeichnet es aus, dass sie Erlebnisse haben. Das gibt dem Leben eine zusätzliche Qualität, die eine KI möglicherweise nie haben wird. Oder sicher nicht in der Art wie Menschen.
Das stimmt insofern, dass wir Menschen biologische Wesen mit biologischen Gefühlen, Bedürfnissen u.ä. sind.

Dem stimmt auch der Beginn von "Erlebnis" bei wikipedia zu:
"Das Erlebnis ist ein Ereignis im individuellen Leben eines Menschen, das sich vom Alltag des Erlebenden so sehr unterscheidet, dass es ihm lange im Gedächtnis bleibt. Erlebnisse können befriedigender (z. B. Teilnahme an einer Feier, Sex), aufregender (z. B. ein Abenteuer oder eine Reise) oder traumatisierender (z. B. Opfer eines Verbrechens) Natur sein. Sie sind Untersuchungsgegenstand der Erlebniswissenschaft."

Hinsichtlich KI interessanter wird allerdings der dort anschließende Absatz:
"Unter einem Erlebnis wird ein emotional verarbeitetes Ereignis verstanden, welches innere und äußere Vorgänge mit positiven und negativen Empfindungen verknüpft. In seiner Qualität und Wirkung ist es immer ein subjektiver unmittelbarer und individueller Bewusstseins­vorgang. Das Erlebnis steht im engen Zusammenhang mit der Atmosphäre einer Situation am Ort des Geschehens, sodass es außerhalb davon nicht beliebig wiederhol- und herstellbar ist und demzufolge als solches nicht an eine unbeteiligte Person weitergegeben werden kann.[1] Entscheidend ist daher die subjektive Einordnung und Bewertung des Ereignisses."
Hieraus könnte man viel auf ein "KI-Roboter-Erlebnis" (nicht zu verwechseln mit einem "künstlichen Erlebnis", das z.B. nur simuliert ist) übertragen sozusagen, also das KI/Roboter etwas in der Welt "erlebt" und ihn in seinen "Gedanken" wesentlich beeinflusst, auch langfristig.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1294
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Sa 24. Jun 2023, 12:54

Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 12:44
AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 12:28
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 11:48
Der "Erlebensquatsch" ist da, weil wir Menschen sind :)
Menschen zeichnet es aus, dass sie Erlebnisse haben. Das gibt dem Leben eine zusätzliche Qualität, die eine KI möglicherweise nie haben wird. Oder sicher nicht in der Art wie Menschen.
Das stimmt insofern, dass wir Menschen biologische Wesen mit biologischen Gefühlen, Bedürfnissen u.ä. sind.

Dem stimmt auch der Beginn von "Erlebnis" bei wikipedia zu:
"Das Erlebnis ist ein Ereignis im individuellen Leben eines Menschen, das sich vom Alltag des Erlebenden so sehr unterscheidet, dass es ihm lange im Gedächtnis bleibt. Erlebnisse können befriedigender (z. B. Teilnahme an einer Feier, Sex), aufregender (z. B. ein Abenteuer oder eine Reise) oder traumatisierender (z. B. Opfer eines Verbrechens) Natur sein. Sie sind Untersuchungsgegenstand der Erlebniswissenschaft."
Ja, aber eigentlich war der restliche Teil von meinem Post das Wichtige. Das Thema ist ja, wir sind nicht unser Gehirn.
Meine Behauptung ist: Doch, zu einem grossen Teil schon.

Bist du denn einverstanden damit, dass die Software geistig ist und die Hardware körperlich?



Ohne Gehirn kein Geist!

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 24. Jun 2023, 13:07

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 12:54
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 12:44
AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 12:28

Menschen zeichnet es aus, dass sie Erlebnisse haben. Das gibt dem Leben eine zusätzliche Qualität, die eine KI möglicherweise nie haben wird. Oder sicher nicht in der Art wie Menschen.
Das stimmt insofern, dass wir Menschen biologische Wesen mit biologischen Gefühlen, Bedürfnissen u.ä. sind.

Dem stimmt auch der Beginn von "Erlebnis" bei wikipedia zu:
"Das Erlebnis ist ein Ereignis im individuellen Leben eines Menschen, das sich vom Alltag des Erlebenden so sehr unterscheidet, dass es ihm lange im Gedächtnis bleibt. Erlebnisse können befriedigender (z. B. Teilnahme an einer Feier, Sex), aufregender (z. B. ein Abenteuer oder eine Reise) oder traumatisierender (z. B. Opfer eines Verbrechens) Natur sein. Sie sind Untersuchungsgegenstand der Erlebniswissenschaft."
Ja, aber eigentlich war der restliche Teil von meinem Post das Wichtige. Das Thema ist ja, wir sind nicht unser Gehirn.
Meine Behauptung ist: Doch, zu einem grossen Teil schon.

Bist du denn einverstanden damit, dass die Software geistig ist und die Hardware körperlich?
Mich persönlich brauchst du nicht zu überzeugen, sondern andere Forumsteilnehmer; ich kann mit deinen Begriffen schon gut leben.
Wobei "wir +-= Gehirn" halt nicht reicht u.a. wegen der Gefühlen unseres Körpers, unser Sein (und dadurch auch Werden) in der Welt mit ihrer Beeinflussung auf uns u.ä.
Und ob man das nun "großen Teil" nennt, ist Geschmackssache.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 24. Jun 2023, 16:25

KI
In diesen Faden geht es nicht um KI, dazu gibt es eigene Fäden.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 24. Jun 2023, 17:43

Rovelli hat geschrieben : Naturalismus ohne Substanz

Während wir zunächst dachten, dass die Eigenschaften jedes Objekts auch dann bestimmt seien, wenn wir die sich abspielenden Wechselwirkungen zwischen diesem und den anderen Objekten vernachlässigten, zeigt uns die Quantenphysik, dass die Wechselwirkung ein untrennbarer Teil der Phänomene ist. Die eindeutige Beschreibung jedweden Phänomens erfordert, dass alle beteiligten Objekte der Wechselwirkung, in der sich das Phänomen manifestiert, einbezogen werden.
..
Relationales Denken taucht über die Physik hinausreichend in sämtlichen anderen Wissenschaften auf. In der Biologie erklären sich die Merkmale lebender Systeme in Bezug auf die Umwelt, die von anderen Lebewesen bevölkert wird. In der Chemie sind die Eigenschaften der Elemente die Art, wie sie mit anderen Elementen reagieren. In den Wirtschaftswissenschaften spricht man von ökonomischen Beziehungen. In der Psychologie existiert die individuelle Persönlichkeit im Zusammenhang mit Beziehungen. In diesem und zahlreichen weiteren Fällen verstehen wir die Dinge in ihrer Beziehung zu anderen Dingen.
...

["einfache Materie" ist ein] Relikt einer irrigen Metaphysik, jener, die sich auf einer allzu naiven Konzeption von Materie gründet: die einer universellen Substanz, definiert allein durch Masse und Bewegung. Irrig ist sie deshalb, weil die Quantenphysik ihr widerspricht.

Wenn wir in Begriffen von Prozessen, Ereignissen denken, in Begriffen relativer Eigenschaften, einer Welt der Beziehungen, ist die Kluft zwischen den physikalischen und den mentalen Phänomenen deutlich weniger dramatisch. Wir können beide als Naturphänomene betrachten, hervorgebracht durch komplexe Strukturen von Wechselwirkungen.
Carlos Rovelli ist ein renommierter Quantenphysiker, der durch seine populärwissenschaftlichen Schriften auch einem breiteren Publikum bekannt geworden ist. In seinem Buch "Helgoland" schreibt er ein wenig über die Geschichte der Quantenphysik und ihre grundlegenden Konzepte. Dabei geht es ihm auch darum, mit naiven Vorstellungen über die physikalische Welt aufzuräumen.

Wenn ich das zitiere, heißt das übrigens nicht gleichzeitig, dass ich allem, was Rovelli sagt, uneingeschränkt zustimme. Aber der Gedanke ist plausibel, dass die Kluft zwischen dem Mentalen und dem Physischen drastischer erscheint, wenn man ein so genanntes lego-zentristisches Weltbild hat, man denke dabei auch an das Mühlengleichnis.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 24. Jun 2023, 20:43

Leib-Seele-Problem
Sprechen wir hier notwendigerweise vom Leib-Seele-Problem? Man könnte - wie es in der Philosophie manchmal geschieht - das Ich im Feld des Gebens und Nehmens von Gründen verorten. Das Ich ist dann einer der Akteure im Austausch von Argumenten - das Netz, in dem das Ich verortet wird, ist dann das Soziale, als soziale Funktion, in der das Normative eine entscheidende Rolle spielt: Ich bin der Ansicht, dass die Dinge so und so liegen, weil dieses der jenes der Fall ist.

Das scheint mir dann doch etwas anderes zu sein als das Leib-Seele-Problem.




Steinmetz
Beiträge: 95
Registriert: Mo 8. Aug 2022, 23:19

Sa 24. Jun 2023, 23:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 17:43
Rovelli hat geschrieben : Naturalismus ohne Substanz

Während wir zunächst dachten, dass die Eigenschaften jedes Objekts auch dann bestimmt seien, wenn wir die sich abspielenden Wechselwirkungen zwischen diesem und den anderen Objekten vernachlässigten, zeigt uns die Quantenphysik, dass die Wechselwirkung ein untrennbarer Teil der Phänomene ist. Die eindeutige Beschreibung jedweden Phänomens erfordert, dass alle beteiligten Objekte der Wechselwirkung, in der sich das Phänomen manifestiert, einbezogen werden.
..
Relationales Denken taucht über die Physik hinausreichend in sämtlichen anderen Wissenschaften auf. In der Biologie erklären sich die Merkmale lebender Systeme in Bezug auf die Umwelt, die von anderen Lebewesen bevölkert wird. In der Chemie sind die Eigenschaften der Elemente die Art, wie sie mit anderen Elementen reagieren. In den Wirtschaftswissenschaften spricht man von ökonomischen Beziehungen. In der Psychologie existiert die individuelle Persönlichkeit im Zusammenhang mit Beziehungen. In diesem und zahlreichen weiteren Fällen verstehen wir die Dinge in ihrer Beziehung zu anderen Dingen.
...

["einfache Materie" ist ein] Relikt einer irrigen Metaphysik, jener, die sich auf einer allzu naiven Konzeption von Materie gründet: die einer universellen Substanz, definiert allein durch Masse und Bewegung. Irrig ist sie deshalb, weil die Quantenphysik ihr widerspricht.

Wenn wir in Begriffen von Prozessen, Ereignissen denken, in Begriffen relativer Eigenschaften, einer Welt der Beziehungen, ist die Kluft zwischen den physikalischen und den mentalen Phänomenen deutlich weniger dramatisch. Wir können beide als Naturphänomene betrachten, hervorgebracht durch komplexe Strukturen von Wechselwirkungen.
Carlos Rovelli ist ein renommierter Quantenphysiker, der durch seine populärwissenschaftlichen Schriften auch einem breiteren Publikum bekannt geworden ist. In seinem Buch "Helgoland" schreibt er ein wenig über die Geschichte der Quantenphysik und ihre grundlegenden Konzepte. Dabei geht es ihm auch darum, mit naiven Vorstellungen über die physikalische Welt aufzuräumen.

Wenn ich das zitiere, heißt das übrigens nicht gleichzeitig, dass ich allem, was Rovelli sagt, uneingeschränkt zustimme. Aber der Gedanke ist plausibel, dass die Kluft zwischen dem Mentalen und dem Physischen drastischer erscheint, wenn man ein so genanntes lego-zentristisches Weltbild hat, man denke dabei auch an das Mühlengleichnis.
Ich befürchte ich muss Mal fragen was ein legozentrisches Weltbild ist. Könntest du dabei noch das Mühlengleichnis erklären?
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 11:48
Steinmetz hat geschrieben :
Fr 23. Jun 2023, 23:10
Ich würde Software nicht unbedingt als Nichtmateriell bezeichnen. Eine Kugel in einer Kugelbahn ist auch Materie in Verbindung mit Schwerkraft. Der Kugel wird dabei aber nicht schwindelig. Sie wird auch keine Gewissensbisse haben wenn sie Losrollt. Wenn alles physikalisch erklärbar ist, dann bräuchte es doch diesen ganzen Erlebensquatsch, den wir jeden Moment unseres Lebens durchmachen gar nicht. Warum ist er dann da?
Der "Erlebensquatsch" ist da, weil wir Menschen sind :)
Oder meinst du eine philosophische(re) Einstellung des Erlebens?
Ach ja, eine Kugel ist kein Mensch, der nicht schwindelig werden oder die Gewissensbisse haben kann ;)

"physikalisch erklärbar": Meinst du rein theoretisch oder praktisch? Letzteres scheitert an viel zu hoher Komplexität.
Ich Frage mich, wie es sich physikalisch dann erklären lässt, dass ausgerechnet sowas wie ein "Ich" entsteht. Der ganze Erlebensquatsch ist doch theoretisch nicht nötig, wenn in mir nur Programme ablaufen. Inspiriert bin ich durch das Gedankenexperiment mit den philosophischen Zombies.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 25. Jun 2023, 07:22

Steinmetz hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 23:16
Ich befürchte ich muss Mal fragen was ein legozentrisches Weltbild ist. Könntest du dabei noch das Mühlengleichnis erklären?
Leibniz: "Man muß übrigens notwendig zugestehen, daß die Perzeption und das, was von ihr abhängt, aus mechanischen Gründen, d. h. aus Figuren und Bewegungen, nicht erklärbar ist. Denkt man sich etwa eine Maschine, die so beschaffen wäre, daß sie denken, empfinden und perzipieren könnte, so kann man sie sich derart proportional vergrößert vorstellen, daß man in sie wie in eine Mühle eintreten könnte. Dies vorausgesetzt, wird man bei der Besichtigung ihres Inneren nichts weiter als einzelne Teile finden, die einander stoßen, niemals aber etwas, woraus eine Perzeption zu erklären wäre."

Falls man sich die Wirklichkeit als eine solche mechanische Mühle vorstellt - feste Teile, die gegeneinander stoßen -, dann ist es natürlich "schwieriger", sich vorzustellen, dass sich "darin" Bewusstsein befindet, als in dem Bild, das Rovelli zeichnet.

Legozentrismus ist eine scherzhafte Begriffsbildung (meines Wissens u.a. von Markus Gabriel), die sich auf zwei Dinge bezieht: Zum einen basiert er auf der klanglichen Nähe zum philosophischen Begriff des Logozentrismus (Derrida), zum anderen spielt er mit der Vorstellung mancher, die "materielle" Wirklichkeit sei im Prinzip wie ein Legobaukasten aus einzelnen festen Teilen aufgebaut, aus denen sich dann alles zusammensetzt. Das ist nicht weit entfernt von der mechanistischen Vorstellung, die das Mühlenbeispiel nahelegt. Dabei muss man natürlich bedenken, dass Leibniz ein Genie des 17. Jahrhunderts war.

Insgesamt scheint es, dass viele, die sich für aufgeklärt halten und sich dem naturwissenschaftlichen Weltbild verbunden fühlen, letztlich bei Demokrit (ca 4. Jhd vor Christus) stehen geblieben sind: "Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.“




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 25. Jun 2023, 08:08

Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 11:17
Ich verstehe nicht, warum du es "wir sind" nennst.
Bild

Ich glaube nicht, dass wir unser Gehirn oder unsere Gene sind. Aber das ist eine sehr verbreitete Ansicht, leider auch in der Philosophie. Im Video des Eingangsbeitrags ist das sehr anschaulich und überzeugend dargestellt, dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Sehr gut dargestellt ist es auch in dem empfehlenswerten Buch Neuromythologie:

Bild




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 25. Jun 2023, 09:06

Obwohl das Video auch das sogenannte "harte Problem" (Chalmers) anspricht, sollte man sich meines Erachtens nicht unbedingt darauf versteifen. Ungefähr in der Mitte des Videos wird folgendes gesagt, was ich sinngemäß so zusammenfassen möchte:

  • Natürlich hat unsere Biologie einen Einfluss auf unsere mentalen Prozesse, aber wir sollten unser Verhalten nicht endlos naturalisieren und die Bedeutung unserer Geschichte und unserer Umgebung ignorieren, denn es ist absolut notwendig, die Verflechtung und die Verbindung zwischen dem Biologischen und dem Sozialen zu sehen. [Das ist eines der Netzwerkw, in denen wir uns bewegen, die wir in den Blick nehmen müssen, wir uns selbst begreifen wollen, wie ich weiter oben argumentiert habe.] Zum Beispiel sind unsere Gefühle im Wesentlichen sozial, sie richten sich in erster Linie an andere. Wir müssen auch die historische Dimension unserer Psyche berücksichtigen, denn sie wird durch unser kollektives Gedächtnis geformt. Wir können unsere Emotionen nicht von ihren historischen, sozialen und symbolischen Kontexten trennen.

Um etwas richtig zu verstehen, muss man auch die vielfältigen realen Netzwerke betrachten, in denen es sich "befindet". Das gilt natürlich auch für uns selbst. Wir sind nicht allein unser Gehirn, weil damit nur der Bereich der Biologie in den Blick genommen wird. Wir sind darüber hinaus historische, geistige, freie, soziale etc. Wesen.

Nehmen wir als Beispiel die (meines Erachtens abwegige) Vorstellung, Gefühle seien etwas, was sich in unserem Inneren abspielt. Wie es zu dieser Vorstellung gekommen ist, das können wir nicht verstehen, wenn wir den Blick nur auf das Gehirn richten, denn das ist eine geistesgeschichtliche Entwicklung, die keineswegs alternativlos ist, so haben die Menschen natürlich nicht immer gedacht. Das ist ein einfaches Beispiel dafür, wie die Geistesgeschichte "das Gehirn" geformt hat mit unserer Selbsterleben und Selbstverständnis beeinflusst hat.

Aber da "das Gehirn", wie es im Video auch heißt, "plastisch" ist, können wir es gewissermaßen (in gewissen Grenzen) in die eigene Hand nehmen und umgestalten, indem wir z.B. solche Videos wie im Startbeitrag betrachten oder natürlich auch philosophische Bücher (selbstverständlich auch Romane) lesen, abwägen und uns zu eigen machen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23560
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 25. Jun 2023, 10:01

Noch ein Wort zum Ich. Das Ich ist keineswegs identisch mit dem Gehirn, denn das Ich ist kein Ding. Ich habe oben den Vorschlag zitiert, dass das Ich einfach den Ort im Raum der Gründe markiert, den ich selbst einnehme. Ich finde das nicht unplausibel.

Rovelli, der übrigens, wenn ich ihn richtig verstanden habe, dem Ich skeptisch gegenübersteht, schreibt an einer Stelle des Buches, dass die Wirklichkeit schon auf der elementarsten Ebene aus Perspektiven besteht. Das sei eine Erkenntnis der Quantenphysik. Mit anderen Worten: Das Einnehmen von Perspektiven ist nicht, wie man gemeinhin annimmt, eine "Spezialität" bewusster Lebewesen, denn die Wirklichkeit selbst besteht - gemäß Rovelli - auf der elementarsten Ebene aus Perspektiven.

Dennoch gibt es einen Unterschied, denke ich: Ich weiß in vielen Momenten, dass ich es bin, der gerade diese Perspektive eingenommen hat - das kann man meiner Meinung nach nicht wegdiskutieren.




Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

So 25. Jun 2023, 11:00

Steinmetz hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 23:16
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 11:48
Steinmetz hat geschrieben :
Fr 23. Jun 2023, 23:10
Ich würde Software nicht unbedingt als Nichtmateriell bezeichnen. Eine Kugel in einer Kugelbahn ist auch Materie in Verbindung mit Schwerkraft. Der Kugel wird dabei aber nicht schwindelig. Sie wird auch keine Gewissensbisse haben wenn sie Losrollt. Wenn alles physikalisch erklärbar ist, dann bräuchte es doch diesen ganzen Erlebensquatsch, den wir jeden Moment unseres Lebens durchmachen gar nicht. Warum ist er dann da?
Der "Erlebensquatsch" ist da, weil wir Menschen sind :)
Oder meinst du eine philosophische(re) Einstellung des Erlebens?
Ach ja, eine Kugel ist kein Mensch, der nicht schwindelig werden oder die Gewissensbisse haben kann ;)

"physikalisch erklärbar": Meinst du rein theoretisch oder praktisch? Letzteres scheitert an viel zu hoher Komplexität.
Ich Frage mich, wie es sich physikalisch dann erklären lässt, dass ausgerechnet sowas wie ein "Ich" entsteht. Der ganze Erlebensquatsch ist doch theoretisch nicht nötig, wenn in mir nur Programme ablaufen. Inspiriert bin ich durch das Gedankenexperiment mit den philosophischen Zombies.
Bewusstsein wie auch das Ich sind komplexe Themen, die man natürlich nicht einfach direkt mit Physik erklären kann. Da liegen einige Komplexitätsstufen dazwischen.

Der entscheidende evolutionäre Schritt ist überhaupt die Entstehung von Leben, also wie aus "toter" Materie Lebendiges entsteht. Das konnte man biochemisch u.ä. hinreichend erklären: Es haben sich aus einfachen Molekülen komplexere gebildet, von einfacher Chemie zu Biochemie, und diese hat dann erstes Anzeichen von Leben ausprägen können... siehe ggf. hier bei wikipedia.

Das Leben wurde dann über viele Millionen Jahre langsam z.T. immer komplexer und damit auch das, was wir als Geist bezeichnen oder eben auch Bewusstsein und letztlich auch das Ich.
Das Ich ist ja "nur" unsere jeweils individuelle Perspektive (im Gegensatz zum Du o.ä.). Erste Lebewesen werden sicherlich noch keine solche Perspektive haben, weil es eine umfangreiche Perspektive auf die Welt und seine eigene erfordert - und nicht nur das Überleben- (und Fortpflanzen-...)Wollen.

Dass nur Programme in mir ablaufen, ist eine spezielle Perspektive, die an Computer denkt. Wir sind doch auch an Naturgesetze gebunden, haben unsere Bedürfnisse, brauchen z.B. Nahrung usw., da ist aus meiner Sicht kein entscheidender Unterschied. Sicher, wir sind sehr komplex, können uns entscheiden gerade nichts zu essen trotz Hungers, aber dafür haben wir dann irgendeinen Grund, der uns eventuell nicht bewusst ist, aber schon existiert.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

So 25. Jun 2023, 11:15

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Jun 2023, 08:08
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Jun 2023, 11:17
Ich verstehe nicht, warum du es "wir sind" nennst.
Bild

Ich glaube nicht, dass wir unser Gehirn oder unsere Gene sind. Aber das ist eine sehr verbreitete Ansicht, leider auch in der Philosophie.
Ah ha, daher kommt dein Thread-Thema.
Das "wir sind" würde ich nicht so "verbissen" sehen, eher als rhetorisches Mittel (z.B. zum Vermarkten des Buches) und auch als eine bestimmte Perspektive.
Ja, für mich ist mein Gehirn auch oft genug mein gedankliches Zentrum, aber niemand wird doch sagen, dass er keinen Körper hat; er spielt für ihn natürlich auch eine Rolle, z.B. durch unsere biologischen Bedürfnisse nach Nahrung.
Wie sehr man dann etwas gewichtet, ist im Allgemeinen Geschmacksache und im Speziellen eine Frage des Kontextes, also wie weit das Gehirn in den Vordergrund gestellt wird. Z.B. ist jedem klar, dass andere Menschen auch Einfluss auf einen haben; ob man diesen dafür die "Schuld" gibt oder einem selbst, ist wiederum z.T. Geschmackssache.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

So 25. Jun 2023, 11:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Jun 2023, 09:06
Nehmen wir als Beispiel die (meines Erachtens abwegige) Vorstellung, Gefühle seien etwas, was sich in unserem Inneren abspielt. Wie es zu dieser Vorstellung gekommen ist, das können wir nicht verstehen, wenn wir den Blick nur auf das Gehirn richten, denn das ist eine geistesgeschichtliche Entwicklung, die keineswegs alternativlos ist, so haben die Menschen natürlich nicht immer gedacht. Das ist ein einfaches Beispiel dafür, wie die Geistesgeschichte "das Gehirn" geformt hat mit unserer Selbsterleben und Selbstverständnis beeinflusst hat.
Die Frage ist: Wo sonst sind unsere Gefühle, wenn nicht in unserem Innern? Sollte es eine Frage sein, was wir als Gefühle ansehen bzw. sie sind?
Für mich sind sie das, was aus sich aus meinen biochemischen Prozessen im Körper ergeben, z.B. wenn ich ein Hungergefühl habe.
Aber da "das Gehirn", wie es im Video auch heißt, "plastisch" ist, können wir es gewissermaßen (in gewissen Grenzen) in die eigene Hand nehmen und umgestalten, indem wir z.B. solche Videos wie im Startbeitrag betrachten oder natürlich auch philosophische Bücher (selbstverständlich auch Romane) lesen, abwägen und uns zu eigen machen.
Aus meiner Sicht sollte man klar(er) zwischen Gehirn und dem Denken (samt Fühlen usw.) differenzieren:
Das Gehirn ist unser Organ im Kopf, das über Nervenbahnen (u.ä. ggf.) vernetzt ist mit dem Rest unseres Körpers.
Unser Denken usw. dagegen kann sich auf alles in der Welt beziehen und auch von der Welt beeinflusst werden.
Das beides zu verwischen, mag wieder bei Autoren rhetorische Gründe haben.

Und was das Ich nun genau ist... ob nun vor allem sein eigenes Denken oder z.B. (auch) sein ganzes Körper, wohl auch wieder Geschmackssache. Entscheidend ist hier sicherlich der individuelle, egozentrischen Standpunkt, z.B. gegenüber dem Du.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Antworten