Ethik des Sterbens, Philosophie und vorsätzliche Selbsttötung

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Jörn Budesheim
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Di 2. Mär 2021, 18:23

Du fragst: "Was gibt dir das Recht..." also fragst du nach der Moral und zuvor hast du geleugnet dass es um Moral geht. Und wenn du dich daran messen lassen willst, dann kannst du die Frage nicht stellen.




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iselilja
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Di 2. Mär 2021, 18:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 18:23
Du fragst: "Was gibt dir das Recht..." also fragst du nach der Moral und zuvor hast du geleugnet dass es um Moral geht. Und wenn du dich daran messen lassen willst, dann kannst du die Frage nicht stellen.
Ja komm ist gut. Mach weiter.




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Jörn Budesheim
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Di 2. Mär 2021, 18:32

Nee, ist nicht gut. Es ist doch absurd über Moral zu sprechen und zugleich zu behaupten, man würde nicht über Moral sprechen. Wo ist da der Witz?




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iselilja
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Di 2. Mär 2021, 18:42

iselilja hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 17:56


Dieses "Recht" ist nicht veräußerbar, denn es ist keine Frage von Moral sondern von der eigenen Freiheit, die einem niemand nehmen kann.
iselilja hat geschrieben : Man kann die Fragestellung übrigens auch umdrehen.. "Wer gibt dir das Recht, mich gegen meinen Willen am Leben zu halten?"
Oben keine Moral. Unten Moral. Ok?
Unten Moral, weil damit evident wird, dass die Moralfrage - EBEN WEIL SIE UMKEHRBAR IST - keine Rolle spielt.

ps: Soll ich die korrekte Betonung noch mit anfügen? :-)




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infinitum
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Di 2. Mär 2021, 18:58

iselilja hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 18:21
und wer sich selbst töten will, den kann man davon nicht abhalten. Das ist damit gemeint. Aber wie gesagt, es gibt ein paar sehr wenige Ausnahmefälle.
ja, da würden mir Ausnahmen einfallen, dass jemand aus einem Affekt oder einer momentanen Laune handelt. Hier sehe ich denjenigen, der sich vom Hochhaus stürzen will, da etwas im Leben schief gegangen ist. Hier wäre Hilfe schon ganz gut, aber in anderen Fällen, wenn der Wunsch aus reiflicher Überlegung kommt und auch einen Grund hat, da das Leben einfach nicht mehr lebenswert ist, dann verhält es sich so, wie alle auch schreiben.



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iselilja
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Di 2. Mär 2021, 19:10

transfinitum hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 18:58
iselilja hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 18:21
und wer sich selbst töten will, den kann man davon nicht abhalten. Das ist damit gemeint. Aber wie gesagt, es gibt ein paar sehr wenige Ausnahmefälle.
ja, da würden mir Ausnahmen einfallen, dass jemand aus einem Affekt oder einer momentanen Laune handelt. Hier sehe ich denjenigen, der sich vom Hochhaus stürzen will, da etwas im Leben schief gegangen ist. Hier wäre Hilfe schon ganz gut, aber in anderen Fällen, wenn der Wunsch aus reiflicher Überlegung kommt und auch einen Grund hat, da das Leben einfach nicht mehr lebenswert ist, dann verhält es sich so, wie alle auch schreiben.
Naja.. das klingt so leicht, hier Gründe nach berechtigt und unberechtigt einteilen zu wollen. Denn auch hier kann man sagen, das Individuum, welches sich selbst töten will kann seine Gründe als "berechtigt" (im Sinne von reiflich überlegt) ansehen während ein AUßenstehender nur vermuten kann, dass es nicht überlegt sei. Und solange man eine solche Peron mit Zureden oder ähnlichem retten kann, sollte man es wohl auch tun.. denn wenn es gelingt, kann die Überlegtheit sich umzubringen nicht so groß gewesen sien.




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infinitum
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Di 2. Mär 2021, 19:23

iselilja hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 19:10
Naja.. das klingt so leicht, hier Gründe nach berechtigt und unberechtigt einteilen zu wollen. Denn auch hier kann man sagen, das Individuum, welches sich selbst töten will kann seine Gründe als "berechtigt" (im Sinne von reiflich überlegt) ansehen während ein AUßenstehender nur vermuten kann, dass es nicht überlegt sei. Und solange man eine solche Peron mit Zureden oder ähnlichem retten kann, sollte man es wohl auch tun.. denn wenn es gelingt, kann die Überlegtheit sich umzubringen nicht so groß gewesen sien.
nein, das ist bestimmt nicht leicht, das im Einzelfall zu beurteilen. Aber ein erstes grobes Einschätzen geht bestimmt (vielleicht) und wenn ich jemanden von der Brücke sich stürzen sehe, dann würde ich ihm auch erstmal helfen. Wenn sich danach herausstellt, dass er eine unheilbare Krankheit und damit die Berechtigung hat, dann wäre das Handeln also sinnlos gewesen.
Die Überlegung, dass jemand eine Selbsttötung durchführen will würde ich dann als "reiflich" bezeichnen, wenn es eine ärztliche Diagnose gibt oder wenn es im Falle einer längerfristigen depressiven Problematik (trotz Behandlung) zu einem unlebbaren Leben führt und die Person diesen Zustand beenden möchte.



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Jörn Budesheim
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Di 2. Mär 2021, 20:02

transfinitum hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 19:23
die Berechtigung
Mein Meinungsbildungsprozess ist noch nicht sehr weit fortgeschritten, aber mein Vorurteil ist folgendes: moralisch betrachtet dürfte Suizid bis auf wenige Ausnahmen immer erlaubt sein, ich denke das gehört einfach zu Freiheit der Selbstbestimmung dazu. Paradigmatische Ausnahmen dürften Fälle sein, wo Eltern mit einem Suizid ihre Kinder zwangsläufig in den Tod mitnehmen würden. Wer sich umbringen will, sollte dabei auch die Folgen für die anderen bedenken, finde ich.

Die Geschichte der Beurteilungen die Suizid ist äußerst interessant und man lernt dabei (wieder einmal) wie wenig selbstverständlich das Selbstverständliche ist.




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iselilja
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Di 2. Mär 2021, 20:12

transfinitum hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 19:23
iselilja hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 19:10
Naja.. das klingt so leicht, hier Gründe nach berechtigt und unberechtigt einteilen zu wollen. Denn auch hier kann man sagen, das Individuum, welches sich selbst töten will kann seine Gründe als "berechtigt" (im Sinne von reiflich überlegt) ansehen während ein AUßenstehender nur vermuten kann, dass es nicht überlegt sei. Und solange man eine solche Peron mit Zureden oder ähnlichem retten kann, sollte man es wohl auch tun.. denn wenn es gelingt, kann die Überlegtheit sich umzubringen nicht so groß gewesen sien.
nein, das ist bestimmt nicht leicht, das im Einzelfall zu beurteilen. Aber ein erstes grobes Einschätzen geht bestimmt (vielleicht) und wenn ich jemanden von der Brücke sich stürzen sehe, dann würde ich ihm auch erstmal helfen. Wenn sich danach herausstellt, dass er eine unheilbare Krankheit und damit die Berechtigung hat, dann wäre das Handeln also sinnlos gewesen.
Die Überlegung, dass jemand eine Selbsttötung durchführen will würde ich dann als "reiflich" bezeichnen, wenn es eine ärztliche Diagnose gibt oder wenn es im Falle einer längerfristigen depressiven Problematik (trotz Behandlung) zu einem unlebbaren Leben führt und die Person diesen Zustand beenden möchte.
Genau hier entsteht aber das Problem der Moralischen Anwendung, denn damit gibt Du deiner Vorstellung, wann ein Leben lebenswert ist, eine Vormachtstellung. Auch wenn sie gut gemeint ist, weil man schon allein aus Empathiegründen garnicht mit ansehen kann wie sich jemand das Leben nimmt. Aber du nimmst damit dem Menschen auch seine Freiheit über sein Lebenentscheiden zu dürfen.

Wir haben also auf der einen Seite die Moral, die uns intriinsisch aber auch voreilig leitet und auf der anderen Seite (der Medaille) die bittere Erkenntnis, dass ohne Zugeständnis (besser: Anerkennung) von Freiheit auch Moral zugleich überflüssig ist. Ein Dilemma eben. :-)

Und eben weil es kein bloß ethisches Dilemma ist, bekommt man es auch nicht mit Ethik gelöst.




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iselilja
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Di 2. Mär 2021, 20:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 20:02
transfinitum hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 19:23
die Berechtigung
Mein Meinungsbildungsprozess ist noch nicht sehr weit fortgeschritten, aber mein Vorurteil ist folgendes: moralisch betrachtet dürfte Suizid bis auf wenige Ausnahmen immer erlaubt sein, ich denke das gehört einfach zu Freiheit der Selbstbestimmung dazu. Paradigmatische Ausnahmen dürften Fälle sein, wo Eltern mit einem Suizid ihre Kinder zwangsläufig in den Tod mitnehmen würden. Wer sich umbringen will, sollte dabei auch die Folgen für die anderen bedenken, finde ich.

Die Geschichte der Beurteilungen die Suizid ist äußerst interessant und man lernt dabei (wieder einmal) wie wenig selbstverständlich das Selbstverständliche ist.
Das ist sicherlich ein guter Punkt.

Es gibt da etwas, was man damit vielleicht vergleichen kann, also mit der Auffassung, dass jederam Ende doch selbst dies entscheiden muss. Denn wenn es um Tod und Geburt geht, so sind sich alle Menschen ausnahmlos darin gleich. Es macht also einen tieferen Sinn, den letzten Wunsch eines Sterbenden zu erfüllen, so möglich. Weil jeder einmal sterben wird.

Und in diesem Sinne, kann man auch sagen, jeder kann möglicherweise in die Situation kommen, wo er ein Ende setzen will. Warum auch immer. Und vermutlich versteht man auch erst in diesem Moment die Wichtigkeit dieser Freiheit.




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Jörn Budesheim
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"Am 20. Februar 1999 erhängte sich die britische Dramatikerin Sarah Kane, im Alter von 28 Jahren. Ihr letztes, posthum uraufgeführtes Stück 4.48 Psychose endete mit den Worten: 'It is myself I have never met, whose face is pasted on the underside of my mind/please open the curtains'" (Thomas Macho, in "das Leben nehmen")




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iselilja
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Di 2. Mär 2021, 21:09

Wer weiß, vielleicht ist das der Punkt, an dem die "natürliche Selektion" dann doch den Menschen in seiner Gesamtheit erfasst. Wo er sich nicht mehr mit technisch-kulturellen Hilsmitteln entziehen kann.

Ich formuliere es mal ganz vorsichtig so: Wenn der Neocortex natürlich entstanden ist und selbiger zu der Fähigkeit führt (führen kann) sich einzureden, dass das Leben - mit welcher Begründungslogik auch immer - keinen Sinn mehr hat, dann ist das am Ende vielleicht so etwas wie Determinismus - oder wie man es früher nannte: menschliches Schicksal.




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Jörn Budesheim
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Di 2. Mär 2021, 21:11

Patricia de Martelaere hat geschrieben : Wir bilden uns ein, daß wir »am Ende« unseres Lebens sterben werden, was nicht nur logisch, sondern auch gerecht und sehr schön wäre. Aber in Wirklichkeit sterben wir auf dem Weg, um die Kinder von der Schule abzuholen, im Badezimmer, während wir eine Kultursendung im Radio hören, oder im Bett mit einer Frau, die nicht die unsrige ist. Wir sterben, so scheint es, immer in den ungelegensten Momenten. Und alles, was wir unbedingt noch tun mussten, alles, was wir auf jeden Fall noch sagen wollten, wird einfach ungetan bleiben und ungesagt. Unser Leben wird durch den Tod unterbrochen, nicht beendet ...




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Mi 3. Mär 2021, 06:53

Thomas Macho, in "das Leben nehmen" hat geschrieben : "Foucault sprach zwar in seinem Vortrag zu den »Technologien des Selbst« an der Universität Vermont im Oktober 1982 von der Vorbereitung auf den Tod, nicht aber vom Suizid; doch im Gespräch mit dem Filmregisseur Werner Schroeter am 3. Dezember 1981 betonte er unmissverständlich, dass es »nichts Schöneres« gebe als den Selbstmord, über den man »mit größerer Aufmerksamkeit nachdenken sollte«. Es komme darauf an, ein Leben lang 'an seinem Selbstmord [zu] arbeiten.'"




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infinitum
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 20:02

Mein Meinungsbildungsprozess ist noch nicht sehr weit fortgeschritten, aber mein Vorurteil ist folgendes: moralisch betrachtet dürfte Suizid bis auf wenige Ausnahmen immer erlaubt sein, ich denke das gehört einfach zu Freiheit der Selbstbestimmung dazu. Paradigmatische Ausnahmen dürften Fälle sein, wo Eltern mit einem Suizid ihre Kinder zwangsläufig in den Tod mitnehmen würden. Wer sich umbringen will, sollte dabei auch die Folgen für die anderen bedenken, finde ich.

Die Geschichte der Beurteilungen die Suizid ist äußerst interessant und man lernt dabei (wieder einmal) wie wenig selbstverständlich das Selbstverständliche ist.
iselilja hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 20:12
Genau hier entsteht aber das Problem der Moralischen Anwendung, denn damit gibt Du deiner Vorstellung, wann ein Leben lebenswert ist, eine Vormachtstellung. Auch wenn sie gut gemeint ist, weil man schon allein aus Empathiegründen garnicht mit ansehen kann wie sich jemand das Leben nimmt. Aber du nimmst damit dem Menschen auch seine Freiheit über sein Lebenentscheiden zu dürfen.

Wir haben also auf der einen Seite die Moral, die uns intriinsisch aber auch voreilig leitet und auf der anderen Seite (der Medaille) die bittere Erkenntnis, dass ohne Zugeständnis (besser: Anerkennung) von Freiheit auch Moral zugleich überflüssig ist. Ein Dilemma eben. :-)

Und eben weil es kein bloß ethisches Dilemma ist, bekommt man es auch nicht mit Ethik gelöst.
das sind gute Beiträge, die mich zum Nachdenken anregen:
1) auf den Fall bezogen, dass Eltern ihre Kinder mit in den Suizid nehmen: ist dies nun ein Vorteil oder Nachteil für die Kinder, wenn sie elternlos in Trauer weiterleben oder dann doch gleich mit den Eltern gemeinsam gehen?
2) auf den Fall bezogen, dass man das Leben weiterlebt nur für die Angehörigen, damit diese nicht trauern oder die Person eventuell noch benötigen (auch bei Eltern). Welche Rolle spielt Moral dann? Ist es morallos, wenn jemand sich dafür entscheidet, seinem leidenden Leben ein Ende zu setzen oder wäre es im Sinne der Moral, dass die Person die Schmerzen erträgt und für Kinder etc. weiterlebt, so lange sie kann?



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infinitum
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Mi 3. Mär 2021, 10:39

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 3. Mär 2021, 06:53
Thomas Macho, in "das Leben nehmen" hat geschrieben : "Foucault sprach zwar in seinem Vortrag zu den »Technologien des Selbst« an der Universität Vermont im Oktober 1982 von der Vorbereitung auf den Tod, nicht aber vom Suizid; doch im Gespräch mit dem Filmregisseur Werner Schroeter am 3. Dezember 1981 betonte er unmissverständlich, dass es »nichts Schöneres« gebe als den Selbstmord, über den man »mit größerer Aufmerksamkeit nachdenken sollte«. Es komme darauf an, ein Leben lang 'an seinem Selbstmord [zu] arbeiten.'"
dazu auch ein ganz interessanter Artikel: https://foucaldien.net/article/10.16995/lefou.76/

wenn ich Foucault richtig verstehe, deutet sein Zitat darauf hin, dass er dem Menschen eine radikale Freiheit über das eigene Leben zuspricht. Sodass man nicht mal auf die natürliche Biologie des Sterbens wartet, sondern nun mal selbst entscheidet, wann und wie man geht.
Allerdings sehe ich das Zitat skeptisch, da es missverstanden werden könnte und einen Selbstmord-Kult befürworten könnte...



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Stefanie
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Do 4. Mär 2021, 20:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 21:11
Patricia de Martelaere hat geschrieben : Wir bilden uns ein, daß wir »am Ende« unseres Lebens sterben werden, was nicht nur logisch, sondern auch gerecht und sehr schön wäre. Aber in Wirklichkeit sterben wir auf dem Weg, um die Kinder von der Schule abzuholen, im Badezimmer, während wir eine Kultursendung im Radio hören, oder im Bett mit einer Frau, die nicht die unsrige ist. Wir sterben, so scheint es, immer in den ungelegensten Momenten. Und alles, was wir unbedingt noch tun mussten, alles, was wir auf jeden Fall noch sagen wollten, wird einfach ungetan bleiben und ungesagt. Unser Leben wird durch den Tod unterbrochen, nicht beendet ...
Der Mensch stirbt. Das ist so, daran lässt sich nichts ändern. Der Idealfall ist, wie oben gesagt, am Ende des Lebens, im hohen Alter
Die Tragik ist, dass der Tod vielfach zu früh kommt, wie auch oben beschrieben. Es entspricht auch nicht dem Willen und dem Wunsch des Verstorbenen. Meiner Meinung sind diese Umstände, das, was uns trauern lässt. Es ist der Umstand, dass eine Person stirbt, die noch nicht hatte sterben müssen. Das Leben wird dann gewaltsam abgebrochen, nicht unterbrochen. Den letzten Satz des o.g. Textes gehe ich nicht ganz mit.
Es ist ein Unterschied, ob eine junge Mutter durch einen Autounfall stirbt, oder wie meine eine Oma mit 88 Jahren stirbt, weil sie einfach meinte, jetzt reicht's. Sie wollte irgendwann nicht mehr richtig essen, dann wollte sie ihren absoluten Lieblingsspeisen nicht mehr, auch keinen Sekt mehr, und dann verstarb sie. Mein Opa, der Ehemann, ist ein paar Jahre vorher mit 89 Jahren verstorben, er hat gekränkelt, Herzprobleme und hatte einen leichten Schlaganfall gehabt, fuhr aber noch z.B. kurze Strecken mit dem Auto, und ist eines Abends vom Stuhl aufgestanden, umgefallen und gestorben. Wieder anders, auch eine etwas andere Trauer. Mein Opa fand definitiv nicht, es reicht.

Jemand der sich bewusst und willentlich das Leben nimmt, bricht sein eigenes Leben ab. Im Gegensatz zu der jungen Mutter war sein Tod kein gewaltsames abbrechen des Lebens, es entsprach dem Wunsch und Willen.



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Do 4. Mär 2021, 20:47

Den Unterschied zwischen beenden und abbrechen oder unterbrechen kann man sich vielleicht so ausmalen: jemand schreibt ein Gedicht, zeichnet ein Portrait, komponiert ein Lied. Man kann versuchen jedes dieser Kunstwerke auszufeilen und zu vollenden. Und so wie man eine Arbeit beendet, wenn das Werk vollendet ist, kann man den Suizid auch als eine Vollendung des Lebens verstehen?!

Ich für meinen Teil kann diesen Gedanken abstrakt nachvollziehen.




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Stefanie
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Do 4. Mär 2021, 21:11

transfinitum hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 19:23
iselilja hat geschrieben :
Di 2. Mär 2021, 19:10
Naja.. das klingt so leicht, hier Gründe nach berechtigt und unberechtigt einteilen zu wollen. Denn auch hier kann man sagen, das Individuum, welches sich selbst töten will kann seine Gründe als "berechtigt" (im Sinne von reiflich überlegt) ansehen während ein AUßenstehender nur vermuten kann, dass es nicht überlegt sei. Und solange man eine solche Peron mit Zureden oder ähnlichem retten kann, sollte man es wohl auch tun.. denn wenn es gelingt, kann die Überlegtheit sich umzubringen nicht so groß gewesen sien.
nein, das ist bestimmt nicht leicht, das im Einzelfall zu beurteilen. Aber ein erstes grobes Einschätzen geht bestimmt (vielleicht) und wenn ich jemanden von der Brücke sich stürzen sehe, dann würde ich ihm auch erstmal helfen. Wenn sich danach herausstellt, dass er eine unheilbare Krankheit und damit die Berechtigung hat, dann wäre das Handeln also sinnlos gewesen.
Die Überlegung, dass jemand eine Selbsttötung durchführen will würde ich dann als "reiflich" bezeichnen, wenn es eine ärztliche Diagnose gibt oder wenn es im Falle einer längerfristigen depressiven Problematik (trotz Behandlung) zu einem unlebbaren Leben führt und die Person diesen Zustand beenden möchte.
Jemand, der unbedingt nicht mehr leben will, braucht keine Berechtigung von Dritten, damit diese Dritten ihm gestatten, sich sein eigenes Leben zu nehmen.
Ich halte es für nicht möglich, irgendwelche Kriterien aufzustellen.
Eine prominenter Suizid war vor Jahren der Tod von Gunter Sachs. Er erschoss sich, weil er befürchtete an Alzheimer erkrankt zu sein. Aus dem abschiedsbrief wurde ersichtlich, dass für ihn der Verlust der geistigen Fähigkeiten das schlimmste war, und er so nicht leben wollte. Mir ist das deshalb so in Erinnerung geblieben, weil ich damals dachte, und jetzt auch noch denke, was für ein konsequente Entscheidung nach und in einem absolut selbstbestimmten Leben. Der selbstbestimmte Tod, zu einem Zeitpunkt wo es noch möglich war.
Diesem Menschen jetzt mit einer Berechtigung zu kommen, nach dieser zu fragen, ist eine Bewertung, ein moralisches Urteil, dass uns nicht zusteht. Es gehört zu einem würdevollen Leben, eine selbstbestimmte Entscheidung, die das eigene höchste Gut betrifft, das eigene Leben, zu treffen. Durch Bewertungskriterien wird diese Würde genommen, in dem eine selbstbestimmte Entscheidung nicht anerkannt wird.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Do 4. Mär 2021, 21:14

Wenn du der Ansicht bist, dass er das Recht hatte, sich zu töten, dann fällst du ja auch ein moralisches Urteil.




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