Weiterkommen in der Philosophie

Hier geht es um die Philosophie selbst, denn sie kann sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen - zum Beispiel: Was ist Philosophie? Was sind die Themen der Philosophie? Wie grenzt sie sich von anderen Disziplinen ab? ...
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Alethos
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Do 17. Sep 2020, 13:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 07:33

Die Leinwände entsprechen dabei vielen verschiedenen "Ordnungen": die Wirklichkeiten sind bunt.
Mir gefällt die Darstellung der neorealistischen Position mit der Figur der Leinwand sehr. Es geht beim Realismus um ontologischen und epistemologischen Pluralismus und das muss man ihm zugutehalten. Er verteidigt die Vielfalt der Dinge auch gegen Vereinnahmungen von jeglicher Seite, z.B. vonseiten der Naturwissenschaften, und rät dringend, an die spezifischen Dinge mit den für diese Dinge passenden Erkenntniswerkzeugen heranzutreten.

Wir müssen aber auch sehen, dass der Realismus jene Position ist, die behauptet, von Tatsachen abziehen zu können, was allein wahr über etwas ist. Im Feld moralischer Fragen postuliert der Realismus, dass es eindeutige Wahrheit gibt und stellt divergierende Ansichten als falsche dar. Das geht gegen einen Meinungspluralismus, denn gerade Meinungen, Bewertungen, Ansichten will der Realismus nicht zugestehen, dass sie Wahrheit begründen können, resp. nur insofern sie übereinstimmen mit der absoluten Wahrheit.
Und ich meine, das dies bspw. weder in der Philosophie so funktionieren kann noch in der Politik, dass man mit Bezug auf Moral setzt, was als wahr zugelten hat und dadurch definiert, was als falsch zu gelten habe. Auch geht das im Bereich der Ästhetik nicht, dass man sagt, etwas sei an und für sich schön und man habe sich bloss an der Sache zu vergewissern, dass es sich so verhält. Das geht deshalb nicht, weil die Sache selbst - ontologisch gesehen - vielfältig ist und der individuelle Aspekt des Draufsehens Teil des Phänomens ist. Die Bewertung, die Ansicht und die Draufsicht haben Legitimation, wenn es darum geht, in das Phänomen als solches als einer seiner vielen und unzähligen Kontexte einzufliessen.

Kurzum: Wenn die Sache selbst entscheiden soll über Wahrheit, dann bleibt dem Subjekt im besten Fall der Nachvollzug von durch die Sache selbst etablierter Richtigkeit, wobei er im wahrsten Sinn gegenüber der Sache als subiectum auftritt - als Untergeordneter. Es stimmt, dass das Subjekt deshalb irren kann, weil es objektive Wahrheit gibt, aber es gibt auch Sachverhalte, deren Wahrheitsfähigkeit ohne soziale, geschichtliche und subjektive Implikationen gar nicht gegeben ist - dass es also Objektivität gewisser Dinge nicht gibt ohne Subjekte. Blendet man das einfach aus und postuliert ein Sosein dieser Dinge an und für sich, degradiert man alle divergierenden Meinungen, die dieses Sosein betreffen, zu irrigen, fehlerhaften Ansichten und erkennt nicht an, dass sie Teil der Wahrheit sind, die diese Sachverhalte betreffen: Das gilt
für politische, soziale und natürlich auch für philosophische Sachverhalte: dass die Empfindungen der Menschen, ihre Ansichten etc. als Aspekt des Soseins der Sachverhalte, als Kontexte oder aber als Konstituenten, mit diesen Sachverhalten verwoben sind.

Man muss, so denke ich, Philosophie optimistisch betreiben und ihr Fortschritt begreifen als Zurückgehen hinter die Position klarer Verhältnisse. Klarer Grenzen. Eindeutiger Begriffswahrheiten oder Definitionen. Man sollte sie betreiben als ein inklusives Bestreben, durch welches Meinungsunterschiede nicht mit scharfen Argumenten bekämpft werden, sondern wo sie sich austarieren lassen durch ihre Vielstimmigkeit. Als Konzert vielleicht, wie es Nauplios vorschlug, bei dem jeder ein Nötchen mitzuspielen hat. Mögen Andere und Spätere dann befinden, ob es gut klang oder nicht.



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Jörn Budesheim
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Do 17. Sep 2020, 14:24

Alethos hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 13:21
Wir müssen aber auch sehen, dass der Realismus jene Position ist, die behauptet, von Tatsachen abziehen zu können, was allein wahr über etwas ist.
Bevor ich dazu etwas schreiben kann: Was bedeutet das?




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Alethos
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Do 17. Sep 2020, 15:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 14:24
Alethos hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 13:21
Wir müssen aber auch sehen, dass der Realismus jene Position ist, die behauptet, von Tatsachen abziehen zu können, was allein wahr über etwas ist.
Bevor ich dazu etwas schreiben kann: Was bedeutet das?
Dass man an den nichtgedanklichen Sachverhalten allein feststellen könne, was wahr über sie sei.



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Jörn Budesheim
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Do 17. Sep 2020, 15:40

Da muss ich passen, das verstehe ich auch nicht. Was ist ein nichtgedanklicher Sachverhalt?




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Jörn Budesheim
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Do 17. Sep 2020, 16:31

Nehmen wir mal zwei Beispiele: Ich halte es für eine moralische Tatsache, dass wir Kinder nicht zum Spaß quälen dürfen. Wenn ihr es für keine Tatsache haltet, was ist es dann? Ich halte es darüber hinaus für einen Fortschritt, dass es bei uns in der Schule keine Prügelstrafe mehr gibt. Was ist das eurer Ansicht nach Eurer Einschätzung? Ein Rückschritt? Wohl kaum. Ein Stillstand? Eine zufällige Änderung? Was ist es, wenn es kein Fortschritt ist?

Wieso ist es eine Einschränkung des Meinungspluralismus, wenn ich denke, dass es sich um eine Tatsache handelt, dass es falsch ist, Kinder zu quälen? Wieso soll es den Meinungspluralismus einschränken, wenn man sich in etwas irren kann?




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Jörn Budesheim
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Do 17. Sep 2020, 18:25

Wie kann man eigentlich mit ethischen Argumenten (Einschränkung der Meinungspluralität) gegen die Gültigkeit der Ethik argumentieren?




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 16:31
Nehmen wir mal zwei Beispiele: Ich halte es für eine moralische Tatsache, dass wir Kinder nicht zum Spaß quälen dürfen. Wenn ihr es für keine Tatsache haltet, was ist es dann?
Du nimmst hier eine Tatsache: "Kind wird geschlagen." und sagst, dass darin die moralische Tatsache kodiert sei, dass es falsch ist. Das meinte ich mit: "den Tatsachen abziehen, dass etwas wahr über etwas ist."

Wir werden wohl kaum darüber eineins gehen, dass es falsch ist, Kinder zu schlagen. Die Argumentation ist hier entscheidend: Wenn du sagst, die Tatsache selbst liefere den Grund dafür, bist du Realist (Grund = Tatsache, die für etwas spricht). Wenn du sagst, dass es kulturbedingt falsch ist, dass es zeitgeschichtlich anders beurteilt werden kann etc, ob es richtig oder falsch ist, ein Kind zu schlagen, bist du Relativist.
Wenn du sagst, der moralische Relativismus sei falsch, weil Universalismus gilt, dann erhebst du einen Wahrheitsanspruch und sagst zugleich, dass die davon abweichende Ansicht irrt. Menschen in anderen Kulturkreisen, mit anderer Sozialisation, die Kinder schlagen, müssen dann als rückschrittlich angesehen werden, denn sie tun ja gerade nicht das, was fortschrittlich nach deinem Begriff ist, sondern das genaue Gegenteil. Das aber ist eine Abwertung des Falschen zugunsten des Richtigen, eines Richtigen, von dessen universaler Wahrheit du überzeugt bist. Fortschritt muss in Konsequenz die Verleugnung der Richtigkeit der abweichenden Ansicht sein.

Nun nehmen wir vielleicht ein aktuelles Beispiel aus unseren Breitengraden: das Flüchtlingslager in Moria und die Frage, ob es richtig ist, alle Flüchtlinge aufzunehmen. Du behauptest, wenn ich es richtig erinnere, dass es moralisch geboten und richtig ist, diese Flüchtlinge aufzunehmen.
Wäre es aber z.B. nicht richtig(er), ihnen in ihrer Heimat ein Leben in Sicherheit und Würde zu ermöglichen, anstatt ihnen den zum Teil entwürdigenden Gang durch die Migrationsämter anzutun? Oder wäre es gar richtig, sich um sie gar nicht zu kümmern, weil ein jeder selber bestehen soll
in dieser Welt? Oder wäre es vielleicht sogar besser, wir würden unsere Ressourcen in den Umweltschutz stecken anstatt in einzelne Menschen, weil die Umwelt die Lebensgrundlage aller
Lebewesen ist und nicht nur von 12'000?
Ressourcen sind knapp, das ist ein Fakt, darum müssen wir ja auch priorisieren und Entscheidungen treffen, aber zu wessen Gunsten und zu wessen Ungunsten?
Die Erörterung dieser Fragen ist eine ethische und man tut der Sache keinen Dienst, wenn man davon ausgeht, es gebe da in der Sache ganz klare Handlungsanweisungen. Wir müssen abwägen, wir müssen dies mit dem aufrechnen, auch wenn es uns nicht gefällt, dass wir es müssen: Wir haben oft keine andere Wahl. Und wenn die Philosophie an irgendeiner Stelle behauptet, dass dies nicht nötig sei, dass sie klare und eindeutig richtige Antworten bereit halte, dann mag das auf der theoretischen Abstraktionsebene wahr sein, aber das ist nicht die Ebene, in der das Leben für gewöhnlich spielt, weil das Leben nicht idealistisch organisiert ist, sondern pragmatisch. Hier kommt die Politik ins Spiel, wo natürlich auch idealistisch verfahren wird, aber doch am Ende Kompromisse und mehrheitsfähige Lösungen gefunden und realpolitische Entscheidungen getroffen werden müssen. Das ist das Vage an der Wirklichkeit, die wir mitgestalten, dass sie uns keine klaren Anweisungen gibt, aber nur deshalb, weil es Klarheit und scharfe Distinktion nicht gibt. Dieser Tatsache müssen wir als philosophische Theoretiker gerecht werden, wenn wir relevante Mitsprache bei der Gestaltung von Lebenswirklichkeit haben wollen.

Bei dieser Einsicht beginnt sodenn das wirkliche Spiel der Offenheit, der Vorläufigkeit, der Provisorien, denn wo keine klare Wahrheit festen Halt gibt, wo sie uns den Weg zu sich nicht weist mit lauter Stimme, da müssen wir voranschreiten von A nach B im Wissen, dass A nicht schlechter war als B und dass C vielleicht gar nie folgt. Das ist ein nach allen Seiten offenes Voranschreiten, ein iteratives Vorhehen, ein pragmatisches. Keine Szenarien sind so klar wie die selbst gezeichneten, da steckt verlässliche Wahrheit drin, vergängliche, allemal.



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Nauplios
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Do 17. Sep 2020, 20:03

Kleine Kinder sollte man nicht quälen. Zu dieser Einsicht kann nur kommen, wenn sich zum Neuen Realismus bekennt? -

Kleine Kinder quälen, verprügeln ... das ist immer das Beispiel von Markus Gabriel in vielen Interviews. Daß wir das heute nicht mehr tun, wird als moralischer Fortschritt ausgewiesen. Wer möchte da nicht für diesen Fortschritt sein? -

Im Corona-Thread haben wir gerade den Fall, daß Herbert auf einen Text verlinkt, der sich in einem privaten Blog befindet. Inhaltlich findet dieser Text keine Zustimmung. Nun steht aber der Text ebenso in einem anderen Blog, das AfD- und Pegida-Nähe erkennen läßt. Mit einem Mal steht der Text also in einem anderen Zusammenhang. Manches aus diesem Zusammenhang würde wohl von der Administration nicht geduldet, sollte es hier auftauchen. Aus dem anfänglichen "Kopfschütteln" ist ein deutlicher, dreifacher Hinweis geworden, daß man solche Texte hier eigentlich nicht dulden mag. - Im "Ohrgewürm" habe ich letzte Woche auf ein Stück des Komponisten Hans Pfitzner verlinkt mit dem Titel "Blütenwunder" aus der Oper "Die Rose vom Liebesgarten". Auch hier ist eine Neubewertung möglich, wenn man einen Zusammenhang herstellt. Pfitzners op. 54 heißt "Krakauer Begrüßung" und ist dem "Polen-Gouverneur" Hans Frank gewidmet, auch bekannt unter dem Namen "Schlächter von Ausschwitz". - Pfitzner schrieb 1934 und 1936 flammende Wahlaufrufe für Hitler und bekannte sich bis zu seinem Tod 1949 zu einem glühenden Antisemitismus. "Das Weltjudentum ist nicht nur ein Rasseproblem, sondern auch ein Weltanschauungsproblem." (Hans Pfitzner). Dem "Schlächter von Ausschwitz", der im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet - sie wird am 16. Oktober 1946 durch den Strang vollzogen - schreibt Pfitzner ein tröstendes Telegramm, denn er hat zu ihm eine "enge Beziehung". -

Was nun? - Den Corona-Text stehen lassen, Pfitzner löschen (wofür ich Verständnis hätte) oder den Pfitzner ebenfalls stehen lassen (wofür ich ebenfalls Verständnis hätte) oder beides löschen oder beides stehenlassen? - Gibt es zwischen beiden "Fällen" einen Unterschied? - Ist das eine verschwörungstheoretische Propaganda, das andere Kunst? - Soll man die Kunst eines überzeugten Nazis lancieren? - Ist das überhaupt noch Kunst? - Kann man das "Blütenwunder" vielleicht noch akzeptieren? - Was ist, wenn das nächste Musikvideo "Krakauer Begrüßung" heißt? - Würde es ohne meinen jetzigen Hinweis akzeptiert worden sein so wie das "Blütenwunder"? - Was gebietet in diesen Fällen der "moralische Fortschritt? -

Daß man Kinder nicht quälen soll, dazu braucht es keinen Neuen Realismus. Und daß es Wahrheiten gibt wie "5 + 7 = 12", dazu braucht es auch keinen Neuen Realismus. - Erst in den vielen Grenzfällen erweist sich die Leistungsfähigkeit einer Moralphilosophie. Der Neue Realismus suggeriert mit seinen Beispielen vom Kinderquälen, daß der moralische Fortschritt ganz einfach zu haben sei, es scheitere nur am guten Willen. Doch in den allermeisten Fällen handelt es sich um Ermessens- und Abwägungsentscheidungen, die Menschen treffen müssen, ohne über absolute Maßstäbe zu verfügen. -

(Ich lese gerade Deinen letzten Beitrag, Alethos. Er trifft genau das, was ich auch denke.)




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Alethos
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Do 17. Sep 2020, 20:48

Und ich finde, dein Beitrag trifft ziemlich genau das, was ich sagen will.

Zudem fände ich es wichtig fürs Forum, dass es ein Gleichgewicht der Kräfte gibt, dass sich eine Atmosphäre der Offenheit, des gegenseitigen Verständisses bildet, in der sich verschiedene Ansichten entfalten können. Es sind ja primär Menschen, die hier schreiben, und nicht Repräsentanten einer ideologischen Front. Und es sind gelegentlich vielleicht nur am Rande philosophisch Interessierte, die sich spielerisch auf philosophischen Boden wagen. Ihnen sollten wir das Gefühl zu vermitteln versuchen, dass sie willkommen sind und dass ihre ersten Gehversuche hier nicht ein Gang vor den Philosophenrichter bedeuten. Aber das bedeutet auch, dass wir es vermeiden sollten, den Vorstössen hier die Beine mit dem argumentativen Einhänder abzuhacken. Lassen wir auch Raum für Irrtümer, gerade auch für jene, die wir für solche halten.



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Stefanie
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Do 17. Sep 2020, 21:17

Geht es jetzt um die Fragestellung Weiterkommen in der Philosophie, oder um den Neuen Realismus? Bei letzteren bin ich raus, dazu habe ich mit damit zu wenig beschäftigt.
Die andere Frage, und deren Variante, wie z.B. Weiterkommen mit oder und durch die Philosophie interessanter.
Und ich wünsche mir weniger süffisante Bemerkungen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Alethos
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Do 17. Sep 2020, 21:22

Ich wende mich gegen die Prädominanz gewisser Ansichten, das müssen nicht zwingend deine sein, Jörn.



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Jörn Budesheim
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Do 17. Sep 2020, 21:25

Wie gesagt, mir geht es um die Wahrheit und darum weiterzukommen.




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Do 17. Sep 2020, 21:34

Stefanie hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 21:17
Und ich wünsche mir weniger süffisante Bemerkungen.
Im Französischen heisst suffisant "sich selbst genügend". Insofern du deinen Wunsch ohne Adressat plazierst, genügt er sich wohl selbst? :) Ich will nicht süffisant klingen.

Sollte ich spöttisch und überheblich geklungen haben, dann war das gewiss nicht meiner inneren Einstellung geschuldet: denn spotten will ich nicht (über was und wen denn auch?) und überhoben fühle ich mich nicht. Ganz im Gegenteil, ich bin relativ sokratisch "unterwegs".



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Do 17. Sep 2020, 21:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 21:25
Wie gesagt, mir geht es um die Wahrheit und darum weiterzukommen.
Ja, das kann ich nachvollziehen, das will ich auch. Die Frage ist hier vielleicht: Was heisst weiter? Und was heisst kommen?



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Jovis
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Do 17. Sep 2020, 21:53

Ich bin begeistert von diesem thread, auch wenn ich nichts beitragen kann, solange es um den Neuen Realismus geht. So sachlich und auf hohem Niveau wird hier diskutiert, dass es mir ein Vergnügen ist mitzulesen. Jede Menge Denkanstöße - danke an alle Beteiligten!




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Sep 2020, 05:55

Alethos hat geschrieben : Wir werden wohl kaum darüber [un]eins gehen, dass es falsch ist, Kinder zu schlagen
Wir sind vermutlich uneins, weil du die Universalität der Ethik wohl leugnest, wenn ich recht sehe, ganz klar drückst du dich nicht aus.
Alethos hat geschrieben : Die Argumentation ist hier entscheidend: Wenn du sagst, die Tatsache selbst liefere den Grund dafür, bist du Realist (Grund = Tatsache, die für etwas spricht).
Das schreibe ich gar nicht. Das hast du einfach aus einem anderen Thread importiert, der jedoch nicht dasselbe Thema hat.
Alethos hat geschrieben : Du behauptest, wenn ich es richtig erinnere, dass es moralisch geboten und richtig ist, diese Flüchtlinge aufzunehmen.
Ich habe mich dazu überhaupt nicht geäußert.
Alethos hat geschrieben : Die Erörterung dieser Fragen ist eine ethische und man tut der Sache keinen Dienst, wenn man davon ausgeht, es gebe da in der Sache ganz klare Handlungsanweisungen.
Ich für meinen Teil gehe nicht davon aus, dass es stets ganz klare "Handlungsanweisung" gibt. Das folgt nicht aus dem moralischen Realismus und auch nicht aus dem was ich sage, noch habe ich es irgendwo geschrieben, das ist deine freie Erfindung.




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Jörn Budesheim
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Nauplios hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 20:03
Kleine Kinder sollte man nicht quälen. Zu dieser Einsicht kann nur kommen, wenn sich zum Neuen Realismus bekennt? -
Sagt dass jemand? Niemand natürlich.

Der moralische Realismus ist eine ontologische Position, die behauptet, dass es moralische Werte wirklich gibt. Das muss nicht einhergehen mit einer epistemischen Handreichung oder einem einfachen Regelbuch. Denn die beiden Fragen, ob es moralische Werte wirklich gibt und wie man sie im Einzelfall erkennt sind zwei verschiedene.




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Alethos hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 21:48
Ja, das kann ich nachvollziehen, das will ich auch. Die Frage ist hier vielleicht: Was heisst weiter? Und was heisst kommen?
Auch hier suggerierst du etwas falsches. Denn ich habe mich bereits dazu geäußert und einige Beispiele dazu gebracht. Aber du musst dich nicht bemühen, es herauszufinden, denn ich werde hier nichts mehr schreiben, im Gegensatz zu Jovis finde ich diesen Thread überhaupt nicht sachlich.




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Sa 19. Sep 2020, 14:34

Weiterkommen - was heisst das? Weiter als was? Wahrscheinlich heisst es, weiterzukommen als das Erreichte. Gut.

Wir sind Kinder der Aufklärung. Das Mittelalter gilt den meisten als das dunkle Zeitalter. Dass in diesen 700-900 Jahren Mittelalter weniger Menschen starben wegen religiösen Konflikten als in de Zeit der Aufklärung, während der französischen Revolution etwa oder bei Exekutionen durch die Hand von machtbewussten Beamten in Hexenprogromen, das ist wohl kein Fortschritt im Sinne eines Bessermachens als zuvor. Dass wir im
20. Jahrhundert zigmillionen Menschen in den Tod schickten für Vaterland und Ehre, das ist wohl kein Fortschritt verglichen mit dem friedlichen Koexistieren in neolithischer Zeit, als wir uns gelegentlich mit der Keule
eins über die Rübe zogen, wenn das Fleisch knapp wurde. Ohnehin war die Jagd mit Speer und Schleuder weit ethischer als die Massentötung durch automatisierte Genickschüsse am Laufband.

Nicht das Neue ist besser als das Vorherige, bloss, weil es das Neue ist. Und das gilt für alles, wovon wir glauben, dass es gut ist, bloss weil es heute ist. Ist Multikulturalität besser bloss, weil es ein Phänomen der Neuzeit ist? Nein, wenn es besser ist, dann doch, weil wir darin etwas Gutes sehen. Aber gut, das ist es nicht von selbst, sondern weil wir davon Betroffene und überzeugt sind, dass es das ist.

Wir. Wir sind aber andere als die von gestern und übermorgen. Nicht bessere oder schlechtere, bloss andere. Das, was uns gut schien, das muss ihnen als künftig Betroffene nicht gut scheinen.
Was nun ist an diesem sogenannt Guten objektiv gut? Was bringt uns dazu zu glauben, dass das Gute und Schlechte in der Sache selbst liegt? Denn das heisst moralischer Realismus, dass das Gute real
ist. Nun aber real für wen?
Und ist das, was der von der Realität des Guten Betroffene über dieses Sosein des Guten denkt, irrelevant für das Sosein des Guten? Was um
Himmelswillen wollen wir den mit einer moralischen Realität anfangen, wenn sie nicht uns alle je einzeln betreffen soll und wie wollte sie uns betreffen, wenn nicht wir es wären, die diese moralische Realität je befördern? Durch unsere Meinungen und Ansichten. Durch unsere Emotionen und politischen Motivationen.

Es kann nicht anders sein, als dass das Gute ein Vielklang all unserer Bestrebungen ist, es besser zu machen, ohne aber wissen zu können, was denn nun das Bessere ist. Denn das Gute ist veränderlich, immerzu etwas Anderes.



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Nauplios
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Sa 19. Sep 2020, 17:42

Ein vorläufig letztes Wort zu Markus Gabriel:

Da ich es vorgestern mangels Leserechte beim Kölner Stadtanzeiger nur vermuten konnte, das YouTube-Video von Mai Thi Nguyen-Kim, der Wissenschaftsjouralistin vom WDR (Quarks) ist für Gabriel tatsächlich "ein unvorstellbarer Skandal". Das Skandalöse daran bringt Gabriel auf die Formel: "Ein großer Angriff auf die Demokratie":

Erst habe es eine absurde Überhöhung der Virologen gegeben und als diese dann enttäuscht worden sei, sei es zum Angriff auf die Wissenschaftler gekommen. Er halte es für einen unvorstellbaren Skandal, dass Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim auf Youtube virologische Expertise an Figuren festgemacht werde. 

Die promovierte Chemikerin hatte in einem Video ihres Kanals MaiLab ein Virologen-Ranking aufgestellt. Das sei ein großer Angriff auf die Demokratie. „Das geht nicht in einer solchen kritischen Situation, weil da die Expertise in Frage gestellt wird“, so Gabriel. „Wir haben gesellschaftlich noch nicht die richtige Einstellung dazu, wie wir mit Wissenschaft und Expertise umgehen." 


(https://theworldnews.net/de-news/ein-un ... yen-kim-an)

Wenn schon nicht die Dichter, die Wissenschaftsjouralistin Mai Thi Nguyen-Kim würde Markus Gabriel aus seiner idealen Polis wohl doch verbannen. ;) - Aber jetzt mal im Ernst. "Ein großer Angriff auf die Demokratie" - wer sich das Video anschaut, hört einen 20-minütigen Vortrag über Wissenschaftskommunikation, in dem die Fernsehauftritte dreier bekannter Virologen (Drosten, Streeck und Kekulé) vorgestellt und auf ihre Art der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Forschungen an das Fernsehpublikum untersucht werden. Dies geschieht mit flottem Videoschnitt und in einer nicht minder flotten Sprache. So wie ich es sehe, ist das Zielpublikum des YouTube-Kanals ein junges ("Freunde der Sonne ...") -

Eine 33-jährige Chemikerin startet damit einen "großen Angriff auf die Demokratie", so daß Grund besteht, von einem "unvorstellbaren Skandal" zu sprechen? - Es gibt einige Möglichkeiten, sich als Philosoph das Lachen thrakischer Mägde zuzuziehen. Die hier von Gabriel ausgewählte zählt zur Gruppe der törichten. Bleibt zu hoffen, daß unsere Demokratie den chemischen Großangriff schadlos übersteht. ;)




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