ICH BIN MIT MEINER AMEISE GEGEN EZRA

Raum für Besprechung von Romanen, Gedichten und Geschichten
Antworten
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 23. Sep 2023, 10:44

ICH BIN MIT MEINER AMEISE GEGEN EZRA
Pound angetreten, laut Jury lagen wir bis
Zuletzt vorn, aber Pound, Pound kam noch
Mal zurück, auch mit einer Ameise, allein hätte er
Es nämlich nicht gegen uns geschafft ...

https://www.poetenladen.de/thomas-kunst-neue-lyrik.htm




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 24. Sep 2023, 17:01

Um diesen Text zu verstehen, musste ich was nachlesen, vor allem Pound, aber ob ich alles verstanden habe, bezweifel ich.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 24. Sep 2023, 17:23

Mir geht es nicht anders. Das meiste, wovon in dem Gedicht die Rede ist, kannte ich nicht. Einiges habe ich gestern recherchiert, aber vieles wird mir wohl verborgen bleiben.

"Die Ameise ist ein Zentaur in seiner Drachenwelt" ist wohl eine Zeile aus einem bekannten Gedicht von Pound. Davon hatte ich noch nie gehört.

Pound war ein Bewunderer Mussolinis und Antisemit, auch das wusste ich nicht. Viele Textstellen erklären sich wohl nur aus diesem Zusammenhang und aus der unglaublichen Lebensgeschichte Pounds, Castel Fontana zum Beispiel: "Bekannt wurde es schließlich Ende der 1950er Jahre, als der amerikanische Dichter Ezra Pound (1885-1972) es zu seinem Wohnsitz wählte. Er vollendete hier sein Lebenswerk, die Cantos. Von 1962 bis zu seinem Tod war er als Bürger von Dorf Tirol gemeldet, ihm ist die Ezra-Pound-Gedenkstätte im Schloss gewidmet...".

Bei Ulpana und Migron geht es wohl um die israelische Siedlungspolitik. Vielleicht erklärt das auch das Auftauchen des Ziegelsteins?

Jedenfalls stammt der Text aus einer Welt, von der ich nicht viel verstehe.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 24. Sep 2023, 18:07

Schön, daß es Dir ähnlich ergeht wie mir :- ).

Die Hinweise, dass es um Isreal, die Siedlungspolitik, die Kämpfe, Ziegelsteine etc. geht war klar. U.A. West Bank ist deutlich. Mir kamen auch die Tunnel in den Sinn, die vor allem zu Ägypten existieren, die zur Versorgung dienen. Ich wusste nur nicht, welche Einstellung Pound hatte, die er ja nach 1945 nie korrigiert hat oder von einem Fehler gesprochen hat. Musste ich nachlesen.
Ameisen leben in einem Kollektiv, wie eine Armee. Jeder hat seine Aufgabe. Es gibt sowas wie eine streng Hirarchie, die Arbeitsameisen und die Königen. In dem Text wird auch auf den Stellenwert einer Arbeiterin eingegangen.
So ein Ameisenbau hat Gänge und Tunnel.
Das mit dem Kentauer musste ich nachlesen. Die Ameise von Pound ist ein Mischwesen in einer Drachewelt. Eine Drachenwelt ist keine schöne Welt. Dann gibt in dem Text noch die andere Ameise, die mit dem Zucker und den Ziegelsteinen. Mal müssen Ziegelsteine geworfen werden oder abgewehrt werden und mal gibt Zucker.
Pound hat ja gewonnen, also seine politischen Einstellungen. Seine Ameise hat gewonnen. Dieses Mischwesen, mehr Krieger als Friedensstifter. Der Antisemitismus hat gewonnen,
Mir ist nur nicht ganz klar, ob der Autor die Siedlungspolitik verteidigt oder auch kritisiert.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 24. Sep 2023, 18:18

Ezra Pound: 30. Oktober 1885 - 1. November 1972
Martin Heidegger: 26. September 1889 - 26. Mai 1976




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 24. Sep 2023, 18:28

Ich habe diese Lebensdaten herausgesucht, nicht weil ich glaube, dass Heidegger in dem Gedicht vorkommt, sondern weil die Problematik, die sich mit ihm verbindet, sehr ähnlich ist. Auf der einen Seite eine ganz herausragende Figur der Geistesgeschichte und auf der anderen Seite ein überzeugter Nazi, der sich nie wirklich zu seiner Schuld bekannt hat. Ich denke, man könnte leicht andere Beispiele finden, ein kürzlich geschlossener Thread hatte vielleicht etwas Ähnliches zum Thema.

Ich kenne nichts von Pound, aber nach dem, was ich gestern gelesen habe, muss seine Sprache wunderbar gewesen sein, seine Gedichte einzigartig.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass diese Zerrissenheit für einen Dichter ein Problem darstellt, vielleicht widmet er ihr ein Gedicht? Ich habe natürlich nicht die geringste Ahnung, ob da was dran ist.

Was den Sieg Pounds und der Jury betrifft, so wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass Pounds politische Einstellung gewonnen hätte, sondern es war meiner Meinung nach ein Wettstreit zwischen zwei Dichtern, aber vielleicht ist das zu einseitig gesehen. Dieser Wettstreit mit den Dichtern und den Ameisen hat für mich etwas total Absurdes und Groteskes und es würde mich nicht wundern, wenn es genauso zu verstehen ist.

Jurys gibt es in der Kunst relativ häufig, z.B. wenn es um die Vergabe von Stipendien oder Preisen geht, vielleicht gibt es sie in der Literatur noch mehr als in der bildenden Kunst, das kann ich nicht sagen.

Was die Kilometer angeht, die ausgeschrieben sind -siebenhundertneunundfünfzig statt
Dreihundertdreiundsiebzig Kilometer - habe ich überhaupt nichts gefunden, ich wüsste auch nicht, wie ich hätte suchen sollen...




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 24. Sep 2023, 18:41

Wettstreit zwischen zwei Dichtern kann es auch sein. Darauf bin ich nicht gekommen. Wer weiß es schon....
Ich finde schon, dass der Text viele politische Elemente enthält.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 24. Sep 2023, 18:50

Ich habe jetzt einfach mal 759 und Israel eingegeben
https://de.wikipedia.org/wiki/Israelisc ... ordanland)

Zu der anderen Zahl habe ich nichts gefunden.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 24. Sep 2023, 19:14

Während die Wissenschaft noch nach Antworten auf Fragen sucht, wirft er ihr „Eitelkeit des Dechiffrierens“ vor. Kunst möchte nicht verstanden werden
...
Sich auf Kunst einlassen, die Worte als Klangerlebnis erfahren, es mag nicht jedem leichtfallen.
"Kunst möchte nicht verstanden werden." Das ist natürlich eine sinnige Doppeldeutigkeit :) Praktisch, wenn der Künstler Kunst heißt. Diese beiden Sätze stammen aus einem Text über Thomas Kunst, den ich mit dem Stichwort "Eitelkeit des Dechiffrierens" gefunden habe.

Roger M. Buergel, der Kurator der documenta 12, hat bei einem Pressegespräch im Vorfeld der Ausstellung gesagt, sein Lieblingsausstellungstitel sei "Dinge, die wir nicht verstehen". Das Unverständliche oder auch Rätselhafte war schon immer ein wichtiger Teil der Kunst, da ist Thomas Kunst sicher in guter Gesellschaft, das unterschreibe ich natürlich ebenso. Auch wenn wir uns hier gerade in der "Eitelkeit des Dechiffrierens" bemühen, glaube ich nicht, dass wir damit zu einem Ende kommen können, das wäre sicher auch eine Niederlage für die Dichtkunst.

Aber ich glaube, dass solche Untersuchungen, wie wir sie gerade machen (danke, dass du mitmachst), unerlässlich sind, weil sonst keine der Anspielungen erklingen kann oder auch nur eine Dissonanz erzeugt. Am Anfang ist es für mich fast immer "mühsam", aber wenn ich ein paar Sachen gefunden habe, fängt es meistens auch an, "Spaß" zu machen, und es ist spannend, den vielen Spuren und Fährten zu folgen, die gelegt wurden, auch wenn sie meistens nicht zu einem einfachen Ziel führen.

Ich mache das gerne hin und wieder mit Gedichten, obwohl ich natürlich auch Gedichte mag, die einfach so reingehen :)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 24. Sep 2023, 19:59

Stefanie hat geschrieben :
So 24. Sep 2023, 18:50
Ich habe jetzt einfach mal 759 und Israel eingegeben
https://de.wikipedia.org/wiki/Israelisc ... ordanland)

Zu der anderen Zahl habe ich nichts gefunden.
Vielleicht ist die andere Zahl irgendeine, die nur für ihn selbst von Bedeutung ist, wer weiß.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 24. Sep 2023, 20:13

Dieser Text setzt einfach zu viel Wissen aus unterschiedlichen Gebieten voraus. Einmal über den genannten Dichter, sowohl über sein Werk, aber auch seine Einstellungen und seinen Wohnort. Dazu die politische Lage. Das ist schon eine Überfordung der Leser*innen. So kann man auch künstlich Kunst schaffen, die nicht verstanden werden will. Wenn ich mal dezent Kritik üben kann.

Nehmen wir mal diese Zeilen
Es nämlich nicht gegen uns geschafft, wir spielten
Zu viert Palästina, West Bank, geharkte Sandwege,
Bewegungsmelder, wir mussten uns vorher nackt
Ausziehen, in die Hocke gehen und
Husten,

Man kann das auch so setzen, zum besseren Verstehen:
Es nämlich nicht gegen uns geschafft, wir spielten zu viert Palästina, West Bank.
Geharkte Sandwege, Bewegungsmelder, wir mussten uns vorher nackt Ausziehen, in die Hocke gehen und Husten.

Zu viert deshalb, weil zwei Dichter und ihre jeweilige Ameise. Und danach der Kontrast zu der Situation in Palästina, die geharkten Sandwege mit den Bewegungsmeldern, wahrscheinlich die Burg von Pound.
Diejenigen, die aus Palästina in diese schöne Welt wollen, müssen sich entwürdigend.


Kann aber auch anders sein.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 24. Sep 2023, 20:25

Aber als Künstler:in kannst du nicht aus deiner Haut. Wenn es in der Welt etwas gibt, das dich beschäftigt, dann kann es einfach sein, dass du damit raus willst, egal ob die anderen es wissen oder nicht.

Außerdem finde ich, dass dieses Wissen in diesem Gedicht nicht so speziell ist, weil der Nahostkonflikt und Ezra Pound - da kann man schon einiges als bekannt voraussetzen, finde ich. Und wenn nicht, dann muss man sich eben informieren, so wie wir es jetzt tun. :)

Es gibt noch einen anderen Punkt, ich finde es exemplarisch, dass wir nicht alle das gesamte Weltwissen teilen, dass es letztlich eine Situation ist, mit der wir ständig zu tun haben.

Übrigens: Ich gehe immer davon aus, dass das, was ich weiß, das Mindeste ist, was man wissen sollte.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 24. Sep 2023, 20:34

Ich erinnere mich, vor vielen Jahrzehnten etwas über Ezra Pound gelesen zu haben. Es ging in den Text aber nicht primär um Pound, sondern um den Dichter W.C. Williams. Williams war im Gegensatz zu Pound oft ein Dichter der einfachen Sprache. Er hat als Arzt gearbeitet und sozusagen zwischen zwei Behandlungen seine Gedichte geschrieben, die übrigens wirklich genial sind, während Pound immer sehr gelehrt, sehr anspielungsreich und sehr komplex war. Die beiden wurden in dem Aufsatz gewissermaßen als Gegensatzpaar behandelt, obwohl sie sich wohl kannten, aber ich weiß nicht, wie sehr sie sich mochten/schätzten.

Könnte es sein, dass Thomas Kunst mit seinem Anspielungsreichtum in diesem Gedicht in gewisser Weise Pound imitiert? Das würde auch zu der Jury-Situation passen, denn Anspielungsreichtum kann natürlich auch, wie du es dem Text ja vorgeworfen hast, als Inklusions-/Exklusions-Spiel verstanden werden.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 24. Sep 2023, 20:44

Herr Kunst hat Pädagogik studiert....sowas aber auch : - )

Nicht entscheidend...konnte ich mir aber nicht verkneifen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 25. Sep 2023, 08:38

Was die Zeilenumbrüche angeht: Ich mag das. Es stört den Lesefluss und man weiß nie so recht, ob man in einem Gedicht oder in einem Prosa-Text ist.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7322
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mo 25. Sep 2023, 19:17

Ich habe nichts gegen die Zeilenumbrüche. Es ist Lyrik. Wenn ich aber nicht ganz klar komme, lese bzw. schreibe ich es dann mal anders.

Am Anfang des Textes war noch die Rede von geharkten Sandwegen und Bewegungsmelder und zum Ende hin wird daraus
West Bank,
Verunstaltete Sandwege, Elektronik, Beton, aber
Wir konnten doch nicht gleichzeitig fliegen und
Werfen, Venedig, die Dolomiten, Castel Fontana.

Beide Parteien haben Schaden durch diesen Wettstreit davon getragen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 25. Sep 2023, 20:35

Stefanie hat geschrieben :
Mo 25. Sep 2023, 19:17
Wenn ich aber nicht ganz klar komme, lese bzw. schreibe ich es dann mal anders
Ja, okay, das habe ich auch schon gelegentlich getan. Dabei habe ich wiederholt erlebt, dass sich bei diesem Versuch zeigt, dass es jeweils mehrere plausible "Normalisierungen" der Schreibweise gab.




Antworten