Habermas

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Timberlake
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Fr 5. Apr 2024, 21:08

.. auf Philomag .de gefunden ..
  • Habermas versteht die Welt nicht mehr
    ...
    "Habermas klingt beinahe wie Horkheimer, der gegenüber Adorno bemerkte: „Die Welt ist verrückt und das bleibt so. Im Grunde kann ich mir vorstellen, daß die ganze Weltgeschichte nichts anderes ist als eine Fliege, die sich verbrennt.“ Der Westen, der sich bislang dagegenstemmte, war für Horkheimer dem Untergang geweiht. Überall sah er Diktatoren auf dem Vormarsch und die Demokratie unter Beschuss, während die Gesellschaft in Banden zerfiel, zwischen denen kein Austausch mehr möglich war – außer Gewalt. Wer das anders sah, fand in Horkheimers Augen wenig Gnade. Er verweigerte Habermas die Habilitation, weil er ihn zu linksradikal fand. Der musste nach Marburg ausweichen, wo es noch echte Marxisten gab. Heute wäre das nicht mehr nötig, denn er denkt inzwischen ähnlich düster wie Horkheimer.
    ....
    Die Diagnose gewinnt Brisanz vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Habermas der maßgebliche Philosoph der Bundesrepublik ist, wie Felsch schreibt: Ein feines Gespür für Relevanzen und Großwetterlagen erlaubte es ihm stets, mit dem richtigen Wort zur richtigen Zeit zur Stelle zu sein.
    ....
    Doch vielleicht sollten wir genau hinhören, was der Weise aus Starnberg zu sagen hat. Unter Historikern heißt es, Deutschland verändere sich alle 70 bis 80 Jahre. Turnusgemäß wäre es jetzt wieder soweit. Und tatsächlich gibt es Verschiebungen – in der Geopolitik, im Parteiensystem und im Umgang miteinander –, die wie Epochenwechsel aussehen. Was aus ihnen folgt, ist unklar. Aber das Alte geht offenbar in die Brüche. Habermas, der als Philosoph der Reeducation wesentlich dazu beigetragen hat, es aufzubauen, könnte als Zeuge seines Untergangs noch einmal eine Rolle spielen. Es ist vermutlich seine letzte." •
Ich habe mich zwar mit Habermas , eben deshalb , weil er als Philosoph der Reeducation zum Aubau des Alten beigetragen hat, kaum befasst. Um so mehr bin ich einmal gespannt , wie er denn nun mehr diese Rolle , als Zeuge dessen Untergangs , ausfüllt.
  • "Mit Kant entdeckte Habermas in den 1990er-Jahren die Möglichkeit einer weltbürgerlichen Vernunft, die in Europa ihren Ausgang nimmt und irgendwann den gesamten Globus ergreift, der miteinander deliberiert und keine Kriege mehr führt.
    Doch diese Erzählung bekommt nun Risse. In seinem neuen Buch Der Philosoph. Habermas und wir schildert Philipp Felsch einen Besuch bei Habermas in Starnberg im Herbst 2023. Felsch sei „geradezu bestürzt“ gewesen, wie resigniert dieser eigentlich „letzte Idealist“ auf ihn gewirkt habe: Europa, der Westen, die kommunikative Vernunft, die Überwindung des Krieges als Mittel der Politik – alles, wofür er gekämpft habe," gehe nun „Schritt für Schritt“ verloren, so Habermas. Deutet sich hier erneut eine Wende in seinem Denken an? Treten Vernunft und Wirklichkeit, die er als weitgehend versöhnt betrachtet hatte, wied
    er auseinander? "
Vorausgesetzt natürlich , dass Vernunft und Wirklichkeit , die er offenbar nach der s.g. Wende in den 1990er-Jahren als weitgehend versöhnt betrachtet hatte, nun mehr tatsächlich wieder auseinander treten. Was könnte dafür mehr stehen , als Trump . Dem es doch tatsächlich gelungen ist , von den Republikanern wiederum zum Präsidentschaftskandidat gekürt zu werden. Mehr noch , Trump scheint sogar in den Umfragen noch vor Biden zu liegen .. ..

US-Wahl: Umfragewerte von Joe Biden und Donald Trump in den USA von Januar bis April 2024


US-Wahl: Umfragewerte von Joe Biden und Donald Trump in den am stärksten umkämpften US-Staaten (Swing States) im März 2024




Timberlake
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Sa 6. Apr 2024, 00:19

Wenn es bei Habermas heist ... ich zitiere ..
  • „Nur vor dem Hintergrund einer objektiven Welt, und gemessen an kritisierbaren Wahrheits- und Erfolgsansprüchen, können Meinungen als systematisch falsch, Handlungen als systematisch aussichtslos, können Gedanken als Fantasien, als bloße Einbildungen erscheinen (...)“
    Habermas .. Theorie des kommunikativen Handelns Bd. I, S. 83
. und es im vorigem Beitrag hieß , dass alles , wofür er gekämpft habe, .. Europa, der Westen, die kommunikative Vernunft, die Überwindung des Krieges als Mittel der Politik ..nun „Schritt für Schritt“ verloren gehe , so kommt man wohl nicht umhin , dass diese Meinung systematisch falsch und systematisch aussichtslos war , wie auch in Gedanken lediglich als Fantasien und als bloße Einbildungen erscheinen. Zugegebenermaßen vor dem Hintergrund einer objektiven Welt , wie sie sich gemessen an den kritisierbaren Wahrheits- und Erfolgsansprüchen, derzeit darstellt.

Weil andernrorts gerade thematisiert ..
  • "Der Götter Rosse und Wagenlenker nun sind alle sowohl selbst gut als von guter Abkunft; die Art der anderen aber ist gemischt. Und zwar was uns betrifft, so lenkt der Führer erstens ein Doppelgespann; sodann ist ihm das eine der Rosse sowohl selbst edel und gut als von solcher Abkunft, das andere aber sowohl von gegenteiliger Abkunft als selbst das Gegenteil. Schwierig und unbeholfen ist da notwendig die Wagenlenkung bei uns"
    Platon .. Phaidros
... möglicherweise hat ja der Führer dieses Doppelgespanns nur für kurze Zeit die Kontrolle über das gegenteilige Ross verloren ......-
Timberlake hat geschrieben :
Do 4. Apr 2024, 03:02
..was macht ein Philosoph mit jenem Ross, dass sowohl selbst primitiv und schlecht , als auch von solcher Abkunft ist?
  • " Der Wagenlenker aber, in noch stärkerem Grade von dem vorigen Gemütszustand ergriffen, wie einer, der von den Schranken auslaufend sich rückwärts beugt, zerrt den Zaum des trotzigen Rosses mit noch stärkerer Gewalt aus dem Gebiß nach hinten, strengt ihm die schmähsüchtige Zunge und die Backen an bis aufs Blut und bereitet ihm Schmerzen, indem er ihm Schenkel und Hüften zur Erde niederzwingt. Wenn aber das schlimme Roß dieselbe Behandlung öfters erfährt und von seiner trotzigen Wildheit läßt, so folgt es gedemütigt schon der vernünftigen Leitung des Wagenlenkers, und wenn es den Schönen sieht, vergeht es vor Furcht."
    Platon .. Phaidros
Etwa den Zaum des trotzigen Rosses mit noch stärkerer Gewalt , bis aufs Blut ziehen? So das , wenn das schlimme Ross dieselbe Behandlung öfters erfährt , irgendwann von seiner trotzigen Wildheit läßt? Irgendwie will mir diese Vorstellung, zumindest bei Platon , so ganz und gar nicht gelingen. Ganz abgesehen davon , dass ein solches Vorgehen , doch schon sehr an den großen Terror nach der französischen Revolution oder den von Stalin erinnert . Ganz im Sinne von ."der Zweck heiligt die Mittel".
Um so bermerkenswerter ist, dass die s.g. "westliche Welt" anscheinend ganz ohne dem auskommt. Wann hätte man sich in ihr auch jemals solcher Mittel bedienen müssen. Könnte es vielleicht sein , dass die Wagenlenker dieses schlimme Ross einfach nur outgesourct haben? So zu sagen mit dem Kapitalismus bzw. der Marktwirtschaft , in einer Wirtschaftsform , bei der sich dieses Ross nach Belieben austoben kann? Dazu nur mal zur Info .. .

Marktwirtschaft .. Gabler Wirtschaftslexikon
Koordinationsformen: Die einzelwirtschaftlichen Planträger (Unternehmer und Haushalte) treffen ihre Entscheidungen über Produktion, Konsum, Sparen und Investieren und damit über Angebot und Nachfrage auf den einzelnen Märkten nach eigenen Zielvorstellungen im Streben nach Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung.
Dazu vielleicht nur zur Ergänzung , Habermas Sicht auf den Kapitalismus ..





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Nauplios
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Sa 6. Apr 2024, 17:57

Timberlake hat geschrieben :
Fr 5. Apr 2024, 21:08
.. auf Philomag .de gefunden ..

Habermas versteht die Welt nicht mehr
Das Thema ("Habermas") ist ohne Frage die Diskussion wert. Dabei denke ich jetzt vor allem an Strukturwandel der Öffentlichkeit von 1962 und an Der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik von 2022. - Das Erstlingswerk von Habermas ist ein Gegenentwurf zu Kosellecks Kritik und Krise von 1959, welches ersichtlich Kosellecks Mentor Carl Schmitt verpflichtet ist. Habermas' Strukturwandel der Öffentlichkeit unterzieht die These von Koselleck einer radikalen Kritik. Der Aufsatz im "Philosophie-Magazin" zeichnet nun, 62 Jahre später ein anderes Bild. - Ich bin gespannt, welche Form der Resignation den 94-jährigen Habermas ergriffen hat, daß er nach jahrzehntelangem Eintreten für kommunikative Vernunft und Aufklärung nun zu der Zeitdiagnose kommt, alles, wofür er gekämpft habe, gehe nun "Schritt für Schritt" verloren. Ist es eine "Kehre" in Habermas' Denken, wie sie ja nicht untypisch für Philosophenbiographien ist? Waren es Fehleinschätzungen im Philosophischen Diskurs der Moderne, die nun ihre Korrektur erfahren? Ist es womöglich ein weiterer Fall von "Syrakus"?




Timberlake
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Sa 6. Apr 2024, 19:23

Nauplios hat geschrieben :
Sa 6. Apr 2024, 17:57
Timberlake hat geschrieben :
Fr 5. Apr 2024, 21:08
.. auf Philomag .de gefunden ..

Habermas versteht die Welt nicht mehr
Ist es eine "Kehre" in Habermas' Denken, wie sie ja nicht untypisch für Philosophenbiographien ist? Waren es Fehleinschätzungen im Philosophischen Diskurs der Moderne, die nun ihre Korrektur erfahren? Ist es womöglich ein weiterer Fall von "Syrakus"?
... gute Frage .. doch lassen wir dazu Habermaß höchstpersönlich zu Wort kommen ..



"Was die sozialdemokratischen Genossen und die Fachkollegen nicht wahrhaben wollen ist eine missliche Konsequenz , die ich wenigsten erwähnen möchte . Ich meine den Umstand , dass eine solche profilierte und sichtbare Identifikation einer großen Partei , von Wissenschaftlern immer noch einen gewissen Preis verlangt, Nur jemand von der unanzweifelbaren akademischen Leistung und philosophischen Rang eines Julian Nida-Rümelin, kann die verschwiegenen Zweifel an der Vereinbarkeit von Parteipolitik und s.g. ernsthafter Philosophie zerstreuen. Die Beziehung von Philosophie und Politik hat eine lange Geschichte. Seit Platon eine zweifelhafte , in der Praxis , Seit Aristoteles mehr oder weniger eine rühmliche in der Theorie. Im historischen Rückblick müssen wir auch festhalten, dass die Philosophie nicht die Mutter , sondern ein Kind der athenischen Demokratie gewesen ist ."


... ich denke mal , dass Habermas in Form der "Kehre" jenen gewissen Preis zahlt , wenn man denn meint als Philosoph .. "in der Praxis(Platon)" .. Einfluss auf die Politik nehmen zu können.
Nauplios hat geschrieben :
Do 4. Apr 2024, 00:04
Syrakus ist zum Codewort für das Scheitern der Philosophen geworden beim Versuch, ihre Philosophie in reale Politik zu transformieren, entweder indem der Philosoph selbst zum Steuermann des Staatsschiffs gemacht wird, aber mehr noch, indem aus dem Herrscher durch Unterricht und Beratung ein Philosoph gemacht werden soll. Platon reiste dreimal nach Syrakus und scheiterte bei solchen Versuchen jedes Mal.

Nach einer Anekdote soll Wolfgang Schadewaldt am Tag nach Heideggers Rücktritt den Philosophen des Seins frühmorgens in der Straßenbahn mit den Worten begrüßt haben: "Nun, Herr Heidegger, sind Sie zurück aus Syrakus?" - Was Heidegger, der "den Führer führen" wollte, geantwortet hat, ist nicht überliefert.

.. und ja , wenn Syrakus zum Codewort für das Scheitern der Philosophen geworden ist , beim Versuch, ihre Philosophie in reale Politik zu transformieren, so könnte man nun mehr auch Habermas fragen , "Nun, Herr Habermas , sind Sie zurück aus Syrakus?" Was Habermas , der die Politik führen wollte, , geantwortet hat, wäre allerdings erst dann überliefert , wenn man ihn danach fragen würde. Vieleicht hat man ihn ja schon gefragt.. Wenn nicht , wäre es allerdingst höchste Zeit. Ob jedoch dafür , der von ihm so verehrte Julian Nidda-Rümelin in Frage käme , würde ich allerdings bezweifeln wollen.




Timberlake
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Sa 6. Apr 2024, 23:37

Bei meiner Recherche zu Habermas bin ich auf einen Artikel gestoßen , den ich für so bemerkenswert halte , dass ich ihn hier einmal zur Gänze zitiere . Übrigens auch und insbesondere vor dem Hintergrund , dass Habermas angeblich die Welt nicht mehr versteht ...
richardegger.ch hat geschrieben :
Jürgen Habermas: „der eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments“

Die Regel, die Jürgen Habermas (*1929) allen sachorientierten Diskussionen vorgibt, leuchtet unmittelbar ein: Natürlich sollen die besseren Argumente sie leiten, nicht Macht oder Eitelkeiten. Selbstverständlich wäre es um die Welt viel besser bestellt, wenn alle sich an diese Devise hielten.

...

https://www.richardegger.ch/jahrhundert ... arguments/

[Mod: Bitte keine kompletten Texte kopieren]
. wird doch vor dem Hintergrund , dass Ängste und Eitelkeiten und somit emotionale Barrieren das Aufkommen von "besseren Argumenten (Habermas ) " verhindern, die Welt , wie sie jetzt ist , nach meiner Meinung , nur allzu verständlich. Ich nehme mich da übrigens nicht aus, so wie meine Ängste mein Blick trüben und eine Sache einseitig sehen lässt. Ich denke mal . @Nauplios bzw. @Jörn wissen allzu gut , von was dabei die Rede ist und welchen Einfluss sie auf aktuelle Debatten hier im Forum haben . Schwierige Auseinandersetzungen , die nicht nur mir Kopfzerbrechen bereiten.

Das Zitat „der eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments“ stammt übrigens aus Jürgen Habermas Hauptwerk "Theorie des kommunikativen Handelns " . Zumindest nehme ich das einmal an. Übrigens sehr bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist seine Bezugnahme auf Talcott und Parsons . Ergeben sich daraus nahezu zwangsläufig Parallelen zu Luhmanns Systemtheorie.

Beispiel
  • Jürgen Habermas über Geld – Lexikon der Argumente
    Geld ((s) von Habermas an dieser Stelle als Steuerungsmedium betrachtet) muss zirkulieren können ((s) d. h. es muss vorübergehend im Besitz eines einzelnen sein können).
    Habermas: Außerdem muss es deponiert werden können und nach dem Modell von Schumpeter investiert werden können. In einem monetarisierten Wirtschaftssystem bestehen grundsätzlich vier Optionen für einen Geldbesitz: horten (dem Kreislauf entziehen) oder ausgeben (für Güter), sparen ((s) Siehe auch Sparen/Rawls) oder anlegen ((s) in Produktionsmitteln).
  • Niklas Luhmann .. Anschluss
    . Im Wirtschaftssystem beispielsweise sorgt der Code zahlen/nicht zahlen dafür, dass die Kommunikationen sich auf sich selbst beziehen und sich selbst reproduzieren können, also dass auf jede Zahlung eine neue erfolgt. Dies funktioniert über das generalisierte Kommunikationsmedium Geld, das die letzte Zahlung mit der jetzigen verknüpft. Würde das Geld nicht mehr akzeptiert, folgt der Zahlung keine weitere Zahlung mehr und das System hätte seine Anschlussfähigkeit verloren. Die Anschlussfähigkeit innerhalb eines Systems wird als Selbstreferenz bezeichnet, im Gegensatz zum fremdreferentiellen Bezug auf die Umwelt (Welt, andere Systeme)
Mit Geldbesitz: horten (dem Kreislauf entziehen) würde übrigens das Geld System seine Anschlussfähigkeit verlieren. Nur um einmal vorzuführen, wie Habermas und Luhmann quasi gemeinsam an einem Strang ziehen und natürlich nicht zu vergessen , damit einer meiner Ängste zu benennen, die mein Blick trüben.




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Nauplios
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So 7. Apr 2024, 10:22

Timberlake hat geschrieben :
Sa 6. Apr 2024, 23:37

Nur um einmal vorzuführen, wie Habermas und Luhmann quasi gemeinsam an einem Strang ziehen ...
Es mag in der einen oder anderen Hinsicht durchaus Gemeinsamkeiten in den Gesellschaftstheorien von Habermas und Luhmann geben. Augenfälliger allerdings sind ihre Differenzen.

Exemplarisch zeigt sich eine solche Differenz an einem der zentralen Konzepte bei Habermas, der Vernunft im Sinne einer kommunikativen Rationalität. Nach der Habermas' schen Diskursethik bedeutet das: Ausrichtung der Kommunikation auf Verständigung und Konsens unter der Regie des "zwanglosen Zwangs des besseren Arguments". Praktische Vernunft ist die Voraussetzung für eine freie und gerechte Gesellschaft. Die Rettung der Moderne liegt in diesem Zusammenspiel von Vernunft, divergierenden Geltungsansprüchen, Moral, Politik usw. Und dabei kommt dem Intellektuellen eine ausgezeichnete Rolle zu (s. Video oben).

All das verwirft Luhmann ("Nie wieder Vernunft!"). An die Stelle der Vernunft tritt Polykontexturalität, d.h. die moderne Gesellschaft auf ein einheitliches Prinzip wie Vernunft festzulegen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. "Unsere Phänomene sind uns operativ voraus und daher auf eine prinzipielle Weise unzugänglich. Unser Denken kommt zu spät und ist nie auf der Höhe seiner selbst." (Dirk Baecker; Nie wieder Vernunft. Kleinere Beiträge zur Sozialkunde; S. 270) Es gibt keine privilegierte Sicht auf die Gesellschaft. Nicht Einheit (Vernunft), sondern Differenz (Polykontexturalität). Nicht der Intellektuelle, sondern der Beobachter. Nicht Konsens, sondern Dissens.




Timberlake
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Mo 8. Apr 2024, 14:23

Nauplios hat geschrieben :
So 7. Apr 2024, 10:22


Es mag in der einen oder anderen Hinsicht durchaus Gemeinsamkeiten in den Gesellschaftstheorien von Habermas und Luhmann geben. Augenfälliger allerdings sind ihre Differenzen.

Exemplarisch zeigt sich eine solche Differenz an einem der zentralen Konzepte bei Habermas, der Vernunft im Sinne einer kommunikativen Rationalität.

All das verwirft Luhmann ("Nie wieder Vernunft!").
"Nie wieder Vernunft! .. dieses "Verwirfnis" kannte ich bisher von Luhmann nicht. Um sich dazu mal mit dem Mythos einem Steckenpferd Blumenbergs ( Keine Politik ohne Mythos ) zu bedienen ...
Philosophie Lexikon der Argumente hat geschrieben :
Jürgen Habermas über Lebenswelt – Lexikon der Argumente

Mythos/Mythen/Habermas: In mythischen Weltbildern als Interpretationshintergrund einer Lebenswelt in einer sozialen Gruppe ist den einzelnen Angehörigen die Last der Interpretation ebenso abgenommen wie die Chance, selber ein kritisierbares Einverständnis herbeizuführen. Hier wird das sprachliche Weltbild als Weltordnung reifiziert und kann nicht als kritisierbares Deutungssystem durchschaut werden.
. so will mir Habermas zentrales Konzept , die Vernunft im Sinne einer kommunikativen Rationalität , gleichfalls als ein mythisches Weltbild erscheinen. Ein mythisches Weltbild , wo den einzelnen Angehörigen einer sozialen Gruppe, mit der Aussicht eines steten Wirken der Vernunft , die Last der Interpretation abgenommen wird . Das sich dieses "sprachliche Weltbild als Weltordnung" der Reifizierung und somit der steten Vergegenständlichung mitunter entzieht , sollte mittlerweile selbst Habermas deutlich geworden sein. Wenngleich im Sinne Nietzsches umgewertet , die derzeit grassierende Unvernunft möglicherweise durchaus vernünftig ist. Wie auch demzufolge .. umgekehrt , umgewertet .. die Vernunft durchaus auch unvernünftig sein kann . Wer kann das wissen , wenn dergleichen ..als Mythos! .. ebenfalls nicht als kritisierbares Deutungssystem durchschaut werden kann.,
Nauplios hat geschrieben :
So 7. Apr 2024, 10:22
An die Stelle der Vernunft tritt Polykontexturalität, d.h. die moderne Gesellschaft auf ein einheitliches Prinzip wie Vernunft festzulegen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. "Unsere Phänomene sind uns operativ voraus und daher auf eine prinzipielle Weise unzugänglich. Unser Denken kommt zu spät und ist nie auf der Höhe seiner selbst." (Dirk Baecker; Nie wieder Vernunft. Kleinere Beiträge zur Sozialkunde; S. 270) Es gibt keine privilegierte Sicht auf die Gesellschaft. Nicht Einheit (Vernunft), sondern Differenz (Polykontexturalität). Nicht der Intellektuelle, sondern der Beobachter. Nicht Konsens, sondern Dissens.
Dafür und zwar , das die Vernunft , wie auch die Unvernunft .. als Mythos! .. und somit als kritisierbares Deutungssystem nicht durchschaut werden kann, würde übrigens auch die hier beschriebene Polykontexturalität sprechen. Insofern es eigentlich heißen müsste "Nie wieder eine unvernüftige Vernunft , wie auch nie wieder eine vernünftige Unvernunft" . Das würde im Übrigen , weil sich nach seiner Ansicht Gegensätze nicht ausschließen , ganz im "Gegenteil" , auch ganz im Sinne Hegels sein . Nicht dissensualer Konsens, sondern konsensualer Dissens . Wie auch nicht konsensualer Dissens , sondern dissensualer Konsens.




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