Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ Fr 2. Mär 2018, 06:05
Alethos hat geschrieben : ↑ Do 1. Mär 2018, 13:27
Aber mir will noch nicht ganz in den Kopf, wie lange dieses Jetzt dauert.
Wie lange dauert das Jetzt? Wie lange dauert ein Fußballspiel? Beide Fragen haben dieselbe Form und deswegen erwartet man vielleicht, dass man sie auch in derselben Art und Weise beantworten können müsste. Es gibt ja auch Versuche, die Länge des Jetzt zu messen. Das findet man bestimmt bei Google, ich meine mich zu erinnern, dass es ca 3 Sekunden sein sollen. Ich halte solche Versuche für grundsätzlich verfehlt, denn es macht keinen Sinn, einen Teil einer Relation zu messen, um herauszufinden, wie es um die gesamte Relation steht. Das Jetzt der Langeweile und das Jetzt des Rausches dürften gewisse Unterschiede aufweisen, gelinde gesagt...
Da sind wir aber bei den Empfindungen von Dauer, also bei einem subjektiven Zeitmaß. Ob die letzten 5 Minuten eines spannenden, engen Spiels als viel länger empfunden werden als 5 Minuten eines langweiligen Spiels, das ändert ja nichts am Umstand, dass 5 Minuten immer 5 Minuten sind. Die empfundene Dauer ist demnach eine bestimmte Form des Involviertseins mit Ereignissen.
Zeitmessung hingegen (die immer gleichen 5 Minuten) bedeutet, Referenzereignisse einer bestimmten Dauer (Sekundenzeigerschläge, Atomzerfallsraten, Vollmonde etc.) abzuzählen. Diese Ereignisse haben eine bestimmte, objektive, unbeeinflussbar gleichbleibende Dauer, besser gesagt, eine nominale Dauer. Setzen wir nun diese Referenzereignisse in Bezug zu einem anderen Ereignis, sagen wir, es habe so und so lange gedauert. 5 Minuten bedeuten demnach die Summe der nominalen Ereignisse. Die Einheit, durch die die Zeit ausgedrückt wird, ist eine gesetzte. Deshalb ist gemessene Zeit ja auch eine objektive Relation, weil sie das Verhältnis von Ereignissen durch ein metrisches Raster ausdrückt, das unabhängig davon, wie wir auf sie schauen, immer diese 'Abmessungen' vornimmt.
Dass wir ein Raster anlegen, lässt meines Erachtens nur den Schluss zu, dass unser Zeitbegriff eine chronometrische Grösse ist. Sie wäre, so verstanden, eine durch ein Maß ausgedrückte Ausdehnung, nämlich die Ausdehnung der sich vollziehenden Bewegungen der Dinge. Dabei wird sie als Relation ausgedrückt zwischen dem Messenden (Subjekt bei der empfundenen Zeit, Raster bei der objektiven Zeit).
Aber deshalb haben wir doch noch immer nichts darüber ausgesagt, was Zeit ist, entweder nun deshalb, weil wir es vermöge unserer Erkenntnisfähigkeit nicht können, weil Zeit die Erkenntnis bedingt, sie also der Erkenntnis immer vorgelagert bleibt, oder aber, weil Zeit gar nichts anderes bedeutet als die Erscheinungsform der Ereignisse zu sein, deren Wandel wir wahrnehmen. Demnach gäbe es keine Zeit, die nicht mit dem Begriff des Wandels zusammenfiele. Zeit ist Wandel.
Wenn es richtig ist, dass Zeit in dieser Form immer nur als sich wandelnde Dinge verstanden werden kann, deren Ereignisfolgen wir durch Zeitmessung erfassen, haben wir einen objektiven Zeitbegriff erarbeitet, durch den sich Zeit an den Tatsachen in der Welt vollzieht und als dieser Vollzug denken lässt.
Ich denke, wenn wir die Zeit als Wandel der Dinge denken, erkennen wir, dass sie an sich selbst kein Jetzt haben kann. Denn das Jetzt ist ja eine Relation, die eines denkenden Subjekts bedarf resp. eines Bewussteins, das die relationale Verbindung seiner selbst mit den Dingen feststellt. Das Jetzt wäre so gesehen ein gleichmässiges Mitgehen des präsentischen Daseins mit dem Seienden. Wir denken: 'Jetzt' und geben der Relationalität der Zeit mit einem Subjekt Ausdruck. Ein
Jetzt bedeutet somit eine Ausdehnung des Ichs in der Zeit und der Umfang dieser Ausdehnung ist die Gegenwart des Ichs. Das Jetzt wäre damit gleichbedeutend mit der Vergegenwärtigung des Ichs, der diesen Ort in dieser Zeit einnimmt. Die Gegenwart ist dehnbar, insofern das Ich über einen längeren Zeitraum hinweg gegenwärtig sein und sich bewusst sein kann, dass es hier und jetzt ist. Das Jetzt kann demnach auch viel länger dauern als 3 Sekunden, es dauert so gesehen möglicherweise ein Leben lang.
Aber das Gewahrwerden meiner Selbst im Hier und Jetzt als meine Gegenwart (die die Gegenwart aller zugleich seiender Subjekte sein muss), kann nicht das Jetzt bedeuten, das wir als Mitte zwischen der Vergangenheit und der Zukunft der Dinge meinen. Denn das hiesse ja, dass es ohne subjektive Präsenz keine Vergangenheit geben könnte, insofern das Vergangene und das Künftige in Bezug auf das Jetzt vergangen und künftig sind. Wenn aber das Jetzt zur Bedingung hat ein Subjekt, dann hat auch Vergangenheit und Zukunft zur Bedingung ein Subjekt. Aber das Zuvor, was vor dem Jetzt lag und das danach, das nach dem Jetzt kommt, das hängt ja nicht an meiner Gegenwart oder an der Gegenwart eines Anderen, sondern es muss als chronologisches Mittelding (wahrscheinlich kein isoliertes, sondern ein kontinuierliches) bestehen im Nacheinander der sich wandelnden Dinge. Sonst
hätte es ja nie ein sich expandierendes Weltall und abkühlende Planeten etc. geben können, denn wodurch hätte sich das vorher Warme und nachher Kalte einstellen können, wenn nicht dadurch, dass ein Wandel stattgefunden hat, dessen Mittelpunkt ein Jetzt war, vor dem es wärmer war als danach? Also muss es das Jetzt geben auch ohne Relation zu einem Subjekt
Mit anderen Worten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehören zusammen nur in diesem Sinn des Begriffs von Gegenwart, in welchem gemeint ist, dass ein Subjekt das Vergangene und das Zukünftige aus der Perspektive seines Jetzt reflektiert. Oder aber das Vergangene und das Zukünftige existieren durch das Nacheinander der Dinge, so dass es aber auch ein Jetzt geben muss, das nichts mit der Relation eines Subjekts mit der Zeit zu tun hat, sondern eine Relation der Dinge zueinander bedeutet. In letzterem Fall aber müsste das Jetzt eine zeitliche Ausdehnung haben, die unmöglich klein wäre (denn wie klein ist das noch immer Kleinere?), so dass zu sagen wäre: Es gibt entweder kein Jetzt (weil es unendlich kurz ist) oder es gibt nur ein einziges Jetzt, in welchem es nur Raum und Dinge gibt und deren Wandel. Dann aber wäre nichts vergangen und künftig, sondern immer schon da.
Dann hätte ich aber nicht später als mein Grossvater existiert, er aber auch nicht früher als ich. Und niemals hätte ich plötzlich nicht mehr existiert, wenn ich in diesem einzigen grossen Jetzt an jenen Ort gegangen wäre, an welchem er war, wo ich nicht zugleich mit ihm war, um ihn zu töten, so dass ich nicht hätte geboren werden können. Das Zeitparadoxon wäre so gesehen keines, weil ich keine Zeitlinie gebrochen hätte, sondern lediglich einen anderen Weg durch den Raum abgeschritten wäre, so dass ich ihm hätte begegnen können dort, wo er und ich zugleich nie waren. Das Zeitparadoxon wäre ein Raumparadoxon
